S 48 BA 257/18 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
48
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 48 BA 257/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 7.208,93 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Die Antragsgegnerin lehnt es zu Recht ab, die sofortige Vollziehung der streitigen Forde-rung von Beiträgen aus der Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2016 auszusetzen.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers bestehen hinsichtlich der hier streitigen Bei-tragsnacherhebung auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegrif-fenen Verwaltungsaktes im Sinne des § 86 a Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die es rechtfertigen könnten, die grundsätzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit des Beitragsbescheides außer Kraft zu setzen. Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung ergeben sich insoweit keine ernstli-chen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung der Antragsgegnerin. So er-scheint der Erfolg des Rechtsbehelfes nicht überwiegend wahrscheinlicher als der Miss-erfolg (zu diesem Prüfungsmaßstab: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.06.2013 – L 8 R 114/13 B ER, ASR 2014, 26).

Ermächtigungsgrundlage für die Nachforderung ist § 28 p Abs. 1 Satz 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Sozialversicherung. Nach § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten, d. h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kran-ken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, zu entrichten.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist der Bescheid vom 20.09.2018 nicht schon als (formell) rechtswidrig zu beurteilen, weil die Antragsgegnerin bei seinem Er-lass nicht die nach § 33 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erforderliche Form eingehalten hat. Nach § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB X muss ein schriftlicher oder elektroni-scher Verwaltungsakt die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Nach § 33 Abs. 5 Halbsatz 1 SGB X können bei einem Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, abweichend von Absatz 3 Satz 1 Un-terschrift und Namenswiedergabe fehlen. Bei dem streitigen Bescheid handelt es sich nach den Ausführungen der Antragsgegnerin um einen Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen – nämlich mit Hilfe eines bundesweit von der Antragsgeg-nerin verwendeten Textvorlagenprogrammes – erstellt worden ist. Gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X ist das Fehlen einer Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten damit unschädlich. Darauf, ob der Bescheid unter Verwendung eines Hinweises, dass dieser mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen worden ist, ergangen ist, kommt es nicht an, da ein solcher Hinweis kein gesetz-liches Erfordernis darstellt.

Der Bescheid vom 20.09.2018 ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden: es ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die hierin festgestellte Versicherungs-pflicht der für den Antragsteller in den streitigen Zeitraum tätigen Personen sowie die im Bescheid und dessen Anlagen erfolgte Beitragsberechnung rechtmäßig ist.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Rentenversiche-rung und nach dem Recht der Arbeitsförderung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Be-schäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in dem Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsplatz" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständi-ge Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand ab-hängig beschäftigt oder selbständig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Um-ständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkma-le überwiegen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 17.10.2012 – L 8 R 545/11 m. w. N.). Bei der Feststellung des Gesamtbildes kommt den tatsächlichen Verhältnissen nicht vorausset-zungslos ein Vorrang gegenüber den vertraglichen Abreden zu. Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen sind die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Ver-hältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Ver-tragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinba-rungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Wider-spruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose - Ab-bedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechtes unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abgedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinn gehört daher unabhängig von ihrer Aus-übung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die prak-tizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (LSG NRW, a. a. O. m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht nach der summarischen Prüfung im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz fest, dass die in dem hier streitigen Bescheid benannten Mitarbeiter, soweit sie für die Antragstellerin in dem streitigen Zeitraum tätig waren, ihre Tätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses und nicht als Selbständige ausgeübt haben, da die für eine abhängige Beschäftigung spre-chenden Umstände überwiegen.

Das Gericht stützt seine Entscheidung insbesondere auf die in der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin enthaltenden Miteilungen zu den jeweiligen Tätigkeiten der betroffenen Mitarbeiter. Danach waren diese in dem streitigen Zeitraum in dem Betrieb des Antrag-stellers eingegliedert wie typische Arbeitnehmer. Sie waren in den von dem Antragsteller bestimmten Betriebsablauf eingebunden. Dies gilt insbesondere auch für die 8 Perso-nen, für die sich bereits anlässlich der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Prü-fung 2013/2014 Mitteilungen in den entsprechenden Verwaltungsakten der Antragsgeg-nerin befinden. Anhaltspunkte dafür, dass sich die konkrete Tätigkeit dieser Mitarbeiter zwischenzeitlich anders gestaltet als in dem früheren Prüfzeitraum, liegen nicht vor und sind von dem Antragsteller auch nicht vorgetragen worden. Entgegen der Ansicht des Antragstellers unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, ob einzelne Mitarbeiter dar-über hinaus im Rahmen eines anderen, angemeldeten Gewerbes – hier z. B. im Rahmen einer künstlerischen Tätigkeit – selbständige Tätigkeiten für andere Auftraggeber verrich-tet haben. Dieses spielt für die Charakterisierung ihrer Tätigkeiten für den Antragsteller nämlich keine Rolle, da grundsätzlich selbständige Tätigkeiten auch neben einer ab-hängigen Beschäftigung ausgeübt werden können. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob ein Arbeitnehmer – hier Herr S – darüber hinaus ein weiteres abhängiges Beschäfti-gungsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber hat. Für die Statusabgrenzung ist näm-lich nicht entscheidend, ob der Betreffende auch für andere Arbeitgeber tätig war; erfor-derlich ist – selbst im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses – stets eine Bewertung der einzelnen Arbeitseinsätze. Abzustellen ist damit nur auf die Tätigkeit für den Antrag-steller.

Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, dass die Mitarbeiter nur in der Art tätig gewor-den sind, als sie sich für bestimmte Projekte angeboten haben, ergibt sich hieraus keine andere Beurteilung. Die Freiheit, selber zu entscheiden, welche konkreten Termine und Aktivitäten übernommen werden, stellt kein wesentliches Merkmal für eine selbständige Tätigkeit dar. Flexible Arbeitszeiten und entsprechende Gestaltungsfreiheiten sind näm-lich oft auch in abhängigen Beschäftigungen anzutreffen, da Arbeitgeber zunehmend durch flexible Arbeitszeitsysteme den persönlichen Bedürfnissen ihrer Arbeitnehmer entgegen kommen, aber solche Systeme auch zu ihrem Vorteil nutzen, um beispielswei-se Zeiträume mit unterschiedlichen Arbeitsanfall abzufedern. Wenn die betroffenen Mit-arbeiter einen Termin oder eine Aktivität im Rahmen eines Einzelauftrages verbindlich zusagten, bestand für sie keine Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der zeitlichen Einteilung der auszuführenden Tätigkeiten mehr. In der Gesamtbewertung hat außerdem wenig Gewicht, dass die tägliche Ausgestaltung der von den betroffenen Mitarbeitern vorzu-nehmenden Tätigkeiten durch deren Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit ge-prägt war, wenn sie im Rahmen ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten tätig wurden. Denn auch eine eigenständige Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnis bei der Ausgestal-tung einer Tätigkeit führt regelmäßig nicht zur Selbständigkeit im Sinne einer unterneh-merischen Tätigkeit. Vielmehr ist es gerade auch für eine abhängige Beschäftigung ty-pisch, dass der Grad der Eigenständigkeit der Ausführung mit dem Grad der Qualifikation des Mitarbeiters und seiner Verantwortung für den Erfolg des Gesamtunternehmens wächst. Dabei wird das Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht dadurch beseitigt, dass es nicht in jedem Detail ausgeübt wird. Dies ist bei Diensten höherer Art sogar regelmäßig der Fall, so dass sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert, der Betreffende in dem Betrieb einge-gliedert ist (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 21.02.1990 – 12 RK 47/87).

Die Tätigkeit der Mitarbeiter des Antragstellers war auch nicht durch ein typisches Unter-nehmerrisiko gekennzeichnet. Soweit der Antragsteller es für ein Indiz für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit hält, dass Mitarbeiter als Ausdruck ihres unternehmeri-schen Risikos die Verbrauchsmaterialien für ihre Bastelkurse auf eigene Kosten be-schaffen, ist dieses Merkmal im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung in den Kon-text der vertraglichen Beziehung und ihrer tatsächlichen Durchführung einzuordnen (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2003 – B 2 O 37/02 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 1). Ein gewichti-ges Indiz für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit ist die Übernahme eines Unter-nehmerrisikos danach nur dann, wenn damit auch tatsächlich Chancen und nicht nur Risiken bei der Einkommenserzielung verbunden sind, hier also durch den eigenen Ka-pitaleinsatz einer Erweiterung unternehmerischer Möglichkeiten der Mitarbeiter verbun-den ist. Inwieweit der Einkauf von Bastelmaterialien – die Räumlichkeiten werden von dem Antragsteller gestellt – für die hier zu beurteilenden Tätigkeiten diese Vorausset-zung erfüllen könnte, ist weder erkennbar noch vorgetragen. Das Fehlen von Regelungen zu Ansprüchen auf Urlaubsentgelt bzw. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall rechtfertigt als solches ebenfalls nicht die Annahme eines unternehme-rischen Risikos. Die Überbürdung sozialer Risiken, abweichend von der das Arbeitsrecht prägenden Risikoverteilung, ist nur dann ein gewichtiges Indiz für unternehmerisches Handeln, wenn damit auch tatsächlich Chancen einer Einkommenserzielung verbunden sind, also eine Erweiterung der unternehmerischen Möglichkeiten stattfindet (BSG, Urteil vom 11.03.2009 – B 12 KR 21/07 R). Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht ersichtlich.

Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Feststellung der von der Antragsgegnerin geltend gemachten Beitragshöhen, deren Berechnung sich aus den Anlagen zu dem hier streiti-gen Bescheid für die einzelnen Betroffenen ergeben, liegen nicht vor.

Soweit der Antragsteller geltend macht, seine wirtschaftliche Situation erlaube die Be-gleichung der Beitragsnachforderung nicht, begründet auch dies nicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Dem Antragsteller steht es nämlich frei, wegen der von ihm behaupteten, unbilligen Härte der Vollziehung des Beitragsbeschei-des gegenüber den zuständigen Einzugsstellen eine Ratenzahlung bzw. Stundung der rückständigen Beiträge unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 – 4 SGB IV zu bean-tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Ver-waltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der Antragsteller als Unterliegender die Kosten des Verfahrens.

Die Bestimmung des Streitwertes ergibt sich aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 63 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 3 Nr. 4, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Im Verfah-ren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist grundsätzlich ein geringerer Streitwert als im Hauptsacheverfahren anzusetzen, weil es sich um eine vor-läufige Regelung ohne Vorwegnahme der Hauptsache handelt. Das Gericht hält daher einen Wert von ein Viertel der streitigen nachgeforderten Summe für angemessen (vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 03.07.2012 – L 8 R 878/11 B ER m. w. N.).
Rechtskraft
Aus
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