S 30 RJ 2726/00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 30 RJ 2726/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 RJ 8/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Gericht: Landessozialgericht Berlin 17. Senat
Datum: 19. März 2003
Az: L 17 RJ 8/02

NK: SGB 6 § 99 Abs 1, SGB 6 § 35, RVO § 1290 Abs 1 S 1

Titelzeile (Anwendung von § 99 SGB 6 - Entstehung des Stammrechts vor 1992 - Rentenbeginn einer Regelaltersrente bei verspäteter Antragstellung)

Orientierungssatz

Zur Frage, ob § 99 SGB 6 auch auf ein vor 1992 entstandenes Stammrecht auf Regelaltersrente anzuwenden ist.

Verfahrensgang: vorgehend SG Berlin 2001-12-12 S 30 RJ 2726/00 Gerichtsbescheid

Tatbestand:

Der Kläger begehrt einen früheren Rentenbeginn und damit einhergehend eine andere Rentenberechnung.

Der Kläger ist ... 1922 in W/O geboren. Nach Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft gelangte er nach H. Dort studierte er und war zeitweise versicherungspflichtig beschäftigt. Später wurde er Beamter und schied 1987 als Hochschullehrer aus dem Erwerbsleben aus.

Mit einem am 31. Mai 1999 bei der Landesversicherungsanstalt H eingegangenen Schreiben trug er vor, er habe nach Hinweisen aus dem Bereich der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte einen Rentenanspruch. Es wären noch drei Monate zur Erfüllung des Anspruchs nachzuweisen.

Die Beklagte, an die der Vorgang abgegeben worden war, klärte daraufhin zunächst das Konto. Dabei ermittelte sie 10 Monate Beitragszeit, 43 Monate Ersatzzeit und 86 Monate Anrechnungszeit. Sie erließ darüber einen Bescheid gemäß § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI - vom 24. Mai 2000 und erteilte eine Rentenauskunft.

Nachdem sie mit Bescheid vom 20. Juni 2000 den Antrag auf Zahlung von freiwilligen Beiträgen abgelehnt hatte, lehnte sie auch den Antrag auf Regelaltersrente ab (Bescheid vom 26. Juni 2000) und führte zur Begründung aus, die Wartezeit sei nicht erfüllt.

Auf die Einwendungen des Klägers erkannte die Beklagte neun weitere Monate Ersatzzeit an und gewährte ihm mit Rentenbescheid vom 17. Oktober 2000 Regelaltersrente ab 1. Mai 1999. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, er mache einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gemäß § 115 Abs. 6 SGB VI geltend. Unter Beachtung der vierjährigen Leistungsausschlussfrist stünde ihm Rente ab dem 1. Januar 1995 zu.

Während des Widerspruchsverfahrens hob die Beklagte den Bescheid vom 20. Juni 2000 auf (Bescheid vom 19. Dezember 2000) und erteilte einen den Bescheid über das Versicherungskonto betreffenden Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2000, mit dem sie dem Widerspruch stattgab.

Den den Rentenbescheid vom 26. Juni 2000 in der Fassung des Bescheides vom 17. Oktober 2000 betreffenden Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2000 zurück, soweit noch nicht abgeholfen worden war. Sie verwies darauf, dass der Rentenbeginn sich nach dem Antragsdatum richte. Da der Rentenantrag erst im Mai 1999 gestellt worden sei, könne erst von diesem Monat an Rente gewährt werden. Es liege auch keine Ausnahme vom Antragsprinzip vor. Sie könne nicht aus einer Verletzung der Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI hergeleitet werden. Die dort geregelte Hinweispflicht bestehe nur in geeigneten Fällen, in denen es nahe liege, dass der Berechtigte Leistungen in Anspruch nehmen wolle und der Rentenversicherungsträger über die Daten verfüge, die erforderlich seien, um das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen.

Ein derartiger Fall liege nicht vor, da der Rentenversicherungsträger mit dem Rentenantrag vom Mai 1999 erstmals Kenntnis über die zurückgelegten Beitrags-, Ersatz- und Anrechnungszeiten erlangt habe. Es habe deshalb keine Veranlassung bestanden den Kläger zur Antragstellung aufzufordern.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben (eingegangen am 28. Dezember 2000) und sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 9. September 1986 - 11a RA 28/85 - BSGE 60 S. 245 = SozR 1300 § 44 Nr. 24) bezogen. Er hat außerdem die Ansicht vertreten, dass seine Rente nach dem Angestelltenversicherungsgesetz - AVG - zu berechnen und mit der SGB VI-Rente zu vergleichen sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt, eine Pflichtverletzung der Beklagten läge nicht vor. Die Beklagte habe keinen Anlass zum Tätigwerden gehabt, weil bei ihr kein Versicherungskonto bestanden habe. Auch in dem vom Kläger in Bezug genommenen Urteil des BSG werde eine Pflichtverletzung vorausgesetzt, eine solche habe der Kläger aber nicht dargelegt. Er habe auch keinen Anspruch auf eine Rentenberechnung nach altem Recht. § 300 Abs. 2 SGB VI sehe einen solchen Anspruch nur vor, wenn der Anspruch innerhalb von drei Monaten nach der Rechtsänderung geltend gemacht werde.

