S 3 (16) U 168/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 3 (16) U 168/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 270/03
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 24.06.1999 wird aufgehoben. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, welcher Unfallversicherungsträger für die Kläranlagengesellschaft C mbH (Beigeladene zu 2), ein in selbständiger privater Rechtsform betriebenes Unternehmen der Stadt C, zuständig ist. Die Klägerin als gewerbliche für die Abwasserentsorgung zuständige Fachberufsgenossenschaft wendet sich gegen einen Bescheid der zuständigen Aufsichtsbehörde des Landes, die den kommunalen Unfallversicherungsträger, die Beigeladene zu 1) für zuständig erklärt hat.

Die Stadt C führte seit dem 01.01.1991 die Abwasserbeseitigung in der Organisationsform einer "eigenbetriebsähnlichen Einrichtung" durch. Im Rahmen einer Neuordnung des Bereichs der Abwasserbeseitigung entschied sich die Stadt für eine Trennung zwischen Abwassersammlung und Abwasserreinigung (Kläranlage). Durch Gesellschaftsvertrag vom 11.08.1998 gründete die Stadt C die Kläranlagengesellschaft C mbH. Am Stammkapital der Gesellschaft ist die Stadt zu 100 % beteiligt. Gegenstand des Unternehmens ist nach dem Gesellschaftsvertrag die Errichtung und der Betrieb von Abwasserreinigungsanlagen. Erster Geschäftsführer der GmbH ist der Technische Beigeordnete der Stadt C.

Die Beigeladene zu 2) (Kläranlagengesellschaft) beantragte die Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 1) (kommunaler Unfallversicherungsträger). Dieser Antrag vom 28.04.1999 wurde an das beklagte Land zur Durchführung des Übernahmeverfahrens nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) weitergeleitet mit der Begründung, eine Übernahme der GmbH in die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 1) sei gerechtfertigt, da die Gesellschaft eine originäre Aufgabe der Kommune (Daseinsvorsorge) ausübe und nicht erwerbswirtschaftlich tätig sei.

Das beklagte Land gab nach Anhörung der Klägerin dem Antrag der Beigeladenen zu 2) mit Bescheid vom 24.06.1999 statt. Die Übernahmevoraussetzungen des § 129 Abs. 3 SGB VII lägen vor. Danach könne ein in selbständiger Rechtsform betriebenes Unternehmen in die Zuständigkeit des kommunalen Unfallversicherungsträgers übernommen werden, wenn unter anderem eine überwiegende Beteiligung der Gemeinde wie im Fall der Beigeladenen zu 2) vorliegt. Anhand der eingereichten Unterlagen sei eine gewinnorientierte Ausrichtung bzw. erwerbswirtschaftliche Betätigung des Unternehmens nicht festzustellen. Infolge des wirtschaftlichen Zusammenhangs und unter Berücksichtigung der organisatorischen Nähe des Unternehmens zur Stadt C, deren öffentliche Aufgabe der Abwasserreinigung die Beigeladene zu 2) wahrnehme, sei eine Einheitlichkeit der gesetzlichen Unfallversicherung bei einem gemeinsamen Träger sinnvoll. Gleichlautende Bescheide unter dem Datum vom 24.06.1999 gingen auch an die Klägerin und die Beigeladene zu 1).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage vom 23.07.1999 gegen die Übernahmeverfügung des beklagten Landes. Sie vertritt die Auffassung, es liege eine fehlerhafte Ermessensentscheidung vor. Die Beigeladene zu 2) sei erwerbswirtschaftlich tätig. Da die gesetzliche Möglichkeit der Übernahme eine Ausnahmeregelung vom sonstigen Ordnungssystem der gesetzlichen Unfallversicherung darstelle, seien sachgerechte Ermessenskriterien erforderlich. Maßgebend sei, welche Zuständigkeit am besten dem Wohl der Versicherten und dem Unternehmen diene. Es sei vom Grundsatz einer branchenbezogenen einheitlichen Prävention auszugehen. Dem widerspreche eine zersplitterte Zuständigkeit von bundesweit 21 kommunalen Unfallversicherungsträgern. Da zwischen privaten Versorgungs- und Entsorgungsunternehmen und denen der öffentlichen Hand keine betriebstechnischen und risikobedingten Unterschiede existierten, sei eine Gleichbehandlung im Sinne einheitlicher Zuständigkeit eines Unfallversicherungsträgers geboten. Auszugehen sei vom Verbot von Wettbewerbsvorteilen für Entsorgungsunternehmen der öffentlichen Hand durch günstigere Beiträge bei kommunalen Unfallversicherungsträgern.

