S 3 KA 205/97

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 205/97
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Prozesskosten der Beklagten.

Tatbestand:

Strittig ist die Rechtmäßigkeit von sachlich-rechnerischen Berichtigungen.

Die Klägerin ist als Kieferorthopädin zur vertragszahnärztlichen Versorgung in Hamburg zugelassen (von 1981 bis 1993 in Form der Ermächtigung und Beteiligung).

In den Quartalen IV/91 bis IV/92 sowie I/93 und III/93 führte die Klägerin bei dem – im Abrechnungsquartal IV/91 6 Jahre alten - Beigeladenen zu 1) im Oberkiefer eine Diastema-Behandlung mit Teilbogen und fünf Bändern durch; zudem setzte sie nach Verlust der Zähne 55 und 65 festsitzende Lückenhalter ein. Im Unterkiefer wurde (wegen des fehlenden 75) ein herausnehmbarer Lückenhalter eingesetzt.

In der Eigenlaborrechnung vom 31.3.1992 wurden u.a. Positionen wie ´Schraube einarb., Dehn-Zug-Druckschraube` - ´Labialbogen mit mehr als zwei Schlaufen` - ´Feder offen` aufgeführt.

Mit Bescheid vom 20.6.1996 (B 2326/96) setzte die Beklagte auf Antrag der Beigeladenen zu 2), einer Ersatzkasse, sachlich-rechnerische Berichtigungen in Höhe von insgesamt DM 2.970, 19 fest, die neben Material- und Laborkosten u.a. die Gebührenpositionen Nr. 117, 122a, 124, 126 und 127a des einheitlichen Bewertungsmaßstabs Zahnärzte (Bema-Z bzw. Gebührentarif D) betrafen. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Aufstellung auf Seite 3 f. der Sitzungsniederschrift vom 2.6.1997 verwiesen.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den sie mit Schreiben vom 10.12.1996, auf das ergänzend Bezug genommen wird, damit begründete, dass die Maßnahmen in dem Alter, in dem sich der Patient befunden habe, notwendig gewesen seien.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Widerspruchsausschuss der Beklagten am 2.6.1997 wurde die Klägerin von Ausschussmitgliedern darauf hingewiesen, dass die (Kontroll-) Position 122a in 6 Quartalen 24 mal abgerechnet worden sei, so dass der Beigeladene zu 1) ungefähr alle drei Wochen einen Kontrolltermin gehabt haben müsse; diese Häufigkeit lasse auf eine aktive Behandlung schließen. Eine Diastemabehandlung sei unwirtschaftlich gewesen, da im Alter von 6 Jahren im Frontzahnbereich das Wachstum noch nicht abgeschlossen sei. Eine Multibandbehandlung bzw. eine Behandlung mit Bändern, Bögen oder Teilbögen stelle eine aktive Behandlung dar.

Die Klägerin führte aus, dass sie die Diastemabehandlung im November 1991 begonnen habe, als der Beigeladene zu 1) 6 Jahre alte gewesen sei. Sie habe eine Diastemabehandlung mit einer Lückenhalterbehandlung verbunden. Es sei eine aktive Behandlung geworden; bei einem festsitzenden Lückenhalter müsse öfter kontrolliert werden als bei einem herausnehmbaren. Ergänzend wird auf Seite 7 der Niederschrift verwiesen.

Die Beklagte half dem Widerspruch teilweise - bezüglich der Lückenhalterbehandlung im Unterkiefer - ab und wies ihn im übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 4.8.1997 (W 647/96) zurück. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass kieferorthopädische Leistungen (hier Diastema und Lückenhalter im Oberkiefer), die zu dem Zeitpunkt, in dem sie erbracht worden sind, nicht erforderlich waren, zur Lasten der Krankenkasse weder vorgenommen noch abgerechnet werden dürften. In Teil II des Bescheides war bereits ausgeführt worden, dass die Klägerin wegen des Diastemas im Oberkiefer chirurgische Maßnahmen veranlasst und das Diastema durch Teilbogen und fünf Bänder geschlossen habe, obwohl es sich in dem frühen Dentitionsalter von selbst schließen könne.

Gegen den am 8.8.1997 zugestellten Widerspruchsbescheid vom 4.8.1997 hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 19.8.1997 Klage erhoben. Die zunächst im Rahmen einer Sammelklage eingereichten Klagen (Ausgangsverfahren 3 KA 205/97) wurde mit Beschluss vom 15.9.1997 getrennt.

Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 18.8.1997 damit begründet, dass die Diastema- und die Lückenhalterbehandlung im Oberkiefer medizinisch indiziert und erforderlich gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20.2.1996 aufzuheben und den Widerspruchsbescheid vom 4.8.1997 abzuändern.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie sich mit Schriftsatz vom 19.9.1997 auf die Gründe der angefochtenen Bescheide bezogen.