Gegen den dem Kläger am 19. Januar 2002 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich seine am 14. Februar 2002 eingegangene Berufung. Das Sozialgericht habe in seiner Entscheidung das Urteil des Bundessozialgerichts vom 2. August 2000 - B 4 RA 54/99 R - nicht berücksichtigt. Danach entstehe der Anspruch mit Erreichen des 65. Lebensjahres, unabhängig davon, wann der Antrag gestellt werde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2001 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2000 zu ändern und diese zu verurteilen, ihm auf der Grundlage des am 30. April 1987 geltenden Rechts Altersrente seit dem 1. Januar 1995 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Sie hat mitgeteilt, bisher werde dem zitierten Urteil des BSG nicht gefolgt. Es widerspreche dem Grundgedanken von § 300 Abs. 1 und 2 SGB VI. Ein Beratungsergebnis dazu stehe noch aus.

Die Akten des Sozialgerichts Berlin - S 30 RJ 2726/00 - und die Akten der Beklagten - ... - haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin ist unzutreffend. Der Kläger hat einen Anspruch auf Altersruhegeld/Regelaltersrente seit dem 1. Januar 1995 (1) auf der Grundlage des zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls geltenden Rechts (2).

(1)

Der Kläger hat Anspruch auf Rente seit dem 1. Januar 1995, über davor liegende Zeiträume hat der Senat nicht zu entscheiden, weil sie nicht beantragt sind.

Der Beginn der Rente des Klägers richtet sich nach § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO. Diese Vorschrift ist zwar schon am 31. Dezember 1991 außer Kraft getreten, sie ist aber maßgeblich, weil das Stammrecht des Klägers auf Altersruhegeld bereits mit Vollendung des 65. Lebensjahres entstanden ist. Die Entstehung dieses Rechts geschah unabhängig davon, wann der Kläger seinen Rentenantrag gestellt hat, denn zur damaligen Zeit war der rechtzeitige Antrag nicht Voraussetzung für die Auszahlung der Rente. Die Rente wurde unbegrenzt rückwirkend geleistet. Nur wenn Verjährung geltend gemacht wurde, war der Rückzahlungszeitraum begrenzt, der materiellrechtliche Anspruch bestand aber dennoch. Demgemäß entstand auch der Anspruch des Klägers mit Ablauf des Monats der Vollendung seines 65. Lebensjahres. Dieser Anspruch ist mit Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 nicht entfallen. Zwar sieht der jetzt geltende § 99 SGB VI auch für die Rente mit Vollendung des 65. Lebensjahres - nunmehr als Regelaltersrente bezeichnet - vor, dass die Rente erst frühestens vom Monat der Antragstellung an geleistet werden konnte, damit entfiel aber nicht der bereits entstandene Anspruch auf Regelaltersrente. Dies lässt sich § 99 SGB VI nicht entnehmen, denn diese Vorschrift beansprucht nur Geltung ab dem 1. Januar 1992, aber beeinflusst keine Ansprüche, die bereits vorher bestanden.

Dieses Stammrecht, aus dem die Einzelansprüche herzuleiten waren, bestand aber auch nach dem 1. Januar 1992 weiter. Es war mit seinem Entstehen in den Schutz des Art. 14 Grundgesetz einbezogen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es durch das Inkrafttreten des SGB VI hätte entzogen werden sollen. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 2. August 2000 - B 4 RA 54/99 R - SozR 3-2600 § 99 Nr. 5) an.

(2)

Der Kläger hat auch Anspruch auf die Berechnung seiner Rente nach altem Recht. Dies ergibt sich daraus, dass der Anspruch, wie ausgeführt, schon 1987 entstanden ist. Dementsprechend ist er auch zu berechnen. Es handelt sich um eine Erstfeststellung, nicht wie in den vom Kläger angeführten Entscheidungen um Bescheide, mit denen frühere Bescheide geändert worden sind. Eine Vergleichsberechnung ist bei einer Erstfeststellung nicht vorzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, ob § 99 SGB VI auch auf ein vor 1992 entstandenes Stammrecht auf Regelaltersrente anzuwenden ist, grundsätzliche Bedeutung hat. Darüber hat noch kein mit der Arbeiterrentenversicherung befasster Senat entschieden.
Rechtskraft
Aus
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