S 41 KR 287/01 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
41
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 41 KR 287/01 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Vollzug der Bescheide vom 20.08.2001 und 03.09.2001 wird ganz ausgesetzt. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerin die hälftige Verrechnung des dem Antragsteller zustehenden Krankengeldes zugunsten des Landesarbeitsamtes X einstweilen auszusetzen hat.

Der Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Er war zuletzt als Baggerfahrer abhängig beschäftigt und ist seit dem 23.10.2000 arbeitsunfähig. Er bezog ab dem 10.11.2000 Krankengeld in Höhe von täglich 61,75 DM netto. Vorher bezog der Antragsteller vom 01.03.2000 bis 30.06.2000 Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 27.07.2000 hob das Arbeitsamt A die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 01.03.2000 ganz auf und forderte vom Antragsteller Erstattung. Denn dieser stehe bereits seit dem 01.03.2000 in einein Beschäftigungsverhältnis.

Mit am 20.08.2001 eingegangenem Schreiben ermächtigte das Landesarbeitsamt X die Antragsgegenerin zur Verrechnung gegenüber dem Antragsteller. Die offene Forderung aus dem für März bis Juni 2000 überzahlten Arbeitslosengeld einschließlich Gebühren und Kosten belaufe sich auf 6870,26 DM.

Mit Bescheid vom selben Tage teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, sie werde von seinem Krankengeld 30,88 DM kalendertäglich zugunsten des Landesarbeitsamtes X einbehalten. Sollte der Antragsteller durch diese Verrechnung hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt werden, bitte man den Antragsteller um Vorlage einer Bescheinigung seines örtlich zuständigen Sozialamts über die Höhe seines fiktiven Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt.

Hiernach werde von ihr, der Antragsgegnerin, geprüft, ob dem Antragsteller mehr als 50 % vom Krankengeld ausgezahlt werden könne.

Der Antragsteller legte fristgerecht Widerspruch ein. Er meinte, zum einen bestehe der Erstattungsanspruch des Landesarbeitsamtes nicht in der geltend gemachten Höhe. Denn er sei im März 2000 noch arbeitslos gewesen. Im übrigen sei er seiner Frau sowie seinen beiden 1983 und 1984 geborenen Kindern gegenüber unterhaltspflichtig, so dass ein pfändbarer Betrag nach § 850 c der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht gegeben sei.

Die Antragsgegnerin hielt mit Bescheid vom 03.09.2001 an ihrer Rechtsauffassung fest. Sie meint, die Beibringung einer Bescheinigung des örtlichen Sozialamtes liege im Ermessen des Antragstellers.

Auch diesem Bescheid widersprach der Antragsteller. Er meint, über § 51 Abs. 1 in Verbindung mit § 54 Abs. 4 1. Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gälten die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO. Hiernach ergebe sich aber kein pfändbarer und damit auch kein aufrechenbarer oder verrechenbarer Betrag. Von daher sei die Verrechnung rechtswidrig.

Demgegenüber trug die Antragsgegnerin vor, § 54 SGB I gelte schon deshalb nicht, weil ihr von der Arbeitsverwaltung kein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vorliege. Vielmehr sei § 51 Abs. 2 SGB I anwendbar. Der hiernach nötige Hilfebedarf nach BSHG sei vom Antragsteller aber nicht nachgewiesen worden.

Zu Az. S 41 KR 286/01 hat der Antragsteller am 10.09.2001 Klage erhoben. Mit dieser wendet er sich gegen die Verrechnung.

Am selben Tag hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Antragsteller bleibt bei seiner Auffassung, es gälten die Pfändungsfreigrenzen gemäß § 850 c ZPO, so dass kein zu verrechnender Betrag verbleibe. Im übrigen könne das Verrechnungsersuchen des Landesarbeitsamtes nicht dazu führen, dass sein Pfändungsschutz ausgehebelt werde. Denn dies würde die Unterhaltsgläubiger des Antragstellers unzumutbar benachteiligen und sei daher verfassungswidrig.

Der Antragsteller beantragt, im Wege der einstweiligen Verfügung zu beschließen:

Die Antragsgegnerin wird angewiesen, bis zur Entscheidung in der Hauptsache das Verrechnungsersuchen des Landesarbeitsamtes X gegenüber dem Krankengeldanspruch des Antragstellers unter Berücksichtigung der Vorschriften der §§ 51 Abs. 1, 52, 54 Abs. 4 SGB I in Verbindung mit § 850 c ZPO unter Berücksichtigung von zwei Kinderfreibeträgen zu bearbeiten und den sich hieraus ergebenden Krankengeldanspruch ihm, dem Antragsteller, auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Sie hält ihre Rechtsauffassung weiterhin für richtig. Es gelte § 51 Abs. 2 SGB I. Diese Vorschrift aber verweise nicht auf §§ 54 Abs. 4 SGB I, 850 c ZPO. Schwere und unzumutbare Nachteile könne der Antragsteller im übrigen vermeiden, wenn er eine Bescheinigung des örtlichen Sozialhilfeträgers vorlege.