Mit Beschluss vom 30.10.1998 hat die Kammer die aus dem Rubrum ersichtlichen Beiladungen vorgenommen.

Die Beigeladene zu 2) beantragt ebenfalls, die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 11.7.2001 aufgeführten Akten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.

Die Beklagte hat die Abrechnungen der Klägerin zu Recht in dem vorgenommenen Umfang berichtigt, da die berichtigten Leistungen unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Vertragsarztrechts erbracht wurden.

Nach § 12 Abs. 1 Zahnarzt-Ersatzkassenvertrages (EKV-Z) vom 29.11.1963 prüft die Beklagte die Abrechnungen der Zahnärzte rechnerisch und gebührenordnungsmäßig und stellt sie richtig.

Gegenstand der sachlich-rechnerischen Berichtigung ist es, die Abrechnung des Vertragsarztes auf Übereinstimmung mit den gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften des Kassenarztrechtes – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes – zu überprüfen; mithin geht es um die Frage, ob die abgerechneten Leistungen ordnungsgemäß – also ohne Verstoß gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen – erbracht worden sind (BSG, Urteile vom 1.7.1998, SozR 3-2500 § 75 Nr. 10, S. 41, 43 und B 6 KA 47/97 R S. 6; siehe hierzu Engelhard in Hauck SGB V, K § 106 RdNr. 22).

Die von der Klägerin bei dem seinerzeit 6jährigen Beigeladenen zu 1) durchgeführte kieferorthopädische Behandlung verstößt zum einen gegen die Bestimmungen der KfO-Richtlinien.

Nach § 29 Abs. 1 SGB V in der vom 1.1.1993 bis 30.6.1997 geltenden Fassung hatten Versicherte Anspruch auf Übernahme von 80 vom Hundert der Kosten der im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung durchgeführten kieferorthopädischen Behandlung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, die nach Absatz 4 der Vorschrift vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 zu bestimmen waren.

Nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V (in unverändert fortgeltender Fassung) soll der Bundesausschuss (insbesondere) Richtlinien über die zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz sowie kieferorthopädische Behandlung beschließen.

Diesen gesetzlichen Aufträgen ist der Bundesauschuss mit seinen ´Richtlinien des Bundesauschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für die kieferorthopädische Behandlung` (KfO-Richtlinien) vom 5.11.1993 (veröffentlicht im BAnz. 1994 Nr. 10 S. 288 sowie im Rundschreiben Nr. 325 der Beklagten vom 9.2.1994) nachgekommen.

Die Richtlinien sind sowohl für den gesetzlich krankenversicherten Patienten wie auch für den behandelnden Vertragszahnarzt verbindlich (siehe hierzu BSGE 78, 70, 74 ff. und BSGE 81, 73, 81 ff.).

Nach Abschnitt B Nummer 12 der KfO-Richtlinien sollen kieferorthopädische Behandlungen – von begründeten Ausnahmefällen (z.B. Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten, Fehlstellungen des progenen Formenkreises, ein- und beidseitiger Kreuzbiss, offener Biss) abgesehen – nicht vor dem Dentitionsalter von neun bis zehn Jahren begonnen werden.

Die Kammer kann es dahingestellt bleiben lassen, ob dieser grundsätzliche Ausschluss der Frühbehandlungen unterschiedslos für alle Formen kieferorthopädischer Behandlungen, also etwa auch für Vorbehandlungen und sogenannte ´passive` Behandlungen Geltung beansprucht – wofür der Wortlaut der Regelung sprechen könnte – oder lediglich für ´aktive` Behandlungen gilt. Denn die sachkundig besetzte Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin keine ausschließlich passive Behandlung durchgeführt hat.

Aktive Behandlung wird als die Stufe definiert, in der die Zähne aktiv in Richtung der neuen Positionen und der Ziele bewegt werden, die im Behandlungsplan beschrieben sind; die aktive Behandlung beginnt mit dem Einsetzen eines kieferorthopädischen Apparates (vgl. Diskussionsentwurf zu einem Europäischen Orthodontischen Qualitätssicherungs-Manual).

Bei dem von der Klägerin behandelten Diastema handelt es sich um eine Zahnlücke (bzw. einen Zahnspalt), die entweder erblich ist oder in Form eines unechten Diastemas auftritt, dass entsteht, wenn sich der Kiefer im Milchzahngebiss für den bevorstehenden Zahnwechsel verbreitert oder im bleibenden Gebiss die seitlichen Schneidezähne nicht oder nur verkümmert ausgebildet sind (Zahnärztliches Lexikon). Schon von daher ist es für die Kammer nicht nachvollziehbar, dass es sich bei der Behandlung dieses Diastemas um eine rein ´passive` Behandlung gehandelt haben soll, da eine Lücke wohl nur ´aktiv` zu schließen sein dürfte.

