S 30 U 13/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 30 U 13/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 167/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 26. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2015 verurteilt, bei dem Kläger als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 23. Juli 2012 die Schmerzhaftigkeit der Bewegungseinschränkung anzuerkennen und ihm ab Dezember 2014 eine Verletztenrente nach einer MdE von 25 v.H. zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte trägt 80 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer weiteren Unfallfolge sowie eine Verletztenrente nach einer höheren MdE.

Der 1972 geborene, als Innenrohrsanierer beschäftigte Kläger ist bei der Arbeit am 23. Juli 2012 auf einem sich lösenden Treppenteppich nach vorne weggerutscht und hielt sich während des Sturzes mit der rechten Hand am Treppengeländer fest.

Er arbeitete zunächst weiter und stellte sich am Folgetag bei dem H-Arzt Dr. C. vor. Nach dessen Befund war die grobe Kraft unauffällig, es zeigten sich keine sensomotorischen Defizite, es bestand ein Druckschmerz über der ventralen Kapsel und die Motorik war aktiv bei Anhebung und Abduktion über 70° schmerzhaft, passiv jedoch frei. Das Röntgenergebnis war ohne pathologischen Befund und es wurde die Diagnose einer Zerrung der rechten Schulter gestellt. Die am 8. August 2012 im Klinikum Darmstadt durchgeführte neurologische Untersuchung ergab Sensibilitätsstörungen ohne pathologischen Befund. Im MRT vom 29. August 2012 zeigte sich eine frische, subtotale Subscapularissehnenruptur rechts. Am 25. September 2012 erfolgte eine Arthroskopie der rechten Schulter und am 10. Dezember 2012 eine operative Versorgung durch eine Pectoralismajor-Plastik. Laut Zwischenbericht des Durchgangsarztes D. vom 4. Februar 2013 bestand weiterhin eine deutliche Bewegungseinschränkung sowie Schmerzen bei Belastung und Außenrotation. Nach der Stellungnahme des Beratungsarztes der Beklagten, welchem der Kläger am 27. Februar 2013 vorgestellt wurde, sei davon auszugehen, dass die Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß von etwa 30 v.H, nach sich ziehen werde. Trotz intensiver Krankengymnastik konnte keine signifikante Verbesserung des Bewegungsumfangs erreicht werden, insbesondere war eine Mobilisierung des Schulterblattes kaum möglich.

Im August 2013 legte der Kläger den Beklagten einen Businessplan für eine Selbständigkeit mit einem Imbissbetrieb vor. Nach dem daraufhin von der E. GmbH & Co. KG aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 23. September 2013 erstellten Fähigkeitsprofil des Klägers habe sich die Funktion der Schulter massiv verbessert und es war lediglich ein geringes Restkraftdefizit feststellbar. Heben vom Boden auf Augenhöhe sei mit der rechten Hand bis 10 Kilo möglich. Weitere berufliche Maßnahmen seien deshalb genau zu prüfen, eine MdE in rentenberechtigendem Maße bestehe nicht.

Nach der Stellungnahme des Beratungsarztes der Beklagten Dr. F. vom 30. Oktober 2013 sei es dem Kläger gelungen, an der rechten Schulter eine beinahe völlig freie Beweglichkeit zu erreichen, allerdings nur ohne jegliche Belastung. Selbst geringste Widerstände bei den einzelnen Bewegungen würden vom Schultergelenk nicht toleriert.

Der jetzt vorliegende Schulterbefund stelle trotz der freien Beweglichkeit aufgrund nicht vorhandener Belastungsmöglichkeit eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß dar.

Am 26. Februar 2014 erstattete Prof. Dr. G. im Auftrag der Beklagten ein Erstes Rentengutachten. Die Untersuchungen bestätigten eine deutliche Bewegungseinschränkung der rechten Schulter (Vorwärtsheben aktiv bis 90°; Außenrotation und Innenrotation bis 50°) sowie einen eingeschränkten Kraftgrad von 1/5. Als wesentliche Unfallfolgen bestehen danach eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Schultergelenks sowie eine Narbenbildung. Die MdE betrage ab dem 17. März 2014 20 v.H. und später 10 v.H.

