S 5 R 2625/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 R 2625/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 332,97 EUR zu erstatten. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Der Streitwert wird auf 332,97 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen weiteren Erstattungsanspruch i. H. v. 332,97 EUR gegen die Beklagte hat. Die Klägerin hat dem Beigeladenen seit dem 01.10.2011 ergänzend zu seiner Rente wegen Erwerbsminderung Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII erbracht. Von seiner Ehefrau lebte der Beigeladene seit 2009 getrennt. Die Ehefrau verstarb am 24.04.2014. Er bezieht seit dem 24.04.2014 große Witwerrente.

Die Beklagte unterrichtete die Klägerin durch Schreiben vom 25.07.2014 zur Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs über die dem Kläger zustehenden Rentenbeträge seit dem 24.04.2014 und forderte die Klägerin auf, den Erstattungsanspruch getrennt nach Monaten zu beziffern. Dabei wies sie darauf hin, dass ein Erstattungsanspruch im Sterbevierteljahr lediglich auf den Betrag der nach Ablauf des Sterbevierteljahres zu zahlenden Renten zu beziffern sei.

Mit Schreiben vom 08.08.2014 begehrte die Klägerin die Erstattung i.H.v. 987,94 EUR und machte geltend, dass die Witwenrente auch im Sterbevierteljahr keine gemäß § 83 Abs. 1 SGB XII anrechnungsfreie zweckbestimmte Leistung sei. Lediglich ein abstrakt-genereller Zweck liege dem Sterbevierteljahrbonus zugrunde, was für eine Zweckbestimmung gemäß § 83 SGB XII nicht ausreichend sei. Erforderlich sei ein konkret-individueller Zweck, der bei der Witwenrente im Sterbevierteljahr nicht gegeben wäre.

Die Beklagte überwies der Klägerin zur Befriedigung des erhobenen Erstattungsanspruchs aus der Nachzahlung der Witwerrente für den Beigeladenen einen Betrag i.H.v. 665,01 EUR. Zur Begründung führte sie in einem Schreiben vom 28.08.2014 aus, die Sozialleistungsträger rechneten im Sterbevierteljahr lediglich die Witwen- oder Witwerrente an, die sich aus der Anwendung des Rentenartfaktor 0,6 oder 0,55 bei der großen Witwerrente ergebe. Von daher bestünde auch nur ein Erstattungsanspruch bis zur Höhe der "normalen" Witwen- oder Witwerrente.

Den restlichen Betrag i.H.v. 332,93 EUR überwies die Beklagte an den Beigeladenen. Mit Schreiben vom 11.09.2014 forderte die Klägerin die Beklagte auf, den geltend gemachten Erstattungsanspruch in voller Höhe zu erfüllen. Nach derzeitig geltender Rechtslage gehe die Beklagte rechtsirrig davon aus, dass es sich bei dem Sterbevierteljahr-Bonus um eine privilegierte Einnahme handele. Dabei beruft sie sich auf die Kommentierungen zu §§ 82,83 SGB XII.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 09.10.2014 eine weitere Erstattung ab. Sie verblieb bei ihrer Auffassung, dass es sich bei dem Sterbevierteljahr-Bonus um zweckbestimmtes Einkommen im Sinne des §§ 83 Abs. 2 SGB XII handele. Es genüge, wenn sich die Zweckbestimmung aus den Leistungsvoraussetzungen und dem Gesamtzusammenhang der Regelung ergebe. Nach der neueren Rechtsprechung des BSG lasse sich die Zweckbestimmung auch dann definieren, wenn sie sich eindeutig aus den Gesetzesmaterialien ergebe. Hierzu führte sie aus, dass die Regelung des Sterbevierteljahr-Bonus 1957 in Anlehnung an den damals geltenden § 122 Bundesbeamtengesetz (BBG) in das Rentenrecht eingefügt worden sei. Mit dem Privileg sollte dem hinterbliebenen Ehegatten die mit dem Sterbefall verbundenen besonderen Aufwendungen zu einem Teil abgenommen und ihm die Umstellung auf die veränderten Verhältnisse finanziell erleichtert werden. Damit ginge der mit der Regelung über den Sterbevierteljahr-Bonus verfolgte Zweck über die Sicherung des Lebensunterhaltes hinaus und bezöge sich auf Mehrbedarfe, die durch Sozialhilfe nicht gedeckt würden. Der Hinterbliebene der Ehegatten solle für Mehraufwendungen, die durch die Umstellung auf die neuen Lebensverhältnisse entstünden, einen pauschalen Ausgleich erhalten und nicht die "normale" Witwen-/Witwerrente, die der Sicherung des Lebensunterhaltes diene, dafür einsetzen müssen. Mit dieser Intention sei eine Anrechnung des "Sterbevierteljahres-Bonus" auf die Sozialhilfe nicht vereinbar. Dem stünde nicht entgegen, dass die gesetzliche Regelung keine zweckbestimmte Verwendung dieses Privilegs vorschreibe. Entsprechend würde das Blinden- bzw. Gehörlosengeld, das zum Ausgleich der durch die Behinderung entstehenden Mehraufwendungen gewährt würde, als zweckbestimmte Einnahme im Sinne des §§ 77 Abs. 1 BSHG (jetzt § 83 SGB XII) angesehen, obwohl es pauschal und ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall bestehenden Bedarf gezahlt würde. Auch habe das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 11.01.1990 für den Bereich der Arbeitslosenhilfe festgestellt, dass der "Sterbevierteljahres-Bonus" nicht auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen sei, da er dem hinterbliebenen Ehegatten die mit der letzten Krankheit des Verstorbenen und dem Todesfall verbundenen Aufwendungen zu einem Teil abnehme und ihm die Umstellung auf die neuen Lebensverhältnisse erleichtere.

