S 5 KN 95/98 U

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KN 95/98 U
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. August 1998 verurteilt, bei dem Kläger ab 02. September 1997 die Berufskrankheit Nr. 4111 anzunehmen und dem Kläger Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren nach einer MdE von 20 vom Hundert. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Rente wegen einer Berufskrankheit gemäß Nr. 4111 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) - chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren (mg/m3 x Jahre) - nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert ab dem 02. September 1997 zusteht.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist von Beruf Bergmann. Er arbeitete von 1962 bis 1994 als Hauer unter Tage. Im September 1997 erstattete der behandelnde Arzt Dr. W. ärztliche Anzeige wegen Verdachtes auf Lungenemphysem bei Bergleuten. Die Beklagte zog Krankenblattunterlagen der Bundesknappschaft, Befundberichte und Röntgenaufnahmen bei. Nach einer Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 29. Oktober 1997 war der Kläger zwischen 1962 bis 1994 einem Feinstaubsummenwert von 105 Feinstaubjahren ausgesetzt; damit seien die beruflichen Voraussetzungen für die Entstehung einer obstruktiv chronischen Bronchitis oder eines Lungenemphysems erfüllt. Später stellte die Beklagte fest, dass der Kläger einem Feinstaubsummenwert von 116,5 mg Feinstaubjahren ausgesetzt war. In einer Stellungnahme gelangte der beratende Arzt Dr. T. zu der Auffassung, dass der Versicherungsfall ab 15. November 1990 anzunehmen sei. Bereits 1990 sei es zu einer Arbeitsunfähigkeit wegen einer chronischen Atemwegsobstruktion gekommen. Gestützt auf diese Beurteilung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. März 1998 es ab, wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4111 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung Leistungen zu gewähren, weil der Versicherungsfall nicht nach dem 31. Dezember 1992 liege. Der Widerspruch des Klägers wurde durch den Widerspruchsbescheid vom 26. August 1998 zurückgewiesen. Der Kläger hat am 02. September 1998 Klage erhoben. Der Kläger trägt vor, dass er an einem Lungenemphysem und an einer chronisch obstruktiven Bronchitis leide und dass dies Folge seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit im Untertagebergbau sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. August 1998 zu verurteilen, bei dem Kläger ab 02. September 1997 die Berufskrankheit Nr. 4111 anzuerkennen und dem Kläger Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.

Das Gericht hat zu der Frage, ob bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß Nr. 4111 vorliegen, Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Gutachtens von Prof. Dr. T. vom 15. Dezember 1998. Prof. Dr. T. hat sein Gutachten durch Stellungnahmen vom 24. März 1999 und 30. Juli 1999 erläutert.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie des Sach und Streitstandes im Einzelnen verweist die Kammer auf die Gerichts- und Verwaltungsakten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet und der Kläger ist durch die angefochtenen Verwaltungsentscheidung rechtswidrig beschwert, denn bei ihm liegt eine Berufskrankheit gemäß Nr. 4111 der Anlage 1 BKVO - chronisch obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren (mg/m3 x Jahr) - nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 vom Hundert (v. H.) ab dem 02. September 1997 vor.

Nach§ 7 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (Gesetzliche Unfallversicherung) - SGB VII - gilt als Arbeitsunfall, der nach den§§ 56 ff. durch die Zahlung von Rente zu entschädigen ist, auch eine Berufskrankheit.

Berufskrankheiten sind nach§ 9 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet oder die ein Versicherter bei einer der in den§§ 2, 3 oder 6 SGB VII genannten Tätigkeiten erleidet. Mit der am 01. Dezember 1997 in Kraft getretenen Berufskrankheiten-Verordnung ist die BK-Liste um die Nr. 4111 erweitert worden.

Die von dem Kläger geltend gemachte Berufskrankheit gemäß Nr. 4111 erfasst die chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von.Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren (mg/m3 x Jahre).

Die Feststellung der Berufskrankheit hat zur Voraussetzung, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründen den) Voraussetzungen dieser Berufskrankheit in der Person des Klägers gegeben sind, zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre (Beschl. LSG NRW L 17 U 116/96 vom 03.03.1997 m. w. N.) wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität).

Die beruflichen Voraussetzungen für die Entstehung einer chronisch obstruktiven Bronchitis oder eines Lungenemphysems sind erfüllt, denn nach der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 29. Oktober 1997 war der Kläger einem Feinstaubsummenwert von 105 Feinstaubjahren ausgesetzt. Später wurde dieser Wert dahingehend korrigiert, dass es insgesamt 116 Feinstaubjahre waren.

