S 10 KR 30/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 KR 30/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 262/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2017 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 10.598,00 EUR als Kosten des selbstbeschafften beidseitigen Hilfsmittels "Walk Aide 1000" und Zubehör gemäß Rechnung der Firma "D." vom 11.07.2016 zu erstatten.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung von 10.598,00 EUR nebst Zinsen für zwei WALK-Aide 1000-Systeme als Hilfsmittel für die beim Kläger bestehende beidseitige Fußheberschwäche.

Der Kläger erlitt im Jahr 2010 einen Sportunfall, bei dem es zu einer Tetraparese und Tetraplegie mit beidseitiger Fußheberparese gekommen war. Seitens der Beklagten wurde er mit entsprechenden Orthesen versorgt.

Nach entsprechendem Training bei der Firma D. GmbH in D-Stadt beantragte der Kläger am 30.06.2016, gestützt auf die Heilmittelverordnung seiner Hausärztin Dr. E. vom 27.06.2016 und unter Beifügung eines "Patientenerfassungs- und Auswertungsbogen" der Firma F. vom 22.06.2016 sowie eines Kostenvoranschlages vom 27.06.2016 über insgesamt 10.598,01 EUR, bei der Beklagten die beidseitige Versorgung mit "Walk Aide1000" mit Zubehör. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Juni 2016 mit der Begründung ab, dass der Einsatz Walk Aide als Teil eines Therapiekonzeptes in der Häuslichkeit und damit als neue Behandlungsmethode zu werten sei, die bisher weder Eingang in den Katalog von Leistungen gefunden habe, die seitens der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten sei. Im Übrigen existierten bisher auch keine wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien, aus denen sich die Zahl der behandelnden Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen ließen.

Aufgrund des vom Prozessbevollmächtigten des Klägers erhobenen Widerspruchs zog die Beklagte noch eine Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenkasse bei, in der die beratende Ärztin, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. G., unter Auswertung der Videodokumentation der Firma D. und eines ergänzenden Berichtes des Neurochirurgen Dr. H. vom 27.08.2016 zu der Einschätzung gelangt war, dass anhand der CD-ROM vom 22.06. und 11.08.2016 nicht festgestellt werden konnte, dass im Falle des Klägers eine Versorgung per FES einer geeigneten konfektionierten Orthese überlegen sei, zumal dem Kläger bereits ein ausreichendes, zweckmäßiges und medizinisch sachgerechtes Hilfsmittel zur Verfügung stehe. Ein wesentlicher Gebrauchsvorteil der gewünschten Versorgung gegenüber einer geeigneten konfektionierten Fußheberorthese sei nicht erkennbar.

Darauf gestützt, wies die Beklagte mit Bescheid vom 12. Januar 2017 den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass eine Kostenübernahme für die beantragte beidseitige Versorgung mit einer Myo-Orthese des Typs Walk Aide 1000 nicht gerechtfertigt sei.

Dagegen richtet sich die am 17. Januar 2017 beim hiesigen Gericht eingereichte Klage, mit der der Kläger zunächst die Kostenübernahme und – nachdem er die Rechnung der Firma D. GmbH vom 11.7.2016 i.H.v. 10.598,00 EUR am 11.07.2016 beglichen hat – nunmehr die Kostenerstattung nebst gesetzlicher Zinsen verlangt. Zur Begründung lässt er vortragen, dass er bisher lediglich mit einfachen Unterschenkelorthesen versorgt sei, die jedoch seine Behinderung nicht hinreichend ausgleichen könnten. Demgegenüber würde das beantragte Hilfsmittel seine Behinderung zumindest verringern und ihn wieder in die Lage versetzen, besser zu laufen. Denn dabei handele es sich um ein Gerät zur funktionellen Elektrostimulation, das im Alltag getragen werde und durch elektrische Impulse die Wadenmuskulatur wieder zur Kontraktion bringe. Dazu werde es mittels Klettverschlussmanschette unmittelbar an der Wade angebracht, so dass auf invasive Maßnahmen verzichtet werden könne. Durch die von dem Walk Aide ausgesendeten exakt abgestimmten elektrischen Signale auf den Wadenbeinnerv würden die Muskeln aufgefordert, den Fuß zum richtigen Zeitpunkt anzuheben, was ein Laufen ohne die bisherige durch abgesenkte Fußspitze bestehende Sturzgefahr ermögliche. Dieser Grad der Mobilität lasse sich mit einer sogenannten Peroneusschiene nicht erreichen. Im Übrigen stelle die Ablehnung des auf die ärztliche Einzelprodukt-Verordnung seines behandelnden Arztes beruhenden Hilfsmittels bereits einen unzulässigen Eingriff in die ärztliche Verordnungshoheit dar.

