S 2 KA 176/02 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 176/02 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antrag¬stellers vom 09.09.2002 gegen den Bescheid der Antrags¬gegnerin vom 12.08.2002 (Aufhebungs- und Rückforderungs¬bescheid für die Quartale 1/96 bis 3/99) wird insoweit angeordnet, als die Antragsgegnerin nur berechtigt ist, den zurückgeforderten Betrag von 26.931,07 Euro in vier gleichmäßigen Raten zu je 6.732,77 Euro, beginnend mit dem Quartal 3/02 und endend mit dem Quartal 2/03, von den laufenden Honorarzahlungen mit der jeweiligen Rest-zahlung für das betreffende Quartal einzubehalten. Sofern die Antragsgegnerin bereits Einbehalte vorgenommen hat, sind diese an den Antragsteller entsprechend aus¬zukehren.

Im Übrigen wird der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zurückgewiesen.

Tatbestand:

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/4, die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 3/4. Der Antragsteller ist als Arzt für Allgemeinmedizin in L niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Bescheid vom 12.08.2002 hob die Antragsgegnerin nach Durchführung einer Plausibilitätsprüfung die dem Antragsteller erteilten Honorarbescheide für die Quartale 1/96 bis einschließlich 3/99 teilweise in Höhe von insgesamt 26.931,07 EUR (52.672,59 DM) auf und for¬derte das ausgezahlte Honorar zurück. Ferner wurde mitgeteilt, die Umsetzung dieses Bescheides erfolge durch entsprechende Belastung des Honorarkontos im Abrechnungsquartal 3/02. Gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbe¬scheid legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den gegenwärtig noch nicht entschieden ist. Am 11.11.2002 hat der Antragsteller um Gewährung vorläufigen Rechtsschut¬zes ersucht. Er hält die Rückforderungsansprüche der Antragsgegnerin für verjährt und für materiell-rechtlich rechtswidrig. Die Verrechnung der Rückforde¬rung mit der nächsten Honorarauszahlung stelle für ihn zudem eine soziale Härte dar, die angesichts der Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht zu rechtfertigen sei.

Der Antragsteller beantragt: Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 09.09.2002 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.08.2002 (Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid für die Quartale 1/96 bis 3/99) wird angeordnet.

II. Es wird angeordnet, dass die Antragsgegnerin bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens dem Honorarkonto des Antragstel¬lers 26.931,07 EUR gutschreibt, damit die schon vorgenommene Verrechnung aufgrund des Rückforderungsbescheides rückgängig gemacht wird.

III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang. Die Hinzuziehung eines auf das Sozial- und Arztrecht spezialisierten Anwaltes war wegen der schwierigen Sach- und Rechtslage notwendig.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zurück-zuweisen.

Sie sieht weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch.

Entscheidungsgründe:

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung liegen teilweise vor. Gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Ge¬richt der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, diese Wirkung ganz oder teilweise anordnen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein- Westfalen (vgl. Beschluss vom 08.07.2002 - L 11 KA 51/02 B -) gelten nach Auffassung der Kammer auch im Rahmen des § 86 b SGG für die Sozialge¬richte die allgemeinen Verwaltungsprozessgrundsätze des § 80 Abs. 5 und § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zur Gewährung eines effekti¬ven Rechtsschutzes gemäß Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG). Da¬nach entspricht es einer verfassungsrechtlich unbedenklichen verwaltungsge-richtlichen Praxis, die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes davon ab¬hängig zu machen, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und ei¬nen Anordnungsgrund glaubhaft macht (BVerfGE 79, 69, 74). Droht danach dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erheb¬liche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prü¬fung des im Hauptsacheverfahrens geltend gemachten Anspruches - einstweili¬ger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, dass ausnahmsweise überwie¬gende, besonders wichtige Gründe entgegenstehen (BVerfGE 93,1 ff.). Ande¬rerseits müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfü¬gung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und ihre Ent¬scheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (BVerfG NJW 1997, 479, 480; NVwZ RR 2001, 694). Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner abschließenden Entscheidung zu der Frage, ob die Rückforderungsansprüche der Antragsgegnerin vorliegend ver¬jährt sind. Zwar erscheint es durchaus vertretbar, mit dem Bayerischen Lan¬dessozialgericht (Urteil vom 27.10.1999 - L 12 KA 78/98 -) eine zeitliche Be¬grenzung der rechnerischen und gebührenordnungsmäßigen Richtigstellung anzunehmen und insoweit von einer vierjährigen Ausschlussfrist auszugehen. Dies könnte auch für Plausibilitätsprüfungen gelten, die kein eigenständiges Verfahren der Honorarkürzung wie sachlich-rechnerische Berichtigung und Wirtschaftlichkeitsprüfung darstellen (BSG, Urteil vom 08.03.2000 - B 6 KA 16/99 R -). Andererseits gibt es weder gesetzliche Verjährungs- oder Aus¬schlussfristen zur Plausibilitätsprüfung noch besteht eine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu. Die Vertragspartner der zum 01.10.2000 in Kraft ge¬tretenen "Vereinbarung zur Durchführung von Plausibilitätskontrollen" haben jedenfalls in Ziffer II. 2. eine zeitliche Begrenzung dahin vorgenommen, dass ein Verfahren der Plausibilitätsprüfung nicht mehr eingeleitet werden kann, wenn der Sachverhalt länger als 20 Abrechnungsquartale zurückliegt (vgl. KVNO AKTUELL 8/00, Oktober 2000, S. 24). Eine solche zeitliche Begrenzung erscheint unter den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und der Rechts¬sicherheit nicht per se unzulässig, auch wenn sie sich nicht an die allgemein geltenden sozialrechtlichen Verjährungsfristen anlehnt. Diese Frist hat die An¬tragsgegnerin jedenfalls auch in Bezug auf das älteste Quartal 1/96 beachtet, denn das Verfahren muss vor dem 01.12.1999 eingeleitet worden sein, da an diesem Tage ein Plausibilitätsgespräch stattgefunden hat.

Es bedarf im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch keiner näheren Darlegungen zu der Frage, ob und inwieweit der angefochtene Bescheid materiell-rechtlich zu beanstanden ist, namentlich im Hinblick auf ei¬nen fehlenden Nachweis implausibler Abrechnung, unbestimmter Quartalsan¬gaben, nicht nachvollziehbarer Logik, Untauglichkeit der aufgezählten Beispiele und Rechtswidrigkeit der Rechtsfolgenseite. Diese Fragen mögen einer einge¬henden Beurteilung der Sach- und Rechtslage in einem möglichen Hauptsa¬chestreitverfahren vorbehalten bleiben.

Dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers ist jedenfalls hinreichend Genü¬ge getan, wenn die Antragsgegnerin die streitbefangene Rückforderung nicht in einer Summe mit der nächsten Quartalsabrechnung 3/02 realisiert, sondern in vier gleichmäßigen Raten zu je 6.732,77 EUR, beginnend mit der Abrechnung 3/02 und endend mit der Abrechnung 2/03. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Antragsteller nach seinem Vorbringen Jahresbruttoeinnahmen von 316.929,61 EUR aus vertragsärztlicher Tätigkeit erzielt hat und die Praxiskosten bei Allgemeinärzten/praktischen Ärzten durchschnittlich 55 % betragen (vgl. Grunddaten der KBV zur vertragsärztlichen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland 2001, Übersicht D 3). Selbst wenn der Antragsteller aufgrund indi¬vidueller Besonderheiten höhere Betriebskosten verzeichnen sollte, erscheint ein Einbehalt von 6.732,77 EUR pro Quartal in jedem Falle tragbar. Damit ist zu¬gleich berücksichtigt, dass das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin am Sofortvollzug der Rückforderung in einer Summe nicht als überragend angese¬hen werden kann. Es ist nicht ersichtlich, dass die Rückabwicklung der Abrech¬nungsquartale 1/96 bis 2/97 die Funktionsfähigkeit der Antragsgegnerin nen¬nenswert gefährdet, nachdem diese den Rückforderungsbescheid erst sechs Jahre nach dem ältesten Abrechnungsquartal 1/96 erteilt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 183 SGG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG sowie § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsge¬richtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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