S 49 R 162/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
49
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 49 R 162/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gem. § 44 SGB X umstritten, ob die Beklagte den Klägerinnen als Rechtsnachfolgerinnen ihrer Mutter eine Altersrente ab dem 01.07.1997 zu zahlen hat.

Die Klägerinnen sind die Erbinnen ihres Vaters, des am 00.00.1918 und am 00.00.2006 in Israel verstorbenen K L1. Dieser war der Witwer der am 00.00.1922 in Otynya (Polen) geborenen und am 00.00 ...2005 in Israel verstorbenen L2 L1 (im Folgenden Versicherte genannt). Diese hatte in ihrem Testament verfügt, dass ihr Ehemann Alleinerbe werden sollte und für den Fall, dass er vor ihr versterben sollte, ihre Töchter – die Klägerinnen – erben sollten. Weiterhin ist verfügt, dass ihre "Habseligkeiten", welche ihr Ehemann laut dem Testament erben soll, erst nach seinem Ableben an beide Töchter übergehen. Die Klägerin lebte bis zu ihrem Tod in Kiryat Tevon, ebenso wie ihr nachverstorbener Ehe-mann. Die Klägerinnen leben in Petach Tikwa bzw. in Haifa.

Der Versicherte beantragte über ihren Bevollmächtigten am 30.10.2002 bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG. Die entsprechenden Vordrucke wurden in der Folgezeit ausgefüllt. Die Ver-sicherte teilte mit, sie habe im Ghetto Otynya Reinigungsarbeiten in der Küche und in den Straßen ausgeführt, die durch den Judenrat vermittelt worden seien. Sie sei von Juli 1941 bis Sommer 1942 ca. 8 bis 10 Stunden täglich tätig gewesen und habe als Entloh-nung zusätzliche Lebensmittel erhalten. Der Antrag der Versicherten wurde mit Bescheid vom 22.02.2005 zurückgewiesen, da die Beklagte die Entlohnung durch Lebensmittel als nicht ausreichend glaubhaft gemacht, erachtete, sondern davon ausging, dass diese er-teilt worden seien zwecks Erhalt der Arbeitskraft. Auch seien historische Erkenntnisse über ein Ghetto Otynya nicht bekannt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbe-scheid vom 15.09.2005 zurückgewiesen, da der Umfang der Entlohnung mit Lebensmit-tel hier nicht das Merkmal der Entgeltlichkeit erfüllen würde. Am 20.09.2005 wurde Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Unter dem 07.11.2005 teilte der Prozessbevoll-mächtigte mit, die Versicherte sei verstorben und ihr Ehemann wolle das Verfahren fort-führen. Gleichzeitig stellte er bei der Beklagten formlos den Antrag auf Hinterbliebenen-rente. Aus der Verwaltungsakte geht hervor, dass die diesbezüglichen Antragsbögen nicht zurückgesandt wurden. Unter dem 11.01.2007 legte der Bevollmächtigte das Man-dat im Verwaltungsverfahren die Hinterbliebenenrente betreffend, nieder und nahm tag-gleich die Klage zurück.

Am 30.01.2015 stellte der jetzige Prozessbevollmächtigte den Antrag auf Zahlung von Altersrente ab dem 01.07.1997 bis zum Tode der Versicherten im Hinblick auf das ZRBG-Änderungsgesetz, da die beiden Klägerinnen als Erbinnen das Verfahren fortsetzen wollten. Der Antrag wurde als Überprüfungsantrag ausgelegt. Unter dem 13.07.2017 wurde des Weiteren ein Antrag auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung der Ver-sicherten gestellt.

Mit Bescheid vom 21.08.2017 wurde der Antrag auf Witwerrente abgelehnt, da der Witwer bereits am 00.00.2006 verstorbene sei und ausgehend vom Antrag am 13.07.2017 die Witwerrente nach § 99 Abs. 2, S. 3 SGB VI nicht für mehr als 12 Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wurde, geleistet würde und der Witwer zu seinen Leb-zeiten auch in Israel keinen Antrag auf Witwerrente gestellt hatte und so das auch der Weg der Antragsgleichstellung verschlossen sei.

