S 118 VE 70/19 RH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
118
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 118 VE 70/19 RH
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein wirksames Rechtshilfeersuchen setzt voraus, dass das Ersuchen verständlich und ohne eingehende Befassung mit der Sach- und Rechtslage ausführbar ist; bei Ersuchen um Zeugenvernehmung müssen die Beweisfragen deutlich gemacht werden. Die Angabe des Beweisthemas genügt hierfür nicht.
2. Ein wirksames Rechtshilfeersuchen setzt ferner voraus, dass es erforderlich ist. Dies setzt zumindest voraus, dass das ersuchende Gericht bei einer im Inland befindlichen Zeugin die Anreisebereitschaft der Zeugin zum Ort des ersuchenden Gerichts erfragt und Weigerungsgründe prüft.
3. Das ersuchende Gericht muss vor einem Rechtshilfeersuchen die Aussagebereitschaft einer zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugin klären.
Das Rechtshilfeersuchen des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. August 2019 an das Sozialgericht Berlin, die Zeugin K. E. entsprechend dem Beweisbeschluss der Richterin am Sozialgericht ... in dem Verfahren ... (.) vom ... 2019 zu vernehmen, wird abgelehnt.

Gründe:

I.

In dem Verfahren (vormals ) begehrt die Klägerin von dem Beklagten Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i. V. m dem Bundesversorgungsgesetz. Die Klägerin macht laut Klageschrift geltend, dass sie von jüngster Kindheit an bis in das Jahr 1992 von Familienangehörigen in schwerster Weise misshandelt und vergewaltigt worden ist.

In dem Termin zur mündlichen Verhandlung mit Beweisaufnahme am 27. Juni 2018 wurde u. a. beschlossen, dass die Klägerin die ladungsfähigen Adressen ihres Vaters, ihrer Mutter und ihrer Schwester ermitteln werde und diese dem Gericht mittelt. Diese Personen sollen dann als Zeugen vernommen werden. Die Klägerin werde darüber hinaus versuchen, die ladungsfähige Adresse ihres Onkels zu ermitteln. Mit Schreiben vom 16. August 2019 teilte die Klägerin dem Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main u. a. die ladungsfähigen Anschriften ihrer Mutter, ihres Vaters, ihrer Schwester und ihres Onkels mit. Ohne Prüfung der Bereitschaft zur Anreise bzw. der Aussagbereitschaft der gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 383 Abs. 1 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugin (Schwester) erließ die Vorsitzende Richterin der 12. Kammer des SG Frankfurt am Main am 20. August 2019 die folgende Beweisanordnung:

"[ ] soll gem. § 106 Sozialgerichtsgesetz – SGG – Beweis erhoben werden durch Vernehmung der Schwester der Klägerin, Frau K. E., ... Berlin, zur Frage der behaupteten sexualisierten Gewalt durch ihren Vater Herrn S.-E. (vgl. insbesondere Bl. 15-20 Verwaltungsakte).

Die tätliche Gewalt soll sich in den Jahren 1974 bis etwa 1992 zugetragen haben.

Die Vernehmung soll durchgeführt werden vom Sozialgericht Berlin."

Mit Rechtshilfeersuchen vom gleichen Tag (Eingang beim SG Berlin am 22. August 2019) übersandte das SG Frankfurt am Main die Beweisanordnung, die Gerichtsakte nebst Beiakte sowie die Verwaltungsakte mit der Bitte um Erledigung binnen zehn Wochen an das SG Berlin. Eine Übersendung von konkreten Beweisfragen bzw. einer Darstellung der von der Klägerin konkret behaupteten Tatsachen erfolgte nicht.

II.

Das Rechtshilfeersuchen war gemäß § 5 Abs. 3 SGG i. V. m. § 158 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) abzulehnen. Gemäß § 5 Abs. 1 SGG leisten alle Gerichte, Verwaltungsbehörden und Organe der Versicherungsträger den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit Rechts- und Amtshilfe. Gemäß § 5 Abs. 3 GVG i. V. m. § 158 Abs. 1 GVG darf das Ersuchen grundsätzlich nicht abgelehnt werden. Nach § 5 Abs. 3 GVG i. V. m. § 158 Abs. 2 GVG ist das Ersuchen eines nicht im Rechtszuge vorgesetzten Gerichts jedoch abzulehnen, wenn die vorzunehmende Handlung nach dem Recht des ersuchten Gerichts verboten ist. Zwar liegt ein solches gesetzliches Verbot nicht vor, allerdings haben sich in der Rechtsprechung weitere Kategorien herausgebildet, die eine Zurückweisung des Rechtshilfegesuches gleichwohl erlauben (vgl. z. B. Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, Beschluss vom 5. Mai 2008 – 4 SmA 14/08 –, juris). Ein wirksames Rechtshilfeersuchen erfordert, dass das Ersuchen verständlich und ohne eingehende Befassung mit der Sach- und Rechtslage ausführbar ist; bei Ersuchen um Zeugenvernehmung müssen die Beweisfragen deutlich gemacht werden (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 5, Rn. 3a). Die Durchführung der Rechtshilfe ist jedenfalls dann verboten, wenn der Beweisbeschluss keine hinreichenden Tatsachen enthält, über die der Rechtshilferichter eine Zeugenvernehmung durchführen könnte (Bundesarbeitsgericht (BAG) Beschluss vom 16. Januar 1991 - 4 AS 7/9 in NZA 1991, S. 364).