Die öffentliche Hand nutze durch die Organisationsprivatisierung ihrer Aufgabenwahrnehmung Freiheiten der Privatwirtschaft und im Wege der "Rosinenpickerei" zusätzliche Vorteile des öffentlichen Rechts. Zulässig sei eine Übernahme in die Zuständigkeit eines kommunalen Unfallversicherungsträgers nur, wenn sie wettbewerbsneutral sei. Im Bereich der Abwasserentsorgung träten aber immer mehr private Anbieter auf. Es komme nicht darauf an, dass zur Zeit auf dem Gebiet der Stadt C keine Konkurrenzsituation bei der Abwasserentsorgung bestehe. Eine Wettbewerbssituation könne kurzfristig entstehen. Dies zeige die fortschreitende Liberalisierung des kommunalen Ver- und Entsorgungsbereichs. Der Gesetzgeber habe die zunehmende Konkurrenzsituation der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben gesehen und daher im Vergleich zur Vorgängervorschrift des § 657 Reichsversicherungsordnung (RVO) die entsprechende Bestimmung in § 129 Abs. 3 SGB VII inhaltlich eingeengt, indem eine Übernahme von erwerbswirtschaftlich betriebenen Unternehmen nicht erfolgen solle. Dass es auf die ausgeführte Aufgabe des kommunalen Unternehmens bei der Übernahmeentscheidung nicht ankomme, zeige die Gesetzesgeschichte. Der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vom Bundesrat unterbreitete Vorschlag, dass für die Zuständigkeit des kommunalen Unfallversicherungsträgers bei rechtlich selbständigen kommunalen Unternehmen die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben maßgebend sein solle, sei von der Bundesregierung ausdrücklich abgelehnt und nicht ins Gesetz übernommen worden.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 24.06.1999 aufzuheben. Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen, die Klage abzuweisen. Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.

Die Beklagte hält ihre Entscheidung für rechtmäßig. Es müssten erhebliche Gründe vorliegen, um ein Abweichen von der gesetzlich vorgegebenen fachlichen Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaft zu rechtfertigen. Sie habe als Ermessensgesichtspunkte berücksichtigt, durch welchen Unfallversicherungsträger die Wahrnehmung der Aufgaben fachlich am besten gewährleistet und durch welche Stelle die Betreuung organisatorisch am zweckmäßigsten sei. Es bestehe die Vermutung, dass die spezialisierte Fach-BG den Belangen der Unfallverhütung in der Regel am besten Rechnung tragen könne. Vorliegend sei aber von Bedeutung die starke personelle Verflechtung der Beigeladenen zu 2) mit der Gemeinde. Durch die organisatorische Nähe des Unternehmens zur Stadt werde die optimale Gefahrenprophylaxe durch den kommunalen Unfallversicherungsträger, die Beigeladene zu 1) gewährleistet. Der Gesetzgeber gebe zwar eine Einschränkung des Ermessens vor, indem keine Übernahme im Falle einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens erfolgen solle. Eine solche erwerbswirtschaftliche Tätigkeit liege nicht vor, da keine private Konkurrenz hinsichtlich des Geschäftsbereichs der Abwasserreinigung durch die Beigeladene zu 2) bestehe. Die Prüfung des erwerbswirtschaftlichen Betriebs sei bezogen auf das konkrete Unternehmen vorzunehmen.

