S 15 KR 10/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 KR 10/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 265/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 6/18 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 verurteilt, dem Kläger Krankengeld auch für die Zeit vom 05.08.2015 bis zum 19.08.2015 auszuzahlen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 05.08.2015 bis zum 19.08.2015 in Höhe von 601,02 EUR.

Der im Jahre 0000 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Kläger steht in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Im April 2015 erlitt er einen Herzinfarkt und war in der Folgezeit für die Zeit vom 24.04.2015 bis zumindest 13.09.2015 durchgehend arbeitsunfähig krank geschrieben. Eine Wiedereingliederungsmaßnahme wurde am 04.08.2015 abgebrochen, da zunächst eine Gewichtsreduktion mit Herz-Ausdauersport durchgeführt werden sollte. Nach dem Ende der sechswöchigen Entgeltfortzahlung bezog der Kläger von der Beklagten Krankengeld in Höhe von 42,93 EUR täglich bis zum 04.08.2015. Am 20.08.2015 sprach der Kläger persönlich in der Dienststelle B. der Beklagten vor und gab an, dass laut Bescheinigung des behandelnden Arztes vom 04.08.2015 weiter Arbeitsunfähigkeit bis zum 13.09.2015 bestehe und zwischen der Beendigung der Wiedereingliederungsmaßnahme und der erneuten Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Beschäftigung nicht wieder aufgenommen worden sei. Außerdem legte er die zur Vorlage beim Arbeitgeber am 19.08.2015 ausgestellte Ausfertigung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, derzufolge Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 04.08.2015 bis zum 13.09.2015 bescheinigt wurde.

Durch Bescheid vom 02.09.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass das Krankengeld für die Zeit vom 20.08.2015 bis zum 31.08.2015 angewiesen worden sei. In der Zeit vom 05.08.2015 bis zum 19.08.2015 ruhe der Krankengeldanspruch, da die erneute Attestierung der Arbeitsunfähigkeit erst am 20.08.2015 und damit nicht innerhalb einer Woche nach der ärztlichen Feststellung am 04.08.2015 angezeigt worden sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, sein behandelnder Arzt habe der Beklagten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung fristgemäß unmittelbar zugeleitet. Ob und warum diese bei der Beklagten nicht eingegangen sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28.10.1981 – 3 RK 59/80NJW 1982, 715) scheide eine Berufung auf ein Ruhen des Krankengeldanspruches aus, wenn der nicht rechtzeitige Zugang der Meldung auf Umständen beruhe, die in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse fielen und der Versicherte weder gewusst habe noch habe wissen müssen, dass die Krankenkasse von der Arbeitsunfähigkeit keine Kenntnis erlangt habe. Er fügte ein Duplikat der am 04.08.2015 ausgestellten – zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmten – Ausfertigung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei sowie einen PC-Ausdruck seines behandelnden Arztes, wonach diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit bis zum 13.09.2015 am 04.08.2015 ausgestellt worden ist.

Durch Widerspruchsbescheid vom 15.12.2015 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruhe der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet werde. Dies gelte nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolge oder das Versäumnis nicht vom Versicherten zu verantworten sei. In der Zeit vom 05.08.2015 bis zum 19.08.2015 ruhe der Anspruch des Klägers auf Krankengeld, da die erneute Attestierung der Arbeitsunfähigkeit erst am 20.08.2015 und damit nicht innerhalb einer Woche nach der ärztlichen Feststellung am 04.08.2015 angezeigt worden sei. Bei der Meldung der Arbeitsunfähigkeit handele es sich grundsätzlich um eine Obliegenheit des Versicherten, der die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Meldung zu tragen habe. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in ständiger Rechtsprechung die Gewährung von Krankengeld bei verspäteter Meldung selbst dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei vorgelegen hätten und dem Versicherten keinerlei Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung zur Last habe gelegt werden können.

