S 28 SO 116/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
28
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 28 SO 116/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 92/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid v. 18.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 29.08.2011 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Forderung eines Kostenersatzes von Erben für erbrachte Sozialhilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch - (SGB XII).

Der im Jahr 1956 geborene F. A. besuchte ab dem 01.01.2006 die Tagesstätte für Menschen mit seelischer Behinderung des Sozialpsychiatrischen Vereins Kreis A-Stadt e.V. Beim Beklagten wurde am 29.12.2005 die Übernahme der Kosten beantragt. Durch Bescheid vom 23.03.2006 erklärte dieser die Kostenübernahme für den Zeitraum 01.01.2006 – 31.12.2007. Eine Einkommens- und Vermögensprüfung des F. A. führte der Beklagte nicht durch.

Auf entsprechenden Antrag hin wurde die Kostenübernahme durch Bescheid vom 15.11.2007 bis zum 31.12.2009 verlängert. Eine Einkommens- und Vermögensprüfung fand wiederum nicht statt. Eine weitere Verlängerung wurde durch Bescheid vom 07.01.2010 für die Zeit bis zum 31.12.2011 erklärt.

Am xx.xx.2010 verstarb F. A. Der Beklagte stellte daraufhin Nachforschungen zu seinem Nachlass an und erhielt vom zuständigen Nachlassgericht die Auskunft, dass er insbesondere über Grundvermögen verfügt hatte. Der Nachlasswert wurde vom Nachlassgericht mit insgesamt 357.000 EUR angegeben. Erben wurden laut Erbschein vom 08.12.2010 seine Mutter C. A. sowie die drei Geschwister G., D. und E. A.

Bei dem Grundvermögen handelte es sich zum einen um das von F. selbst mitbewohnte Haus in der A-Straße in A-Stadt, zum anderen jedoch auch um eine Eigentumswohnung in dem Anwesen in der H-Straße in H-Stadt nebst hälftigem Miteigentum an dem zugehörigen Grundstück. Anderer Miteigentümer und Alleineigentümer der zweiten Eigentumswohnung in dem Anwesen war sein Bruder G. A ... F. A. hatte seine Eigentumswohnung fremdvermietet und erzielte während des Leistungsbezugs entsprechende Mieteinkünfte. Das Haus war von den Brüdern im Jahr 1994 für 700.000 DM gemeinsam gekauft worden. Zu diesem Zwecke hatte F. Kredite bei der J Bank J-Stadt i.H.v. 2 x 25.000 und 1 x 10.000 DM aufgenommen. Diese Darlehen wurden bereits vor etlichen Jahren – der genaue Zeitpunkt ist unklar – getilgt. Laut Schreiben der J-Bank vom 07.09.2016 und 06.10.2016 gibt es infolge des Ablaufs der zehnjährigen Aufbewahrungsfristen keine Kontoauszüge zu diesen Darlehen mehr.

Durch Bescheid v. 18.01.2011 forderte der Beklagte von der Mutter C. A. Kostenersatz aus dem Nachlass für die an F. erbrachten Sozialhilfeleistungen i.H.v. Insgesamt 52.795,69 EUR. Beigefügt waren Aufstellungen über die Anwesenheit F.s in der Tagesstätte sowie der hierfür angefallenen Betreuungs- und Fahrtkosten. Nachdem der Bescheid zunächst wegen der Nennung eines falschen Namens nicht zuging, übersandte der Beklagte ihn am 09.02.2011 nochmals.

Am 14.02.2011 legte C. A. Widerspruch ein und beanstandete die vorgelegten Aufstellungen und Berechnungen. Zudem teilte sie mit, ihrem Sohn F. sei seitens des Sozialpsychiatrischen Vereins damals die Auskunft gegeben worden, dass eine Kostenpflicht für ihn nicht bestehe. Daraufhin erging am 29.08.2011 ein Teilabhilfebescheid, mit dem der Beklagte nunmehr nur noch Kostenersatz i.H.v. 50.740,38 EUR forderte. Im Übrigen wies er den Widerspruch jedoch sinngemäß zurück. Es treffe zwar zu, dass von dem Leistungsberechtigten selbst in Fällen wie dem vorliegenden zu dessen Lebzeiten kein Einsatz seines Einkommens und Vermögens verlangt werde. Dies lasse jedoch die mögliche Verpflichtung der Erben unberührt.

C. A. hat am 14.09.2011 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Frau A. ist am xx.xx.2011 ebenfalls verstorben. Das Verfahren ist daraufhin von den jetzigen Klägern aufgenommen worden, die gemäß Erbschein vom 11.04.2012 deren Erben sind.