Die Beigeladene zu 2) verneint eine eigene erwerbswirtschaftliche Betätigung, da keine gewinnorientierte Ausrichtung bestehe. Es sei zwar ein Wechsel der Gesellschaftsform von einem Eigenbetrieb der Stadt zur privat-rechtlichen GmbH durchgeführt worden, aber dadurch sei es nicht zum Wechsel der Aufgabenwahrnehmung gekommen. Sie erfülle eine Pflichtaufgabe der Kommune im Bereich der Daseinsvorsorge. Ihre Verwaltungsarbeiten würden durch das Personal der Stadt C erledigt. Für die Beurteilung der Erwerbswirtschaftlichkeit ihrer Tätigkeit müsse die konkrete örtliche Situation maßgebend sein. Ansonsten bestünde kein Anwendungsbereich der Regelung einer möglichen Übernahme nach § 129 Abs. 3 SGB VII. Alle von Kommunen privatisierten Aufgaben könnten auch von rein privatrechtlichen Unternehmen ausgeführt werden. Es könne daher eine Wettbewerbssituation zu einem privaten Anbieter entstehen. In der Stadt C existiere eine solche Wettbewerbssituation für den Bereich der Abwasserreinigung nicht.

Zur Darstellung des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat ihre Klage sachdienlich in eine Anfechtungsklage geändert. Dies entspricht ihrem Rechtsschutzziel. Sie wendet sich gegen die Übernahmeentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 24.06.1999. Dieser Bescheid beinhaltet einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt. Eine Übernahmeverfügung beendet einseitig die Zugehörigkeit eines Unternehmens zur Berufsgenossenschaft und begründet die Zugehörigkeit zum Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand (Ricke in Kass Komm § 125 RdNr 6 Kommentierung zur gleichlautenden Übernahmeregelung für den Bund). Gegen die Übernahmeerklärung kann eine unmittelbar in ihren katasterrechtlichen Belangen betroffene Berufsgenossenschaft, wie hier die Klägerin, Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht erheben (vgl BSG Urteil vom 29.1.1965, SGb 1966,184 zur sog. Bezeichnungsverfügung nach der früheren Regelung in § 657 Reichsversicherungsordnung - RVO). Die Aufhebung des die Übernahme regelnden Verwaltungsaktes stellt den zuvor bestehenden Rechtszustand wieder her. Es bleibt bei der gesetzlichen Zuständigkeit der Klägerin gemäß § 121 Abs 1 SGB VII als fachlich zuständiger Berufsgenossenschaft für den Gewerbezweig der Abwasserentsorgung. Die Klägerin verwirklicht ihr Rechtsschutzziel bereits mit der Anfechtungsklage.

Die Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch die Übernahmeverfügung der Beklagten beschwert im Sinne von § 54 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Bescheid ist rechtswidrig. Die Übernahmeentscheidung liegt im Ermessen der Beklagten. Die Entscheidung ist ermessensfehlerhaft (§ 54 Abs 2 S 2 SGG).

Nach § 121 SGB VII sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften für alle Unternehmen zuständig, soweit sich nicht aus einer anderen gesetzlichen Bestimmung des zweiten oder dritten Unterabschnitts des SGB VII eine Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft oder der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand ergibt. Im dritten Unterabschnitt bestimmt § 129 Abs 1 Nr 1 SGB VII, dass die Unfallversicherungsträger im kommunalen Bereich zuständig sind für Unternehmen der Gemeinden und Gemeindeverbände. Damit werden jedoch nur die rechtlich unselbständigen Unternehmen (Eigen- und Regiebetriebe) der Gemeinden erfasst (Heintzen, NZS 1999, 209, 210). Dies folgt aus der Bestimmung in § 129 Abs 3 SGB VII, nach der das Land ein Unternehmen, das in selbständiger Rechtsform betrieben wird, aus der Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft in die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers im kommunalen Bereich übernehmen kann. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung sind erfüllt. Nach § 129 Abs 3 S1 SGB VII muss die Gemeinde allein oder zusammen mit dem Land überwiegend an dem in selbständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen beteiligt sein oder auf seine Organe einen ausschlaggebenden Einfluss haben. Die Stadt C ist am Stammkapital der Beigeladenen zu 2) zu 100 % beteiligt.