Das Rechtshilfeersuchen vom 20. August 2019 genügt den dargestellten Anforderungen nicht. Die Durchführung des Beweisbeschlusses vom 20. August 2019 erfordert eine eingehende Befassung des ersuchten Richters mit sämtlichen übersandten Akten. Lediglich das Beweisthema (sexualisierte Gewalt durch den Vater in den Jahren 1974 – 1992) ist in dem Beweisbeschluss enthalten. Es wurden dem ersuchten Richter keine Beweisfragen übermittelt. Der Beweisbeschluss enthält auch keine konkreten Tatsachen, auf die sich die Klägerin beruft und die Gegenstand der Beweisaufnahme sein könnten. Der Verweis auf die Seiten 15 – 20 der Verwaltungsakte genügt insoweit nicht. Auf diesen fünf Seiten hat die Klägerin zwar verschiedene Übergriffe ihres Vaters und anderer Personen geschildert, allerdings würde eine Beweisaufnahme voraus setzen, dass sämtliche der geschilderten Vorfälle durch den ersuchten Richter evaluiert werden. Dies betrifft z. B. die Frage, ob die Zeugin überhaupt zu einzelnen Vorfällen Aussagen tätigen kann (als unmittelbare Zeugin oder ggf. Zeugin vom Hörensagen). Anschließend die Formulierung der konkret an die Zeugin zu stellenden Beweisfragen. Letztlich müsste der gesamte Akteninhalt evaluiert werden, um z. B. etwaige Widersprüche der Zeugenaussage zu Behauptungen der Klägerin erkennen und thematisieren zu können. Der Beweisbeschluss vom 20. August 2019 belässt es zudem auch nicht bei dem Hinweis auf die Seiten 15 - 20 der Verwaltungsakte. Dies wird deutlich anhand der Verwendung des Begriffs: "insbesondere". Damit wird deutlich gemacht, dass die von der Klägerin behaupteten Tatsachen nicht abschließend in den Seiten 15 – 20 der Verwaltungsakte dargestellt sind. Vielmehr ist es seitens der ersuchten Richters erforderlich, den gesamten Akteninhalt (Gerichtsakte nebst Beiakte und Verwaltungsakte; zusammen über 200 Seiten) zu evaluieren. Dies übersteigt deutlich die Anforderungen, die an einen ersuchten Richter im Rahmen einer im Wege eines Rechtshilfeersuchens vorgenommen Zeugenvernehmung gestellt werden dürfen.

Darüber hinaus setzt ein wirksames Rechtshilfeersuchen zur Überzeugung des Gerichts voraus, dass das Gesuch erforderlich ist. Zwar wird man insoweit – anders als bei einem Amtshilfeersuchen einer Behörde – nicht verlangen können, dass das ersuchende Gericht zuvor selbstständig alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat (vgl. zum Amtshilfeersuchen: Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. April 2003 – L 6 SB 552/03 B –, juris). Jedoch wird man von dem ersuchenden Gericht zumindest ein Minimum an Anstrengung erwarten dürfen. Dies beinhaltet zur Überzeugung des Gerichts bei einer zu vernehmenden Zeugin, die sich - wie vorliegend - im Inland aufhält, zumindest eine Anfrage, ob sie zu einer Vernehmung am Ort des ersuchenden Gerichts (der vorliegend mit dem ICE von Berlin ohne weiteres zu erreichen ist) bereit ist bzw. Gründe für eine Weigerung der Anreise zu prüfen. Ferner wird von dem ersuchenden Gericht zu verlangen sein, die Aussagebereitschaft einer zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugin vor einem Rechtshilfeersuchen zu klären.

Dem Sozialgericht Frankfurt am Main steht es frei, ein erneutes Rechtshilfeersuchen an das Sozialgericht Berlin zu stellen, das den Anforderungen an ein solches Gesuch gerecht wird. Hierbei obliegt es allein der ersuchenden Kammer zu entscheiden, ob eine Zeugenvernehmung durch das SG Berlin im hiesigen versorgungsrechtlichen Verfahren dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl. § 117 SGG) genüge tut. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz wäre zwar ein Verfahrensfehler, das ersuchte Gericht dürfte ein Rechtshilfeersuchen jedoch nicht mit dieser Begründung ablehnen (vgl. Merten, in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 53. Edition, Stand: 01.06.2019 § 5 SGG, Rn. 12).
Rechtskraft
Aus
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