S 21 AS 671/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 21 AS 671/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 44/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – (SGB II).

Der Kläger reiste im Februar 2012 aus dem Iran nach Deutschland. Zunächst lebte er, gemeinsam mit seiner Ehefrau und zwei minderjährigen Kindern, in Berlin. Die Bedarfsgemeinschaft stand bereits in Berlin im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Im Sommer 2012 fasste die Familie den Entschluss, wegen einer Arbeitsstelle, die der Kläger in A-Stadt gefunden hatte, dorthin umzuziehen. Der Kläger mietete zu diesem Zweck ab dem 01.09.2012 eine Wohnung in der A-Straße an. Am 03.09.2012 stellte er für sich und die übrigen Familienmitglieder einen Antrag auf laufende Leistungen bei der Beklagten, die durch Bescheid vom 18.09.2012 ab dem 01.09.2012 bewilligt wurden.

Der Kläger stellte schriftlich am 27.09.2012 bei der Beklagten einen Antrag auf Wohnungserstausstattung. Die Familie sei erst im Februar nach Deutschland gekommen und verfüge derzeit nur über eine unvollständige Wohnungseinrichtung. Sie habe vom Jobcenter in Berlin keine entsprechenden Leistungen erhalten. Der Kläger fügte ein Verzeichnis diverser benötigter Einrichtungsgegenstände bei. Das Jobcenter in Berlin bestätigte durch Schreiben vom 15.10.2012, dass die Familie von dort keine Leistungen für eine Erstausstattung erhalten hatte. Am 06.11.2012 fand daraufhin ein Hausbesuch des Ermittlungsaußendienstes in der neuen Wohnung statt, der zum Ergebnis hatte, dass die Wohnung im Wesentlichen voll eingerichtet war. Der Kläger gab in diesem Rahmen an, dass die Familie in Berlin nur eine Ein-Zimmer-Wohnung bewohnt habe. Der Antrag wurde durch Bescheid vom 07.11.2012 abgelehnt. Die Familie verfüge bereits über alle notwendigen Einrichtungsgegenstände.

Der Kläger legte am 27.11.2012 Widerspruch ein. Er begründete diesen damit, er habe sich Geld ausleihen müssen, um für seine Kinder notwendige Möbelstücke anzuschaffen. Es sei nicht möglich gewesen, eine Entscheidung der Beklagten abzuwarten, da die Wohnung sonst nicht bewohnbar gewesen wäre. Er legte eine Rechnung und eine Quittung der Fa. D. A-Stadt vor, wonach er dort am 31.08.2012 ein Jugendzimmer sowie einen Federholzrahmen sowie einige andere Hausratsgegenstände für insgesamt 530,05 EUR erworben und sogleich bezahlt hat. Weiter reichte er eine Rechnung der Fa. E. GmbH über 189 EUR für die Lieferung und Montage des Jugendzimmers am 04.09.2012 ein. Schließlich kam eine undatierte Rechnung eines Herrn F. zur Vorlage, worin dieser den Verkauf einiger Einrichtungsgegenstände für einen Gesamtpreis von 650 EUR bestätigte. Die Beklagte fragte bei Herrn F. telefonisch nach und erhielt die Auskunft, die Sachen seien am 15.09.2012 an die Familie geliefert worden. Durch Bescheid vom 24.06.2013 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Antrag auf die Leistungen für Wohnungserstausstattung sei erst gestellt worden, nachdem der Bedarf bereits gedeckt worden war. Eine Übernahme von Schulden aus SGB II – Mitteln sei nicht möglich.

Der Kläger hat am 26.07.2013 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Er trägt vor, der Antrag auf Erstausstattung sei rechtzeitig gestellt worden. Die Antragstellung am 27.09.2012 wirke auf den Ersten des Monats zurück. Die Möbel seien sämtlich erst im September geliefert worden. Wann er den Kaufvertrag mit Herrn F. genau geschlossen habe, könne er nicht mehr genau sagen. Zudem sei es wegen der kleinen Wohnung in Berlin von vornherein klar gewesen, dass zusätzliche Möbel benötigt würden. Die Beklagte habe ihn auf das Erfordernis einer gesonderten Antragstellung hierfür hinweisen müssen.