Die Entscheidung über die Übernahme der Beigeladenen zu 2) in die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 1) ist ermessensfehlerhaft. Die gesetzliche Ermächtigung zur Ausübung von Ermessen hat grundsätzlich zur Folge, dass Entscheidungen mit unterschiedlichen Ergebnissen denkbar sind, die in gleicher Weise rechtmäßig sind. Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Diesem Anspruch wird die Entscheidung der Beklagten nicht gerecht. Die Entscheidung steht im Widerspruch zur ermessenseinschränkenden Vorgabe in § 129 Abs 3 S 2 SGB VII. Danach sollen Unternehmen, die erwerbswirtschaftlich betrieben werden, nicht übernommen werden. Auf der Grundlage einer Sollvorschrift, darf nur in begründeten Ausnahmefällen von der gesetzlich festgelegten Regel abgewichen werden (Kater/Leube, SGB VII, Kommentar 1997 § 125 RdNr 26; Graeff in Hauck Sozialgesetzbuch Gesamtkommentar, SGB VII, K § 125 Rn 20 d). Die Beklagte hätte prüfen müssen, ob ausnahmsweise besondere Gründe eine Übernahme rechtfertigen. Die ermessenslenkende Vorschrift über den Regelfall einer Ablehnung der Übernahme greift ein, da die Beigeladene zu 2) ein erwerbswirtschaftlich betriebenes Unternehmen iS von § 129 Abs 3 S 2 SGB VII ist.

Der erwerbswirtschaftliche Betrieb ist im SGB VII nicht definiert. Es existieren unterschiedliche Definitionen in den Rechtsgebieten des Kommunalrechts, Wirtschaftsrechts und des Steuerrechts. Mangels eines eindeutigen Inhalts bedarf es einer Auslegung dieses Begriffs. Bisher existiert keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals, das die Übernahme von Unternehmen des Bundes, der Länder und der Kommunen in den jeweiligen gesetzlichen Ermächtigungen (§§ 125 Abs 3 S 2, 128 Abs 4 S 2, 129 Abs 3 S 2 SGB VII) einschränkt. Für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften ist der in der Vorschrift zum Ausdruck kommende, objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt.

In der Literatur werden unterschiedliche Auffassungen zum Inhalt des Begriffs des erwerbswirtschaftlichen Betriebs eines Unternehmens einer Gebietskörperschaft vertreten. Überwiegend wird angenommen, dass eine erwerbswirtschaftliche Betätigung eine ausschließliche oder vorrangige Gewinnerzielungsabsicht voraussetzt (Graeff in Hauck, SGB VII, K § 125 Rn 20; Ricke in KassKomm, § 125 SGB VII Rn 7). Auch die Gesetzesbegründung zu Artikel 1 § 125 Abs 3 E-UVEG (BT-DS 13/2204 S.106) umschreibt den erwerbswirtschaftlichen Betrieb als vorrangig der Gewinnerzielung dienend. Die weitergehende, auch von der Klägerin vertretene Auffassung, versteht unter dem erwerbswirtschaftlichen Betrieb eines solchen Unternehmens, dass es in einen Wettbewerb zu privatwirtschaftlichen Unternehmen tritt oder treten kann. Dies treffe zu für alle Unternehmen und Einrichtungen, die auch von Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden können (so Heintzen, NZS 1999, 209,211; Kater/Leube, SGB VII, 1997 § 125 Rn 26). Maßgebendes Kriterium sei das Wettbewerbsverhältnis (Heintzen aaO). Die Kammer folgt der Ansicht, dass es für die Beurteilung des erwerbswirtschaftlichen Betriebs auf das (mögliche) Wettbewerbsverhältnis zu privaten Anbietern ankommt. Allerdings ist entscheidend, ob das kommunale Unternehmen nach seinem Unternehmensgegenstand in den Wettbewerb zu anderen mit Gewinnerzielungsabsicht betriebenen (privaten) Unternehmen tritt oder treten kann oder sich der Unternehmensgegenstand auf die Ausführung einer (hoheitlichen) Verwaltungstätigkeit beschränkt.

