S 44 SV 196/19 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
44
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 44 SV 196/19 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 SV 793/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Beschluss In dem Rechtsstreit.,. - Antragsteller und Beschwerdeführer - gegen.,. - Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin - hat der 1. Senat des Thüringer Landessozialgerichts durch den Präsidenten des Landessozialgerichts Keller, Richter am Landessozialgericht Krome und die Richterin am Landessozialgericht Comtesse ohne mündliche Verhandlung am 10. Oktober 2019 beschlos-sen: Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 5. Juni 2019 abgeändert und der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht G. verwiesen. Die öffentliche Zustellung dieses Beschlusses an den Beschwerdeführer wird gemäß § 63 Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes i. V. m. den §§ 185, 186 der Zivilprozessordnung angeordnet. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer hat mit vom Sozialgericht ausgedruckter E-Mail vom 24. Januar 2019 beantragt, gegen die Beschwerdegegnerin eine einstweilige Anordnung zu erlassen mit dem Ziel, vom Kinder- und Jugendamt Einsicht in das Geburtsregister und von der Kindsmutter Auskunft über die Vaterschaft minderjähriger Kinder zu erreichen. Er hat sogleich mitgeteilt, er sei postalisch nicht zu erreichen, sondern nur über die angegebene E-Mail-Adresse. Mit Verfügung vom 15. März 2019 hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass das Sozialgericht für die Gewährung von Einsicht in das Geburtsregister nicht zuständig sei. Zwecks Bestimmung des örtlich zuständigen (Verwaltungs)Gerichts sei es erforderlich zu ermitteln, wo sich die Kindesmutter ständig aufhalte. Das Einwohnermeldeamt der Beschwerdegegnerin hat daraufhin mit Schreiben vom 18. April 2019 mitgeteilt, dass unter der vom Beschwerdeführer angegebenen Adresse eine Frau dieses Namens nicht zu ermitteln sei. Außerdem existiere die benannte "Ortsstraße" in G. nicht. Daraufhin hat das Sozialgericht den Beschwerdeführer aufgefordert, die Wohnanschrift der Kindesmutter mitzuteilen. Für den Fall, dass dies nicht binnen 14 Tagen geschehe, wurde darauf hingewiesen, dass der Antrag als unzulässig abgewiesen werde. Der Beschwerdeführer hat daraufhin mit E-Mail vom 13. Mai 2019 angegeben, dass die Kindesmutter seit 2018 mehrfach geheiratet und den Namen gewechselt habe. Er hat verschiedene Anschriften in G. ohne Nennung eines Namens benannt.

Durch Beschluss vom 5. Juni 2019, der Beschwerdegegnerin per Empfangsbekenntnis am 19. Juni 2019 zugestellt, hat das Sozialgericht Altenburg den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig abgewiesen. Die Zulässigkeit des Antrags sei vorliegend zu verneinen, weil der Sozialrechtsweg nach § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht eröffnet sei. Er sei weder für eine Klage gegen die Stadt G. auf Auskunft über das Geburtsregister noch für eine Klage auf Auskunft gegen die Kindesmutter eröffnet. Für ersteres sei der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eröffnet. Die Verweisung habe aber nicht ausgesprochen werden können, weil nach dem Sachvortrag des Beschwerdeführers weder der Name der Kindesmutter noch ihr Aufenthaltsort zu ermitteln sei. Davon hänge auch die örtliche Zuständigkeit des Familiengerichts hinsichtlich des zweiten Begehrens ab. Ob das Register der Stadt G. überhaupt die verlangten Informationen beinhalte, könne aufgrund der lückenhaften Angaben nicht im Ansatz überprüft werden. Die Verweisung eines Verfahrens "ins Blaue hinein" scheide aus. Mit handschriftlicher Verfügung vom 6. Juni 2019 hat der Vorsitzende der zuständigen Kammer die öffentliche Zustellung des Beschlusses durch Aushang an der Gerichtstafel für die Dauer eines Monats plus ein Tag und zugleich eine Zusendung des Beschlusses an den Beschwerdeführer per E-Mail verfügt. Der Aushang an der Gerichtstafel ist am 7. Juni 2019 und die Abnahme am 8. Juli 2019 erfolgt.

Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer am 2. Juli 2019 per E-Mail Beschwerde beim Sozialgericht Altenburg erhoben und vorgetragen, dieses sei zur Amtsermittlung verpflichtet. Mit am 29. Juli 2019 beim Thüringer Landessozialgericht eingegangenem Schriftsatz hat er erneut Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg eingelegt. Er beabsichtige, mit seinen minderjährigen Kindern zusammenzuleben. Es sei Aufgabe zum Beispiel des Jugendamtes der Stadt G. herauszufinden, wo diese sich aufhielten. Ferner beantrage er, dem Vorsitzenden der Kammer eine "Rüge" nach § 178 a SGG zu erteilen.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 5. Juni 2019 aufzuheben und nach den Anträgen aus dem Schriftsatz vom 2. Juli 2019 zu entscheiden.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Beschwerdeführer halte sich unter der angegebenen Anschrift in der Reichstraße 84 nicht mehr auf. Er sei vom Einwohnermeldeamt von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet worden.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte des Beschwer-deverfahrens Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist nach §§ 172, 173 SGG statthaft und auch zulässig. Sie wurde formgerecht erhoben. Zwar hat der Beschwerdeführer zunächst nur per einfacher E-Mail seine Beschwerde vom 2. Juli 2019 beim Sozialgericht Altenburg eingereicht, welche dort am 3. Juli 2019 ausgedruckt wurde. Eine mit einfacher E-Mail eingereichte Beschwerde, ohne qualifi-zierte Signatur genügt nicht dem Schriftformerfordernis des § 173 SGG. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde mit eingescannter Unterschrift als Anlage beigefügt und vom Gericht ausgedruckt worden ist (vgl. Bittner in Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz 1. Auflage 2014, § 173, Rn. 20 unter Hinweis auf LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 4. Juni 2013, L 6 AS 194/13 B). Jedoch hat der Beschwerdeführer seine Beschwerdeschrift vom 2. Juli 2019 schriftsätzlich am 29. Juli 2019 beim Thüringer Landessozialgericht erneut eingereicht. Diese genügt den formellen Anforderungen des § 173 SGG.

Sie ist auch innerhalb der Monatsfrist des § 173 Satz 1 SGG eingelegt worden. Insoweit geht der Senat zugunsten des Beschwerdeführers davon aus, dass die Frist zur Einlegung der Beschwerde aufgrund der erfolgten öffentlichen Zustellung des Beschlusses des Sozialgerichts am 8. August 2019 endete. Nach §§ 63 Abs. 2 S. 1 SGG i. V. m. 185 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) beginnt die Beschwerdefrist von einem Monat mit der wirksamen Zustellung des Beschlusses des Sozialgerichts zu laufen. Der Vorsitzende der Kammer hat die öffentliche Zustellung des Beschlusses an den Beschwerdeführer angeordnet. Nach § 188 Satz 1 ZPO gilt das Schriftstück als zugestellt, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung ein Monat vergangen ist. Der Aushang erfolgte am 7. Juni 2019, sodass die Zustellung am 8. Juli 2019 bewirkt war. Innerhalb der Beschwerdefrist von einem Monat nach § 173 Satz 1 SGG ist die Beschwerde vom 2. Juli 2019 beim Thüringer Landessozialgericht am 29. Juli 2019 fristge-recht eingegangen. Daher braucht der Senat nicht zu klären, ob die öffentliche Zustellung durch das Sozialgericht ordnungsgemäß angeordnet worden ist. Hieran bestehen insbesondere deshalb Bedenken, weil nach §§ 63 Abs. 2 S. 1 SGG, 186 Abs. 1 Satz 1 ZPO das Prozessgericht über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung durch Beschluss zu entscheiden hat, wobei nach § 186 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. In der Akte findet sich jedoch nur eine handschriftliche Verfügung des Vorsitzenden.

Die Beschwerde hat insoweit Erfolg, als das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht als unzulässig hätte abweisen dürfen, sondern den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht G. hätte verweisen müssen.

Zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufen ist das Verwaltungsgericht G ... Entsprechend seinem Antrag vom 24. Januar 2019 begehrt der Beschwerdeführer zunächst Einsicht in das Geburtsregister des Kinder- und Jugendamtes der Beschwerdegegnerin. Anschließend begehrt er von der Kindsmutter Auskunft über die Vaterschaft der 2017 und 2018 geborenen minderjährigen Kinder. Dieses Begehren gehört nicht zur herkömmlichen Sozialversicherung.

Eine Angelegenheit der Sozialversicherung im Sinne von § 51 Abs. 1 SGG liegt nur dann vor, wenn die Möglichkeit besteht, dass die aus dem vorgetragenen Sachverhalt hergeleitete Rechtsfolge ihre materiellrechtliche Grundlage im Sozialversicherungsrecht findet. Dabei ist der Begriff der Sozialversicherung bzw. des Sozialversicherungsrechts im Sinne von § 51 Abs. 1 SGG auf die klassischen Zweige der Sozialversicherung beschränkt und umfasst damit die herkömmlichen Bereiche der gesetzlichen Rentenversicherung, Unfallversicherung usw. Die begehrte Einsicht oder Auskunft aus dem Geburtsregister ist ersichtlich keine Angelegenheit der Sozialversicherung. Die Eröffnung des Sozialrechtsweges durch ein anderes Gesetz im Sinne von § 51 Abs. 4 SGG oder ein Landesgesetz im Sinne von § 40 Absatz 1 S. 2 VwGO ist ersichtlich nicht erfolgt.