Die Kläger tragen vor, die vom Beklagten zugrunde gelegten Kosten der Sozialhilfe seien unzutreffend ermittelt worden. Insbesondere habe man zahlreiche Fehlzeiten des F. A. in der Tagesstätte nicht berücksichtigt. Auch sei die Berechnungsmethode grundsätzlich zu beanstanden.

Sie beantragen,
den Bescheid vom 18.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er hält die von ihm angestellten Leistungsberechnungen für korrekt. Desweiteren ist er der Auffassung, sein Vorgehen – wonach nur von den Erben aus dem Nachlass, aber nicht schon von dem Leistungsberechtigten selbst zu dessen Lebzeiten ein Vermögenseinsatz gefordert wird – sei rechtmäßig. Dies folge aus einer entsprechenden Regelung in der Anlage 7 zum Hessischen Rahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB XII. Diese Regelung verfolge den Zweck, einen Anreiz zur Nutzung solcher Leistungen zu schaffen. Er verweist auf ein Urteil des SG Kassel v. 31.10.2013 – S 11 SO 7/12 -, in dem diese Auffassung bestätigt wurde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 18.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2011 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Der Beklagte hat keinen Anspruch gegen die Erben der C. A. auf Kostenersatz für die an F. A. erbrachten Sozialhilfeleistung aus dem Nachlass.

Nach § 102 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist der Erbe der leistungsberechtigten Person oder ihres Ehegatten oder ihres Lebenspartners, falls diese vor der leistungsberechtigten Person sterben, vorbehaltlich des Absatzes 5 zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet.

§ 102 SGB XII erfasst dabei nur rechtmäßig gewährte Leistungen der Sozialhilfe. Für die Beurteilung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Rechtmäßigkeit der Leistung sind allerdings nur materiellrechtliche Vorschriften der Leistungsgewährung Maßstab, während reine Formverstöße ohne Bedeutung sein sollen (so BSG, Urteil vom 23. März 2010 – B 8 SO 2/09 R –). Bei zu Unrecht geleisteter Sozialhilfe ist auch gegenüber den Erben nur die Möglichkeit der Rücknahme des Verwaltungsaktes nach §§ 45, 50 SGB X gegeben (BVerwGE 78, 165). Eine Umdeutung eines Kostenersatzbescheides nach § 102 in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X ist nicht möglich (BVerwG, a. a. O.). (Klinge in: Hauck/Noftz, SGB, 02/12, § 102 SGB XII, Rn. 14)

Vorliegend scheitert einer Kostenerstattungspflicht bereits daran, dass die Sozialhilfegewährung an F. A. materiell rechtswidrig war. Dieser war aufgrund vorhandenen Vermögens in Form der nicht-selbstgenutzten Eigentumswohnung in H Stadt nicht bedürftig.

Eingliederungshilfe für behinderte Menschen wird nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels SGB XII nicht zuzumuten ist, § 19 Abs. 3 SGB XII.

Bei der o.g. Eigentumswohnung handelte es sich um Vermögen, dass F. vorrangig hätte einsetzen müssen. Einzusetzen ist nach § 90 Abs. 1 SGG das gesamte verwertbare Vermögen. F. war im Leistungszeitraum Alleineigentümer der Wohnung. Diese war auch verwertbar. Zwar war im Grundbuch eine Veräußerungsbeschränkung dergestalt, dass eine Veräußerung nur mit Zustimmung des Eigentümers der anderen Wohnung im Haus erfolgen kann, eingetragen. Jedoch hätte F. A. Anspruch gegen seinen Bruder auf Erteilung einer solchen Zustimmung gehabt, sofern kein wichtiger Grund entgegensteht (vgl. § 12 Abs. 2 S. 1 Wohnungseigentumsgesetz). Auch wäre es für F. ohne Zustimmung möglich gewesen, ein Darlehen aufzunehmen und dieses mit der Eigentumswohnung zu sichern.

Die Wohnung unterlag auch keinem Schonvermögenstatbestand nach § 90 Abs. 2 SGB XII. Insbesondere überstieg ihr Wert den der kleineren Barbeträge gem § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII. Das Gesamtgrundstück wurde im Jahr 1994 von beiden Brüdern für 700.000 DM erworben. Ob zur Zeit der Aufnahme der Leistungsgewährung ab dem 01.01.2006 noch eine Belastung des Eigentumsteils von F. A. mit Darlehen bestand oder nicht, hat sich im Verfahren nicht restlos klären lassen. So konnten die Kläger das genaue Datum der Tilgung nicht mehr benennen. Auch die J-Bank J-Stadt hat durch Schreiben v. 07.09. und 06.10.2016 bestätigt, dass es infolge des Ablaufes der zehnjährigen Aufbewahrungsfrist für Belege nunmehr keine Kontoauszüge über diese Darlehenskonten mehr gebe. Daher wäre es theoretisch möglich, dass zumindest im Jahr 2006 noch eine Belastung des Wohnungseigentums gegeben war. Jedoch trägt der Beklagte ohnehin als Anspruchsteller die Beweislast für die Rechtmäßigkeit der Sozialhilfegewährung, so dass die Unaufklärbarkeit dieses Punktes zu seinen Lasten geht.