Bereits unter dem 09.08.2017 war der Überprüfungsantrag vom 03.02.2015 zurückgewie-sen worden, da die Klägerinnen lediglich Rechtsnachfolger von Erben, sog. Erbeserben seien und keine eigene Antragsberechtigung hätten. Zwar würden bei Beerbung eines Erben die Bestandteile des Nachlasse auf die Erbeserben übergehen, allerdings nicht seine Rechtsstellung. Die Berechtigung zur Einleitung eines Überprüfungsverfahrens nach dem ZRBG einzuleiten, werde nicht an die Erbeserben vererbt. Nach Wider-spruchseinlegung wandte sich die Beklagte mit einem längeren Hinweisschreiben an die Klägerseite (vgl. Bl. 132 ff. d. VA), ohne dass eine weitergehende Widerspruchsbe-gründung erfolgte. Unter Bezugnahme auf das Hinweisschreiben vom 12.10.2017 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2018 zurück.

Klage zum Sozialgericht Düsseldorf wurde mit Schriftsatz vom 30.01.2018 – eingegan-gen bei Gericht am 02.02.2018 – erhoben.

Die Klägerinnen tragen vor:

Die Unterscheidung, die die späteren Erbeserben treffe, erscheine willkürlich. Der Erbe-serbe erbe doch letztlich einen Erbteil, in dem ein anderer Nachlass inkludiert sei. Er er-be in erster Linie einen Teil des Nachlasse, trete allerdings gleichzeitig an die Stelle des "eigentlichen" Erben und könne entsprechend auch dessen Ansprüche geltend machen.

Die Klägerinnen haben schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.08.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2018 zu verurteilen, das Antragsverfah-ren fortzuführen und eine Regelaltersrente vom 01.07.1997 bis zum Tod nach dem ZRBG zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor:

Vorliegend greife die sog. Erbfolgetheorie. Die Zuwachstheorie greife schon allein we-gen § 58 S. 1 SGB I nicht. Dass die Erbfolgetheorie für die Erbeserben gelten müsse, sei höchstrichterlich auch damit begründet worden, dass § 56 SGB I als Ausnahmereglu8ng eng auszulegen sei. Entsprechend sei höchstrichterlich unter Abwägung sämtlicher Um-stände bereits im Jahr 2000 entschieden worden, dass die Erbfolgetheorie greife.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zu der Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und Unterlagen, den weiteren Inhalt der Gerichtsak-te sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte den vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne münd-liche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hier-zu erteilt haben.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 09.08.2017 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 09.01.2018, die bestandskräftigen Bescheide vom 22.02.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2005 nicht neu festzustellen bzw. nach § 44 SGB X nicht zurückzunehmen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin-nen als Rechtsnachfolgerinnen des verstorbenen Vaters, § 58 Abs. 1 S. 1 SGB I i.V. §§ 1922 Abs. 1, 2032 BGB nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Die Klägerinnen als Erbengemeinschaft haben keinen Anspruch auf Gewährung von Altersrente der Ver-sicherten. Die Klägerinnen sind hinsichtlich des Antrags aus 2017 bereits nicht Inhaberinnen eines gegen die Beklagte subjektiven öffentlichen Rechts geworden. Dies wäre nur auf Grund des § 58 Satz 1 SGB I möglich gewesen. Für den Übergang von Sozialleistungen - wie hier den Anspruch auf Rente nach dem ZRBG - hat der Gesetzgeber eine besondere Regelung in den §§ 56 bis 59 SGB I geschaffen, um den Besonderheiten dieser Ansprü-che Rechnung zu tragen. Hierzu ist in § 59 SGB I geregelt, wann eine Rechtsnachfolge in Sozialleistungsansprüche überhaupt möglich ist. Für Ansprüche, welche die dort ge-nannten Voraussetzungen erfüllen, kommt grundsätzlich eine Sonderrechtsnachfolge für bestimmte Personengruppen (§ 56 SGB I) oder die bürgerlich-rechtliche Erbfolge (§ 58 SGB I) in Betracht. Dabei ist die Sonderrechtsnachfolge entsprechend dem Sinn und Zweck der Sozialleistungen gegenüber der Erbfolge nach BGB vorrangig; letztere tritt nur dann ein, wenn die Ansprüche nicht einem Sonderrechtsnachfolger zustehen (§ 58 Satz 1 SGB I). Die Prüfung der Rechtsnachfolge hinsichtlich eines Sozialleistungsanspruchs beim Tode des Berechtigten ist daher zwingend in der Weise vorzunehmen, dass zu-nächst die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 59 SGB I, bei deren Vorliegen die des § 56 SGB I und erst bei deren Nichtvorliegen die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 SGB I iVm §§ 1922 bzw. 1937, 1941 BGB zu untersuchen sind.

