S 8 KR 417/17 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 417/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 348/17 BER
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Ausstellung von Ersatzbescheinigungen zur Sicherstellung einer Krankenbehandlung. Der am 00.00.1940 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Nachdem die Antragsgegnerin den Antragsteller über die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte informiert und zu diesem Zweck ein aktuelles Lichtbild von ihm ange-fordert hatte, beantragte der Antragssteller bei der Antragsgegnerin am 23.05.2015 ihm eine Gesundheitskarte ohne Passbild auszustellen oder seine vorhandene Krankenver-sicherungskarte zu verlängern. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27.05.2015 ab. Hiergegen erhob der Antragsteller am 31.05.2015 Widerspruch. Zur Begründung führte er an, die Daten auf der neuen elektronischen Gesundheitskarte seien nicht ausrei-chend geschützt. Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller im Zeitraum zwischen Sommer 2015 bis zum 27.10.2016 wiederholt Ersatzbestätigungen für die Inanspruchnahme von Leistun-gen. Bei Ausstellung der letzten Bescheinigung wies sie den Antragsteller darauf hin, dass künftig keine weiteren Ersatzbescheinigungen ausgestellt werden können. Mit Schreiben vom 06.12.2016 lehnte die Antragstellerin die Ausstellung von weiteren Er-satzbestätigungen ab. Zudem wies sie den Antragsteller auf die Vorschrift des § 15 Abs. 6 Satz 5 SGB V sowie die Notwendigkeit hin, ein Lichtbild einzureichen. Hiergegen legte der Antragsteller am 11.12.2016 Widerspruch ein. Er führte aus, dass er nach wie vor datenschutzrechtliche Bedenken gegen die elektronische Gesundheitskar-te habe. Um die Sicherheit seiner Daten zu gewährleisten, müsse die Antragsgegnerin ihm ein Kartenlesegerät ohne Schreibfunktion zur Verfügung stellen, damit er etwaige Manipulationen seiner Daten zeitnah aufdecken könne. Sowohl den Widerspruch vom 31.05.2015 als auch den Widerspruch vom 11.12.2016 wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 09.02.2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung trug sie vor, dass die gesetzlichen Regelungen zur Ausgestaltung und Verwendung der elektronischen Gesundheitskarte gemäß des Urteils des Bundessozial-gericht vom 18.11.2014 (B 1 KR 35/13 R) das Grundrecht Versicherter auf informationelle Selbstbestimmung nicht verletzen. Zudem wies sie den Antragsteller erneut darauf hin, dass eine Ausstellung von weiteren Ersatzbescheinigungen gemäß § 15 Abs. 6 Satz 5 SGB V ausgeschlossen sei, weil er bei der Ausstellung der elektronischen Gesundheits-karte aufgrund seiner Weigerung ein Lichtbild einzureichen, nicht mitwirke. Außerdem könne der Antragsteller in den Geschäftsstellen der Antragsgegnerin die auf der elektro-nischen Gesundheitskarte gespeicherten Daten regelmäßig auslesen lassen und so kontrollieren, dass sie nicht zwischenzeitlich manipuliert worden seien. Der Antragsteller hat am 04.04.2017 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bean-tragt. Zur Begründung trägt er vor, auf die Ausstellung weiterer Ersatzbescheinigungen einen Anspruch zu haben. Nur so könne das Ruhen der Leistungen gemäß § 16 SGB V been-det werden. Zudem bestehe keine gesetzliche Grundlage dafür, dass die Antragsgegne-rin die elektronische Gesundheitskarte mit einem Lichtbild versehen möchte. Außerdem müsse ihm ein Auslesegerät ohne Schreibfunktion zur Verfügung gestellt werden, weil nur so sichergestellt werden könne, dass keine Manipulation der auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeicherten Daten vorliege.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig bis zum Eintritt der Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung Ersatzbescheinigungen zur Sicherstellung der Krankenbehandlung zur Ver-fügung zu stellen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Ansicht, dass der Anspruch auf Leistungen zur Krankenbehandlungen nicht ruhe. Im Übrigen verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 09.02.2017. Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die beigezogenen Ge-richtsakten (S 8 KR 18/17 ER; S 8 KR 2/17 ER und S 8 KR 394/17) und die von der An-tragsgegnerin beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

II. Das Begehren des Antragstellers ist vorliegend dahingehend auszulegen, die Antrags-gegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig bis zum Eintritt der Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung Ersatzbescheinigungen zur Sicher-stellung der Krankenbehandlung zur Verfügung zu stellen. Nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht über die erhobenen An-sprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein; es hat vielmehr das tat-sächliche Rechtschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für den Umfang des Recht-schutzbegehrens ist das aus dem gesamten Beteiligtenvorbringen, insbesondere der An-tragsbegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtschutzziel. Insoweit ist in entspre-chender Anwendung des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften. Die Auslegung von Anträgen richtet sich vielmehr danach, wie ein verständiger Antragsteller seinen Antrag mutmaßlich bei entsprechender Beratung ge-fasst hätte. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Antragsteller den Antrag stellen wollte, der ihm am Besten zum Ziel verhilft (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 123 SGG Rn. 3).

