S 18 RA 6860/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 18 RA 6860/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 RA 97/03
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 8. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2002 wird insoweit aufgehoben, als eine Versicherungspflicht der Klägerin festgestellt wird.
2. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin als selbständige Aerobicinstruktorin.

Die 1972 geborene Klägerin erhielt von der Beklagten im Mai 2002 die Aufforderung, Nachweise über ihr Arbeitseinkommen als Fitnessinstruktor vorzulegen, damit die Versicherungspflicht geprüft werden könne. Sie antwortete im Juli 2002, dass sie keine lehrende sondern nur anleitende Tätigkeit von mehr als geringfügigem Umfang ausübe.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 8. August 2002 eine selbstständige Tätigkeit der Klägerin seit 1. November 1998 als Aerobicinstruktor fest. Diese Tätigkeit sei nach § 2 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) versicherungspflichtig. Aerobictrainer würden Bewegungsformen lehren, die der sinnvollen, sportlichen Freizeitgestaltung dienen würden. Über die Beitragshöhe ergehe ein gesonderter Bescheid.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 12. August 2002. Sie sei nicht lehrend tätig sondern leite nur an. Sie animiere lediglich die Teilnehmer. Diese könnten nach den einzelnen Kursen nicht selbständig derartige Stunden durchführen.

Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2002 zurück. Der Lehrbegriff sei weit auszulegen und beinhalte auch die Unterweisung für körperliche Übungen bzw. mechanische Tätigkeiten. Die Aufgabe des Aerobictrainers bestehe darin, eine bestimmte Reihenfolge von Bewegungsabläufen vorzubereiten, entsprechende Musik auszuwählen und die Bewegungsabläufe und Schrittfolgen den Teilnehmern vorzuführen. Ferner würden den Teilnehmern Anweisungen gegeben, wann sie bestimmte Bewegungen ausführen sollten. Den Teilnehmern solle eine Vielzahl von unterschiedlichen Bewegungsabläufen vermittelt werden. Sie würden damit befähigt, einer gezielten sportlichen Tätigkeit nachzugehen.

Mit ihrer Klage vom 11. November 2002 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 8. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2002 insoweit aufzuheben, als eine Versicherungspflicht der Klägerin festgestellt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Begriff der Lehrziele für eine Tätigkeit als Lehrer kein ausschlaggebendes Element für die Prüfung der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sei.

Dem Gericht haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze und die Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist in ihrer Tätigkeit als Aerobicinstruktorin nicht als Lehrer oder Erzieher im Sinne von § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu beurteilen, weshalb für sie nach dieser Vorschrift keine Versicherungspflicht besteht. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist deshalb rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sind versicherungspflichtig selbstständig tätige Lehrer und Erzieher, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit keine und versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Bei der Auslegung des Begriffs des Lehrers und Erziehers geht die Beklagte zunächst zutreffend davon aus, dass der insoweit maßgebliche Lehrbegriff weit auszulegen ist und neben der Vermittlung von Wissen auch die Unterweisung für körperliche Übungen und die mechanische Tätigkeiten beinhaltet, soweit sie den Erwerb von Fähigkeiten oder Fertigkeiten bezwecken. Allerdings verkennt die Beklagte, dass der Begriff des Lehrens/Erziehens eine zielgerichtete Tätigkeit meint, die auf die Vermittlung von Lehrinhalten gerichtet ist, deren Nutzung für den Lernenden über die Lehrveranstaltungen hinaus Bedeutung haben soll. Dass es dabei auch Lehrziele geben kann, die ausschließlich für den Unterricht wichtig sind, weil sie dem Erwerb weiteren Wissens, weiterer Fähigkeiten oder Fertigkeiten lediglich vorbereiten, ist insofern irrelevant. Nach Auffassung der Kammer gibt es keine Tätigkeit als Lehrer oder Erzieher, die ausschließlich auf Lehrziele gerichtet ist, die den Unterricht selbst betreffen, oder gar auf jegliche Lehrziele verzichtet. Das Vorhandensein von Lehr- bzw. Erziehungszielen ist mithin ein essenzielles Merkmal des Lehrbegriffes.

Bei der hier vorzunehmenden Beurteilung der Tätigkeit einer Aerobicinstruktorin gelingt es der Beklagten nicht, zwischen dem von den Teilnehmern am jeweiligen Kurs gewünschten unmittelbaren Nutzen durch die Aktivität im Rahmen der Aerobicveranstaltung und der Frage weitergehender Ziele begrifflich sauber zu differenzieren.

Zum Einen ist es gerade nicht Ziel der jeweiligen Fitnesseinrichtung, die Aerobicteilnehmer derart zu schulen, dass sie ohne Anleitung etwa zu Hause entsprechend Gymnastik betreiben können oder sich gar auf eine weitere sportliche Tätigkeit vorbereiten. Ziel ist es lediglich, die sportliche Betätigung in einer Gruppe wiederholt entgeltlich (!) zu ermöglichen. Die Teilnehmer werden nicht angehalten, sich die Bewegungsformen korrekt einzuprägen und solange zu üben, bis diese selbständig von ihnen ohne Anleitung/Korrektur durch Dritte wiederholt werden können. Sie sollen diese lediglich korrekt kopieren (dies ist genau die Tätigkeitsbeschreibung durch die Beklagte). Eine Vermittlung der verschiedenen Bewegungsformen erfolgt daher in einem lediglich kommunikativen, nicht aber pädagogischen Sinn. Durch die Vermengung dieser unterschiedlichen Begriffe ist die Argumentation der Beklagten logisch fehlerhaft.

Sofern sich Teilnehmer bestimmte Bewegungsabläufe dennoch einprägen, hängt dies mit dem Wesen des Menschen zusammen, aus allem was er tut, - auch nicht zielgerichtet - lernen zu können.

Dass auch die Aerobic selbstverständlich bestimmten (medizinischen/physiologischen) Regeln unterliegt, ist insoweit beachtlich, als diese Regeln den Teilnehmern gerade nicht vermittelt werden.

Und es ist ganz regelmäßig auch nicht Ziel der Teilnehmer, bei diesen Kursen die Fähigkeit zur eigenständigen Gymnastik zu erlangen. Die Teilnahme am Aerobickurs selbst ist die sinnvolle, sportliche, gesunde und in gewisser Weise organisierte Freizeitgestaltung in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Die Teilnahme soll regelmäßig nicht die Vermittlung von Fähigkeiten/Fertigkeiten dafür, also über den Kurs hinaus beinhalten. Dass die Teilnahme am Kurs bestimmte Bedürfnisse der Teilnehmer befriedigt, dass sie auf Grund der sportlichen Betätigung einen gesunden Ausgleich für andere Belastungen des Alltags schaffen, dass sie Zufriedenheit schöpfen, Energie gewinnen, sich selbst bestätigen und von anderen Problemen abschalten können, ist von den Teilnehmern gewollt und nicht etwa Erziehungsziel.

Lehr- oder gar Erziehungsziele, die für die Tätigkeit eines Aerobictrainers maßgebend wären, diese Tätigkeit wesentlich bestimmen würden, kann die Kammer nicht erkennen. Die lediglich demonstrierende, zum bloßen, allerdings korrekten Kopieren anhaltende Tätigkeit der Klägerin kann daher nicht als Tätigkeit eines Lehrers oder Erziehers angesehen werden.

Die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht nach anderen Vorschriften sind nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung.
Rechtskraft
Aus
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