Mit Bescheid vom 26. Juni 2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Rente als vorläufige Entscheidung nach einer MdE von 20 v.H. ab dem 17. März 2014. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Am rechten Arm: Operativ versorgter Riss der Subscapularissehne mit mäßiger Bewegungseinschränkung im Schultergelenk und Kraftminderung des Armes sowie noch nicht vollständig erfolgte Anpassung und Gewöhnung an die Unfallfolgen.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die MdE Bewertung mit 20 v.H. beruhe allein auf der festgestellten Bewegungseinschränkung von 90° und berücksichtige nicht, dass – unbeschadet der Bewegungseinschränkung – die grobe Kraft der rechten Hand deutlich eingeschränkt sei. Er könne bei weitem nicht mehr so festzupacken wie früher und schwere Lasten mit der rechten Hand überhaupt nicht mehr heben. Außerdem bestehe ein Muskelschaden sowohl auf der Vorderseite als auf der Rückseite der rechten Schulter, wodurch es zu belastungsunabhängigen Beschwerden über die Bewegungseinschränkung hinaus komme. Zudem hätten die unfallbedingt verursachten Einschränkungen zu einer latenten depressiven Verstimmung geführt, welche ebenfalls bei der MdE zu berücksichtigen sei. Daher seien Depressionen als weitere Unfallfolge anzuerkennen.

Am 22. September 2014 und am 20. April 2015 wurde der Kläger von Herrn H. neurologisch-psychiatrisch untersucht. Danach wurden als neurologische Diagnosen ein zuletzt massives Subacromialsyndrom und Sulcus Ulnaris-Syndrom gestellt. Es wurde außerdem eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert.

Am 13. Oktober 2014 erfolgte ein weiteres MRT des rechten Schultergelenks, wonach eine deutliche Muskelatrophie (musculus subscapularis) bestehe; die Sehne sei ausgedünnt. Die übrige Muskulatur der Rotatorenmanschette sei weitgehend unauffällig. Es bestehe eine etwas aktivierte Arthrose im Schultereckgelenk und ein geringgradiges subacromiales Impingement.

Am 9. Dezember 2014 wurde der Kläger erneut an der Schulter operiert und eine Revision und eine Refixation des Pectoralis major rechts vorgenommen.

Die Beklagte holte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Dr. J. ein, welches dieser am 9. Juni 2015 erstattete. Danach fanden sich ganz diskrete Hinweise für ein möglicherweise latentes Sulcus ulnaris Syndrom ohne einen sozialmedizinisch wirklich richtungsweisenden Befund. Subjektive Beschwerden oder objektive klinische Befunde nach Art eines Sulcus ulnaris Syndroms hätten sich in der gutachterlichen Untersuchung ganz ausdrücklich nicht ergeben. Ein etwa überdauerndes Sulcus ulnaris Syndrom in sozialmedizinisch relevantem, MdE begründenden, Ausmaß sei jetzt sicherlich nicht (mehr) zu beschreiben. Im psychischen Befund habe sich eine lebendige Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gezeigt. Die objektiv sicherlich erhebliche Bewegungseinschränkung in der rechten Schulter begründe sicherlich eine deutliche Selbstwertproblematik. Es bestehe jedoch sicher keine das übliche Maß erheblich übersteigende eigenständige psychische Störung. Insgesamt ergäben sich keine Hinweise für sozialmedizinisch relevante neurologische und/oder psychische Folgeschäden in Bezug auf den Unfall.

Außerdem holte die Beklagte ein Zweites Rentengutachten bei Prof. Dr. K. ein, welches dieser am 8. Juli 2015 erstattete. Aus dem Befund geht hervor, dass die Muskulatur an Ober- und Unterarmen seitengleich ausgebildet sei und es war eine seitengleiche Handflächenbeschwielung gegeben. Nach dem Gutachten bestehen als Unfallfolgen eine schmerzhafte Einschränkung der Beweglichkeit in der rechten Schulter (Vorwärtsheben aktiv bis 70°, passiv mit Angabe von Schmerzen 110°; Außenrotation bis 20°, Innenrotation bis 90°), die beschriebenen Narben und die beklagten Schmerzen. Bei der Testung der Rotatorenmanschette wurden in allen Bewegungsebenen regelrechte Kraftgrade von 4-5 erreicht. Zum 17. März 2014 sei die MdE aufgrund des zum damaligen Zeitpunkt erhobenen Befundes zutreffend mit 20 v.H. beurteilt worden. Im weiteren Verlauf sei es jedoch zu einer Verschlechterung des Bewegungsumfangs und Kraftminderung für Innenrotation gekommen. Schließlich sei eine Revisionsoperation im Dezember 2014 notwendig geworden. Beziehe man diese neuen Erkenntnisse mit ein, sei in der Rückschau eine MdE von 25 v.H. für diesen Zeitabschnitt angemessen.

