S 85 R 279/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
85
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 85 R 279/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ist ein Bescheid über eine Witwenrente bzw. Witwerrente bindend geworden, so wirkt diese Bindung auch für den Abfindungsanspruch aus § 107 SGB VI fort.

2. Für die Berechnung des Monatsbetrags im Sinne von § 107 SGB VI (und damit der zu leistenden Rentenabfindung) ist entscheidend, in welcher Höhe die Witwenrente bzw. Witwerrente in dem nach § 107 Abs. 2 SGB VI maßgeblichen Zeitraum – nach Vornahme der Einkommensanrechnung – tatsächlich gezahlt wurde bzw. aufgrund des ergangenen Rentenbescheids zu zahlen war.
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Abfindung einer Witwerrente bei Wiederheirat.

Der Kläger schloss 1979 die Ehe mit Frau B. B. (im Folgenden: Versicherte). Am 6. März 2013 verstarb die Versicherte. Der Kläger übte seinerzeit eine Beschäftigung aus, aus welcher er Einkommen erzielte.

Mit Bescheid vom 6. Juni 2014, geändert durch Bescheid vom 5. September 2014, bewilligte die Beklagte dem Kläger vom Todestag an große Witwerrente. Zugleich verfügte sie, dass die Rente wegen der Höhe des anzurechnenden Einkommens für die Zeit ab 1. Juli 2013 nicht zu zahlen sei. Tatsächlich erfolgte für die Zeit ab Juli 2013 auch keine Auszahlung der Rente.

Am 7. Mai 2014 heiratete der Kläger wieder.

Im März 2017 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Abfindung der Witwerrente. Er führte aus, dass er bei Bewilligung der Witwerrente noch berufstätig gewesen sei und Einkommen erzielt habe. Im September 2014 sei er jedoch erkrankt. Hierdurch hätten sich seine finanziellen Verhältnisse entscheidend verändert.

Mit Bescheid vom 30. Mai 2017 lehnte die Beklagte den Abfindungsantrag ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2017 zurück. Sie führte zur Begründung ihrer Entscheidung an, dass die Voraussetzungen für eine Abfindung nach § 107 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht gegeben seien. Dem Kläger sei zwar eine Witwerrente bewilligt worden. Diese sei jedoch in dem für den Abfindungsanspruch maßgeblichen Zeitraum von Juli 2013 bis Mai 2014 wegen der Höhe des anzurechnenden Einkommens nach § 97 SGB VI tatsächlich nicht ausgezahlt worden. Insofern ergebe sich ein Abfindungsbetrag in Höhe von 0,00 Euro, weshalb die Zahlung einer Abfindung nicht in Betracht komme. Die Verminderung des Einkommens im Zuge der Erkrankung des Klägers (September 2014) sei erst eingetreten, nachdem der Anspruch auf Witwerrente bereits aufgrund der Wiederheirat erloschen sei.

Mit der am 23. Januar 2018 erhobenen Klage verfolgt der in der Schweiz lebende Kläger sein Begehren weiter. Er macht geltend, dass die Witwerrente auch dann abzufinden sei, wenn sie zuvor nicht gezahlt worden sei. Für die gegenteilige Auffassung finde sich im Gesetz kein Anhalt, zumal sie mit dem Gleichberechtigungsprinzip nicht vereinbar sei. Die Abfindung bei Wiederheirat sei ein Ausgleich für den Nichterhalt der Witwerrente. Wegen seiner Erkrankung und dem Wegfall seines Einkommens sei der ruhende Anspruch auf Witwerrente wieder zu aktivieren. Es sei im Übrigen fraglich, ob die Witwerrente richtig berechnet worden sei.

Einen konkreten Klageantrag hat der Kläger nicht gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

Die Beteiligten haben sich unter dem 23. November 2018 (Beklagte) bzw. dem 26. November 2018 (Kläger) damit einverstanden erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet.

Das Gericht hat die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Kammer konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

II. Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Oktober 2017. Der Kläger erstrebt unter Berücksichtigung seines Vorbringens (vgl. § 123 SGG) die Aufhebung der Ablehnungsentscheidung sowie die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Witwerrentenabfindung.

III. Die so zu verstehende Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.

1. Die Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG). Die Klagefrist, die hier wegen Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids im Ausland drei Monate betrug (§ 87 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SGG), ist durch die am 23. Januar 2018 bei Gericht eingegangene Klage gewahrt. Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht entgegen, dass der Kläger keinen Klageantrag gestellt hat. Zwingend muss die Klage gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG lediglich den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen; diesen Anforderungen genügt die vorliegende Klage. Bei der Regelung zum Klageantrag (§ 92 Abs. 1 Satz 3 SGG) handelt es sich um eine bloße Sollvorschrift; fehlt der Klageantrag, führt dies nicht zur Unzulässigkeit der Klage (arg. e § 92 Abs. 2 Satz 2 SGG).

2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Oktober 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Abfindung seiner Witwerrente.

Als rechtliche Grundlage des geltend gemachten Abfindungsanspruchs kommt allein § 107 SGB VI (in der Fassung des Gesetzes zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 15. Dezember 2004, BGBl. I S. 3396) in Betracht. Nach dieser Vorschrift werden Witwenrenten oder Witwerrenten bei der ersten Wiederheirat des Berechtigten mit dem 24fachen Monatsbetrag abgefunden (Abs. 1 Satz 1). Monatsbetrag ist der Durchschnitt der für die letzten zwölf Kalendermonate geleisteten Witwenrente oder Witwerrente (Abs. 2 Satz 1). Erfolgt die Wiederheirat – wie hier – vor Ablauf des 15. Kalendermonats nach dem Tod der Versicherten, ist Monatsbetrag der Durchschnittsbetrag der Witwenrente oder Witwerrente, die nach Ablauf des dritten auf den Sterbemonat folgenden Kalendermonats zu leisten war (Abs. 2 Satz 2).

Dem Kläger stand ein (Stamm-)Recht auf große Witwerrente gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI nach der am 6. März 2013 verstorbenen Versicherten zu. Die Rente begann am Todestag (§ 99 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) und endete mit Ablauf des Monats der Wiederheirat (§ 100 Abs. 3 Satz 1 SGB VI), also zum 31. Mai 2014. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm zustehende Rente mit Bescheid vom 6. Juni 2014, geändert durch Bescheid vom 5. September 2014, auch bewilligt.

Ein Abfindungsanspruch nach § 107 SGB VI ist trotz der Wiederheirat des Klägers am 7. Mai 2014 nicht gegeben, denn der "Monatsbetrag", nach dem die Abfindung zu bemessen ist, liegt im vorliegenden Fall bei 0,- (in Worten: null) Euro, weshalb die Abfindung ebenfalls 0,- Euro beträgt. Nach Ablauf des dritten auf den Sterbemonat folgenden Kalendermonats (sog. Sterbevierteljahr) bis zur Wiederheirat im Mai 2014 erwuchsen aus dem Rentenstammrecht wegen der nach § 97 SGB VI vorzunehmenden Einkommensanrechnung keine Einzelzahlungsansprüche mehr (zur Unterscheidung zwischen Rentenstammrecht und -zahlungsanspruch vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2015 – B 13 R 27/14 R –, SozR 4-1300 § 48 Nr. 32, juris Rn. 32 m. w. N.), d. h. es bestand zwar ein Rentenanspruch dem Grunde nach, es waren aber keine Zahlungen an den Kläger zu leisten.

Dass in dem für die Berechnung des Abfindungsanspruchs maßgeblichen Zeitraum von Juli 2013 bis Mai 2014 kein Witwerrentenzahlungsanspruch bestand, steht bindend fest. Die Beklagte hat in den Witwerrentenbescheiden vom 6. Juni 2014 und 5. September 2014 geregelt, dass die Rente wegen der Höhe des anzurechnenden Einkommens für die Zeit ab 1. Juli 2013 nicht zu zahlen ist. Gegen diese Verwaltungsakte hat der Kläger keinen Widerspruch eingelegt, so dass sie bestandskräftig geworden sind (vgl. § 77 SGG). Ist ein Bescheid über eine Witwenrente bzw. Witwerrente bindend geworden, so wirkt diese Bindung auch für den Abfindungsanspruch aus § 107 SGB VI fort (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 1976 – 4/12 RJ 106/75 –, SozR 2200 § 1302 Nr. 2; BSG, Urteil vom 2. Oktober 1984 – 5b RJ 76/83 –, SozR 2200 § 1302 Nr. 7). Aus diesem Grund sind die Einwände des Klägers hinsichtlich der Berechnung der Witwerrente unbeachtlich.

Für die Berechnung des Monatsbetrags im Sinne von § 107 SGB VI (und damit der zu leistenden Rentenabfindung) ist entscheidend, in welcher Höhe die Witwenrente bzw. Witwerrente in dem nach § 107 Abs. 2 SGB VI maßgeblichen Zeitraum – nach Vornahme der Einkommensanrechnung – tatsächlich gezahlt wurde bzw. aufgrund des ergangenen Rentenbescheids zu zahlen war.

Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 107 Abs. 2 SGB VI. Sowohl Satz 1 als auch Satz 2 dieser Vorschrift definieren den für die Abfindungshöhe relevanten Monatsbetrag anhand der Rente, die "geleistet" wurde bzw. "zu leisten" war. Hierdurch wird erkennbar, dass der tatsächlich gezahlte bzw. zu zahlende Rentenbetrag die Grundlage für die Berechnung der Abfindung bildet. Steht die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI der Auszahlung der Witwerrente entgegen, so wird diese Rente weder "geleistet" noch ist sie "zu leisten".

Untermauert wird dieses Begriffsverständnis durch systematische Erwägungen. Auch in anderen Vorschriften des SGB VI verwendet der Gesetzgeber den Begriff "leisten" im Sinne von "zahlen", so z. B. bei der Regelung über das Zusammentreffen mehrerer Rentenansprüche, § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ("Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet.").

Hätte der Gesetzgeber die Höhe des Abfindungsanspruchs aus § 107 Abs. 1 SGB VI allein an den nach der Rentenformel errechneten Monatsbetrag der Rente (vgl. § 64 SGB VI) knüpfen wollen, hätte es keiner eigenständigen Legaldefinition des "Monatsbetrags" in § 107 Abs. 2 SGB VI bedurft. Die Aufnahme der auf die "geleistete" bzw. "zu leistende" Rente abstellenden Definition in das Gesetz ist mithin ein gewichtiger Hinweis darauf, dass bei der Berechnung des Abfindungsanspruchs auf die tatsächlich gezahlte bzw. zu zahlende Rente abzustellen ist.

Schließlich sprechen Sinn und Zweck der hier einschlägigen Vorschriften für diese Auslegung. Der Anspruch auf (große) Witwenrente hat u. a. eine Unterhaltsersatzfunktion. Es handelt sich um eine vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1998 – 1 BvR 1318/86 –, BVerfGE 97, 271). Dementsprechend wird die Rente auch nicht uneingeschränkt geleistet; so ist z. B. Einkommen anzurechnen (§ 97 SGB VI). Der Abfindungsanspruch nach § 107 SGB VI wiederum soll den Entschluss der Witwe oder des Witwers zur erneuten Heirat wirtschaftlich erleichtern (vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 1980 – 1 BvR 179/78 –, BVerfGE 55, 114). Eines derartigen wirtschaftlichen Anreizes bedarf es indes gerade nicht für Witwen oder Witwer, die vor der Wiederheirat wegen der Höhe des anzurechnenden Einkommens ohnehin keine Rentenzahlungen erhalten.

Soweit der Kläger vorträgt, dass sich seine finanzielle Lage wegen einer Erkrankung im September 2014 verschlechtert habe, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Kläger war bereits ab dem 7. Mai 2014 wieder verheiratet. Der für die Höhe der Abfindung maßgebliche Monatsbetrag ist indes gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB VI anhand der vor der Wiederheirat geleisteten bzw. zu leistenden Witwerrente zu berechnen. Nach der Wiederheirat eintretende Veränderungen können sich deshalb nicht auf den Abfindungsanspruch auswirken.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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