Die Klägerin war keine Sonderrechtsnachfolgerin im Sinne dieser Vorschriften. Sonder-rechtsnachfolger der verstorbenen Versicherten war der ungefähr 3 Monate nach ihr ver-storbene Ehemann. Die Klägerinnen als Töchter lebten mit ihren Eltern zum Zeitpunkt deren jeweiligen Ablebens nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Sie wohnten und wohnen immer noch in Petach Tikwa bzw. Haifa, während die Eltern in Kiriat Tivon leb-ten. Die Frage, welches Schicksal ein Sozialleistungsanspruch nimmt, wenn auch der Son-derrechtsnachfolger vor Erfüllung oder sonstigem Erlöschen des Anspruchs verstirbt, war lange Zeit umstritten. Nach der – heute so nicht mehr vertretenen – Sonderrechtsnach-folgetheorie sollte eine erneute Sonderrechtsnachfolge nach dem verstorbenen Sonder-rechtsnachfolger eintreten. Nach der Erbfolgetheorie findet keine weitere Sonderrechts-nachfolge statt, vielmehr soll der Anspruch nunmehr in den Nachlass des Verstorbenen fallen und damit zum bloßen Vermögensanspruch werden. Nach der so genannten Zu-wachsungstheorie schließlich soll der (verstorbene) ursprüngliche Sonderrechtsnachfol-ger – wie im Rahmen des Verzichts nach § 57 Abs. 1 SGB I – als von vorneherein nicht vorhanden angesehen werden mit der Folge, dass der Anspruch auf die sodann nach § 56 SGB I berufenen weiteren Sonderrechtsnachfolger des ursprünglich Berechtigten übergeht. Das BSG hat diesen Streit – zumindest für den Fall eines nur sehr kurzen Zeit-raums zwischen dem Tod des Berechtigten und dem des Sonderrechtsnachfolgers – zu-gunsten der Zuwachsungstheorie entschieden, wobei es betont hat, dass die Gesetzes-lage nicht eindeutig sei und alle Theorien durchaus Argumente für sich beanspruchen könnten. Vorliegend ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein sehr kurzer Zeitraum – das BSG hatte 6 Wochen als Grenze in Anlehnung an § 57 SGB I angenommen – nicht gegeben war. Es lagen mehr als 3 Monate zwischen den beiden Sterbedaten. Selbst wenn man allerdings auch vorliegend der Zuwachsungstheorie folgen wollte, ist zu be-rücksichtigen, dass die Klägerinnen nicht als weitere berufene Sonderrechtsnachfolge-rinnen gelten können.

Entsprechend ist hier § 58 SGB I zu prüfen. Zum Zeitpunkt des Todes des Sonderrechts-nachfolgers war ein Klageverfahren noch anhängig. Die Klägerinnen waren gem. § 58 SGB I i.V.m. §1922 BGB insoweit berechtigt das Verfahren fortzuführen. Sie waren ge-nauso berechtigt, dass Verfahren zu beenden. Dies ist auch am 11.01.2007 geschehen. Aus dieser ursprünglichen Rechtsstellung folgt allerdings nicht, dass die Klägerinnen im Weiteren auch berechtigt wären, 10 Jahre später einen Überprüfungsantrag zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt gelten die allgemeinen Regeln der §§ 58, 59 SGB I. Zum Zeitpunkt des neuerlichen Antrags (oder Überprüfungsantrag) war kein Verfahren mehr anhängig. Der Bescheid der Beklagten war durch die Klagerücknahme auch bestandskräftig ge-worden. Es gilt insoweit § 59 SGB I. Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht. Die Klägerin-nen als Erbinnen waren in ihren Rechten nicht beschnitten. Sie sind in die Rechtsstel-lung ihres Vaters im Ausgangsklageverfahren eingetreten und hätten dies fortführen können. Dies ist indes nicht geschehen. Dass nunmehr 10 Jahre später für die Kläge-rinnen § 59 SGB I gilt, ist nicht zu beanstanden

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.

Der Streitwert für die Gerichtsgebühren wird gem. § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG endgültig auf den Regelstreitwert von 5.000,00 Euro festgesetzt. Da die Grö-ßenordnung eines Rentenanspruchs nicht abgeschätzt werden kann, verbleibt es beim Regelstreitwert.

Rechtsmittel für die Streitwertfestsetzung:

Gegen diesen Beschluss findet die Beschwerde statt. Die Beschwerde ist innerhalb ei-nes Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Sozialgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, schriftlich oder zur Niederschrift des Ur-kundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen, schriftlich oder zur Niederschrift des Ur-kundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Rechtskraft
Aus
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