Am 8. Juli 2015 stellte sich der Kläger bei dem Schulterchirurgen Prof. Dr. L. vor. Nach dessen Befundbericht liege eine massive Bewegungseinschränkung und Schmerzen im rechten Schultergelenk vor (Abduktion und Flexion aktiv 30°, passiv 70°, Außenrotation aktiv 10°, passiv 30°, Innenrotation bis zum Trochanter Major). Es erfolgte eine Röntgenuntersuchung. Aktuell seien die Beschwerden des Klägers (ausgeprägte Schmerzen und Bewegungseinschränkungen) aus schulterchirurgischer Sicht wenig erklärlich. Außer dem Subscapularis erscheine die restliche Rotatorenmanschette intakt. Es sollte eine deutlich bessere Beweglichkeit möglich sein. Eine Plexusneuropathie könne die Beschwerden zumindest partiell erklären, hierzu sei eine dezidierte neurologische Untersuchung erforderlich.

Im SRH Klinikum Karlsbad wurde der Kläger am 28. August 2015 neurologisch von Dr. M. untersucht. Das aktuelle MRT der Schulter zeige einen unauffälligen postoperativen Befund, nach mehreren chirurgischen Stellungnahmen verbleibe eine Diskrepanz zwischen körperlichem Befund, geschilderten Beschwerden und Bildgebungsprogrammen. In der neurologischen Untersuchung bestehe kein Hinweis auf eine Plexusläsion. Das Ausmaß einer möglichen Parese des proximalen Armes lasse sich schlecht in Übereinstimmung mit zu erwartenden Befunden bringen, da die Schulter in allen Bewegungsrichtungen nicht (nur) schmerzbedingt eingeschränkt und die passive Beweglichkeit fast normal sei. Es wurde eine Umstellung der Schmerztherapie sowie eine zweiwöchige stationäre Schmerztherapie empfohlen und durchgeführt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die MdE sei mit 20 v.H. korrekt bewertet worden, dies habe Prof. Dr. K. in seinem Gutachten vom 8. Juli 2015 bestätigt. Soweit Prof. Dr. K. die Auffassung vertrete, dass es im Rahmen der Revisionsoperation vom 9. Dezember 2014 zu einer Befundverschlechterung gekommen sei, welche eine MdE von 25 v.H. begründen würde, sei dem nicht zu folgen, da keine entsprechenden eindeutigen objektiven Befunde nachgewiesen worden seien. Schulterchirurgischerseits seien die Beschwerden des Klägers nach Auffassung von Prof. Dr. N. nicht zu erklären. Auch eine mögliche Plexusläsion habe sich nicht feststellen lassen. Im Übrigen rechtfertigten die Funktionseinschränkungen zu keiner Zeit eine MdE von mehr als 25 v.H. Denn dies sei erst bei einer konzentrischen Bewegungseinschränkung um die Hälfte - welche hier nicht vorliege - der Fall. Anzeichen für einen Mindergebrauch des rechten Armes ließen sich aus den Befunden nicht ableiten.

Daraufhin hat der Kläger am 18. Januar 2016 vor dem Sozialgericht Darmstadt die vorliegende Klage erhoben. Trotz der zwei Schulteroperationen sei die Beweglichkeit schlechter geworden; er könne den Arm noch nicht einmal in die Waagerechte heben, sondern die aktive Beweglichkeit liege unter 30°. Mittlerweile komme es zu Verspannungen und zu Nervenbeteiligungen im Bereich der Halswirbelsäule. Er nehme ständig Schmerzmittel in hohen Dosen und werde in der Schmerzambulanz behandelt. Außerdem befinde er sich in neurologisch-psychiatrischer Behandlung.

Am 19. Februar 2016 ist ein weiteres MRT des rechten Schultergelenks erstellt worden, wonach sich eine Atrophie des Musculus Subscapularis bei unauffälliger übriger Muskulatur der Rotatorenmanschette zeigte.