Die Beklagte könne sich auch nicht auf fehlende Wirtschaftlichkeit berufen, da im Bereich der Hilfsmittelverordnung beim hier vorliegenden unmittelbaren Behinderungsausgleich keine Kosten-Nutzen-Überlegungen angestellt werden dürften, da menschliche Rehabilitation nicht messbar sei. Ein günstigeres Hilfsmittel, das die Behinderung in gleicher Weise zum Ausgleich bringt, sei auf dem Markt nicht erhältlich. Der Entscheidung des Hessischen Landessozialgericht vom 23.02.2017 (L 8 KR 372/16), die eine Versorgung einmal abgelehnt hatte, könne schon deshalb nicht gefolgt werden, weil das Gericht fehlerhaft von der Versorgung eines lediglich mittelbaren Behinderungsausgleiches ausgegangen sei.

Dass das streitgegenständliche Hilfsmittel auch über einen Übungsmodus verfüge ändere an dessen Geeignetheit und Wirtschaftlichkeit nichts; ganz abgesehen davon dass dieser Modus abgeschaltet werden könne. Zumal Fußhebersysteme, die wie das gewünschte über einen Trainingsmodus verfügen, von der Rechtsprechung mehrfach als kostenübernahmefähig anerkannt worden seien.

Entgegen der Auffassung der Beklagten stelle das Gerät auch keine neue Behandlungsmethode dar, sondern diene ausschließlich dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, weshalb auf eine zusätzliche Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschuss verzichtet werden könne. Selbst wenn das Gerät selbst nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet sei, gehöre es zur Gruppe der dort erwähnten und anerkannten Hilfsmittel mit gezielter Elektrostimulation.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2017 zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für das streitgegenständliche Hilfsmittel in Höhe von 10.598,00 EUR nebst gesetzlicher Zinsen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie macht dagegen geltend, dass es sich bei den beidseitigen Myo-Orthesen (Walk-Aide 1000) nicht um Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Regelungen handelt, sondern um ein neues Behandlungskonzept, dass auch seitens des Gemeinsamen Bundesausschusses bisher nicht positiv bewertet worden sei. Deshalb sei sie gehindert, die Kosten für die Anschaffung zu übernehmen. Im Einzelnen trägt sie - auch unter Hinweis auf das Bedienerhandbuch des Gerätes – vor, dass unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes, eine Leistungspflicht nur bestehe, wenn der Versicherte die mit dem gewünschten Hilfsmittel möglicherweise verbundenen Vorteile auch selbst nutzen könne. Nur wenn der Versicherte nach ärztlicher Einschätzung im Alltagsleben deutliche Verbrauchsvorteile habe, die sich nicht nur auf die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels beschränken, seien die Voraussetzung einen Anspruchs gegeben. Dies habe der Medizinische Dienst bei seiner konkreten Prüfung nicht feststellen können. Anhand der vorgelegten Videodokumentation habe die Gutachterin vielmehr festgestellt, dass das gewünschte und inzwischen selbstbeschaffte Hilfsmittel gegenüber einer geeigneten konfektionierten Fußheberorthese keinen Gebrauchsvorteil für den Kläger bringe.