Die Unterscheidung einer Unternehmenstätigkeit nach einer vorrangigen Gewinnerzielungsabsicht ist zur Begriffsbestimmung nicht geeignet. Dieses Kriterium würde im kommunalen Bereich zu einer fehlenden Anwendbarkeit der Regelung des § 129 Abs 3 S 2 SGB VII führen. Eine wirtschaftliche Betätigung der Kommunen mit vorrangiger Gewinnerzielungsabsicht wäre nicht rechtmäßig, weil sie dem geltenden Kommunalwirtschaftsrecht widerspräche. Die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden ist grundsätzlich an ihren öffentlichen Zweck gebunden (BVerfGE 61, 82,107, vgl Hösch, DÖV 2000, 393, 404 f; Ehlers, DVBl 1998, 497 ff). Es existieren sechzehn unterschiedliche Gemeindeordnungen der Bundesländer mit abweichenden Bestimmungen zur rechtlichen Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen. Gemeinsam ist allen landesrechtlichen Kompetenznormen, dass die Kommunen nur zur Verfolgung öffentlicher Zwecke wirtschaftlich tätig werden dürfen (zB § 107 Abs 1 S 1 Nr 1 GO NW). Dabei muss das Unternehmen unmittelbar durch seine Leistung, nicht nur mittelbar durch seine Gewinne und Erträge dem Wohl der Gemeindebürger dienen. Rein erwerbswirtschaftlich-fiskalische Unternehmen sind den Gemeinden untersagt (BVerG aaO). Da die Auslegung dazu dient, der zu prüfenden Norm eine vernünftige, sinnvolle Bedeutung zu entnehmen (BVerfGE 21,271,281; BSGE 27,269,270), kann die vorrangige Gewinnerzielungsabsicht nicht zur Definition herangezogen werden. Ein kommunales Unternehmen könnte nach dem geltendem Recht nicht erwerbswirtschaftlich im Sinne der unfallversicherungsrechtlichen Übernahmeregelungen tätig sein, weil ein Betrieb mit vorrangiger Gewinnerzielungsabsicht nicht zulässig ist. Dieser Gesichtspunkt wird von den Vertretern einer solchen Umschreibung des Begriffsinhalts außer Acht gelassen.

Demnach ist der erwerbswirtschaftliche Betrieb eines Unternehmens einer Gebietskörperschaft, insbesondere einer Kommune, anders zu bestimmen. Entscheidend ist, ob neben der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe durch das Angebot weiterer Produkte oder Dienstleistungen zusätzliche Einnahmen im Wettbewerb zu anderen Anbietern erzielt werden könnten. Es ist unerheblich, ob der Unternehmensgegenstand auch die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, insbesondere solche der Daseinsvorsorge umfaßt. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeigt, dass eine allgemeine Unterscheidung nach der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nicht Grundlage einer Übernahmeentscheidung sein sollte. Eine vom Bundesrat angestrebte Änderung dahingehend, dass Unternehmen nur übernommen werden sollen, wenn die Beteiligung (zB der Kommune) der Erfüllung öffentlicher Aufgaben diene (vgl BT-DS 13/2333 S. 11), wurde nicht in den Gesetzestext aufgenommen, weil dies nach Auffassung der Bundesregierung eine zu weite Auslegung ermöglicht hätte (siehe Stellungnahme der Bundesregierung in BT-DS 13/2333 S. 22).

Die Kammer orientiert sich bei der Auslegung der unfallversicherungsrechtlichen Vorschrift an der ratio legis der gesetzlichen Ermächtigung zur Übernahme und der später eingeführten Einschränkung der Ermessensentscheidung. Die Einheitlichkeit der Unfallversicherung öffentlicher Unternehmen entsprach praktischen Bedürfnissen, damit die Gebietskörperschaften mit ihren Betrieben nicht Mitglied in einer Vielzahl von fachlich zuständigen Berufsgenossenschaften sein mußten (Waltermann SGb 2002, 585, 587). Die gesetzlich vorgesehene Zuständigkeit der gewerblichen Berufgenossenschaften wurde deshalb durchbrochen mit der Ermächtigung zur Änderung der Zuständigkeit durch eine behördliche Entscheidung. Durch das neu aufgenommene Unterscheidungskriterium des erwerbswirtschaftlichen Betriebs wird entsprechend dem Zweck der Ermächtigung sichergestellt, dass die organisatorische Nähe der Unternehmenstätigkeit zur Kommune noch den Zweck einer einheitlichen Unfallversicherung aus Praktikabilitätsgründen erfüllt. Ziel einer Veränderung der Rechtsform der Erfüllung kommunaler Aufgaben ist eine weitgehende organisatorische und personelle Selbständigkeit des kommunalen Unternehmens zur Effizienzsteigerung und Kostenminimierung. Soweit durch Veränderung des Tätigkeitsfeldes die organisatorische Nähe zur Kommune nicht mehr besteht, entfällt der wesentliche Grund einer gebotenen Einheitlichkeit der Unfallversicherung. Ein erwerbswirtschaftlicher Unternehmensbetrieb indiziert die fehlende organisatorische Nähe zur Gebietskörperschaft.

Die Zulässigkeit einer Übernahme sollte durch die Änderung der gesetzlichen Ermächtigung eingeschränkt werden. Die gesetzliche Regelung über die Voraussetzungen einer Übernahme der in selbständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen in die Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand wurde durch das Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UNVG) vom 7.8.1996 (BGBl. I, S. 1254) nicht unwesentlich geändert (vgl Waltermann SGb 2002, 585,588). Nach der bis zum Inkrafttreten des SGB VII geltenden Rechtslage war allein aufgrund der überwiegenden Beteiligung der Kommune bzw des ausschlaggebenden Einflusses auf die Organe des Unternehmens durch einen Verwaltungsakt die Änderung der gesetzlichen Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger möglich. Nach der Gesetzesbegründung zur Neufassung (vgl BT-DS 13/2204 S.105 u. 107) sollte die nach der RVO weitgefasste Ermächtigung zur Veränderung der Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers eingeschränkt werden, weil dies infolge günstiger Beiträge zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen erwerbswirtschaftlich betriebenen Unternehmen beitrage. Dem kommunalen Unternehmen sollten demnach durch eine staatliche Übernahmeentscheidung keine Wettbewerbsvorteile verschafft werden, wenn es als Wettbewerber am Markt auftritt bzw auftreten kann. Dem gesetzlichen Prinzip, das nach Gewerbezweigen zusammengefasste Risiko- und Beitragsgemeinschaften bei einer Berufsgenossenschaft gebildet werden, wird damit der Vorrang eingeräumt gegenüber einer durch Verwaltungsakt festzulegenden Zuständigkeit eines anderen Unfallversicherungsträgers. Die Übernahme ist die Ausnahme von der grundsätzlich gewerbezweigbezogenen gesetzlich festgelegten Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger (vgl Ricke in SGb 2003, 272, 273; Graeff aaO § 125 Rn 19; aA Waltermann in SGb 2002, 585, 587). Die Gesetzesbegründung betont ausdrücklich den Ausnahmecharakter der gesetzlichen Ermächtigung zur Übernahme (vgl BT-DS 13/2204 S.105).