Soweit der Beschwerdeführer einen Sachzusammenhang mit sozialrechtlichen Materien sieht, kann dies eine Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit nicht begründen. Sie kann nur in Regelungsbereichen, die unmittelbar von § 51 SGG oder durch außerhalb des SGG ausdrücklich erfolgte Rechtswegzuweisung erfasst werden und nicht allein kraft Sachzusammenhangs oder unter dem Gesichtspunkt der Sachnähe begründet werden, weil es nach der Systematik des § 40 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG grundsätzlich einer ausdrück-lichen gesetzlichen Zuweisung an die Sozialgerichte bedarf.

Soweit das Sozialgericht die Zurückweisung des Antrags als unzulässig damit begründet, dass nach dem Sachvortrag des Antragstellers nicht klar sei, wo die Kindesmutter überhaupt wohne und daher die örtliche Zuständigkeit nicht geklärt werden könne und des Weiteren unklar sei, ob das Register der Stadt G. überhaupt die verlangten Informationen beinhalte, rechtfertigt dies ein Absehen von der Verweisung nicht. Die Frage, ob dem Register der Stadt G. die vom Beschwerdeführer begehrten Informationen tatsächlich entnommen werden können, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Antrags. Der Beschwerdeführer begehrt von der Beschwerdegegnerin bestimmte Auskünfte aus behördlich geführten Registern. Soweit möglicherweise eine Weiterverweisung von Teilen des Rechtsstreits an das Familiengericht unter dem Gesichtspunkt der weiter begehrten Auskunft von der Kindsmutter über die Vaterschaft minderjähriger 2017 bzw. 2018 geborener Kinder begehrt wird, geht der Senat davon aus, dass der Beschwerdeführer zum jetzigen Zeitpunkt entsprechend den Grundsätzen einer Stufenklage eine abgestufte Auskunft begehrt. Zunächst möchte er durch Auskunft von der Beschwerdegegnerin, insbesondere die Einsicht in das Geburtsregister, die Namen seiner Kinder erfahren. Erst anschließend soll die Kindesmutter auf Auskunft über die Vaterschaft in Anspruch genommen werden. Es bleibt dem Verwaltungsgericht G. unbenommen, insoweit eine weitere Verweisung unter dem Gesichtspunkt seiner Unzuständigkeit für diesen Teil des Antrags an das Amtsgericht G. oder ein anderes Amtsgericht vorzuneh-men.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt nach § 17 b Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) dem Verwaltungsgericht G. vorbehalten. Dem steht nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 13. August 2019 - L 1 SV 743/19 B ER unter Anschluss an BSG, Beschluss vom 1. April 2009 - B 14 SF 1/08 R, jeweils zitiert nach juris) die Regelung des § 17 b Abs. 2 GVG, wonach im Falle der Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht die im Verfahren vor dem angegangenem Gericht entstandenen Kosten als Teil der Kosten im Verfahren vor dem aufnehmenden Gericht behandelt werden und deshalb in den Verweisungsbeschluss keine eigenständigen Kostenentscheidung zu treffen ist, sich auf die Kosten des ersten Rechtszugs beschränkt und im Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde bzw. im Beschwerdeverfahren bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs keine Anwendung findet. Vorliegend besteht die Besonderheit, dass das Sozialgericht den Antrag als unzulässig abgewiesen und G. de keine Rechtswegbeschwerde vorliegt.

Über die sinngemäß erhobene Anhörungsrüge nach § 178 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist dem Senat keine Entscheidung möglich. Zur Entscheidung ist ausschließlich die Kammer am Sozialgericht berufen, die auch den angefochtenen Beschluss erlassen hat. Bereits jetzt weist der Senat daraufhin, dass die Anhörungsrüge offensichtlich unzulässig ist. Gemäß § 178 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist eine Anhörungsrüge nur statthaft, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die angegriffene Entscheidung nicht gegeben ist. Da die Beschwerde einen Rechtsbehelf in diesem Sinne darstellt, kann eine Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg grundsätzlich nicht zulässig erhoben werden.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der öffentlichen Zustellung des Beschlusses nach § 63 Abs. 2 S. 1 SGG i. V. m. § 185 Nr. 1 ZPO liegen bereits zum jetzigen Zeitpunkt vor. Der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers ist unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich. Der Beschwerdeführer teilt in seinen eigenen Schreiben mit, dass er momentan nur über E-Mail erreichbar ist. Die Beschwerdegegnerin hat auch im Beschwerdeverfahren mitgeteilt, dass eine Meldeanschrift des Beschwerdeführers nicht bekannt ist. Der Beschwerdeführer war lediglich in der Vergangenheit unter der Anschrift Reichsstraße 84 in G. gemeldet und wurde von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet.

Der Beschluss ist nicht mit der weiteren Beschwerde anfechtbar (§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG). Die Voraussetzungen für die Zulassung der weiteren Beschwerde an das Bundessozialgericht liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved