S 83 KA 43/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 43/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Abrechnung der Neurolyse (GOÄ 2584) erfordert die Neueinbettung des Nervs in ein neues oder neu gestaltetes Bett.
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten u.a. über die Absetzung der GOÄ 2584 (Neurolyse mit Nervverlagerung und Neueinbettung) im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung im Quartal IV/2017.

Mit Bescheid vom 21.11.2018 wurde das Honorarkonto des Klägers mit einem Betrag von 672,11 Euro belastet. Hintergrund war die Durchführung einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung hinsichtlich der Abrechnung von Leistungen für die Behandlung von vier Patienten. Hinsichtlich der Patientin B. wurde die GOÄ 2584 (Zahn 48) abgesetzt. In der Karteikarte sei dokumentiert worden: "Nerv für die Entfernung des Zahnes dargestellt und geschont". Hierfür sei keine Neurolyse im Sinne der GOÄ 2584 abrechenbar. Die GOÄ 2584 beinhaltet die Herauslösung des Nervs mit anschließender neuer Einbettung. Der Zahn überschreite den Kanal radiologisch nicht. Zudem erfolgte die Umsetzung der Geb.-Nr. 47a (Ost1) in 44 (X2) (Zahn 18). Es sei nicht ersichtlich, warum der Zahn mittels Aufklappung habe entfernt werden müssen und nicht ein Versuch der Extraktion erfolgt sei. Der Zahn sei anhand der Röntgenaufnahme als elongiert zu betrachten und stehe in der Kauebene. Durch die erfolgte Umsetzung stelle die Behandlung am Zahn 18 keine chirurgische Leistung mehr dar, so dass die Geb. Nr. 41a (L1) abzusetzen gewesen sei. Hinsichtlich des Patienten C. sei eine Umsetzung der GOÄ 2584 in die GOÄ (Zahn 48) erforderlich gewesen. In der Karteikarte sei dokumentiert worden: "Nerv am Ende der OP auf 1 cm frei in der Alveole, multipel geteilt, in Fragmenten entfernt". Dies rechtfertige nicht die Abrechenbarkeit der Nr. 2584. Anhand des OPG`s sei die Neurolyse nach GÖÄ 2583 jedoch nachzuvollziehen, da die Wurzeln den Nervkanal minimal überschritten. Die Abrechnung der GOÄ 2584 beinhalte jedoch die Auslösung des Nervs mit anschließender neuer Einbettung. Dies komme hier nicht infrage. Auch bei dem Patienten E. habe die GOÄ 2584 (Zahn 48) abgesetzt werden müssen. In der Karteikarte sei dokumentiert worden: "mehrfach geteilt und in Stücken vorsichtig um den Nerv herum entfernt, Nerv frei liegend". Hierfür sei ebenfalls keine Neurolyse im Sinne der GOÄ 2584 abrechenbar. Der Zahn überschreite den Kanal radiologisch nicht. Zudem sei die GOÄ 2381 (Zahn 48) abzusetzen. Laut Dokumentation sei der Schnitt selbst gesetzt worden. Es habe kein Blutungsrisiko bestanden. Das Gebiet sei auch nicht anoperiert gewesen. Im OP-Bericht sei keine über das übliche Maß hinausgehende Wundversorgung dokumentiert. Der Zahn sei vollständig reteniert. Es sei zudem eine Umsetzung der Geb-Nr. 37 (Nbl2) in 36 (Nbl1) (Zahn 48) vorzunehmen gewesen. Laut Dokumentation in der Karteikarte (OP-Bericht) sei die Alveole mit einem Kollagenschwämmchen aufgefüllt worden, was nicht den Leistungsinhalt der Nbl2 beinhalte. Auch bei dem Patienten M. habe die GOÄ 2584 (Zahn 38) abgesetzt werden müssen. In der Karteikarte sei dokumentiert worden: "lässt sich gut lösen und Nerv freiliegend". Hierfür sei ebenfalls keine Neurolyse im Sinne der GOÄ 2584 abrechenbar. Der Zahn überschreite den Kanal radiologisch nicht. Eine DVT- Aufnahme liege nicht vor. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2019 zurückgewiesen. Eine Neurolyse (GOÄ 2583 und 2584) sei die chirurgische Auslösung eines Nervs aus seiner Umgebung. Sie setze zunächst regelmäßig voraus, dass der Nerv tatsächlich aus seiner Umgebung herausgelöst werde. Nervlösungen seien z.B. erforderlich, wenn chirurgische Eingriffe am Unterkieferknochen durchgeführt würden, in denen der Unterkiefernerv bzw. der Kinnnerv verlaufe. Nach Ansicht des BGH könne eine Neurolyse nur dann berechnet werden, wenn sie wegen einer eigenen medizinischen Indikation vorgenommen werde und nicht, um beim Erreichen des Operationsziels benachbarte Strukturen zu schonen und nicht zu verletzen (BGH, Urteil vom 13.5.2004, Az. III ZR 344/03; BGH, Urteil vom 5.6.2008, Aktenzeichen: III ZR 239/07). Nervauslösungen seien zum Schutze eines dem Operationsgebiet benachbart liegenden Nervs zwar häufig sinnvoll und bedeuteten einen operativen Mehraufwand. Die Schonung des Nervs sei aber bereits von der zahnärztlichen Sorgfaltspflicht umfasst und stelle keine eigenständige Leistung dar, sondern sei mit der Abrechnung der operativen Maßnahme abgegolten. Eine Abrechnung der GOÄ 2583 bzw. 2584 sei in diesem Fall nicht möglich. Vorliegend hätten sich nach der Sichtung der Röntgendokumentationen in den Behandlungsfällen B., E. und M. der jeweilige Nerv in einer solchen räumlichen Lage zum Operationsgebiet befunden, dass der Zahn den Kanal radiologisch nicht überschritten habe. Ziel der Maßnahme sei gewesen, den Nerv für die Entfernung des Zahnes darzustellen und zu schonen. Der Zahn sei – so beispielhaft die Dokumentationen – um den Nerv herum entfernt, der Nerv sei freiliegend. Ein maßgeblicher operativer Mehraufwand sei jeweils nicht dokumentiert worden. Eine eigenständige Indikation der Neurolyse als Hauptleistung erscheine nicht begründet. Bei dem Patienten C. hätten die Wurzeln den Nervkanal minimal überschritten, sodass eine Neurolyse nach GOÄ 2583 nicht auszuschließen gewesen sei. Eine Auslösung des Nervs mit anschließender neuer Einbettung erkläre sich indes nicht. Die GOÄ 2584 sei in die GOÄ 2583 umzusetzen gewesen. Bei der Patientin B. sei gleichzeitig die Nr. 47a abgerechnet worden. Diese setze die Auflockerung des Zahnfleisches voraus. Dies erschließe sich vorliegend nicht. Die Röntgenaufnahmen ließen erkennen, dass der Zahn elongiert gewesen sei und in der Kauebene gestanden habe. Hier wäre eine Extraktion nach Nr. 44 ausreichend gewesen. Die Nr. 47a sei deshalb richtigerweise in die Nr. 44 umgesetzt worden. Gleichzeitig sei die Nr. 41a an dem Zahn 18 abzusetzen gewesen. Diese Nummer sei für den Oberkiefer nur bei entzündlichen Prozessen, die die Anwendung der Infiltrationsanästhesie nicht gestatte, bei größeren chirurgischen Eingriffen, jedoch nicht bei den Nr. 43 - 46,49 und 50 abrechenbar. Bei dem Patienten E. sei zusätzlich die GOÄ 2381 (einfache Hautlappenplastik) an dem Zahn 48 abgesetzt worden. Die Plastik eines Hautlappens bzw. Schleimhautlappens diene der Wiederherstellung bzw. Verbesserung der Form und insbesondere auch der Funktion der Haut- bzw. Schleimhaut. Schleimhautplastiken seien dagegen grundsätzlich nicht berechnungsfähig, wenn sie allein dem speicheldichten Wundverschluss dienten. Eine reine Unterstützung der Wundheilung durch Lappenplastik sei nur bei Risikopatienten nötig, so bei Patienten mit erhöhten Blutungs -oder Infektionsrisiken bei offenen Wunden. Vorliegend sei im OP-Bericht keine über das übliche Maß hinausgehende Wundversorgung dokumentiert. Auch liege kein Risikofall vor. Der Schnitt sei selbst gesetzt worden. Die Position sei deshalb abzusetzen gewesen. Schließlich sei bei diesem Patienten auch die Nr. 37 in die Nr. 36 umgesetzt worden. Laut Dokumentation in der Karteikarte und dem OP-Bericht sei lediglich die Alveole mit einem Kollagenschwämmchen aufgefüllt worden. Dies erfülle den Leistungsinhalt der Nr. 37 nicht.

Am 19.03.2019, eingegangen bei Gericht am 20.03.2019, hat der Kläger Klage erhoben. Die erfolgten Absetzungen und Umsetzungen seien rechtswidrig. Er habe die jeweiligen Leistungen erbracht und entsprechend abgerechnet. Hinsichtlich des Patienten B. sei bezogen auch die abgerechnete Neurolyse (Zahn 48) auf dem Röntgenbild eindeutig zu erkennen, dass die Wurzelspitzen den Nervkanal in seiner gesamten Breite überlagerten, d.h. die Wurzelspitzen seien tiefer im Knochen als der Nervenkanal. Im Operationsbericht seien zudem hakenförmige Wurzeln beschrieben; der Nerv habe vorsichtig aus der Umklammerung gelöst werden müssen. Spätere Kribbelparästhesien seien ein Beweis für die unmittelbare Beziehung zwischen Nerv und Wurzelspitze. Hinsichtlich der Umsetzung der BEMA-Nr. 47a (Zahn 18) sei darauf hinzuweisen, dass zur operativen Entfernung die vestibuläre Knochenlamelle mit dem Raspatorium habe entfernt werden müssen. Dies rechtfertige die Abrechnung als Ost 1, BEMA 47a. Es sei das standardisierte operative Verfahren; eine ausschließliche Entfernung per Extraktion hätte bei den abgewickelten Wurzeln des Zahns ein erhöhtes Risiko der Wurzelfraktur und des Tuberabrisses zur Folge gehabt. Er habe die schonendste und risikoärmste Operationstechnik gewählt. Bezüglich des Patienten C. sei auf dem präoperativen Röntgenbild eindeutig zu erkennen, dass der Nervkanal von beiden Wurzeln komplett überlagert werde. In der Patientenakte sei zudem dokumentiert, dass die Wurzeln den Nerv umfassten, also ein Herauslösen notwendig war. Aus dem OP-Bericht gehe auch hervor, dass der Nerv am Ende der OP auf 1 cm aus einem ursprünglichen Bett gelöst, frei in der Alveole, also in einem neuen Bett gelegen habe. Soweit hinsichtlich des Patienten E. die Absetzung der GOÄ 2584 erfolgt sei (Zahn 48), sei dies ebenfalls nicht nachvollziehbar. Das präoperative Röntgenbild zeige einen sehr tiefenverlagten Zahn 48, der den Nervkanal komplett überlagert habe. In der Patientenakte sei zudem dokumentiert, dass die Wurzeln den Zahn umfassten. Als Besonderheit bei diesem Patienten sei der Nervkanal zudem sehr tief am Unterkieferrand gelegen, was nicht nur die Gefahr der Nervverletzung, sondern auch die Gefahr eines Bruches des Unterkiefers zur Folge hatte. Der Patient sei über beides aufgeklärt worden. Hinsichtlich der Absetzung der GOÄ 2381 sei einzuwenden, dass das präoperative Röntgenbild eine Verbindung zwischen Zahn und Mundhöhle zeige. Das hier befindliche Entzündungsgewebe sei entfernt worden, ein einfaches Vernähen der Wunde sei nicht möglich gewesen, der Wundverschluss habe nur durch eine Schleimhautverschiebung (= Lappenplastik) erreicht werden können. Im OP-Bericht sei dies als Rotationslappenplastik beschrieben. Auch die Umsetzung der Ziff. 37 in die Ziff. 36 sei zu Unrecht erfolgt. Der OP-Bericht dokumentiere den Aufwand der Zahnentfernung. Der Zahn sei nach der Freilegung vielfach geteilt und vom Nerv gelöst worden. Dies sei besonders schwierig gewesen, weil das arterielle Blutgefäß verletzt worden und durch die Blutung die Übersicht gestört worden sei. Die Blutung habe nur durch Kompression der Arterie mit einem Kollagenschwamm zum Stillstand gebracht werden können. Aufgrund der großen und tiefen Knochenwunde und der aufgetretenen Blutung sei es erforderlich gewesen, einen speicheldichten Wundverschluss zu erreichen. Hinsichtlich des Patienten M. zeige die Auswertung des präoperativen Röntgenbildes die Überlagerung der Wurzelspitze mit dem Nervkanal. Dies sei auch durch die Anfertigung eines DVT als 3D-Diagnosik bestätigt worden. Durch die Erkenntnisse aus dem DVT habe auf der Wangenseite etwas großzügiger Knochen entfernt werden können, so dass der auf der Zungenseite liegende Nerv unbeschadet von den anliegenden Wurzeln gelöst, bei Entfernung der Zahnstücke verlagert und dann neu habe eingebettet werden können. In der Patientenakte sei dokumentiert, dass die Wurzeln den Zahn umfassten und der Zahn mehrfach habe geteilt werden müssen. Auch bei dieser Operation habe der Nerv am Ende etwa auf 1 cm frei in einem neuen Bett gelegen. Zwar sei die Neurolyse in allen vier Fällen nicht das eigentliche Behandlungsziel gewesen. Sie sei jedoch im Einzelfall ein notweniger Teilschritt auf dem Weg zum eigentlichen Behandlungsziel und damit eigenständig medizinisch indiziert. Entsprechend der Kommentierung könne die GOÄ 2584 – anders als die GOÄ 2583 – auch flankierend mit anderen chirurgischen Leistungen abgerechnet werden. Ohne die vorherige Durchführung dieser Neurolysen wäre es zu einer erheblichen Verletzung der betreffenden Nerven gekommen, was im Übrigen einen schweren Behandlungsfehler darstelle. Neben dem eigentlich durchzuführenden Behandlungsziel sei damit ein weiteres Behandlungsziel getreten, nämlich der Schutz der jeweils betroffenen Nerven. Bei allen OPs sei es so gewesen, dass auf die Leistung der Neurolyse der deutlich größere Teil der eigentlichen OP-Zeit entfallen sei. Die Durchführung dieser Neurolysen sei über die normal anzunehmende Sorgfaltspflicht hinausgegangen. Sie könne deshalb auch nicht als unselbständiger Zwischenschritt angesehen werden. Er rechne die Neurolyse insgesamt nur sehr selten ab, was den differenzierten Umgang damit nochmals deutlich mache.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 21.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.02.2019 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihr Vorbringen und Widerspruchsbescheid. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte und die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragszahnärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragszahnärzte handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist unbegründet. Der Bescheid vom 21.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.02.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106d Abs. 2 S 1 Halbs. 1 SGB V. Danach stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots – , erbracht und abgerechnet worden sind. Eine sachlich-rechnerische Richtigstellung ist insbesondere dann angezeigt, wenn die abgerechneten Leistungen nicht die Vorgaben des EBM-Ä erfüllen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2013 – B 6 KA 14/13 R). Dies gilt gemäß § 72 Abs. 1 S. 2 SGB V auch für die Kassenzahnärztliche Vereinigung und für die Vertragszahnärzte (dann bezogen auf die BEMA).

Nach Auffassung der Kammer hat die Beklagte zu Recht in allen vier streitgegenständlichen Behandlungsfällen die GOÄ 2584 abgesetzt. Die GOÄ 2584 "Neurolyse mit Nervenverlagerung und Neueinbettung" setzt – anders als die GOÄ 2583 ("Neurolyse, als selbständige Leistung") als obligaten Leistungsinhalt nicht das Erfordernis der Selbstständigkeit voraus und kann auch im Zusammenhang mit anderen chirurgischen Leistungen flankierend abgerechnet werden. Soweit sich die Beklagte als Begründung für die Leistungsabsetzung u.a. auf die Rechtsprechung des BGH stützt, wonach die für die Abrechenbarkeit eine selbständige Leistung erforderlich ist (BGH, Urteil vom 13. Mai 2004 – III ZR 344/03, Rn. 11; BGH, Urteil vom 05. Juni 2008 – III ZR 239/07, Rn. 6), kann diese Rechtsprechung für die vorliegende Fallkonstellation nicht herangezogen werden, weil dort nicht die GOÄ 2584 sondern allein die GOÄ 2583 streitgegenständlich war.