Ein erwerbswirtschaftlicher Betrieb ist anzunehmen, wenn der Wettbewerb von der Kommune ausgeht bzw ausgehen kann. Die abstrakte Möglichkeit eines Wettbewerbsverhältnisses zu einem privaten Anbieter ist kein bestimmbares Merkmal zur Abgrenzung eines nichterwerbswirtschaftlichen Betriebs, weil unter den heutigen rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten fast jede zuvor hoheitliche Tätigkeit von Privaten erbracht werden könnte. Insbesondere der Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts hat zum Abbau früherer staatlicher, auch kommunaler Monopole geführt. Durch die Öffnung klassischer kommunaler Betätigungsfelder (Energie, Infrastruktur, Ver- und Entsorgung) begann eine zunehmende Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Betreibt eine Kommune ihre Aufgabenerfüllung zwar in selbständiger Rechtsform aber inhaltlich unverändert, bleibt es bei der maßgeblichen Nähe zur kommunalen Verwaltung, die eine Abweichung vom Prinzip der fachlich gegliederten Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers zuläßt. Die Ansicht der Klägerin, dass bereits eine örtlich nicht eingetretene aber grundsätzlich denkbare private Konkurrenz genügt, um eine Wettbewerbssituation zu begründen und damit einen erwerbswirtschaftlichen Unternehmensbetrieb zu bejahen, ist zu weitgehend. Es bliebe kein Anwendungsbereich für die gesetzliche Ermächtigung zur Übernahme, wenn bereits jede abstrakt mögliche Wettbewerbssituation ausreichte, um einen erwerbswirtschaftlichen Betrieb eines kommunalen Unternehmens anzunehmen.

Nach Auffassung der Kammer kommt es auch nicht darauf an, ob sich ein privates Unternehmen entschließt, die vom kommunalen Unternehmen ausgeführte Aufgabe in dem Gemeindegebiet ebenfalls anzubieten. Entscheidend ist der Wille der Kommune, sich in ein Wettbewerbsverhältnis zu begeben. Eröffnet sich die Kommune anlässlich der organisatorischen Verselbständigung ihrer Aufgabenwahrnehmung die rechtliche Möglichkeit, selbst in den Wettbewerb mit anderen Anbietern zu treten, wird die organisatorische Nähe zur Kommunalverwaltung gelöst. Es liegt in der Hand der Kommune, den Unternehmenszweck zB durch Anstaltssatzung oder Gesellschaftsvertrag so festzulegen, dass eine Tätigkeit außerhalb des kommunalen Aufgabenbereichs und außerhalb der Gemeindegrenzen nicht statthaft ist. Wird die rechtliche Gestaltungsmöglichkeit beim selbständigen Unternehmen dahingehend genutzt, die Möglichkeit einer Betätigung im Wettbewerb zu eröffnen, ist bei der Übernahmeentscheidung zu prüfen, ob trotz des zulässigen Eintritts in den Wettbewerb mit privaten Unternehmen (erwerbswirtschaftlicher Betrieb) ausnahmsweise besondere Gründe für eine Zuständigkeit des kommunalen Unfallversicherungsträgers sprechen.