Mit der am 07.01.2016 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Auszahlung des Krankengeldes für die Zeit vom 05.08.2015 bis zum 19.08.2015. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Er weist darauf hin, dass es seine Ärzte entweder versäumt hätten, der Beklagten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 04.08.2015 zu übermitteln oder diese bei der Beklagten verloren gegangen sei. Jedenfalls aber handele es sich um einen Fehler, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in den Verantwortungsbereich der Beklagten falle und den er bis zu seiner Vorsprache am 20.08.2015 nicht erkannt habe und auch nicht habe erkennen können.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 zu verurteilen, ihm Krankengeld auch für die Zeit vom 05.08.2015 bis zum 19.08.2015 auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Sie weist darauf hin, dass nicht erkennbar sei, dass die nicht rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit auf Umständen beruhe, die in ihren Verantwortungsbereich fielen. Bei den in der Vergangenheit den Ärzten zur Verfügung gestellten Freiumschlägen handele es sich lediglich um ein freiwilliges Angebot. Auch sei das Vertrauen des Klägers nicht schutzwürdig. Zwar sei eine Meldung der Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkasse durch Dritte generell möglich, jedoch habe der Kläger die Folgen der verspäteten Meldung zu tragen.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes eine schriftliche Auskunft von dem Facharzt für Allgemeinmedizin U.N. eingeholt. Dieser hat unter dem 22.05.2016 bzw. 28.10.2016 ausgeführt, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 04.08.2015 sei, soweit erinnerlich, durch die Praxis an die Beklagte übermittelt worden. Die Praxis übernehme die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Krankenkasse nur bei AOK- und Bundesknappschaft-Patienten. Hierfür würden von diesen Krankenkassen Freiumschläge zur Verfügung gestellt. Bei allen anderen Patienten werde der Durchschlag der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Krankenkasse den Patienten ausgehändigt.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren, soweit von Bedeutung, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch sachlich begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 02.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 entspricht nicht der Sach- und Rechtslage und ist daher rechtswidrig. Durch ihn wird der Kläger beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil er auch für die Zeit vom 05.08.2015 bis zum 19.08.2015 Anspruch auf Auszahlung des Krankengeldes hat.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte u.a. Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein Versicherter arbeitsunfähig, wenn er durch Krankheit daran gehindert ist, seine arbeitsvertraglich geschuldete, zuletzt ausgeübte Arbeit zu verrichten (BSGE 94, 19, 21 = SozR 4-2500 § 44 Nr. 3; BSGE 90, 72, 74 = SozR 3-2500 § 44 Nr. 10; BSGE 85, 271, 273 = SozR 3-2500 § 49 Nr. 4). Hierbei entsteht der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V an dem Tag, der auf die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Bei zeitlich befristeter Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und dementsprechender Krankengeldgewährung müssen die Voraussetzungen für jeden Bewilligungsabschnitt neu festgestellt werden (vgl. BSGE 94, 247 = SozR 4-2500 § 44 Nr. 6 m.w.N.). Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Der Kläger war unstreitig nicht nur bis zum 04.08.2015 und wieder ab dem 20.08.2015, sondern auch in dem hier streitbefangenen Zeitraum vom 05.08.2015 bis zum 19.08.2015 arbeitsunfähig krank. Zu Unrecht hat die Beklagte für diesen Zeitraum die Auszahlung des Krankengeldes wegen verspäteter Meldung der Arbeitsunfähigkeit verweigert.