Am 15.12.2014 hat die Klägerin Klage erhoben.

Soweit sich die Beklagte auf interne Dienstanweisungen beziehe, seien diese nicht verbindlich, da es sich nicht um Rechtsnormen handele. Auch würde bestritten, dass es sich bei den Sozialhilfeträgern üblich sei, auf die Erstattung der vollen Rentenansprüche für das Sterbevierteljahr zu verzichten. Auch Träger der Deutschen Rentenversicherung würden im Übrigen Erstattungsansprüche der Sozialhilfeträger bis zur vollen Höhe der Rente im Sterbequartal befriedigen.

Die Schonung des Blindengeldes habe seinen Grund darin, dass es sich um Entschädigung für eine erlittene besondere Behinderung handele. Damit könne der Sterbevierteljahr-Bonus nicht gleichgesetzt werden, da er keine Entschädigungsleistung, sondern eine unterhaltssichernde Leistung sei. Die Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1990 habe sich auf die damalige Arbeitslosenhilfe bezogen. Das LSG Hessen habe in einer Entscheidung vom 21.12.2012, Az. L 4 SO 340/12 B ER, bereits klargestellt, dass diese Rechtsprechung nach Ablösung der Arbeitslosenhilfe durch das SGB II und das SGB XII nicht auf die neue Rechtslage übertragen werden könne.

Die Beklagte verkenne, dass alle von ihr genannten Mehraufwendungen sehr wohl über die Sozialhilfe gedeckt seien. Denn das SGB XII biete Anspruchsgrundlagen für Umzugsbeihilfen im Falle einer erforderlichen Wohnungsverkleinerung sowie für durchschnittliche Bestattungskosten im Bedarfsfall. Aus der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 24.10.2013 Az. B 13 R 35/12 R ginge hervor, dass der Rentenanspruch in den ersten drei Monaten nach dem Tod des Rentenberechtigten wie Leistungen nach dem SGB XII zur Unterhaltsdeckung diene. Die Klägerin verweist ferner darauf, dass durch das SGB II lediglich pauschalierte Leistungen zum Lebensunterhalt umfasst würden, aber keine anderweitige Hilfe in besonderen Lebenslagen, die (nur) durch das SGB XII gewährleistet würden. Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren unter anderen ferner auf ein Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.12.2014, Az. S 3 R 405/14.

Der Beigeladene habe seit Jahren von seiner Ehefrau getrennt gelebt und keinerlei Kosten im Zusammenhang mit dem Tod geltend gemacht. Eine Wohnungsverkleinerung habe für ihn nicht angestanden. Ebenso wenig habe er gegebenenfalls nicht die krankheitsbedingten Kosten vor dem Tod seiner Ehefrau zu finanzieren gehabt. Erstattung von Kostenaufwand für die Bestattung, Umzug, Trauerkleidung oder sonstiges habe er gegenüber der Klägerin nicht geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich siingemäß,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine weitere Kostenerstattung in Höhe von 332,97 Euro zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf die Gesetzesmaterialien. Danach enthalte der Sterbevierteljahres-Bonus eine bestimmte, vom Gesetzgeber ausdrücklich zuerkannte Zweckrichtung, nämlich dem hinterbliebenen Ehegatten die mit der letzten Krankheit des Verstorbenen und dem Todesfall verbundenen Aufwendungen zu einem Teil abzunehmen und ihm die Umstellung auf die neuen Lebensverhältnisse zu erleichtern.

In der Kommentarliteratur würde zum Teil nicht zwischen der normalen Rente und dem Sterbevierteljahres-Bonus differenziert, so dass sich aus den Kommentierungen hinsichtlich des Bonus keine gegen die Rechtsauffassung der Beklagten sprechenden Rückschlüsse ziehen ließen. Es handele sich aber um eine Leistung, die über die Sicherung des Lebensunterhalts hinausginge und einem anderen Zweck als die Hinterbliebenenrente ansonsten verfolge. Danach führt die Beklagte Kommentarstellen zu § 11 Buchst. a SG B II an, nach denen die Witwen- und Witwerrente über das normale Maß der Hinterbliebenenrente hinaus nicht als zu berücksichtigendes Einkommen zu werten sei. Mit Blick auf die wortgleichen Vorschriften von § 11 Buchst. a SGB II und § 83 SGB XII und dem Fürsorgecharakter beider Leistungen könne auch nur eine einheitliche Bewertung erfolgen. Dem entsprächen die fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit, wo eindeutig die Ansicht vertreten würde, dass Witwen- und Witwerrente über das sogenannte Sterbevierteljahr bis zu dem das normale Maß übersteigenden Betrag eine zweckgebundene Leistung sei.

Der Beschluss des Hessischen LSG vom 21.12.2012 vermöge nicht zu überzeugen. Wie das Hauptsacheverfahren entschieden worden sei, wäre nicht bekannt.

Die Beklagte weist unter anderem weiter darauf hin, dass die dortige Klägerin auf das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.12.2014 im Zusammenhang mit einer Stellungnahme zur erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde auf die Nachzahlung verzichtet und den Rechtsstreit für erledigt erklärt habe. In dem Zusammenhang sei seitens der dortigen Klägerin dargelegt worden, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die sozialhilferechtliche Nichtanrechnung der erhöhten Hinterbliebenenrente im Sterbevierteljahr bejahe, weil es sich hierbei um eine zweckbestimmte Leistung im Sinne von § 83 Abs. 1 SGB XII handele.

Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Klägerin, die vorgelegen hat und Gegenstand der Verhandlung gewesen ist, vollinhaltlich verwiesen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.02.2019 sind die Klägerin und der Beigeladene weder erschienen noch vertreten gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.02.2019 trotz Nichterscheinens der Klägerin und des Beigeladenen verhandeln und entscheiden. Auf diese verfahrensrechtliche Möglichkeit (vgl. §§ 110, 126 Sozialgerichtsgesetz) sind die Klägerin und der Beigeladene in der Terminsmitteilung hingewiesen worden.

Die Klage ist als echte Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG (SGG) statthaft, da sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Gleichordnungsverhältnis handelt.

Die Klägerin kann gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X von der Beklagten die Erstattung weiterer 332,97 EUR beanspruchen.

Zur Überzeugung der Kammer handelt es sich bei der Witwerrente nach dem SGB VI im so genannten Sterbevierteljahr, d.h. gemäß § 67 Nr. 5, 6 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch -Rentenversicherung- SGB VI bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem der Ehegatte verstorben ist, um keine gemäß § 83 Abs. 1 SGB XII anrechnungsfreie zweckbestimmte Leistung. Vorliegend wird der Zahlungszeitraum der Witwerrente von Mai bis einschließlich Juli 2014 umfasst.

Gemäß § 83 SGB XII sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlich Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient.

Es fehlt an einer ausdrücklichen Zweckbestimmung der Witwerrente im so genannten Sterbevierteljahr. Die Witwerrente im Sterbevierteljahr dient dem abstrakten-generellen Ziel, den während des Sterbevierteljahres zwangsläufig eingetretenen besonderen Bedarf des hinterbliebenen Ehegatten zu befriedigen und ihm die Umstellung auf die neuen Lebensumstände finanziell zu erleichtern. (Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 21.12.2012, Az. L 4 SO 340/12 B ER; Sozialgericht Würzburg, Urteil vom 18.12.2014, Az. S 3 R 405/14; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.01.2016, Az. L 7 R 173/15). Es handelt sich damit um eine abstrakt-generelle gesetzgeberische Zielsetzung, die jeder Norm innewohnt. An der erforderlichen konkret individuellen Zwecksetzung fehlt es bei der Witwerrente im Sterbevierteljahr. Die durch den Tod eines nahen Angehörigen entstehenden Bedarfe und die einer Krankheit folgenden Aufwendungen sind derart unterschiedlich, dass eine konkrete Zweckbestimmung schon aufgrund der Verschiedenheit der Lebenswirklichkeit ausscheidet (vgl. a.a.O.). Dies wird, wie die Klägerin zu Recht darlegt, auch im vorliegenden Fall deutlich, wo für den Beigeladenen eine Belastung mit Aufwendungen aufgrund des Todes seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau nicht erkennbar ist.

Ebenso weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass in diesem Zusammenhang spezifische Aufwendungen durch entsprechende Leistungen nach dem SGB XII kompensiert werden können. Damit dient der Sterbevierteljahresbonus letztlich der Sicherung des Lebensunterhalts des Hinterbliebenen Übergangszeitraum und damit denselben Zweck wie die Leistungen nach dem SGB XII.

Auch die Ausführungen der Klägerin zur Entscheidung des BSG vom 11.01.1990, Az: 7 RAr 128/88, wonach diese auf die heut geltende Rechtslage nicht mehr anwendbar ist, sind nach auffassung der Kammer nicht zu beanstanden.

Damit ist der Anspruch der Klägerin auf Erstattung des Differenzbetrages i.H.v. 332,97 EUR begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Absatz 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Rechtskraft
Aus
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