Ob das Unternehmen als Wettbewerber am Markt auftreten kann, richtet sich nach den Handlungsmöglichkeiten, die die Kommune dem Unternehmen rechtlich einräumt. Der Gestaltungsspielraum wird von der Wahl der Rechtsform und dem festgelegten Unternehmensgegenstand bestimmt. Nicht die Wahl einer neuen Rechtsform begründet eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der Kommune, sondern erst die - mögliche - Veränderung und Erweiterung des Tätigkeitsfeldes. Auch kommunale (Pflicht-)Aufgaben können von Kommunen in einem Wettbewerbsverhältnis am Markt angeboten werden, wenn das Angebot über das örtliche Gemeindegebiet hinausgeht oder zusätzliche (Dienst)Leistungen erbracht werden (zB Energieversorgungsunternehmen bietet auch Installation und Wartung der Anlagen an vgl Beispiele bei Ehlers DVBl 1998, 497, 498). Ist der Unternehmenszweck des rechtlich selbständigen Kommunalunternehmens auf die Wahrnehmung der verfassungsrechtlich (Artikel 28 Abs 2 Grundgesetz - GG) und gesetzlich vorgegebenen kommunalen Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft beschränkt, besteht kein erwerbswirtschaftlicher Betrieb im Sinne von § 129 Abs 3 S 2 SGB VII. Die Wirtschaftstätigkeit erfolgt zur Erfüllung einer gesetzlich festgelegten Aufgabe und somit in Ausübung einer zugewiesenen Kompetenz (Brohm, NJW 1994, 281, 282). Die Kommune tritt nicht wie ein privater Anbieter auf dem Wirtschaftsmarkt auf, sondern übt eine Verwaltungstätigkeit in selbständiger Rechtsform aus. Sie ist zur Wahrnehmung einer Vielzahl von örtlichen Aufgaben verpflichtet, hat aber die Wahl der Organisationsform. Erst bei der Erschließung weiterer Geschäftsfelder oder einer Betätigung außerhalb des örtlichen Wirkungskreises, wird die Kommune erwerbswirtschaftlich tätig. Dadurch, dass ein privates Unternehmen die gleiche Leistung anbietet oder anbieten könnte, wird eine Verwaltungstätigkeit der Kommune nicht erwerbswirtschaftlich betrieben. Erst bei Überschreitung ihrer eigentlichen Verwaltungskompetenz zB durch eine mögliche Überschreitung des örtlichen Gemeindegebiets bei ihrer Tätigkeit, erfolgt die Aufgabenwahrnehmung der Kommune erwerbswirtschaftlich.

Nach dem Gesellschaftsvertrag vom 11.08.1998 ist Gegenstand der Beigeladenen zu 2) die Errichtung und der Betrieb von Abwasserreinigungsanlagen. Der Unternehmensgegenstand ist nicht auf die Wahrnehmung kommunaler Aufgaben im Gebiet der Stadt C beschränkt. Die Beigeladene hat die rechtliche Möglichkeit, ihre Leistungen überregional im Wettbewerb zu anderen privaten Unternehmen anzubieten und so zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Durch diesen unbeschränkten Unternehmensgegenstand ist der Betrieb des in privater Rechtsform errichteten Kommunalunternehmens als erwerbswirtschaftlich anzusehen. Es kommt nicht darauf an, ob zur Zeit außerhalb des Gemeindegebiets Leistungen angeboten werden. Dabei handelt es sich um eine unternehmerische Entscheidung, die jederzeit getroffen werden könnte. Die Bestimmung der Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers hat auf der Grundlage des rechtlichen Gestaltungsrahmens des Kommunalunternehmens zu erfolgen. Mit dem gesellschaftsrechtlich umschriebenen Unternehmensgegenstand wird Art und Umfang des Unternehmens festgelegt. Daran hat sich die Behörde zu orientieren, die eine Entscheidung über den zuständigen Unfallversicherungsträger trifft. Es widerspräche der Rechtssicherheit und dem Ziel einer effektiven Prävention, wenn die jeweiligen unternehmerischen Entscheidungen zu einer unterschiedlichen Beurteilung des erwerbswirtschaftlichen Betriebs und damit zu einer Änderung des zuständigen Unfallversicherungsträgers führen könnten. Es reicht für die Annahme des erwerbswirtschaftlichen Betriebs eines in privater Rechtsform betriebenen kommunalen Unternehmens daher aus, dass es sich aufgrund privatautonomer Gestaltungsmöglichkeiten in den Wettbewerb zu anderen Marktteilnehmern begeben kann. Dies unterscheidet den vorliegenden Rechtsstreit von der Fallgestaltung des von der Kammer anders entschiedenen Klageverfahrens S 3 U 57/01.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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