Nach dem Zwischenbericht des Chirurgen O. vom 20. September 2016 kämen keine weiteren operativen Maßnahmen in Betracht und die bestehende MdE werde aufrecht erhalten bleiben.

Die Beklagte hat ein weiteres Rentengutachten zur Nachprüfung MdE bei Prof. Dr. D. eingeholt, welches dieser am 7. Dezember 2016 erstattete. Aus dem Befund geht hervor, dass die Muskulatur an Ober- und Unterarmen seitengleich ausgebildet sei. Nach dem Gutachten habe die Revisions-Operation im Dezember 2014 keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung der Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes erbracht. Beziehe man diese neuen Erkenntnisse mit ein, wäre eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 v. H. angemessen. Als wesentliche Unfallfolgen bestehen danach eine schmerzhafte massive Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Schultergelenks (Vorwärtsheben aktiv bis 30°, passiv bis 50°; Außenrotation bis 20°, Innenrotation bis 90°) und eine 10 cm lange reizlose Narbe. Die MdE betrage 25 v.H. und stelle damit keine wesentliche Änderung dar, da sich die MdE nur um 5 v.H. ändere. Die MdE könne sich aufgrund einer zunehmenden Verschlechterung der Schulter- und ACGelenksarthrose in den nächsten 24 Monaten erhöhen.

Das Gericht hat vom Amts wegen ein psychiatrisch-sozialmedizinisches Sachverständigengutachten bei Dr. P. eingeholt, welches dieser am 9. September 2017 erstattete. Die Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung weise darauf hin, dass das vom Kläger geschilderte und demonstrierte Ausmaß an Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und Funktionsdefiziten nicht dem authentischen Ausmaß der Beschwerden entspreche. Auch mit Nachweis der negativen Antwortverzerrung lasse sich somit eine eigenständige Schmerzstörung im Sinne einer Störung aus dem somatoformen Diagnosespektrum nicht belegen. Sowohl aktuell inspektorisch, als auch anhand dezidierter Messungen in Vorberichten hätten Zeichen einer lnaktivitätsarthrophie der Muskulatur rechts ausgeschlossen werden können. Gerade bei der geschilderten Schmerzschonhaltung erscheine der ausgesprochen muskulöse beidseitige, auch rechts bestehende Körperbau doch bemerkenswert. Auch die Handkraft rechts sei überdurchschnittlich hoch. Auf psychiatrischem Gebiet bestehe eine leichtgradige chronisch-depressive Verstimmtheit im Sinne einer Dysthymia (ICD 10 F34.1), welche jedoch nicht kausal auf den Arbeitsunfall zurück zu führen sei. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der depressiven Verstimmung, die in erster Linie im Zusammenhang mit Ehekonflikten, Trennung, Auseinandersetzungen um Kindessorge und Unterhalt sowie aufgrund finanzieller Sorgen, die der Kläger auch schon vor der Trennung als starke Belastung beschrieben habe, stehe. Insbesondere wiesen die umfangreichen BFW-Berichte, sowohl aus Heidelberg, als auch aus Schömberg darauf hin, dass beim Kläger keine psychische Störung bis zum ehelichen Trennungskonflikt bestanden habe, also bis gut zwei Jahre nach dem Arbeitsunfall.