Die Kammer ist dem medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. Smidt gefolgt, dass bei dem Kläger erst ab 02. September 1997 die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 4111 der Anlage 1 zu § 1 der Berufskrankheiten-Verordnung in Form einer chronisch obstruktiven Bronchitis und eines Lungenemphysems vorliegen, die ab diesem Zeitpunkt eine MdE von 20 vom Hundert bedingen. Hierzu hat Prof. Dr. Smidt in seinem Gutachten vom 15. Dezember 1998 ausgeführt, dass die klinischen und röntgenologischen Befunde zusammen mit dem anamnestischen Angaben und den funktionsanalytischen Befunden für diese Erkrankungen sprechen. Prof. Dr. Smidt setzt sich auch mit der Argumentation von Dr. Schaefer auseinander und erklärt hierzu, dass er sich bei der Bundesknappschaft in Aachen erkundigt habe, wie Diagnoseübersichten der Bundesknappschaft über Arbeitsunfähigkeiten zustande kamen. Er hat erfahren, dass von Sachbearbeitern der Bundesknappschaft demjenigen Klartext, den der krankschreibende Arzt auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schrieb, eine Schlüssel-Nr. zuordnete. Diese Schlüssel-Nr. wurde dann ihrerseits durch das Computerprogramm zurück übersetzt. Es gab Nrn. für Bronchitis, chronische Bronchitis, Emphysem, Asthma und allergische Alveolitis. Der Sachverständige folgert daraus, dass die konkrete Krankheitsbeschreibung starken Zufallsfaktoren unterlag. Der Sachverständige sieht das Vorliegen der Berufskrankheit erst durch die von Dr. L. am 02. September 1997 erhobenen Befunde als gesichert. Er hält es für zu weit gehend, zu schließen, dass die chronische Bronchitis schon vor 1993 einen obstruktiven Charakter angenommen hatte oder dass mit Wahrscheinlichkeit ein Lungenemphysem vorlag.

In der gutachtlichen Stellungnahme vom 22. Februar 1999 vertritt Prof. Dr. T.-X. die Ansicht, dass die Schwere des Befundes seit 1997 eindeutig für die Auffassung von Dr. T. spreche, dass nämlich der Versicherungsfall vor dem 01. Januar 1993 eingetreten sei. Der Kläger sei bereits seit 1987 mehrfach wegen einer chronischen Atemwegserkrankung arbeitsunfähig geschrieben worden. Auch aus den Lungenfunktionsprüfungen von 1997 und 1998 könne man erkennen, dass der Versicherungsfall vor dem 01. Januar 1993 eingetreten sei. Im Übrigen bemängelt Prof. Dr. T.-X., dass die Resultate der Lungenfunktionsprüfung bei Prof. Dr. T. nicht in Prozent der Sollwerte angegeben würden, entgegen der gutachterlich üblichen Praxis.

Prof. Dr. T. hat sich mit der Argumentation von Prof. Dr. T.-X. auseinandergesetzt. Er verweist darauf, dass er bekanntlich das Resultat der Lungenfunktionsprüfung nicht in Prozenten der Sollwerte angebe, sondern der Übersicht wegen die Angabe der Sollwerte bevorzuge, damit man sofort sehe, ob der Messwert diese über bzw. unterschreite. Der Sachverständige hält es für unwahrscheinlich, dass bereits 1990 der Versicherungsfall einer chronisch obstruktiven Bronchitis bzw. eines Emphysems an zunehmen ist. Eine Rück-Extrapolation über einen Zeitraum von fünf und mehr Jahren hält er für zu unsicher, um daraus ohne jeden vernünftigen Zweifel eine chronisch obstruktive Bronchitis und/oder ein Lungenemphysem zu diagnostizieren. Derartige Mutmaßungen seien nicht belegbar.

Im Ergebnis stehen sich zwei lungenfachärztliche Experten gegenüber, die mit abgewogenen wissenschaftlichen Argumenten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Die Beweislast dafür, dass der Versicherungsfall bereits vor dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist, trägt die Beklagte. Die Beweislastregel, wonach die objektive Beweislast derjenige trägt, der sich auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer für ihn günstigen Rechtsnorm beruft, hier die Rückwirkungsklausel, erfasst die Unaufklärbarkeit von Tatsachen, die unmittelbar zur Begründung von Sozialleistungsansprüchen führen.

Zu den entscheidungserheblichen Tatsachen, die dem Vollbeweis unterliegen, gehört auch die durch die berufliche Tätigkeit herbeigeführte Körperschädigung (BSG 2. Senat, Az.: 2 BU 21/93 v. 02.08.93). Dass solche Tatsachen des Vollbeweises bedürfen, ist allgemein anerkannt. Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht erforderlich, dass die Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauen der Mensch noch zweifelt (vgl. BGH in BGHZ 53, 255), d. h., dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt. Das ist vorliegend gerade nicht der Fall, denn Prof. Dr. T.-X. gelangt zu einem gänzlich anderen Ergebnis als Prof. Dr. T ... Die unzureichende Unaufklärbarkeit des Zeitpunktes des Versicherungsfalles der Berufskrankheit Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der.Beklagten. Unstreitig lag der Versicherungsfall erst am 02. September 1997 mit einer MdE von 20 vom Hundert vor.

Der Klage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den§§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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