S 2 KA 360/04 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 360/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Vertretung seiner Person in seiner Vertragszahnarztpraxis durch (RO) T zu genehmigen.

Diese Verpflichtung wird befristet bis zum 04.02.2005. Sollte der Entzug der Approbation des Antragstellers zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig werden, endet die Genehmigung in diesem Augenblick.

Die Verpflichtung steht zudem unter dem Vorbehalt, dass (RO) T die persönlichen Anforderungen an einen Vertreter gemäß § 32 Abs. 1 Satz 5 der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte erfüllt.

Im übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Streitig ist die Genehmigung einer Vertreterin.

Der Antragsteller ist als Zahnarzt in E1 niedergelassen. Mit Bescheid vom 08.09.2004 ordnete die Bezirksregierung Düsseldorf im Hinblick auf ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft X - 00Js 000/00 - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung das Ruhen der Approbation des Antragstellers als Zahnarzt an. Einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs hiergegen lehnte das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 30.09.2004 - 00 L 0000/00 - ab. Über eine hiergegen zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen gerichtete Beschwerde ist gegenwärtig noch nicht entschieden. Unter dem 03.11.2004 genehmigte die Zahnärztekammer Nordrhein gemäß § 12 Abs. 5 Satz 2 ihrer Berufsordnung (O) dem Antragsteller die Vertretung durch Frau (H) O und Frau.( RO) T bis zum 04.02.2005, längstenfalls jedoch bis zu einem ggf. festgestellten rechtskräftigen Entzug der Approbation.

Der Zulassungsausschuss-Zahnärzte entzog dem Antragsteller mit Beschluss vom 15.03.2004 die Zulassung zur Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung. Nach Information des Antragstellers wurde sein hiergegen erhobener Widerspruch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsausschuss-Zahnärzte am 00.00.0000 zurückgewiesen. Ein Sofortvollzug der Zulassungsentziehung wurde dabei - soweit ersichtlich - nicht verfügt.

Einen Antrag des Antragstellers vom 10.11.2004 auf Genehmigung der Beschäftigung der Zahnärztin (RO) T als Vertreterin in seiner Praxis lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 17.11.2004 ab: Durch das von der Bezirksregierung Düsseldorf angeordnete Ruhen seiner Approbation mit Sofortvollzug dieser Anordnung sei der Antragsteller nicht berechtigt, weiterhin als Zahnarzt tätig zu sein. Das Ruhen der Approbation bewirke u.a., dass der Status als Vertragszahnarzt ebenfalls ruhe, auch wenn die Zulassung formalrechtlich noch weiterbestehe. Von daher sei der Antragsteller nicht berechtigt, zumindest im vertragszahnärztlichen Bereich sich in seiner Praxis vertreten zu lassen. Daran ändere auch nichts die seitens der Bezirksregierung erteilte Erlaubnis zur Weiterführung der Praxis, da diese Erlaubnis nicht auf den vertragszahnärztlichen Bereich abzielen könne und von daher nicht eine Genehmigung seitens der Antragsgegnerin ersetze. Gleiches gelte im Zusammenhang mit der seitens der Zahnärztekammer Nordrhein erteilten Genehmigung betreffend Frau T, da diese nicht den vertragszahnärztlichen Bereich umfasse.

Am 00.00.0000 hat der Antragsteller bei Gericht um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht.

Er trägt vor, ohne eine Vertretung würden irreparable, wesentliche Tatsachen geschaffen. Die Praxis, von deren Erträgen er allein seine Familie versorge, müsste geschlossen werden. Seine Patienten müssten sich in andere zahnärztliche Behandlung begeben und würden diesen Arztwechsel nach der Lebenserfahrung nicht ohne besondere Gründe wieder rückgängig machen, selbst wenn er - was utopisch anmute - erneut selbst tätig werden würde.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Vertretung seiner Person in seiner Zahnarztpraxis durch Frau T zu genehmigen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie sieht weder Anordnungsgrund noch -anspruch.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen nimmt die Kammer Bezug auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin.

II.

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war im tenorierten Umfang stattzugeben.

Rechtsgrundlage für die begehrte einstweilige Anordnung ist § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Hiernach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Durch das am 02.01.2002 in Kraft getretene 6. SGG-Änderungsgesetz (BGBl. I, 2144 ff.) ist der einstweilige Rechtsschutz im SGG in Anlehnung an §§ 80 ff. VwGO geregelt worden. Dies rechtfertigt es, die zu §§ 80, 80a, 123 VwGO entwickelten Grundsätze auf das sozialgerichtliche Verfahren zu übertragen (LSG, Beschluss vom 23.08.2002 - L 10 B 12/02 KA ER -; vgl. auch Meyer/Ladewig, SGG, 7. Auflage, 2002, § 86b Rdnr. 14; Düring, in: Jansen (Hrsg.), SGG, Kommentar, Freiburg/Berlin 2003, § 86b Rdnr. 9). Danach entspricht es einer verfassungsrechtlich unbedenklichen verwaltungsgerichtlichen Praxis, die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes davon abhängig zu machen, dass der Antragsteiler einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht (BVerfGE 79, 69, 74). Droht dem Antragsteller sonach bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem ausnahmsweise überwiegende und besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfGE 93, 1 ff). Andererseits sind die Gerichte angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nötigenfalls gehalten, Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung zu treffen (BVerfG NJW 1997, 479, 480; LSG NRW, Beschlüsse vom 17.04.2002 - L 11 KA 37/02 ER -, vom 16.04.2003 - L 10 B 2102 KA ER -).