Daneben sei zu beachten, dass sich aus dem Benutzerhandbuch ergebe, dass das Gerät neben der Funktion der Unterstützung beim Gehen auch über eine Funktion verfüge, die die Muskeln trainiere auch wenn der Verwender gar nicht laufe. Die Förderung der Reaktion der Muskulatur, die danach Muskelatrophien verhindern bzw. verzögern solle, den Bewegungsspielraum der Fußgelenke aufrechterhalten oder verbessern und zudem die lokale Durchblutung erhöhen solle, übersteige das notwendige Maß eines Hilfsmittels und stelle eine – bisher vom Gemeinsamen Bundesausschuss auch nicht empfohlene neue Behandlungsmethode dar, deren Kosten daher nicht von den gesetzlichen Krankenkassen zu übernehmen sei. Werde nämlich ein Hilfsmittel als untrennbarer Bestandteil einer neuen vertragsärztlichen Behandlungs- und Untersuchungsmethode eingesetzt, habe die Krankenkasse erst dann die Kosten dafür zu übernehmen, wenn die Methode in den Leistungskatalog des (Einheitlichen Bewertungsmaßstab ärztlicher Leistungen - EBMÄ) Eingang gefunden oder zumindest von dem Bundesausschuss empfohlen worden sei. Da mit dem Fußhebesystem WalkAide der Übungsmodus untrennbar verbunden sei, müsse von einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode ausgegangen werden, die bisher weder anerkannt noch empfohlen worden sei.

Zwar umfasse der EBMÄ bereits Gebührenziffern für Elektrostimulation, jedoch sei auch bei einer bereits anerkannten Behandlungsmethode einer erneute Prüfung erforderlich, wenn diese eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren hat; die sei sowohl für das Fußhebersystem Ness L300 wie auch das hiesige der Fall.

Bezüglich des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und den Einzelheiten in den erwähnten Unterlagen, insbesondere die Stellungnahmen des MDK, wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen, die beide auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2018 waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2017 war aufzuheben und die Beklagte zur Erstattung von 10.598,00 EUR als Kosten für die beiden selbstbeschafften Hilfsmittel "WalkAide 1000" inklusive Zubehör gemäß der Rechnung der Firma D. vom 11.07.2016 zu verurteilen.

Der Anspruch auf Kostenerstattung der selbstbeschafften "Walk Aide 1000"-Orthesen für beide Füße/Beine beruht auf § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V), wonach die (gesetzliche) Krankenkasse ihrem versicherten Mitglied die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der dem Mitglied entstandenen Höhe zu erstatten hat, wenn diese eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, die Kosten dadurch entstanden sind und die Leistung notwendig war. Vorliegend hatte die Beklagte die zur Behandlung einer Krankheit notwendige Versorgung des Klägers mit den gewünschten Hilfsmitteln "zu Unrecht" abgelehnt. Denn der Kläger hatte gegen die Beklagte einen Anspruch auf beidseitige Versorgung mit einer "Walk Aide 1000"-Orthese zur Behandlung seiner beidseitigen Fußheberschwäche.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, worunter auch die Versorgung mit Arznei-, Verband- Heil- und Hilfsmitteln gehört (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 3 SGB V). Die Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln umfasst solche, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder – wie im Fall des Klägers – einer Behinderung auszugleichen, es sei denn es handelt sich dabei um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Dabei müssen die Hilfsmittel die im Hilfsmittelverzeichnis festgelegten Anforderungen an Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie dort gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind (§ 33 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dabei stellt das Hilfsmittelverzeichnis jedoch keine abschließende Auflistung aller von den Krankenkassen zu leistenden Produkte dar.