Er beantragt,
den Bescheid vom 07.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Erstausstattung für seine Wohnung in Höhe der Beträge zu gewähren, die sich aus den Rechnungen des Herrn F. (Bl. 139 der Leistungsakte) der Firma D. (Bl.133 der Leistungsakte) und der Firma E. GmbH (Bl. 130 der Leistungsakte) ergeben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, entscheidend für die Frage einer Bedarfsdeckung vor Antragstellung müsse sein, wann der Kläger den Kaufvertrag für die selbstbeschafften Möbel abgeschlossen oder jedenfalls, wann er diese erhalten habe. Die Rückverlagerung des Zeitpunkts der Antragstellung auf den Ersten des Monats könne nicht zur Anwendung kommen. Sinn und Zweck der vorherigen Antragstellung sei es, dem Hilfebedürftigen einen gewissen Kostenrahmen vorzugeben und auch kontrollieren zu können, ob der Bedarf überhaupt bestehe.

Im Übrigen sei es im Jahr 2012 bei ihr üblich gewesen, dass die Erstausstattung in Form von Sachleistungen, d.h. durch Aushändigung von Anforderungsscheinen für Sozialkaufhäuser, gedeckt worden sei. Nur wenn dort keine Möbel vorhanden gewesen seien, habe man auch Geldleistungen bewilligt, was jedoch selten eingetreten sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Leistungsakte der Beklagten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da der Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine wesentlichen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist.

Der Bescheid vom 07.11.2012 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 03.04.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Wohnungserstausstattung in Form der Erstattung bzw. Übernahme der im Rahmen der Selbstbeschaffung angefallenen Kosten.

Nicht vom Regelbedarf nach § 20 SGB II umfasst sind insb. Bedarfe für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten (§ 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II). Leistungen für diese Bedarfe werden gesondert erbracht. Leistungen nach Satz 2 werden auch erbracht, wenn Leistungsberechtigte keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung benötigen, den Bedarf nach Satz 1 jedoch aus eigenen Kräften und Mitteln nicht voll decken können. In diesem Fall kann das Einkommen berücksichtigt werden, das Leistungsberechtigte innerhalb eines Zeitraumes von bis zu sechs Monaten nach Ablauf des Monats erwerben, in dem über die Leistung entschieden wird. Die Leistungen für Bedarfe nach Satz 1 Nummer 1 und 2 können als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen.

Ob die tatbestandlichen Voraussetzung einer "Erstausstattung" hier vorliegt und ob der Antrag auf Erstausstattung hier rechtzeitig, d.h. vor Bedarfsdeckung, gestellt worden ist, kann im Ergebnis dahinstehen. Denn der Kläger kann jedenfalls keine Geldleistung beanspruchen, weil er durch die Anschaffung der Einrichtungsstücke ohne Not die Ausübung des Ermessens der Beklagten hinsichtlich der Frage Sach- oder Geldleistung vereitelt hat.

Der Anspruch nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist im Sinne eines unbedingten Rechtsanspruchs zu realisieren, wenn die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Der Beklagten steht allerdings ein Auswahlermessen dergestalt zu, dass sie die Leistungen entweder als Sachleistungen oder als Geldleistungen, letztere auch in Form von Pauschalbeträgen erbringen kann. Dieses Auswahlermessen kann die Beklagte nach der Selbstbeschaffung der Möbel durch den Kläger nicht mehr ausüben. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Geldleistung scheitert mithin dann, wenn keine Gesichtspunkte vorliegen, die das Ermessen der Beklagten im Sinne einer "Ermessensreduktion auf Null" einschränken (BSG, Urteil v. 19.08.2010 – B 14 AS 36/09 R - , verfügbar bei Juris).

Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte für eine Ermessensreduktion auf Null. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus einer Verwaltungsvorschrift der Beklagten, wonach in der Regel immer Geldleistungen zu erbringen wären. Vielmehr hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, im Jahr 2012 solche Geldleistungen nur in seltenen Fällen erbracht zu haben. Eine Ermessenreduktion folgt hier auch nicht daraus, dass die Beklagte den Kläger hätte frühzeitig über das Prozedere der Erstausstattungsbeantragung informieren müssen. Denn der Kläger hat sich wegen der Wohnungseinrichtung erstmals Ende September 2012, nachdem er bereits sämtliche Möbel selbst beschafft hatte, an die Beklagte gewandt. Es ist auch nicht ersichtlich, welchen Anlass die Beklagte gehabt haben sollte, von sich aus bereits vorher eine Beratung des Klägers durchzuführen. Die Beklagte hat erst im Rahmen des Hausbesuchs im November davon Kenntnis erlangt, dass die Familie in Berlin offenbar in einer Ein-Zimmer-Wohnung gelebt und damit wahrscheinlich einen Erstausstattungsbedarf hatte.

Besteht im Ergebnis ein Leistungsanspruch auf Geld unmittelbar aus § 24 Abs. 3 SGB II nicht, ist nach dem o.g. Urteil des BSG im Hinblick auf die vom Kläger selbst beschafften Leistungen (hilfsweise) einen Kostenerstattungsanspruch zu prüfen:

"Wie der Senat bereits entschieden hat, ist die Erstattung von Kosten bei Selbstbeschaffung unaufschiebbarer Sozialleistungen (also in Eil- und Notfällen) sowie im Falle rechtswidriger Leistungsablehnung Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens im Sozialrecht (vgl bereits BSGE 84, 50, 56 f = SozR 3-3300 § 12 Nr 1 S 8 = juris RdNr 36; Grube, Sozialrecht aktuell 2010, 11, 12). Liegen seine Voraussetzungen vor, wandelt sich auch im Anwendungsbereich des SGB II ein Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch gerichtet auf Geld um (vgl BSG Urteil vom 17.6.2010 - B 14 AS 58/09 R).

Auch wenn die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der §§ 19 ff SGB II im Einzelnen - wie oben dargelegt - nicht "antragsabhängig" sind, sondern die im Einzelfall erforderlichen Leistungen von dem (ersten) Antrag auf laufende Leistungen erfasst sind, setzt ein Kostenerstattungsanspruch in den Fällen des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB II im Grundsatz aber voraus, dass der Träger der Grundsicherung vor Inanspruchnahme einer vom Hilfebedürftigen selbst beschafften Leistung bei Entstehen des konkreten Bedarfs mit dem Leistungsbegehren in der Sache befasst wurde. Nur dann ist es dem Träger möglich, sein Auswahlermessen pflichtgemäß auszuüben. Eine Kostenerstattung kommt damit grundsätzlich erst bei Selbstbeschaffung einer Leistung nach einer rechtswidrigen Leistungsablehnung in Betracht."

Vorliegend hat der Kläger die Beklagte erst nach Kauf und Lieferung der Möbel mit dem Erstausstattungsbedarf befasst. Es bestand auch kein Fall einer unaufschiebbaren Notlage, die eine vorherige Antragstellung verunmöglicht hätte. Der Kläger hat sich wegen der Anmietung der Wohnung bereits frühzeitig (nämlich im Juni 2010) mit dem Jobcenter in Berlin und der Beklagten in Verbindung gesetzt. Der Bedarf an Möbeln war schon zu diesem Zeitpunkt absehbar. Trotzdem hat der Kläger sich erst Ende September deswegen an die Beklagte gewandt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Das zulässige Rechtsmittel der Berufung ergibt sich aus den §§ 105 Abs. 2, 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
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