Nach Auffassung des Klägers überzeugt das Sachverständigengutachten von Dr. P. nicht, da es die nunmehr chronische Depression auf einen Ehekonflikt reduziere; vielmehr sei der chronische Schmerzzustand infolge des Arbeitsunfalls hierfür relevant. Da Streitgegenstand eine vorläufige Rente sei, bei der nach § 62 SGB VII der vom-Hundert- Satz der MdE jederzeit ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu festgestellt werden könne, sei die Beklagte verpflichtet, die Rente jedenfalls ab April 2015 mit einer MdE von 25 v.H. zu bewerten. Aus dem Gutachten folge sogar, dass die Bewegungseinschränkungen und Beschwerden auch schon zuvor bestanden hätten, so dass hier keine Veränderung nach § 48 SGB X, sondern sogar eine Korrektur der MdE ab Rentenbeginn, d.h. ab 17. März 2014, vorzunehmen sei. Zum Zeitpunkt des Ablaufes des Dreijahreszeitraums im Juli 2015 habe jedenfalls festgestanden, dass die unfallbedingte MdE 25 v.H. betrage. Dies sei auch durch den weiteren Gutachter Prof. Dr. D. bestätigt worden. § 73 Abs. 3 SGB VII stehe nicht entgegen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 26. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 23. Juli 2012 die Schmerzhaftigkeit der Bewegungseinschränkung anzuerkennen sowie eine Verletztenrente nach einer höheren MdE zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte sieht sich durch das Gutachten von Dr. P. bestätigt und verweist darauf, dass die Höhe der MdE eine Rechtsfrage sei, über die nicht der Gutachter, sondern die Beklagte zu entscheiden habe. Eine Bindung an die Einschätzung des Sachverständigen bestehe nicht; die Gründe für die Abweichung von der Einschätzung von Prof. Dr. K. seien im Widerspruchsbescheid aufgeführt worden. Da das Gutachten von Prof. Dr. K. erst am 15. Juli 2015 bei der Beklagten eingegangen sei, habe keine fristgerechte Entscheidung über eine Rente auf unbestimmte Zeit mehr ergehen können, so dass die zunächst gewährte vorläufige Entschädigung zur Rente auf unbestimmte Zeit geworden sei. Abweichende MdE-Einschätzungen, die wie von Prof. Dr. D. mit einer Verschlimmerung der Unfallfolgen begründet würden, könnten nur dann zu einer Rentenerhöhung führen, wenn eine wesentliche Veränderung im Sinne von §§ 48 Abs. 1 SGB X, 73 Abs. 3 SGB VII gegeben sei. Auch Dr. J. habe bis auf eine Persönlichkeitsakzentuierung ohne Krankheitswert keine psychische Erkrankung beim Kläger feststellen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvortrags im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2015 ist teilweise rechtswidrig und aufzuheben. Bei dem Kläger ist die Schmerzhaftigkeit der Bewegungseinschränkung als weitere Unfallfolge anzuerkennen und ihm ist ab Dezember 2014 eine Verletztenrente nach einer MdE von 25 v.H. zu gewähren.

Dem Kläger wurde aufgrund des Versicherungsfalls in Form des anerkannten Arbeitsunfalls vom 23. Juli 2012 (§ 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII) bereits mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. Juni 2014 eine – zunächst vorläufige – Verletztenrente gem. §§ 56 Abs. 1 Satz 1, 62 SGB VII nach einer MdE von 20 v.H. bewilligt. Da die Beklagte nicht innerhalb von drei Jahren nach dem Versicherungsfall einen Bescheid über eine Rente auf unbestimmte Zeit erlassen hat, wurde die vorläufige Entschädigung ab dem 23. Juli 2015 als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet (§ 62 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Hierbei wurden in dem Bescheid vom 26. Juni 2014 als Unfallfolgen berücksichtigt: Am rechten Arm: Operativ versorgter Riss der Subscapularissehne mit mäßiger Bewegungseinschränkung im Schultergelenk und Kraftminderung des Armes sowie noch nicht vollständig erfolgte Anpassung und Gewöhnung an die Unfallfolgen.

Bei dem Kläger ist darüber hinaus als weitere Unfallfolge die Schmerzhaftigkeit der Bewegungseinschränkung anzuerkennen.

Zwar lässt sich nach dem psychiatrisch-sozialmedizinisches Sachverständigengutachten von Dr. P. vom 9. September 2017 eine eigenständige Schmerzstörung im Sinne einer Störung aus dem somatoformen Diagnosespektrum nicht belegen. Die Richtigkeit dieser Beurteilung stellt die erkennende Kammer auch nicht in Frage. Allerdings steht dies nicht im Widerspruch dazu, eine Schmerzhaftigkeit der – unstreitig bestehenden – Bewegungseinschränkung als Unfallfolge anzuerkennen. Insoweit folgt die Kammer dem schlüssigen und überzeugenden Zweiten Rentengutachten von Prof. Dr. K. vom 8. Juli 2015 sowie dem ebenfalls schlüssigen und überzeugenden Rentengutachten zur Nachprüfung MdE von Prof. Dr. D. vom 7. Dezember 2016. Aus beiden Gutachten geht als Unfallfolge eine schmerzhafte (massive) Einschränkung der Beweglichkeit in der rechten Schulter hervor. Die erkennende Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit dieser Bewertung der Sachverständigen zu zweifeln, so dass die Schmerzhaftigkeit der Bewegungseinschränkung antragsgemäß als weitere Unfallfolge anzuerkennen ist.

