S 18 KR 142/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 142/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Der Bescheid der Beklagten vom 21.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die beantragte Mammareduktion, die Fettschürzenresektion und die Oberschenkelstraffung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme für eine Bauchdeckenplastik, Brust- und Oberschenkelstraffung streitig.

Die 1971 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte am 14.10.2015 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Bauchdeckenplastik, Brust- und Oberschenkelstraffung. Zur Begründung führte sie aus, dass sie am 14.06.2007 einen Magenbypass erhalten habe. Dadurch habe sie 80 kg abgenommen und halte ihr erreichtes Gewicht von 62 kg nunmehr seit drei Jahren. Durch die starke und schnelle Abnahme sei es zu einem Hautüberschuss an Bauch und Oberschenkeln und einem Erschlaffen der Brust gekommen. Auch durch sportliche Aktivität sei es nicht möglich gewesen, diesen Hautüberschuss zu verhindern. Sie schilderte weiter die sich aus dem Hautüberschuss ergebenden Beeinträchtigungen. Bei ihr sei eine Osteoporose diagnostiziert worden. Das aufgrund dessen notwendige Funktionstraining könne sie nicht durchführen, da der Hautüberschuss gerade am Oberschenkel bei Bewegung Schmerzen auslöse.

Mit Schreiben vom 16.10.2014 veranlasste die Beklagte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Darüber informierte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom gleichen Tag.

Mit Schreiben vom 10.10.2014 forderte der MDK weitere Unterlagen von der Klägerin an unter Fristsetzung bis zum 30.10.2014. Da diese Unterlagen innerhalb der Frist nicht eingingen, gab der MDK das Gutachten an die Beklagte zurück. Diese teilte der Klägerin am 10.11.2014 mit, dass die Klägerin zur Mitwirkung verpflichtet sei (§ 62 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I). Komme derjenige, der eine Sozialleistung beantrage, seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, könne der Leistungsträger die Leistung ganz oder teilweise ablehnen (§ 66 Abs. 1 SGB I). Nach Mitteilung des MDK könne wegen der fehlenden Unterlagen keine Stellungnahme erfolgen, ob eine medizinische Indikation bestehe. Somit könne eine abschließende Prüfung des Antrags nicht erfolgen. Zu ihrer Entlastung schicke die Beklagte sämtliche Unterlagen an die Klägerin zurück. Nach Vorlage der kompletten Unterlagen könne eine erneute Begutachtung durch den MDK erfolgen.

Der erneute Antrag der Klägerin vom 18.11.2014 auf Kostenübernahme trägt den handschriftlichen Vermerk "E: 27.11.2014" und einen Eingangsstempel vom 04.12.2014. Diesem Antrag fügte die Klägerin die Fragebögen des MDK bei.

Mit Schreiben vom 14.12.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der MDK mit einer Begutachtung beauftrag worden sei. Mit Schreiben vom 19.12.2014 teilte die Beklagte der Klägerin einen Termin zur Begutachtung am 05.01.2015 mit. Der MDK kam nach Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 06.01.2015 zu dem Ergebnis, dass keine Indikation für die beantragen Maßnahmen bestehe. Durch den Hautüberschuss ergäben sich keine funktionellen Einschränkungen und keine Entstellung. Bereits am 05.01.2015 teilte der MDK der Beklagten vorab das Ergebnis der Begutachtung mit.

Mit Bescheid vom 21.01.2015 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nahm am 26.02.2015 Akteneinsicht.

Am 02.03.2015 hat die Klägerin Klage erhoben.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt zunächst schriftlich,
festzustellen, dass der Antrag der Klägerin auf Gewährung dreier postbariatrischer Wiederherstellungsoperationen (Bauchdeckenplastik, Straffung der Brust und Oberschenkelstraffung) als Sachleistung vom 18.11.2014 gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt.

Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, dass eine Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei. Die Klägerin sei über die Einschaltung des MDK informiert worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 10.08.2015 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Feststellungsklage umgestellt und beantragt nunmehr schriftlich,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin – aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V – antragsgemäß drei postbariatrische Operationen als Sachleistung zu gewähren, dies unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides.

Das Gericht hat zunächst im Februar 2016 Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt.

Im Rahmen der Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid trägt die Beklagte weiter vor, dass § 13 Abs. 3a SGB V nur bei Leistungen greife, die grundsätzlich zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Dies ergebe sich auch aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V, wonach der Kostenerstattungsanspruch auf die "erforderliche" Leistung begrenzt sei. Die Voraussetzungen für eine Genehmigungsfiktion seien daher nicht gegeben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist geklärt und weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Die zuletzt noch anhängige Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 21.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2015 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG. Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin die beantragten drei Operationen als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Die Klägerin hat aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGBV Anspruch auf diese Leistungen.

Nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. (§ 13 Abs. 3a Satz 5 und 6 SGB V) Nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V ist die Krankenkasse zu Erstattung der entstandenen Kosten verpflichtet, wenn sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst beschaffen.

Die von der Klägerin beantragten drei postbariatrischen Operationen galten wegen Fristablaufs als genehmigt. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin aufgrund der neuen Antragstellung spätestens am 04.12.2015 sinngemäß mit einem Abschluss des ersten Antrags vom 14.10.2015 durch Einstellung der Bearbeitung durch die Beklagte einverstanden war. Dazu erlaubt sich das Gericht den Hinweis, dass die Bearbeitung von Anträgen nicht dadurch abgeschlossen wird, dass die Beklagte die Unterlagen zurückgibt. Entweder erklärt der Antragsteller die Rücknahme des Antrags oder die Beklagte hat über den Antrag zu entscheiden und sei es durch Ablehnung wegen fehlender Mitwirkung. Das bloße Zurückschicken des Antrags beendet das Verfahren nicht.

Jedenfalls ein Antrag vom 04.12.2014 wurde nicht innerhalb der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V beschieden. Die dreiwöchige Frist lief am 25.12.2014 ab. Innerhalb dieser Frist hat die Beklagte keine Entscheidung getroffen. Die Frist wurde auch nicht wirksam auf fünf Wochen verlängert durch die Einschaltung des MDK. Denn dafür ist es erforderlich, dass die Beklagte die Klägerin nicht nur über den hinreichenden Grund informiert, warum sie noch nicht entscheidet. Sie hat auch mitzuteilen, bis zu welchem Tag (taggenau) sich die Frist bis zum Eintritt der Genehmigungsfiktion verschiebt. "Will eine Krankenkasse den Eintritt der Genehmigungsfiktion eines Antrags auf Krankenbehandlung hinausschieben, muss sie den Antragsteller von einem hierfür hinreichenden Grund und einer taggenau bestimmten Fristverlängerung jeweils vor Fristablauf in Kenntnis setzen" (BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, 2. Leitsatz, juris). Diese Mitteilung ist auch notwendig, wenn der MDK eingeschaltet wird. Denn anders kann der Betroffene nicht wissen, wann die Genehmigungsfiktion eintritt. Eine solche Information hat die Beklagte der Klägerin nicht gegeben.

Selbst wenn man bei Einschaltung des MDK eine solche Mitteilung nicht für notwendig halten würde, so hätte die Beklagte auch die fünfwöchige Frist, die am 08.01.2015 ablief, nicht eingehalten. Dies wäre ihr grundsätzlich möglich gewesen, da der MDK das Ergebnis der Begutachtung bereits am 05.01.2015 mitgeteilt hat. Aus welchen Gründen erst am 21.01.2015 entschieden wurde, erschließt sich nach Aktenlage nicht.

Die Klägerin hat bei der Beklagten einen hinreichend bestimmten Antrag gestellt. Bei den drei beantragten Operationen handelt es sich auch um erforderliche Leistungen im Sinne des § 13 Abs. 3a SGB V. Es ist nicht notwendig, dass die Operationen objektiv erforderlich waren. "Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen." (BSG, Urteil vom 08.03.2016, b 1 KR 25/15 R, Rdnr. 26) Der Art nach handelt es sich bei den beantragten Operationen um Leistungen, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin sind nicht erkennbar. Aufgrund des fachärztlichen Attestes vom 06.06.2014 der Gemeinschaftspraxis für plastische Chirurgie durfte die Klägerin diese Operationen für geeignet und erforderlich halten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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