Hinzu kommt, dass neben den abgerechneten Gebührenpositionen (Nr. 126: ´Eingliedern eines Bandes`, Nr. 127a: ´Eingliedern eines Teilbogens`) auch die vorliegende Laborrechnung vom 31.3.1992, welche u.a. Positionen wie ´Schraube einarb., Dehn-Zug-Druckschraube` - ´Labialbogen mit mehr als zwei Schlaufen` - ´Feder offen` enthält, die Annahme einer aktiven Behandlung bestätigen.

Schließlich spricht auch die enorme Zahl an Kontrolluntersuchungen (24 in 6 Quartalen) für eine aktive Behandlung.

Da auch die in der Nr. 12 der KfO-Richtlinien genannten Ausnahmen nicht vorgelegen haben, war somit eine Behandlung des zu deren Beginn erst 6 Jahre alten Beigeladenen zu 1) unzulässig. Die vorgenommenen Berichtigungen sind somit schon aus diesem Grund zu Recht erfolgt.

Zum anderen hat die Klägerin auch gegen die Bestimmungen des EKV-Z verstoßen, da sie die Behandlungen ohne vorherige Erstellung eines Behandlungsplans und entsprechender Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse durchgeführt hat. Die Bestimmungen des EKV-Z waren für die Klägerin verbindlich, da der EKV-Z einen Bundesmantelvertrag im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB V darstellt und dessen Verbindlichkeit für die Vertragszahnärzte durch § 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V i.V.m. der Satzung der Beklagten sowie durch § 95 Abs. 3 Satz 2 SGB V bestimmt wird.

Nach § 9 Abs. 4 Satz 1 EKV-Z stellt der Vertragszahnarzt vor Beginn einer kieferorthopädischen Behandlung im Sinne der Anlage 17 (KfO-Richtlinien) einen Behandlungsplan in zweifacher Ausfertigung auf und leitet beide Exemplare der Kasse zu. Dies gilt nach § 9 Abs. 4 Satz 2 EKV-Z nicht für Leistungen nach den Nummern 121 bis 125 des Gebührentarifs D (kieferorthopädische Leistungen). Mit einer Behandlung soll erst begonnen werden, wenn die Vertragskasse eine Kostenübernahmerklärung auf dem Behandlungsplan abgegeben hat (§ 9 Abs. 4 Satz 6 EKV-Z).

Gegen diese Bestimmungen hat die Klägerin ohne zureichenden Grund verstoßen, da sie ohne Behandlungsplan Leistungen nach den Nrn. 124, 126, 127a Bema-Z (bzw. des Gebührentarifs D) erbracht und abgerechnet hat, nach der zitierten Bestimmung das Erfordernis einer vorherigen Aufstellung und Genehmigung des Behandlungsplans aber lediglich dann entfällt, wenn ausschließlich Leistungen nach den Nrn. 121 bis 125 Bema-Z erbracht werden.

Angesichts der eindeutigen vertraglichen Regelung geht auch der Einwand der Klägerin ins Leere, dass es sich bei der von ihr durchgeführten Behandlung um keine ´aktive` Behandlung gehandelt habe. Abgesehen davon, dass die Klägerin – wie bereits ausgeführt – sehr wohl eine ´aktive` Behandlung durchgeführt hat, läßt sich den vertraglichen Bestimmungen auch kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die Verpflichtung zur vorherigen Aufstellung und Genehmigung des Behandlungsplans nur für ´aktive`, nicht aber für ´passive` Behandlungen gelten soll. Vielmehr ist in § 9 Abs. 4 EKV-Z eine Differenzierung nach Gebührenordnungsnummern vorgenommen worden, die eine erweiternde Auslegung ausschließt. Auch wenn es sich bei den Nrn. 121-125 Bema vorwiegend um passive Behandlungen betreffende Gebührenpositionen handeln sollte, kommt nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung eine Ausdehnung auf weitere Leistungen gerade nicht in Betracht.

Die Klägerin könnte sich auch nicht darauf berufen, dass § 9 Abs. 4 Satz 6 EKV-Z als ´Soll-Bestimmung` gefasst ist, da auch derartigen Bestimmungen grundsätzlich Bindungswirkung zukommt und ein atypischer, eine Abweichung rechtfertigender Ausnahmefall weder vorgetragen noch ersichtlich ist. Abgesehen davon wäre auch bei atypischen Ausnahmefällen stets ein Behandlungsplan einzureichen gewesen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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