Die Anerkennung weiterer Unfallfolgen, insbesondere auf psychiatrischem Gebiet, wurde seitens des Klägers zuletzt nicht beantragt. In den Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet von Dr. J. vom 9. Juni 2015 und von Dr. P. vom 9. September 2017 ist für die erkennende Kammer überzeugend dargelegt, dass in diesem Bereich keine Unfallfolgen anzuerkennen sind.

Darüber hinaus hat der Kläger ab Dezember 2015 Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 25 v.H.

Der Erhöhung der MdE von 20 v.H. auf 25 v.H. seht § 73 Abs. 3 SGB VII nicht entgegen.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 Abs. 3 SGB VII spezifisch ergänzt. Danach ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt. Bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen kommt es zum einen auf die zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordene Feststellung tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse an, die ursächlich auf dem Unfall beruhen. Diese sind mit den bestehenden unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vorgelegen haben (vgl. z.B. BSG Urteile vom 13. Februar 2013 B 2 U 25/11 R und vom 23. Juni 1977 – 2 RU 93/75; Meibom in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 73 SGB VII, Rn. 44; Kranig in: Hauck/Noftz, SGB, 02/17, § 73 SGB VII, Rn. 23).

Vorliegend existiert jedoch keine bindend gewordene Feststellung der MdE, weil die erstmalige MdE-Feststellung im Bescheid vom 26. Juni 2014 über die Rente als vorläufige Entscheidung nach einer MdE von 20 v.H. gerade nicht bindend geworden, sondern Streitgegenstand des vorliegenden Klageverfahrens ist, so dass bereits der Ausgangspunkt für den nach § 73 Abs. 3 SGB VII vorzunehmenden Vergleich fehlt. In dieser Konstellation ist § 73 Abs. 3 SGB VII folglich nicht einschlägig, sondern es hat eine gerichtliche Überprüfung der im Bescheid vom 26. Juni 2014 getroffenen MdE-Bewertung zu erfolgen, ohne dass es auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ankommt. Da bei einer abgestuften Rentenfeststellung für die Vergangenheit 5 %-Stufen durch § 73 Abs. 3 SGB VII ebenfalls nicht ausgeschlossen sind (vgl. BSG, 29. September 1977, 8 RU 22/77, BSGE 44, 274), ist die vorliegende gestaffelte MdE-Bewertung mit 20 v.H. im Zeitraum vom 17. März 2014 bis November 2014 und mit 25 v.H. ab Dezember 2014 rechtlich zulässig und durch die Folgen der Revisionsoperation begründet. Die Beklagte wäre gehalten gewesen, diese Staffelung bereits im Widerspruchsverfahren zu berücksichtigen.

Die höhere MdE-Bewertung mit 25 v.H. ab Dezember 2014 begründet sich mit den Folgen der Revisionsoperation am 9. Dezember 2014.

Die Rentenbegutachtung ist eine Funktionsbegutachtung. Es wird hierbei festgestellt, welche Funktionen, die für die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben bedeutsam sein können, durch die vorliegenden Unfallfolgen beeinträchtigt werden und in welchem Ausmaße diese Beeinträchtigung besteht. Die Bemessung einer unfallbedingten MdE richtet sich also nach dem Umfang der körperlichen bzw. geistigen Beeinträchtigungen des Versicherten durch die Art der Unfallfolgen und den Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Zu berücksichtigen sind die Gesamtumstände des Einzelfalles. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeiten des Verletzten auswirken, sind zwar nicht verbindlich, bilden aber eine wichtige und unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen kann, in welchem Umfang die körperlichen bzw. geistigen Fähigkeiten des Versicherten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Darüber hinaus sind bei der Beurteilung der MdE auch die von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend, aber als Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis heranzuziehen sind. Die Entscheidung der Frage, in welchem Grad die Erwerbsfähigkeit des Versicherten durch Unfallfolgen gemindert ist, ist eine unter Berücksichtigung dieser Erkenntnis zu treffende Feststellung, die das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft.