Wie bei der ärztlichen Feststellung handelt es sich auch bei der Meldung der Arbeitsun-fähigkeit grundsätzlich um eine Obliegenheit des Versicherten, der im Regelfall auch die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen ärztlichen Feststellung oder Meldung zu tragen hat. Sowohl die Ausschlussregelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V als auch die Melderegelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V sind strikt zu handhaben (BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 35/14 R – m.w.N.). Gleichwohl fällt vorliegend die verspätete Meldung der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht in den Verantwortungsbereich des Klägers, sondern ist der Beklagten zuzurechnen. Dies folgt zur Überzeugung des Gerichts sowohl aus § 5 Abs. 1 Satz 5 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) als auch aus dem Umstand, dass die Beklagte dem behandelnden Arzt des Klägers Freiumschläge zur Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Verfügung gestellt hat, die dieser nach eigenem Bekunden auch verwendet hat.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens am darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen (Satz 2). Satz 5 dieser Norm bestimmt, dass – wenn der Arbeitnehmer, wie vorliegend der Kläger, Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist – die ärztliche Bescheinigung einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten muss, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird. Dementsprechend enthält auch die vom Kläger vorgelegte "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber" (Muster 1b) den Hinweis: "Der angegebenen Krankenkasse wird unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über die Diagnose sowie die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt."

Aus der Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG folgt demnach, dass einem Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung die Verpflichtung abgenommen ist, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit zu melden (vgl. hierzu insbesondere BSG, Urteil vom 28.10.1981 a.a.O.). Hinzukommt, dass die Beklagte im Fall des Klägers und auch in anderen der Kammer bekanntgewordenen Fällen (S 15 KR 74/16 und S 13 KR 318/16) im Zusammenwirken mit den jeweils behandelnden Vertragsärzten durch die Zurverfügungstellung von Freiumschlägen den Anschein erweckt hat, den Versicherten sei die Obliegenheit, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit zu melden, abgenommen worden. Wie im vorliegenden Fall, haben die Vertragsärzte auch in den anderen bekanntgewordenen Fällen die zur Vorlage an die Krankenkasse bestimmten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mithilfe der Freiumschläge unmittelbar an die Bundesknappschaft gesandt. Über diese Verfahrensweise war der Kläger auch informiert. Er durfte daher darauf vertrauen, dass die Beklagte von seiner weiteren Arbeitsunfähigkeit ordnungsgemäß und rechtzeitig unterrichtet worden war.

Die 13. Kammer des Sozialgerichts hat in der Entscheidung vom 31.01.2017 (S 13 KR 318/16) ausgeführt: "Wenn es dann aber auf dem Weg zwischen Arzt und Krankenkasse aufgrund von Fehlern im Bereich des Arztes, der Post oder der Krankenkasse zu einer verspäteten Meldung gekommen ist, muss sich die Krankenkasse, die diese Verfahrensmöglichkeit zur Meldung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eröffnet hat, dies zurechnen lassen. Ein anderes Ergebnis wäre mit der Zielsetzung des Sozialgesetzbuches, dem Bürger den Zugang zu den Sozialleistungen zu erleichtern, nicht in Einklang zu bringen. Es darf einem Versicherten nicht zum Nachteil gereichen, wenn er seiner Krankenkasse bzw. den für sie handelnden vertragsärztlichen Leistungserbringern vertraut und sich nach ihren Informationen richtet (vgl. in diesem Sinne BSG, Urteil vom 28.10 – 3 RK 59/80)." Diesen Ausführungen schließt sich auch die erkennende Kammer in vollem Umfang an.

Somit hat der Krankengeldanspruch des Klägers in der Zeit vom 05.08.2015 bis zum 19.08.2015 nicht geruht und die Beklagte ist zur Nachzahlung des Krankengeldes für diese 15 Kalendertage verpflichtet. Da der Kalendermonat mit 30 Tagen zu berechnen ist und der Kläger für August 2015 bereits Krankengeld für 16 Tage bezogen hat (01.08.2015 bis 04.08.2015 und 20.08.2015 bis 31.08.2015), verbleibt nur noch ein Auszahlungsbetrag für 14 Tage in Höhe von 601,02 EUR (42,93 EUR x 14 Tage).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf das beim BSG unter dem Aktenzeichen B 3 KR 29/15 R anhängige Revisionsverfahren zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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