10 AS 1321/17

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
10 AS 1321/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Jobcenter kann durch -rechtsbehelfsfähiges- Zwischenurteil verpflichtet werden, Akteneinsicht in Form von wortgetreuen Abschriften in anonyme Anzeigen zu
gewähren, wenn die Aktivpartei vorträgt, aus der Handschrift der Anzeige den Urheber erkennen zu wollen.
2. Das Geheimhaltungsinteresse der Behörde tritt hinter das verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Denunzierten zurück, wenn die Behördenin-
formation wider besseren Wissens oder in der vorgefassten Absicht der Rufschädigung erfolgt ist, oder leichtfertig falsche Informationen übermittelt worden sein
könnten (BVerwG vom 04.09.2003, Az. 5 C 48/02).
3. Zur Prüfung dieser Voraussetzungen muß der Aktivpartei zumindest der wortgetreue Inhalt der anonymen Anzeigen bekannt sein.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Abschriften der anonymen Anzeigen vom 18.07.2014 (Umschlag Blatt 117 der Verwaltungsakte) und vom 23.07.2014 (Umschlag Blatt 142 und 143 der Verwaltungsakte) zu übersenden

Tatbestand:

Streitig ist ein Recht auf Akteneinsicht. Mit Bescheid vom 06.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2018 hat es der Beklagte abgelehnt, dem Kläger Akteneinsicht in anonyme Anzeigen zu gewähren. Zwar bestehe grundsätzlich ein Recht auf Akteneinsicht gemäß § 25 Abs. 1 SGB X. Gemäß § 25 Abs. 3 SGB X sei die Behörde jedoch nicht verpflichtet, Akteneinsicht zu gestatten, soweit die Vorgänge wegen der berechtigen Interessen der Beteiligten oder dritter Personen geheim gehalten werden müssen. Das Geheimhaltungsinteresse eines Behördeninformanten überwiege das Informationsinteresse des Leistungsempfängers, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant wider besseren Wissens oder leichtfertig falsche Behauptungen aufgestellt hat. Dafür lägen keine Anhaltspunkte vor.

In der Klageschrift, eingegangen am 10.04.2017, verweist der Kläger darauf, dass seit Jahren Verleumdungen anonym getätigt würden, sowohl handschriftlich als auch telefonisch. Der Beklagte verweigere dazu spezielle Informationen.

Mit Schriftsatz vom 20.03.2019 verweist die Prozessbevollmächtigte des Beklagten darauf, der Kläger verweise zwar darauf, dass die erhobenen Vorwürfe nicht zuträfen. Es stelle sich jedoch die Frage, woher dies der Kläger wissen möchte. Der Kläger mache dazu keine weiteren Ausführungen. Es sei Sache des Klägers, darzulegen, inwieweit wahrheitswidrige Behauptungen vorliegen würden.

Demgegenüber verweist der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 21.03.2019 darauf, dass dazu der Kläger zunächst über die Denunziationen gezielt informiert werden müsse.

In der mündlichen Verhandlung am 28.03.2019 verweist der Vorsitzende auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.09.2003, Az.: 5 C 48/02. Daraus ergebe sich, dass bei Akteneinsichtsgesuchen eine Güterabwägung vorzunehmen sei. Aus dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht könne sich ein Recht auf Akteneinsicht ergeben, das das Geheimhaltungsinteresse der Behörde übersteige, wenn die Behördeninformationen wider besseren Wissens oder in der vorgefassten Absicht, den Ruf des Klägers zu schädigen, erfolgt sei, oder leichtfertig falsche Informationen übermittelt worden sein könnten. Der nächste Schritt sei daher, dass der Beklagte eine Abschrift der anonymen Informationen dem Kläger zur Verfügung stelle und der Kläger dann im Einzelnen Stellung nehmen könne. Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt:

Der Beklagte wird durch Zwischenurteil verurteilt, dem Kläger Abschriften der anonymen Anzeigen vom 18.07.2014 (Blatt 117 der Verwaltungsakte) und vom 23.07.2014 (Blatt 142 und 143 der Verwaltungsakte) zu übersenden.

Die Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten des Beklagten beigezogen. Auf diese, die Prozessakte sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Leistungsklage zulässig.

Die Klage ist auch zumindest insoweit begründet, dass dem Kläger Abschriften der anonymen Anzeigen zur Verfügung zu stellen sind. Dies folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers.

Gemäß § 130 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtslage vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist.

Aus dem in der mündlichen Verhandlung am 28.03.2019 angesprochenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.09.2003 ergibt sich, dass das Geheimhaltungsinteresse der Behörde dann zurücktritt, wenn die Behördeninformation wider besseren Wissens oder in der vorgefassten Absicht, eine Rufschädigung zu erreichen, erfolgt ist, oder leichtfertig falsche Informationen ermittelt worden sein könnten.

Um dies überprüfen zu können, ist logischerweise vorher die genaue Kenntnis der Behördeninformation erforderlich.

Das Gericht sieht hier keine andere Möglichkeit, als dass der Beklagte Abschriften der streitigen anonymen Anzeigen vom 18.07.2014 und vom 23.07.2014 dem Kläger übermittelt. Nur die genaue Kenntnis der Formulierung kann es dem Kläger ermöglichen, darzulegen, ob im vorliegenden Fall das Geheimhaltungsinteresse der Behörde hinter seinem Persönlichkeitsrecht zurückzutreten hat.

Aus diesem Grund sieht das Gericht das vorliegende Zwischenurteil als sachdienlich an.

Dementsprechend war der Beklagte wie tenoriert zu verurteilen.

Eine Kostenentscheidung ist in einem Zwischenurteil nicht zu treffen.

Das vorliegende Zwischenurteil ist vergleichbar einem Zwischenurteil im Rahmen einer Stufenklage. Das Zwischenurteil ist daher selbstständig anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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