Auch, dass die Verwertung für F. eine besondere Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII bedeutet hätte, ist nicht erkennbar.

Es lag hier auch kein Fall vor, in dem der Vermögenseinsatz ausgeschlossen war. Nach § 92 Abs. 2 S. 2 SGB XII sind bestimmte Hilfen ohne Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen. Darunter fallen insbesondere auch Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, soweit diese Hilfen in besonderen teilstationären Einrichtungen für behinderte Menschen erbracht werden (§ 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 SGB XII). Zwar wurde F. A. hier Hilfe in einer besonderen teilstationären Einrichtung erbracht. Jedoch waren die Hilfen nicht auf eine Teilnahme am Arbeitsleben gerichtet. Aus den Bewilligungsbescheiden des Beklagten ergibt sich die Hilfeart nicht. Allerdings folgt aus den sonstigen Umständen, dass es sich bei den erbrachten Hilfen um solche zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft handelte. F. A. war bei Beginn der Hilfen bereits 50 Jahre alt und stand nach langjähriger Tätigkeit als Hilfsarbeiter nunmehr im Bezug von Erwerbsminderungsrente. Aus den Entwicklungsberichten des Sozialpsychiatrischen Vereins vom 06.11.2007 und 20.12.2009 ergibt sich zudem, dass er vom Besuch der Tagesstätte profitierte, indem er dort eine Tagesstrukturierung erfuhr. Desweiteren erlebte er Selbstbestätigung durch die Tätigkeit im Arbeitsbereich, nahm an Freizeitbetätigungen teil und baute soziale Kontakte auf. Eine Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt hielt der betreuende Sozialpädagoge hingegen nicht mehr für möglich. Es ist daher nicht erkennbar, dass die Maßnahme im Zusammenhang mit einer Teilhabe am Arbeitsleben zu sehen war.

Die Sozialhilfegewährung an F. war schließlich auch nicht deshalb rechtmäßig, weil in Punkt 8. der Anlage 7 zum Hessischen Rahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB XII ("Vereinbarung Beschäftigung und Betreuung von Menschen mit seelischer Behinderung in Tagesstätten in Hessen") geregelt war, dass "auf den Einsatz des Einkommens und Vermögens ( ...) verzichtet" wird. Denn dieser Verzicht im Verhältnis Leistungserbringer - Leistungsträger verstößt gegen die gesetzliche Regelung des SGB XII zum Einkommens- und Vermögenseinsatz und ist daher unbeachtlich. Er überschreitet den nach § 79 Abs. 1 SGB XII zulässigen Inhalt dieser Rahmenvereinbarungen.

Die überörtlichen Träger der Sozialhilfe und die kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene schließen nach § 79 Abs. 1 S. 1 SGB XII mit den Vereinigungen der Träger der Einrichtungen auf Landesebene gemeinsam und einheitlich Rahmenverträge zu den Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 und § 76 Abs. 2 über

1. die nähere Abgrenzung der den Vergütungspauschalen und -beträgen nach § 75 Abs. 3 zu Grunde zu legenden Kostenarten und -bestandteile sowie die Zusammensetzung der Investitionsbeträge nach § 76 Abs. 2,
2. den Inhalt und die Kriterien für die Ermittlung und Zusammensetzung der Maßnahmepauschalen, die Merkmale für die Bildung von Gruppen mit vergleichbarem Bedarf nach § 76 Abs. 2 sowie die Zahl dieser zu bildenden Gruppen,
3. die Zuordnung der Kostenarten und -bestandteile nach § 41 des Neunten Buches und
4. den Inhalt und das Verfahren zur Durchführung von Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung nach § 75 Abs. 3

ab.

Diese Vorschrift lässt keine Auslegung zu, wonach der überörtliche Sozialhilfeträger hier der Beklagte – ermächtigt würde, innerhalb des Vertrages auf Voraussetzungen der Sozialhilfegewährung wie etwa die Bedürftigkeit des Leistungsberechtigten zu verzichten. Gegenstand der Verträge soll allein das Leistungserbringungsverhältnis zwischen den Leistungserbringern und dem Sozialhilfeträger sein, nicht aber das Verhältnis Leistungsberechtigter – Leistungsträger.

Das Gericht vermag daher der durch das SG Kassel in seinem Urteil v. 31.10.2013 S 11 SO 7/12 – vertretenen gegenteiligen Auffassung nicht zu folgen.

Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, ob die Kostenersatzforderung der Höhe nach richtig berechnet wurde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Das zulässige Rechtsmittel der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
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