Dabei wird im Rahmen der Versorgung mit Hilfsmitteln zunächst einmal darin unterschieden, ob dieses dem unmittelbaren oder dem mittelbaren Behindertenausgleich dient. Denn während im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleiches die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleiches geleitet wird, sind im Falle eines nur mittelbaren Behindertenausgleichs wirtschaftlichen Gesichtspunkten in wesentlich größerem Maße Rechnung zu tragen. In Übereinstimmung mit der von dem Kläger geltend gemachten Ansicht, die im Übrigen offenbar auch von dem Medizinischen Dienst der Krankenkasse – gerade auch im hiesigen Einzelfall – so gesehen wird, dienen die "Walk Aide 1000"-Orthesen unmittelbar der durch die beidseitige Personeusparesen deutlich eingeschränkte Gehfähigkeit und damit einem Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Denn infolge dieser Gesundheitsstörung ist es dem Kläger nicht mehr möglich, seine Füße – nicht die Beine - selbständig zu heben, so dass die ständige Gefahr besteht, mit der Fußspitze hängen zu bleiben und deshalb zu stürzen (Fallfuß).

Diese Behinderung wird durch das Hilfsmittel "Walk Aide 1000" dadurch ausgeglichen, dass es aufgrund der verbauten Elektronik mittels elektrischem Impuls die noch innervierte Muskulatur stimuliert, um als Folge eine Kontraktion zu bewirken, so dass die Fußspitze beim Gehen anhoben wird (Leistungsbeschreibung der Produktgruppe 09.37.04.0 = Elektrostimulationsgeräte zur funktionellen Elektrostimulation – FES, Einkanal-Personäusstimulator). Diese Einkanalgeräte können als Alternative zu einer Peroneusschiene (wie sie die Beklagte als ausreichendes Hilfsmittel ansieht) bzw. Peronaeusfeder eingesetzt werden. Gezielt sind sie – laut Hilfsmittelverzeichnis – gerade für den Einsatz einer partiellen Fußheberlähmung (Peroneuslähmung) entwickelt worden, wie sie beim Kläger aufgrund der bestehenden Tetraparese und Tetraplegie vorliegt. Demzufolge kommt auch der von der Beklagten eingeschaltete MDK nicht zu der Einschätzung, dass es sich bei diesem Hilfsmittel um eine – nicht zugelassene – neue Behandlungsmethode handelt, sondern um ein wenn auch aktuell nicht gelistetes Hilfsmittel der Hilfsmittel-Produktgruppe 09.37.04.0 handelt, das prinzipiell auch geeignet ist, die gerade beim Kläger bestehende beidseitige Fußheberparese zu verbessern und sich damit positiv auf das Gehvermögen des Klägers auswirkt.

Soweit der MDK darauf hinweist, dass dem Einsatz des Hilfsmittels eine positive Anwendungserprobung vorausgegangen sein muss und neben der Aufklärung über das Behandlungskonzept eine medizinische Einweisung unter ärztlicher Anleitung sowie eine Einweisung in die Handhabung des Gerätes durch eine vom Hersteller geschulte oder autorisierte Person zu erfolgen hat ist dies beim Kläger durch den "Patientenerfassungs- und Auswertungsbogen Walk Aide" seitens der Firma F. GmbH, D-Stadt nachgewiesen. Deshalb kommt es gar nicht mehr darauf an, ob tatsächlich zusätzlich eine ärztliche Einweisung zu fordern ist, da in dem Bedienerhandbuch eine ausführliche Beschreibung des Einsatzes, der Handhabung und der Gefahren gewährleistet wird.