II.

Der gestellte Antrag ist als Antrag auf einstweilige Aussetzung des Vollzugs der Bescheide vom 20.08.2001 und 03.09.2001 auszulegen. Denn aus der Antragsbegründung ergibt sich, dass materiell die weitere Auszahlung des Krankengeldes in voller Höhe begehrt wird. Dieses Begehren kann der Antragsteller aber nur mit einem Antrag nach § 97 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erreichen.

§ 97 Abs. 2 Satz 1 SGG ist auf den vorliegenden Fall anwendbar.

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag des Klägers nach Anhörung der Beklagten anordnen, dass der Vollzug des Verwaltungsaktes einstweilen ganz oder teilweise ausgesetzt wird, wenn mit dem angefochtenen Verwaltungsakt eine laufende Leistung herabgesetzt oder entzogen wird. Denn mit den angefochtenen Verrechnungsbescheiden wird das Krankengeld als laufende Leistung auf die Hälfte herabgesetzt.

Der zulässige Antrag ist auch begründet. Das Gericht hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob es den Vollzug aussetzt. Im Rahmen dieser Entscheidung sind die Interessen von Antragsteller und Antragsgegnerin gegeneinander abzuwägen. Der Vollzug ist auszusetzen, wenn die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Das wiederum ist zu bejahen, wenn sich im Rahmen summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte ergeben (Zeihe, Kommentar zum SGG, Ziffer 17 a zu § 97 SGG, Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Auflage, Rn. 13 c und 13 d zu § 97 SGG).

Da an der Rechtmäßigkeit der Verrechnungsbescheid vom 20.08.2001 und 03.09.2001 ernstliche Zweifel bestehen, war in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens auszusetzen.

Als Ermächtigungsgrundlage für die angefochtene Verrechnung kommt allein § 52 SGB I in Betracht. Auch ist der Antragsgegnerin darin beizupflichten, dass § 51 Abs. 2 SGB I anwendbar ist. Diese Vorschrift bestimmt: "Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger Gegenansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leiitungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird".

Denn die "zu Unrecht erbrachte Sozialleistung" ist das Arbeitslosengeld, die "laufende Geldleistung" das Krankengeld. Von daher sind auch - entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers - die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO nicht maßgeblich. Denn § 51 Abs. 2 SGB I verweist gerade nicht auf § 54 Abs. 4 SGB I.

Vielmehr ist entscheidungserheblich, ob der Antragsteller durch die Verrechnung hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird (§ 51 Abs. 2 Halbsatz 2 SGB I). Dies aber hätte die Antragsgegnerin - entgegen ihrer Rechtsauffassung - eigenständig prüfen müssen. Dass die Antragsgegnerin insoweit eine Prüfung unterlassen hat, begründet demnach ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Verrechnungsbescheide. Angesichts dessen, dass der Antragsteller nach der Verrechnung nur noch 926,10 DM monatlich zur Verfügung hat und - jedenfalls nach eigenem Vortrag - drei Personen gegenüber unterhaltspflichtig ist, besteht auch zumindest die gute Möglichkeit, daß die Verrechnung zu einer Sozialhilfebedürftigkeit des Antragstellers führt.

Auch kann sich die Antragsgegnerin nicht darauf zurückziehen, daß der Antragsteller trotz entsprechender Aufforderungen keine Bescheinigung seines örtlich zuständigen Sozialamtes zum Hilfebedarf nach BSHG vorgelegt hat. Denn eine Verpflichtung, das Sozialamt wegen einer solchen Bescheinigung aufzusuchen, bedarf der gesetzlichen Grundlage. Eine solche Grundlage ist jedoch nicht existent. Auch spielt es keine Rolle, ob der Leistungsberechtigte tatsächlich Sozialhilfe beantragt hat oder bezieht. Denn solches ist dem Wortlaut des § 51 Abs. 2 Halbsatz 2 SGB I nicht zu entnehmen. Vielmehr hat die Antragsgegnerin nach Maßgabe des Sozialhilferechts zu prüfen, ob als Folge der Verrechnung Hilfsbedürftigkeit eintritt (BSG, Urteil vom 09.11.1989, Az.: 11 RAr 7/89).
Rechtskraft
Aus
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