Bei dieser Interessenabwägung lässt sich die Kammer von folgenden Erwägungen leiten:

Der Antragsteller besitzt gegenwärtig weiterhin den Status eines zugelassenen Vertragszahnarztes. Die vertragszahnarztrechtlichen Regelungen über eine Vertretung enthält § 32 der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV). Nach Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift kann sich der Vertragszahnarzt bei Krankheit, Urlaub, Teilnahme an zahnärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung innerhalb von 12 Monaten bis zur Dauer von drei Monaten vertreten lassen. Hierbei bedarf er keiner Genehmigung; es ist lediglich eine Vertretung von einer längeren Dauer als einer Woche der Antragsgegnerin mitzuteilen (Satz 4). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vertretungsbestimmung liegen bei der Anordnung des Ruhens der Approbation jedoch nicht vor.

Nichts Anderes gilt für die Regelung nach § 32 Abs. 2 Satz 2 Zahnärzte-ZV. Danach darf der Vertragszahnarzt im übrigen aus Gründen der Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung einen Vertreter nur mit vorheriger Genehmigung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung beschäftigen. Dass die Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung durch Abwanderung seiner Patienten in andere Vertragszahnarztpraxen gefährdet sein könnte, hat der Antragsteller weder substantiiert vorgetragen noch ist dies von Amts wegen ersichtlich.

Der Umstand, dass dem Antragsteller durch die Zahnärztekammer Nordrhein berufsrechtlich die Vertretung durch Frau (RO) T genehmigt worden ist, entfaltet für eine vertragszahnarztrechtliche Vertretung keine Bedeutung. Zwar wird in der Literatur die Auffassung vertreten, ruhe die Approbation eines Vertragsarztes und erlaube die zuständige Behörde (berufsrechtlich) gemäß § 6 Abs. 4 der Bundesärzteordnung (BÄO) die Beschäftigung eines Vertreters, komme eine solche auch im vertragsärztlichen Bereich in Betracht (Schallen, Zulassungsverordnungen, 4. Aufl. 2004, § 32 Rdnr. 729). Einer vertieften Auseinandersetzung mit dieser Erwägung bedarf es jedoch nicht, weil die Parallelvorschrift des § 5 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) eine solche Vertretungsregelung nicht enthält.

Eine durch die Rechtsprechung zu schließende Regelungslücke liegt in der berufsrechtlich fehlenden gesetzlichen Vertretungsmöglichkeit bei Ruhen der Approbation eines Zahnarztes nicht. Gerichte sind zur Ausfüllung einer Gesetzeslücke nur berufen, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es die Regelung der Rechtsprechung überlassen wollte oder das Schweigen auf einem Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (BSG, Urteil vom 16.02.2002 - B 9 VG 1/01 R - m.w.N.). Daran fehlt es. Es handelt sich nicht um eine planwidrige Lücke. Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der von ihm erlassenen BÄO das ZHG mehrfach geändert (z.B. BGBl. 1983 I, 187; BGBl. 1987 I, 1226; zuletzt BGBl. 2004 I, 1776) und hierbei ausdrücklich auch die Vorschrift des § 5 ZHG in die Änderungen einbezogen (zuletzt in BGBl. 2004 I, 1776), ohne in diese eine dem § 6 Abs. 4 BÄO entsprechende Bestimmung aufzunehmen. Bei summarischer Prüfung muss die Kammer nach derzeitigem Erkenntnisstand daher annehmen, dass der Gesetzgeber im Falle des Ruhens der Approbation eines Zahnarztes bewusst von einer Vertretungsmöglichkeit abgesehen hat. Daraus folgt jedenfalls, dass die allein auf satzungsrechtlicher Grundlage (§ 12 Abs. 5 Satz 2 BO der Zahnärztekammer Nordrhein) beruhende berufsrechtliche Gestattung der Vertretung eines Zahnarztes bei Ruhen seiner Approbation eine Erweiterung der vertragszahnarztrechtlichen Vertretungsmöglichkeiten nach der bundesrechtlichen Vorschrift des § 32 Abs. 1, 2 Zahnärzte-ZV (zum Rang der Zulassungsverordnungen als formelles Bundesgesetz vgl. BSGE 91, 164 ff.) nicht herbeiführen kann.

Gleichwohl kann nach Auffassung der Kammer der in § 12 Abs. 5 Satz 2 BO der Zahnärztekammer Nordrhein zum Ausdruck kommende grundrechtliche Schutz des Eigentums eines Zahnarztes an seiner Praxis (Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)) auch vertragszahnarztrechtlich nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Angesichts des Umstandes, dass rund 90 % der Bevölkerung gesetzlich krankenversichert sind, muss nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass das Eigentum des Antragstellers an seiner Praxis durch eine sofortige Einstellung der Behandlung von Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig beeinträchtigt würde. Zwar heben die Vertretungsregelungen des § 32 Abs. 1, 2 Zahnärzte-ZV allein auf den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung ab und stellen damit lediglich Berufsausübungsregelungen im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG dar (vgl. BSGE 81, 143; BSG, Urteil vom 30.06.2004 - B 6 KA 11/04 R -). Diese schließen hier in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise eine Vertretungsmöglichkeit bei Ruhen der Approbation des Zahnarztes aus. Jedoch wird dem Schutz des Eigentums an einer Praxis vertragszahnarztrechtlich nach der Verwaltungspraxis der Zuassungsgremien auch im Bereich der Antragsgegnerin z.B. dadurch Rechnung getragen, dass die Praxis eines verstorbenen Vertragszahnarztes zugunsten der unterhaltsberechtigten Angehörigen durch einen Vertreter während eines "Gnadenquartals" weitergeführt werden kann. In sinngemäßer Anwendung dieser Verwaltungsübung hält es die Kammer für gerechtfertigt, dem Antragsteller die Abwicklung seines vertragszahnärztlichen Praxisbetriebes dadurch zu ermöglichen, dass die Antragsgegnerin ihm die vertretungsweise Fortführung seiner Vertragszahnarztpraxis für einen gewissen Übergangszeitraum zu gestatten hat. Als äußerste Grenze sieht die Kammer hierbei den 04.02.2005 an; nur bis zu diesem Zeitpunkt ist der Antragsteller berufsrechtlich berechtigt, einen Vertreter zu beschäftigen. Sollte der Entzug seiner Approbation zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig werden, endet die Genehmigung in diesem Augenblick, da der Antragsteller dann bereits berufsrechtlich weder befugt ist, den zahnärztlichen Beruf selbst auszuüben, noch die Praxis durch einen Vertreter fortzuführen.

Da der Antragsteller die Genehmigung seiner Vertretung ohne zeitliche Befristung beantragt hat und somit von einem zeitlich unbegrenzten Vertretungsbegehren auszugehen ist, hat die Kammer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im übrigen zurückgewiesen.

Die Kammer hat im Rahmen der lediglich summarischen Bewertung nicht zu prüfen vermocht, ob Frau (RO) T die persönlichen Anforderungen an einen Vertreter gemäß § 32 Abs. 1 Satz 5 Zahnärzte-ZV erfüllt. Da der Antragsteller jedoch vorgetragen hat, mit dieser Zahnärztin zum 01.01.2005 eine Gemeinschaftspraxis gründen zu wollen und hierbei die notwendigen vertragszahnarztrechtlichen Anträge gestellt zu haben, geht die Kammer davon aus, dass die persönlichen Eigenschaften der Vertreterin erfüllt sind. Vorsorglich hat die Kammer jedoch die Verpflichtung der Antragsgegnerin unter einen entsprechenden Vorbehalt gestellt.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 183 SGG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG sowie § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 5, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller danach selbst zu tragen. In § 155 Abs. 5 VwGO hat der Gesetzgeber den zivilprozessualen Grundsatz, von einem Beteiligten schuldhaft verursachte Kosten seien unabhängig von dem Ausgang des Verfahrens von diesem zu tragen, in eine Generalklausel aufgenommen, die bei jeder Kostenentscheidung zu berücksichtigen ist und insoweit den starren Rahmen der Kostenverteilung sprengt. Dem Gericht wird hierdurch die Möglichkeit gegeben, für die Kostenentscheidung auch das prozessuale und ggf. auch das vorprozessuale Verhalten der Beteiligten zu würdigen (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, § 155 Rdnr. 5). Wenn ein Vertragszahnarzt aufgrund verdichteter staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen und eigenem Eingeständnis den Anschein erweckt, durch vertragswidrige Abrechnung fortgesetzt einen Betrug begangen zu haben, begründet dies ein entsprechendes Verschulden, so dass er die Kosten eines gerichtlichen Verfahrens, in dem um den Erhalt seiner Praxis gestritten wird, selbst zu tragen hat (vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 26.02.1992 - L 11 S(Ka) 3/92 -).
Rechtskraft
Aus
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