S 195 SO 263/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
195
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 195 SO 263/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 232/19
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Mitgliedsbeiträge eines behinderten Menschen für eine Sportschule sind vom Sozialhilfeträger nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen.
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte die Kosten für die Mitgliedschaft des Klägers in einer Sportschule (Mitgliedsbeiträge) für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Mai 2016 zu erstatten hat.

Der 1963 geborene Kläger erlitt 2005 einen schweren Verkehrsunfall, bei dem er sich u. a. eine Kopfverletzung mit Hirnschädigung zuzog. Er ist infolge des Unfalls pflegebedürftig und schwerbehindert (Grad der Behinderung: 90). Er bezieht Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der Kläger ist Mitglied in einem Kampfsport- und Fitness-Club, der Sportschule S (im Folgenden: die Sportschule). Der für die Mitgliedschaft zu entrichtende Beitrag lag im streitigen Zeitraum bei 410,40 Euro pro Jahr. Bereits vor seinem Unfall war der Kläger in der Sportschule als Karatekämpfer aktiv gewesen.

Der Kläger beantragte zunächst bei seiner Krankenkasse die Übernahme der Mitgliedsbeiträge für die Sportschule. Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab mit der Begründung, dass diese Maßnahme nicht den Qualitätsanforderungen der Spitzenverbände der Krankenkassen für Leistungen zur primären Prävention entspreche (Bescheid der Barmer GEK vom 20. März 2012).

Unter dem 27. März 2012 stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Mitgliedschaft in der Sportschule für die Zeit ab 1. Juni 2012. Diesen Antrag lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 3. Mai 2012).

Mit Schreiben vom 26. Juni 2014, korrigiert durch Schreiben vom 25. Juli 2014, stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Mitgliedschaft in der Sportschule für die Zeit vom 1. Juni 2014 bis zum 31. Mai 2015.

Der Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme seines Sozialpsychiatrischen Dienstes ein. Die dortige Ärztin, die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R., gab unter dem 18. September 2014 an, dass die Mitgliedschaft des Klägers in der Sportschule sicherlich wünschenswert sei, aber aus ärztlicher Sicht keine notwendige und zweckmäßige Leistung im Sinne der Eingliederungshilfe darstelle. Eine (vom Kläger gewünschte) Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen könne mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer gesundheitlichen Stabilisierung beitragen.

Mit Bescheid vom 29. September 2014 lehnte der Beklagte es ab, die Kosten für die Mitgliedschaft des Klägers in der Sportschule für die Zeit vom 1. Juni 2014 bis zum 31. Mai 2015 im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zu übernehmen. Zur Begründung verwies er auf die Stellungnahme des sozialpsychiatrischen Dienstes vom 18. September 2014. Ferner führte er aus, dass die Kosten der Mitgliedschaft nicht zusätzlich durch die Behinderung entstünden, denn der Kläger habe die Sportschule bereits vor dem Unfall besucht.

Hiergegen legte der Kläger am 10. Oktober 2014 Widerspruch ein. Er trug vor, dass ihm die Mitgliedschaft in der Sportschule die notwendigen Außenkontakte ermögliche. Er sei nicht in der Lage, andere Gemeinschaftsveranstaltungen zu besuchen.

Die Krankenkasse des Klägers übernahm mit Bescheid vom 16. Oktober 2014 die Kosten für 50 Übungseinheiten Rehabilitationssport, durchzuführen über die Sportschule als Leistungserbringer im Zeitraum vom 16. Oktober 2014 bis zum 15. April 2016.

Ab dem 4. Februar 2015 (bis mindestens Mitte 2017) nahm der Kläger zudem an einer beruflichen Bildungsmaßnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen teil. Die Kosten dieser Maßnahme trug der Rentenversicherungsträger als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vom 2. Februar 2015).

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2016 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 29. September 2014 zurück. Der Besuch einer Sportschule sei keine Eingliederungsmaßnahme, sondern ein Teil der Lebensführung des Klägers. Die Kosten hierfür seien aus dem Regelsatz zu finanzieren, welcher nach § 5 Abs. 1 Abteilung 9 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) auch einen Anteil von ca. 40 Euro für Freizeit, Unterhaltung und Kultur enthalte. Der Mitgliedsbeitrag von monatlich 34,20 Euro könne somit aus diesem Anteil finanziert werden.