Schließlich kann sich die Kammer – entgegen der Auffassung des beratenden Arztes des MDK, Dr. G., vom 30.09.2016 nicht davon überzeugen, dass die ärztlich verordnete beidseitige Versorgung mittels "WalkAide 1000" gerade auch im Falle des Klägers keinen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer geeigneten konfektionierten Fußheberorthese bietet. Dabei fällt auf, dass der MDK von einer Versorgung mittels "MyGait-Orthesen" spricht, während die vom Kläger gewünschten und von ihm auch gekauften Geräte den Namen "WalkAide 1000" tragen. Ausweislich des dem Antrag des Klägers beigefügten "Patientenerfassungs- und Auswertungsbogen" vom 22.06.2016 konnte der, ausdrücklich als sehr aktiv beschriebene Kläger, der bereits seit 2 Jahren mit - herkömmlichen - Orthesen versorgt war, deutlich von den Gebrauchsvorteilen des Hilfsmittels profitieren. So konnte er – in durchaus kritischer Würdigung des subjektiven Eindrucks des Klägers – seine Gehstrecke erweitern, das Gehen als sicherer empfinden, weil er weniger Angst hatte zu stürzen, auf unebenem Gelände gehen, wobei selbst das Durchschwingen des Beines in der Spielbeinphase leicht fällt. Während mit der ursprünglichen Fußheberorthese – trotz des jungen Alters von damals 34 Jahren und hoher Motivation – selbst im häuslichen Umfeld nur ein eingeschränktes Gehen beschrieben wird, könnte er mit den Hilfsmitteln nicht nur Wegstrecken von über 400 Metern bei guter Geschwindigkeit bewältigen, sondern alle Bereiche des Gehens (Treppensteigen, Rampengehen und Türen) sicher bewältigen. Wenn der Kläger zusammenfassend – daher davon spricht, "ein besseres Gefühl" beim Gehen zu erreichen und sogar wieder barfuß gehen zu können, ist dies für die Kammer auch angesichts der Videodokumentation nachvollziehbar, selbst wenn er auf die Patientenzufriedenheitsskala (letzte Seite) nicht das Maximal-Ergebnis angegeben hatte.

Erst recht geht der Einwand der Beklagten fehl, dass die gewünschten Hilfsmittel unwirtschaftlich seien. Denn bei dem hier vorliegenden unmittelbaren Behinderungsausgleich – denn das Gehen - auch außerhalb der eigenen vier Wände - stellt ein Grundbedürfnis des menschlichen Lebens dar – besteht ein Anspruch auf Versorgung bis zum Erreichen der Möglichkeiten eines Gesunden, ohne dass aus Kostengründen dieser zu versagen wäre. Der Auffassung des Hessischen Landessozialgericht in dessen Urteil vom 23.02.2017 (L 8 KR 372/16), dass die "WalkAide-Orthesen" lediglich dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienten, folgt die Kammer ausdrücklich nicht (vgl. auch Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 23.10.2017 – L 4 KR 349/17 mit weiteren Nachweisen). Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die Annahme der Beklagten, dass es sich bei dem "Walk Aide 1000-System" nicht um ein Hilfsmittel handele, sondern um eine neue Behandlungsmethode, die deshalb der Genehmigung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bedürfe, durch die Aufnahme der Produktgruppe 09.37.04.0 in das Hilfsmittelverzeichnis und damit die Bewertung gerade als Hilfsmittel widerlegt ist. Dass das vom Kläger gewünschte Gerät (noch) nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist, spielt ohnehin keine Rolle, da das Hilfsmittelverzeichnis keine für die richterliche Entscheidung maßgebliche abschließende Regelung darstellt.

Da der Kläger einen Anspruch auf beidseitige Versorgung mit dem Hilfsmittel "Walk Aide 1000" – nebst notwendigem Zubehör hat, die Beklagte dies damit mit Bescheid vom 29.06.2016 auch "zu Unrecht" versagt hatte und schließlich sich der Kläger – ausweislich der Rechnung der Firma "D." vom 11.07.2016 und Zahlungsbestätigung der J. Bank vom 11.07.2016 – selbstbeschafft hat, steht ihm der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V zu. Der Kläger war nicht verpflichtet, die Widerspruchsentscheidung der Beklagten abzuwarten.

Die Beklagte war daher unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2017 zu verpflichten, dem Kläger die Kosten der beidseitigen selbstbeschafften "Walk-Aide 1000-Orthesen" in Höhe von 10.598,00 EUR zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved