S 37 AS 11525/05 ER 06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 11525/05 ER 06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 22.11.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1.12.2005 wird angeordnet. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die 1961 geb. Antragstellerin (Ast.) ist examinierte Altenpflegerin. Sie bezog im Jahre 2004 Sozialhilfe. Ein Antrag auf Arbeitslosengeld war mit der Begründung fehlender Verfügbarkeit abgelehnt worden. Klageverfahren gegen die Bundesagentur sind noch offen.

Im Rahmen der Beantragung von Alg II zum 1.1.2005 hatte sich die Ast. dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung gestellt. Zuletzt war ihr für den Bewilligungsabschnitt Juli bis Dezember 2005 Alg II bewilligt und ausgezahlt worden.

Am 17.10.2005 erhielt sie einen mit Rechtsfolgebelehrung versehenen Vermittlungsvorschlag für eine Arbeitsgelegenheit bei dem "Stadtteilzentrum Steglitz e.V.". Als zu verrichtende Tätigkeit waren diverse Arbeiten in unterschiedlichen Einsatzbereichen genannt.

Weil sich die Ast. dort nicht vorstellte, setzte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22.11.2005 eine Kürzung von 30% der Regelleistung für den Zeitraum Januar bis März 2006 fest. Im Bescheid heißt es: "Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung wird insoweit ab dem 1.1.2006 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X aufgehoben."

Den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit dem die Ast. geltend machte, eine noch gar nicht existierende Bewilligung könne man nicht aufheben, im übrigen wolle sie in reguläre Arbeit vermittelt werden, wies der Ag. mit Widerspruchsbescheid vom 1.12.2005 als unbegründet zurück, der Hilfebedürftige sei zur Ausübung von Arbeitsgelegenheiten verpflichtet.

Am 8.12.2005 hat die Ast. Klage gegen die Leistungskürzung erhoben und verlangt mit Eilantrag vom 2.1.2006 die sofortige Auszahlung der ihr mit Bewilligungsbescheid vom 9.12.2005 zuerkannten vollen Leistung.

Der Ag. verweist auf seine Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid.

II.

Der Eilantrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Leistungskürzung gemäß § 86 b Abs. 1 SGG auszulegen. Denn der Bescheid vom 22.11.2005 in der zur Überprüfung gestellten Fassung des Widerspruchsbescheides beinhaltet die nach § 31 Abs. 6 SGB II zu treffende Feststellung einer 30%igen Leistungs-kürzung im Zeitraum Januar bis März 2006. Diese getroffene Verfügung ist wirksam und vom Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach § 39 SGB II erfasst. Dass zusätzlich von einer –unsinnigen- Aufhebung der ursprünglichen (nur bis Dezember 2005 laufenden) Bewilligung nach § 48 SGB X die Rede ist, macht den Bescheid nicht unwirksam (bloßer Begründungs-fehler gemäß § 42 SGB X ). Aus der Bewilligung vom 9.12.2005 kann die Ast. somit keinen ungekürzten Auszahlungsanspruch, der mit einem Vornahmeantrag nach § 86 b Abs. 2 SGG durchzusetzen wäre, ableiten; die Bewilligungsentscheidung ist für die ersten drei Monate mit einer Sanktion nach § 31 SGB II belegt, gegen deren Sofortvollzug sich die Ast. wendet.

Im Ergebnis mit Erfolg. Denn die fehlerhafte Festlegung der Kürzung lässt erkennen, dass dem Ag. bei Festsetzung der Sanktion die Verpflichtung zur unverzüglichen Umsetzung der Leistungskürzung (vgl. Berlin in LPK-SGB II, § 31 Rdnr. 114 ff) und der nach dem Gesetz bestimmte Beginn des Kürzungszeitraums nicht bekannt waren. Dieser Fehler ist schwerwiegend, da er dem Ag. die Befugnis verschafft, in einem unzulässigen Zeitfenster über eine evt. Doppelsanktion wegen wiederholter Pflichtverletzungen nach § 31 Abs. 3 SGB II verfügen zu können. Die daraus resultierende Folge einer 60%igen Leistungskürzung droht hier ganz konkret, da der Ast. ausweislich eines Beratungsvermerks am 19.12.2005 eine weitere Arbeitsgelegenheit angeboten wurde.

Bei der hier im Streit stehenden Kürzung muss der Leistungsträger möglichst zeitnah am Sanktions-Tatbestand, hier die Ablehnung des Vermittlungsangebots, anknüpfen, um einen willkürfreien Verwaltungsvollzug sicherzustellen. Dies erfordert den Erlass der Sanktionsent- scheidung unverzüglich nach Kenntnis der objektiven und subjektiven Umstände für ein pflichtwidriges Verhalten i.S. von § 31 Abs. 1 SGB II. Im vorliegenden Fall wird der Beginn für ein unverzügliches Tätigwerden der Behörde durch den Rücklauf des Vermittlungs-formulars seitens des Maßnahmeträgers (25.10.2005) markiert. Warum erst am 22.11.2005 ein Bescheid erging mit der klar rechtswidrigen Festsetzung des Sanktionsbeginns auf den Monat Januar, kann nicht der Ast. angelastet werden.

Da erst der Erlass eines Kürzungsbescheides den Zeitraum der Leistungskürzung festlegt, führt eine rechtswidrige Festlegung des Sanktionszeitraums zur vollständigen Aufhebung der Leistungskürzung. Denn anders als im Sperrzeitrecht des § 144 SGB III kann der fehlerhafte Bescheid bei Anfechtung nicht im Umfang eines zulässigen Zeitfensters, gemessen am kalendermäßigen Ablauf der Sperrzeit gemäß § 144 Abs. 2 SGB III, bestätigt werden. Hiermit setzte sich das Gericht unter Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip und das Verböse-rungsverbot an die Stelle des Leistungsträgers.

Nach Ansicht des Gerichts kann die teilweise Bestätigung einer Sperrzeit-Sanktion nicht über eine analoge Anwendung von § 144 Abs. 2 SGB III begründet werden (so aber wohl Rixen in Eicher/Spellbrink, § 31 Rdnr. 59 ff; vgl. auch Eicher, Die Sozialgerichtsbarkeit 2005, S. 557). Mit der Regelung des § 31 Abs. 6 SGB II soll verhindert werden, dass Alg II rückwirkend aufgehoben und zurückgefordert wird, ein wegen des kompletten Ausschlusses von Auffang-leistungen einschließlich von Wohngeld (§ 1 Abs. 2 S. 3 WoGG) zwingend zu beachtender Schutz des Betroffenen, der nicht über eine Analogie zum Sperrzeitrecht ausgehebelt werden darf.

Ist der angefochtene Widerspruchsbescheid somit schon verfahrensrechtlich ernsthaften Bedenken ausgesetzt, kann offen bleiben, ob ohne Eingliederungsvereinbarung oder sonst erkennbare Feststellung, dass die Ast. auf absehbare Zeit keiner Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nachgehen kann, wozu die rein arbeitsmarktlich bedingten Probleme älterer, leistungsgeminderter Arbeitnehmer nicht zählen, eine Arbeitsgelegenheit anstelle einer Teilzeitbeschäftigung im Pflegebereich zumutbar war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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