Am 23. Februar 2016 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, dass er nicht mehr in der Lage sei, Beziehungen und Kontakte zu neuen Gruppen aufzubauen, so dass die Wiederaufnahme der Mitgliedschaft in der Sportschule schon einen Erfolg darstelle. Die regelmäßige Teilnahme an den dortigen Trainingseinheiten wirke Vereinsamungs- und Rückzugstendenzen entgegen; sie sei Teil seiner Integration. Außerdem habe sie einen positiven Einfluss auf seine physische und psychische Konstitution. Letztlich sei es die Mitgliedschaft in der Sportschule gewesen, die ihn aufgrund der dort gefundenen Kontakte motiviert habe, in der Werkstatt für behinderte Menschen zunächst ein Praktikum zu absolvieren und sodann eine Beschäftigung aufzunehmen. Die Mitgliedsbeiträge für die Sportschule seien für den gesamten streitigen Zeitraum von seinem Zwillingsbruder darlehensweise zur Verfügung gestellt worden.

Mit der Klage hat der Kläger zunächst nur Kostenübernahme für den Zeitraum vom 1. Juni 2014 bis zum 31. Mai 2015 begehrt. Der Beklagte hat im Laufe des Klageverfahrens weitere Anträge des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Mitgliedschaft in der Sportschule abgelehnt, nämlich zum einen den unter dem 27. Mai 2013 gestellten Antrag betreffend den Zeitraum vom 1. Juni 2013 bis zum 31. Mai 2014 (Ablehnungsbescheid vom 23. Mai 2016, wegen eines Schreibfehlers berichtigt unter dem 25. Mai 2016) und zum anderen den unter dem 2. Juni 2015 gestellten Antrag betreffend den Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis zum 31. Mai 2016 (Ablehnungsbescheid vom 16. Juni 2016). Die gegen die zuvor genannten Bescheide eingelegten Widersprüche des Klägers hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2016 zurückgewiesen. Der Kläger hat daraufhin seine Klage mit Schriftsatz vom 26. Juli 2016 (Eingang bei Gericht am Folgetag) dahingehend erweitert, dass er die Kostenübernahme auch für die zuvor genannten Zeiträume sowie zusätzlich für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Mai 2013 erstrebt.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1. den Bescheid des Beklagten vom 29. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 410,40 Euro für die Mitgliedschaft in der Sportschule S. im Zeitraum vom 1. Juni 2014 bis zum 31. Mai 2015 zu erstatten,

2. den Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2016, wegen eines Schreibfehlers berichtigt unter dem 25. Mai 2016, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2016, aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 410,40 Euro für die Mitgliedschaft in der Sportschule S. im Zeitraum vom 1. Juni 2013 bis zum 31. Mai 2014 zu erstatten,

3. den Bescheid des Beklagten vom 16. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 410,40 Euro für die Mitgliedschaft in der Sportschule S. im Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis zum 31. Mai 2016 zu erstatten,

4. den Bescheid des Beklagten vom 3. Mai 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 410,40 Euro für die Mitgliedschaft in der Sportschule S. im Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Mai 2013 zu erstatten.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, dass bei der Bedarfsberechnung ein doppelter Regelbedarf berücksichtigt werde, in dem ein Anteil für den Besuch von Sportveranstaltungen und -einrichtungen enthalten sei. Dass die Mitgliedschaft in der Sportschule ursächlich für die Bereitschaft des Klägers gewesen sei, Maßnahmen der Teilhabe am Arbeitsleben zu akzeptieren, sei rein spekulativ.

Das Gericht hat die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten des Sozialgerichts Berlin zum Klageverfahren mit dem Aktenzeichen S 92 SO 707/12 beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig, im Übrigen zwar zulässig, aber unbegründet.

I. Gegenstand der Klage war zunächst nur der Bescheid des Beklagten vom 29. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Beklagte es abgelehnt, die Kosten der Mitgliedschaft in der Sportschule für den Zeitraum vom 1. Juni 2014 bis zum 31. Mai 2015 zu übernehmen.

Durch Schriftsatz vom 26. Juli 2016 hat der Kläger die Klage dahingehend erweitert, dass er nunmehr auch die Kostenübernahme auch für die Zeiträume vom 1. Juni 2013 bis zum 31. Mai 2014 (abgelehnt durch Bescheid vom 23. Mai 2016, wegen eines Schreibfehlers berichtigt unter dem 25. Mai 2016, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2016), vom 1. Juni 2015 bis zum 31. Mai 2016 (abgelehnt durch Bescheid vom 16. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2016) sowie vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Mai 2013 (abgelehnt durch Bescheid vom 3. Mai 2012) erstrebt.

In der Klageerweiterung liegt zugleich eine Klageänderung, deren Zulässigkeit sich nach § 99 SGG bestimmt (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 3. März 2009 – B 4 AS 37/08 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 15). Die Zulässigkeit der Klageänderung/-erweiterung ist hier zu bejahen; die Änderung/Erweiterung der Klage ist sachdienlich im Sinne von § 99 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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