Nach diesem Maßstab ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Antragsgegnerin nur dazu verpflichten möchte, ihm vorläufig bis zum Eintritt der Rechts-kraft der Hauptsacheentscheidung Ersatzbescheinigungen zur Sicherstellung der Kran-kenbehandlung zur Verfügung zu stellen. Der weitere wörtlich gestellte Antrag, das Ru-hen der Versicherungsleistung gemäß § 16 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) zu been-den, entspricht nicht dem der Antragsbegründung zu entnehmenden Rechtsschutzziel des Antragstellers. Dieser möchte sich wieder auf Kosten der Antragsgegnerin in ärztli-che Behandlung begeben, ohne eine Manipulation seiner Daten befürchten zu müssen. Hierzu bedarf es entgegen der Auffassung des Antragstellers allerdings keiner Beendi-gung des Ruhens der Leistungen gemäß § 16 SGB V. Wie sich aus § 16 SGB V ergibt, begründet das Fehlen einer elektronischen Gesundheitskarte oder einer Ersatzbeschei-nigung kein Ruhen des Leistungsanspruchs. Ein Ruhen der Leistungen im Rechtssinne liegt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur vor, 1. solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist, 2. Dienst auf Grund einer gesetzlichen Dienstpflicht oder Dienstleistungen und Übun-gen nach dem Vierten Abschnitt des Soldatengesetzes leisten, 2a. in einem Wehrdienstverhältnis besonderer Art nach § 6 des Einsatz-Weiterverwen- dungsgesetzes stehen, 3. nach dienstrechtlichen Vorschriften Anspruch auf Heilfürsorge haben oder als Ent-wicklungshelfer Entwicklungsdienst leisten, 4. sich in Untersuchungshaft befinden, nach § 126a der Strafprozeßordnung einstweilen untergebracht sind oder gegen sie eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßre-gel der Besserung und Sicherung vollzogen wird, soweit die Versicherten als Gefangene Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz haben oder sonstige Gesundheitsfürsorge erhalten. Vorliegend stellt sich das "Ruhen" der Leistung lediglich als faktische Folge der Nichtvor-lage der elektronischen Gesundheitskarte oder anderer Berechtigungsnachweise und der sich daraus ergebenden Abrechnungsprobleme dar. Gemäß § 291 Abs. 3 SGB V iVm. Anhang 1 Ziff. 2.1 der Vereinbarung zum Inhalt und zur Anwendung der elektroni-schen Gesundheitskarte kann der Arzt bei Nichtvorlage der Gesundheitskarte oder ande-rer gültiger Anspruchsnachweise nach Ablauf von zehn Tagen vom Versicherten eine Privatvergütung für die Behandlung verlangen. Anders als in den Fällen des § 16 SGB V führt das Fehlen der elektronischen Gesundheitskarte bzw. anderer Berechtigungs-nachweise allerdings nicht zum Ausschluss des Leistungsanspruchs aus § 27 SGB V. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesent-licher Nachteile notwendig erscheint. Dies setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs für den Rechtsschutz begehrt wird sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten; beide sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Je größer die Erfolgsaussichten in der Haupt-sache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und um-gekehrt (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 27). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. In diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustel-len (Beschluss des BVerfG vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07). Zudem ist zu be-achten, dass das Gericht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur vorläufige Regelun-gen treffen darf (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 31). Im Hinblick auf Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) sind allerdings Ausnahmen vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsa-che zu machen, wenn eine bestimmte Regelung notwendig erscheint, um sonst zu er-wartende unzumutbare und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigende Nach-teile für den Antragsteller zu vermeiden, und gleichzeitig ein hoher Grad an Wahrschein-lichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (LSG Thüringen, Beschluss vom 19.05.2011 – L 6 KR 7/11 B ER). Ausgehend von diesen Grundsätzen bestehen weder Anordnungsanspruch noch An-ordnungsgrund. Der Antragsteller hat nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand keinen Anspruch auf die Zurverfügungstellung einer Ersatzbescheinigung. Nach § 15 Abs. 6 Satz 5 SGB V kommt die Ausstellung einer Ersatzbescheinigung nur in Betracht, wenn der Versicherte bei der Ausstellung der elektronischen Gesundheitskarte mitwirkt; hierauf ist der Versi-cherte bei der erstmaligen Ausstellung einer Ersatzbescheinigung hinzuweisen. Vorliegend fehlt es an der erforderlichen Mitwirkung des Antragstellers, weil er die Ein-reichung eines Lichtbildes verweigert, ohne hierzu berechtigt zu sein. Gemäß § 291 Abs. 2 Satz 4 SGB V ist die elektronische Gesundheitskarte mit einem Lichtbild des Versicher-ten zu versehen. Vom Lichtbilderfordernis ausgenommen sind gemäß § 291 Abs. 2 Satz 5 SGB V nur Versicherte, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder deren Mitwirkung bei der Erstellung des Lichtbildes nicht möglich ist. Wie sich aus dem Um-kehrschluss aus § 291 Abs. 2 Satz 5 SGB V ergibt, ist der Antragsteller zur Mitwirkung bei der Erstellung der elektronischen Gesundheitskarte dergestalt verpflichtet, dass er ein Lichtbild einreichen muss. Dieser Obliegenheit ist er vorliegend nicht nachgekommen. Er kann sich auch nicht auf die Ausnahmen vom Lichtbilderfordernis nach § 291 Abs. 2 Satz 5 SGB V berufen. Er hat mit 77 Jahren die Altersgrenze des § 291 Abs. 2 Satz 5 SGB V überschritten. Zudem ist ihm die Mitwirkung bei der Erstellung des Lichtbildes auch nicht unmöglich. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt (BT-Drucks. 15/4228 S. 27 f.), soll § 291 Abs. 2 Satz 5 Alt. 2 SGB V nur Fälle erfassen, in denen dem Versi-cherten die Mitwirkung aus tatsächlichen Gründen wie z.B. Bettlägerigkeit unmöglich ist. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Entgegen der Ansicht des Antragstellers befreien ihn seine datenschutzrechtlichen Be-denken ebenfalls nicht von der Mitwirkungsobliegenheit nach § 15 Abs. 6 Satz 5 SGB V in Verbindung mit § 291 Abs. 2 Satz 4 SGB V. Die Antragsgegnerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Bundessozialgericht (Urteil vom 18.11.2014 – B 1 KR 35/13 R) in der Ausgestaltung und Verwendung der elektronischen Gesundheitskarte keine Verlet-zung der Versicherten in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung sieht. Somit ist es dem Antragsteller zumutbar, der Antragsgegnerin ein Lichtbild zur Herstellung der elektronischen Gesundheitskarte zur Verfügung zu stellen. Zudem kann der Antragstel-ler die von ihm befürchtete Manipulation seiner Daten durch eine regelmäßige Kontrolle der elektronischen Gesundheitskarte in den Geschäftsstellen der Antragsgegnerin in ausreichendem Maße begegnen. Da die Geschäftsstellen der Antragsgegnerin zu den üblichen Geschäftszeiten erreichbar sind und ein Bedürfnis für eine Überprüfung nur nach der Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte vorliegen kann, ist es dem An-tragsteller zumutbar, die auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeicherten Daten bei der Antragsgegnerin auslesen zu lassen. Eines Auslesegerätes für den Heimge-brauch bedarf es somit nicht. Zudem hat die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hingewiesen, dass die Ausstel-lung weiterer Ersatzbescheinigungen nicht möglich sei. Im Übrigen lässt sich der Anordnungsgrund nicht mit der erforderlichen Gewissheit fest-stellen. Der Antragsteller hat keinen aktuellen Behandlungsbedarf glaubhaft gemacht. Er hat nur dargelegt, dass er auf medizinische Versorgung nicht länger warten möchte. Zur Zeit ihm drohen somit keine unzumutbaren eigenen Beeinträchtigungen. Sollte sich während des Zeitraums, der für die Erstellung der elektronischen Gesundheitskarte be-nötigt wird, ein konkreter Behandlungsbedarf ergeben, wäre die Antragsgegnerin zur Ausstellung einer weiteren Ersatzbescheinigung verpflichtet. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Antragsteller seiner Mitwirkungsobliegenheit dadurch nachkommt, dass er ein Lichtbild zur Erstellung der Gesundheitskarte zeitnah bei der Antragsgegnerin ein-reicht. § 15 Abs. 6 Satz 5 SGB V stünde in diesem Fall der nochmaligen Ausstellungen einer Ersatzbescheinigung nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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