Hinsichtlich der Patienten B., E. und M. ist zwischen den Beteiligten zunächst streitig, ob der jeweilige Zahn den Nervkanal radiologisch überhaupt überschritten hat. Bei allen vier Patienten ist streitig, ob der obligate Leistungsinhalt "Nervenverlagerung und Neueinbettung" erfüllt ist. Aufgrund gut aufgelöster Röntgenaufnahmen, die in der mündlichen Verhandlung eingehend besprochen werden konnten, geht die Kammer davon aus, dass bei allen Patienten zumindest eine Berührung der Wurzelspitzen mit dem Nervkanal erkennbar war. Ob dieses Berühren in allen Fällen ausreichend war, um die Abrechnung einer Neurolyse in Betracht zu ziehen, kann vorliegend offen bleiben, weil nach Auffassung der Kammer der obligate Leistungsinhalt der Neueinbettung des Nervs in keinem der vier Fälle gegeben war.

Die Neueinbettung des Nervs i.S.d GOÄ 2584 erfordert nach Auffassung der Kammer tatsächlich eine Einbettung in ein neues, bzw. ein neu gestalteten Bett. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Regelung, der keine Wieder- oder Rückeinbettung sondern eine Neueinbettung vorsieht. Andernfalls hätte es des Leistungsinhalts "Neueinbettung" neben der Nervverlagerung" nicht bedurft. Eine bloße vorübergehende Umlagerung des Nervs mit einer späteren Wiedereinbettung in das alte Bett erfüllt die Anforderungen der GOÄ 2548 deshalb nicht. Soweit von Seiten des Klägers und auch in der Kommentarliteratur (vgl. auch Liebold/Raff/Wissing, Kommentar GOZ Bd. 3, GOÄ 2583, 2584, S. 9, Stand 08/2019).) unter Bezugnahme auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, eine permanente Neuverlagerung sei nicht erforderlich, kann dem nur sehr eingeschränkt zugestimmt werden. Denn der zitierten Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass dort die Rückverlagerung in ein "neu gestaltetes Bett" erfolgte (AG Erding, Beschluss vom 26. November 2018 – C 1135/15). Es war also eine Veränderung am ursprünglichen Bett vorgenommen worden und nicht nur eine bloße Rückverlegung des Nervs. Nach Auffassung der Kammer genügt es für die Veränderung des Betts allerdings nicht, wenn diese nur in der Form erfolgt, als nach der erfolgten Operation das Bett nunmehr ohne die Berührung durch die Wurzelspitze geformt ist.

Als Ausgangspunkt für die Frage, ob in den einzelnen Fällen tatsächlich eine Neueinbettung in diesem Sinne erfolgt ist, ist auf die ärztliche Dokumentation zurückzugreifen. Nach Auffassung der Kammer muss im Fall der Durchführung und Abrechnung einer Neurolyse i.S.d. GOÄ 2584 aus der Dokumentation deutlich hervorgehen, dass der Nerv nach der erfolgten Verlagerung anderweitig eingebettet wurde, d.h. in eine anderes oder in das alte, aber neu gestaltete Bett. Ausgehen hiervon ist hinsichtlich der Patientin B. in der Karteikarte nur angegeben, dass die Wurzeln direkt am Nerv liegen und der Zahn hakenförmige Wurzeln hat. Weiter heißt es in dem OP-Bericht, der sich als kurze Notiz in der Karteikarte wiederfindet: "48 Nerv dargestellt und geschont, enge Lagebeziehung, Zahn 48 in Teilen entfernt, hakenförmige Wurzeln, Nerv lag auf 8mm frei in der Alveole; sicher intakt, Pat informiert". Die mit zwei Zahnärzten besetzte Kammer kann dieser Dokumentation lediglich das Freilegen des Nervs entnehmen. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Neueinbettung im o.g. Sinn. Dass der Nerv in ein neues Bett gelegt oder ein tatsächlich neu gestaltetes altes Bett rückgelegt wurde, ist dem nicht zu entnehmen. Gleiches gilt hinsichtlich der Behandlung des Patienten C. Auch hier ist dem OP-Bericht lediglich eine Freilegung des Nervs zu entnehmen: "Nerv am Ende der OP auf 1 cm frei in der Alveole, multipel geteilt, in Fragmenten entfernt". Die Frage, ob hier dann – wie von der Beklagten im Rahmen der Umsetzung erfolgt – die GOP 2483 ("Neurolyse, als selbständige Leistung") abzurechnen war und ob diese Ziffer, wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung angesprochen, für Zahnärzte überhaupt abrechenbar ist, hat die Kammer nicht zu entscheiden. Denn auch wenn man die Auffassung des Klägers erteilt, ist die erfolgte Umsetzung statt einer bloßen Absetzung der GOÄ 2584 zugunsten des Klägers erfolgt. Auch bei dem Patienten E. kann eine Neueinbettung i.S.d. GOÄ 2584 den Aufzeichnungen nicht entnommen werden: "Wurzeln umfassen den Nerven, Nervenauslösung" ( ) "am Ende der Op liegt der Nerv auf 8mm frei in der Alveole; neues Bett". Inwieweit hier ein neues Bett konstruiert wurde, ergibt sich aus den Aufzeichnungen nicht. Auch bezüglich des Patienten M. lässt sich dem OP-Bericht lediglich eine erfolgte Freilegung des Nervs entnehmen. Eine tatsächliche Neueinbettung ist nicht dokumentiert.

Hinsichtlich der weiteren Absetzungen verweist das Gericht zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten und sieht insofern von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 136 Abs. 3 SGG). Ergänzend wird ausgeführt: Bezogen auf die Abrechnung der Behandlung der Patientin B. hat die Beklagte nach Auffassung der fachkundig besetzten Kammer zu Recht die Umsetzung der Geb. Nr. 47a (Ost 1) ("Entfernen eines Zahnes durch Osteotomie einschließlich Wundversorgung") in die Nr. 44 (Zahn 18) vorgenommen. Die Kammer konnte sich anhand des vorliegenden Röntgenbildes nicht davon überzeugen, dass die Notwendigkeit einer Osteotomie bestand. Entsprechend war auch die Absetzung der Geb. Nr. 41a nicht zu beanstanden, da es nach der erfolgten Umsetzung an einer chirurgischen Leistung fehlte.

Hinsichtlich der Abrechnung der Behandlung des Patienten E. ist die Absetzung der GOÄ 2381 (einfach Hautlappenplastik) (Zahn 48) nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger den Ansatz der GOP 2381 damit begründet, dass ein einfaches Vernähen der Wunde nicht möglich gewesen sei und der Wundverschluss nur durch eine Schleimhautverschiebung habe erfolgen können, ist dem nicht zuzustimmen. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass die GOÄ 2381 nicht berechnungsfähig ist, wenn sie allein der Wundversorgung dient (vgl. auch Liebold/Raff/Wissing, Kommentar GOZ Bd. 3, GOÄ 2381, 2382, S. 2, Stand 08/2019). Ein erhöhtes Blutungsrisiko wurde nicht dokumentiert. Auch die erfolgte Umsetzung der BEMA Nr. 37 (Nbl1, Stillung einer übermäßigen Blutung durch Abbinden oder Umstechen eines Gefäßes oder durch Knochenbolzung) in die BEMA Nr. 36 (Nbl1, Stillung einer übermäßigen Blutung) ist nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Unstreitig erfolgte vorliegend keine Stillung einer Blutung durch Abbinden und durch Umstechen eines Gefäßes oder durch Knochenbolzung. Aufgrund der strikten Bindung an den Wortlaut ist eine analoge Anwendung der BEMA-Ziffern nicht zulässig (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 15. Mai 2019 – B 6 KA 63/17 R, Rn. 26).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Es sind eine Vielzahl von Fällen bei der Beklagten im Widerspruchsverfahren ruhendgestellt, die die gleiche Thematik betreffen.
Rechtskraft
Aus
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