Bei der MdE-Bewertung von Unfallfolgen an der Schulter ist wegen vielfältiger dreidimensionaler Bewegungseinschränkung die Schultervorhebung als Hauptkriterium zu werten. Der Normalwert für die Schultervorhebung beträgt 170°. Der Raum zwischen der unbedeutenden Beeinträchtigung durch die Verletzung und der Vorhebungsbeeinträchtigungen bei operativer Schulterversteifung wird in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit (9. Aufl. 2017, Ziff. 8.4.7, S. 560) zwischen einer MdE unter 10 v.H. bis 40 v.H. plausibel gegliedert: Eine Versteifung von Schultergelenk und Schultergürtel in Funktionsstellung (30° Vorwärts-und Seitwärtshebung und 30° Innendrehung) begründet eine MdE von 40 v.H., eine Schultergelenksversteifung (30° Abduktion) mit nicht eingeschränktem Schultergürtel wird mit einer MdE von 30 v.H. bewertet, bei einer konzentrischen Bewegungseinschränkung um die Hälfte wird eine MdE zwischen 25 v.H. (Schönberger) und 30 v.H. (Rompe/Erlenkämper und Weise/Schiltenwolf) diskutiert. Eine Bewegungseinschränkung vorwärts/seitwärts bis 90° bei freier Rotation bedingt eine MdE von 20 v.H. und bei einer Bewegungseinschränkung vorwärts/seitwärts bis 120° mit freier Rotation eine MdE von 10 v.H.

Vorliegend schwanken die gemessenen Bewegungsmaße der Schulter des Klägers zwar, eine Verschlechterung ist jedoch durchaus objektivierbar, insbesondere im Bereich der für die MdE-Bewertung besonders relevanten Schultervorwärtshebung. Die von Prof. Dr. G. gemessene Schultervorwärtshebung betrug vor der Revisionsoperation aktiv 90° (Erstes Rentengutachten, Untersuchung am 20. Februar 2014) und verschlechterte sich nach der Revisionsoperation im weiteren Verlauf. Während im Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K. (Zweites Rentengutachten, Untersuchung am 14. April 2015) noch eine Schultervorwärtshebung von aktiv 70° möglich war, reduzierte sich die Beweglichkeit insoweit weiter auf aktiv 30° bei der Untersuchung durch Prof. Dr. D. im Rentengutachten zur Nachprüfung (Untersuchung am 7. Oktober 2016). Auch die passive Beweglichkeit hat sich insoweit von 110° auf 50° verschlechtert. Die angegebenen Beschwerden des Klägers erscheinen der erkennenden Kammer auch vor dem Hintergrund der Schilderung des Klägers im Verhandlungstermin nachvollziehbar. Der Kläger gab insoweit an, dass er seit der Umsetzung des Brustmuskels bei der Operation im Dezember 2014 die Bewegungen aus dem Ellenbogen heraus machen muss, da der Brustmuskel immer dagegen ziehe und über die Schulter spanne, wenn er versuche, den Arm normal zu bewegen. Die Bewegungseinschränkung und Kraftminderung rechtfertigen eine MdE von 25 v.H. ab Dezember 2014.

Die Kammer schließt sich insoweit der MdE-Bewertung des Sachverständigen Prof. Dr. K. im Zweiten Rentengutachten vom 8. Juli 2015 an, welche auch von Prof. Dr. D. in seinem Rentengutachten zur Nachprüfung MdE vom 7. Dezember 2016 geteilt wird. Nach der Stellungnahme von Prof. Dr. K. wurde die MdE aufgrund des zum Zeitpunkt des Ersten Rentengutachtens erhobenen Befundes zutreffend mit 20 v.H. beurteilt. Im weiteren Verlauf kam es jedoch zu einer Verschlechterung des Bewegungsumfanges und Kraftminderung für Innenrotation mit der Erforderlichkeit einer Revisions-OP im Dezember 2014. Unter Einbeziehung dieser Erkenntnisse erachten die Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. D. in der Rückschau eine MdE von 25 v.H. für diesen Zeitabschnitt angemessen. Diese übereinstimmende MdE-Bewertung beider Sachverständiger steht auch im Einklang mit der dargestellten unfallmedizinischen Literatur.

Eine weitere Erhöhung dieser auf unfallchirurgischem Fachgebiet festgestellten MdE aufgrund der Schmerzhaftigkeit der Bewegungseinschränkung ist nicht geboten. Hierfür ergeben sich aus den für die erkennende Kammer schlüssigen und überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. J. und Dr. P. keine Anhaltspunkte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und spiegelt den Ausgang des Verfahrens wider.
Rechtskraft
Aus
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