S 21 AL 751/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 21 AL 751/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 37b SGB III manifestiert (auch) eine höchstpersönliche Obliegenheit des
potentiell Arbeitslosen, die eigene Arbeitslosigkeit zu vermeiden bzw. einen
Anschlußarbeitsplatz zu finden. Über Sorgfaltspflichten in eigenen
Angelegenheiten muß und kann kein Dritter aufklären; für Dinge des eigenen
allgemeinen Risikobereichs muß jeder selbst Sorge tragen. 2. Der Begriff "frühestens" in § 37b S. 2 SGB III ist nicht als fester Termin oder offene Frist, sondern im Sinne eines Zeitfensters auszulegen. In Kongruenz zu den §§ 37b S. 1 SGB III und 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB bedeutet daher "frühestens" in § 37b S. 2 SGB III drei Monate vor Ende des
Versicherungspflichtverhältnisses bis zu einem Monat vor Ende des
Versicherungspflichtverhältnisses.
I. Die Beklagte wird in Abänderung des Bescheides vom 09.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2004 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum 01.02.2004 bis 29.02.2004 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe ohne eine Minderung nach § 140 SGB III zu bezahlen. II. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten. III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Minderung des klägerischen Arbeitslosengeldes für den Zeitraum 01.02.2004 bis 29.02.2004.

Die 1964 geborene Klägerin bezog in der Zeit vom 24.06.2002 bis 10.12.2002 von der Beklagten Arbeitslosengeld (Alg). Im Anschluß an einen Zeitraum ohne Leistungsbezug war die Klägerin vom 01.02.2003 an bei dem Unternehmen M. GmbH als Grafikerin beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis endete durch Änderungskündigung des Arbeitgebers vom 13.10.2003 zum 15.11.2003. Die Klägerin hatte die Weiterbeschäfti-gungsmöglichkeit zu veränderten Bedingungen nicht ange-nommen.

Ohne Zwischenraum in der Arbeitsbiographie nahm die Klägerin am 16.11.2003 eine Beschäftigung bei der A. GmbH als Werbedesignerin auf. Diese Beschäftigung war von Anfang an bis zum 31.01.2004 befristet, aber mit einer Verlängerungsoption für den Fall weiterer Aufträge versehen. Die Beklagte hatte keine Kenntnis von dieser befristeten Beschäftigung.

Am 30.12.2003 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg zum 01.02.2004.

Mit Schreiben vom 05.02.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß sie ihrer Pflicht, sich unverzüglich beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden, sobald sie den Zeitpunkt der Beendigung ihres Versicherungspflichtverhältnisses kenne, nicht nachgekommen sei. In der Folge dessen würde sich ihr Anspruch auf Leistungen mindern; in ihrem Fall konkret in Höhe von 9,45 Euro von der täglichen Leistung.

Mit Bescheid vom 09.02.2004 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg mit einen wöchentlichen Leistungssatz in Höhe von 132,37 Euro bei einem gerundeten Bemessungsentgelt von 405,00 Euro und der Einordnung der Klägerin in die Leistungsgruppe D bei einem Kindermerkmal.

Dagegen legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 12.02.2004 am 16.02.2004 Widerspruch ein, den sie im wesentlichen damit begründete, daß sie sich korrekt verhalten hätte. Ihr sei im September 2003 bei einer persönlichen Vorsprache bei der Beklagten das aktuelle Merkblatt für Arbeitslose ausgehändigt worden, in dem vermerkt sei, daß die Arbeitslosmeldung spätestens am ersten Tag der Arbeitslosigkeit zu erfolgen habe. Diesen Termin hätte sie um 33 Tage unterschritten.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2004 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte im wesentlichen den einschlägigen Gesetzestext der §§ 37 b, 140 SGB III an und positionierte sich dahingehend, daß sich die Klägerin aufgrund des befristeten Arbeitsverhältnisses vom 16.11.2003 bis 31.01.2004 unverzüglich bis spätestens 17.11.2003 im Arbeitsamt hätte arbeitssuchend melden müssen. Tatsächlich sei dies aber erst am 30.12.2003 erfolgt. Im übrigen ergäbe sich bei einem Bemessungsentgelt von 405,00 Euro ein Minderungsbetrag in Höhe von 35,00 Euro täglich bzw. in Höhe von insgesamt 1.050,00 Euro für maximal 30 Tage verspäteter Meldung.

Dagegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.03.2004 am 06.04.2004 Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben.

Sie greift ihre Argumentation aus dem Widerspruchsschreiben auf und fragt sich, wie sie die aktuelle Rechtslage hätte genauestens kennen sollen, wenn sie von der Beklagten veraltete Merkblätter mitbekomme. Ihr seien die Regelungen der neuen Gesetzeslage nicht zugänglich und daher nicht bekannt gewesen. Sie hätte nicht gewußt, daß sie sich vorzeitig arbeitssuchend melden müsse und sei vom Arbeitsamt auch nicht darauf hingewiesen worden. Aufgrund der Verlängerungsoption des befristeten Arbeitsvertrages habe sie berechtigte Hoffnung auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den 31.01.2004 hinaus gehabt. Als ihr von ihrem Arbeitgeber offeriert wurde, daß die Auftragslage eine Weiterbeschäftigung nicht zuließe, habe sie sich unverzüglich – am 30.12.2003 – arbeitslos gemeldet. Im übrigen hätte die Klägerin sich auch ansonsten rechtzeitig im Sinne des § 37b SGB III arbeitslos gemeldet. Eine Verletzung dieser Vorschrift sei nicht ersichtlich. Dem Wortlaut des § 37b S. 2 SGB III sei eindeutig zu entnehmen, daß im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses eine Meldung frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen hätte. Dies hieße, daß die Klägerin sich hätte frühestens drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2004 bei der Beklagten, also am 17.11.2003, arbeitslos melden können. Die Klägerin sei aber nicht verpflichtet gewesen, sich spätestens am 17.11.2003 arbeitssuchend zu melden. Im Gegenteil, die gesetzliche Dreimonatsfrist sei keine Ausschlußfrist, sondern eine offene Frist, die lediglich den frühesten Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung bei befristeten Arbeitsverhältnissen genau definiere.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 09.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum 01.02.2004 bis 29.02.2004 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe ohne einen Minderungsbetrag zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt hinsichtlich ihrer rechtlichen Ansicht im wesentlichen auf ihren Widerspruchsbescheid und den Inhalt der Leistungsakte Bezug und ist ergänzend der Ansicht, daß § 37b SGB III eine Obliegenheit des Arbeitslosen darstelle, die durch Handeln oder Unterlassen Dritter nicht ersetzt werden könne. Für die Verletzung dieser Obliegenheitspflicht sei es unerheblich, ob dem Arbeitslosen die Pflicht zur Meldung bekannt war. Die in § 37b S. 2 SGB III genannte Frist sei keine offene Frist; sie bezeichne vielmehr den frühestmöglichen Zeitpunkt einer persönlichen Meldung im Falle befristeter Arbeitsverhältnisse. Der Endpunkt der Meldung werde durch den Begriff der unverzüglichen Meldung markiert. Der Arbeitsvertrag wäre in jedem Falle eindeutig bis zum 31.01.2004 befristet gewesen. Die Klägerin hätte daher zunächst davon ausgehen müssen, daß das Beschäftigungsverhältnis zu diesem Termin durch Zeitablauf ende.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit den gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2004 Bezug genommen. Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten unter der Stammnr. beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Klage war wie erkannt stattzugeben, weil sie zulässig und begründet ist. Der Bescheid der Beklagten vom 09.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2004 war entsprechend abzuändern, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat für den Zeitraum 01.02.2004 bis zum 29.02.2004 Anspruch auf Arbeitslosengeld ohne eine Minderung nach § 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).

1. Der Anspruch der Klägerin auf Alg ab dem 01.02.2004 ergibt sich aus § 117 Abs. 1 SGB III in der geltenden Fassung. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt.

Entgegen der Ansicht der Beklagten tritt einen Minderung des Alg nach § 140 SGB III nicht ein. Die Vorschrift in der Fassung vom 23. Dezember 2002, gültig ab 1. Juli 2003 bis 31. Dezember 2004, bestimmt: "Hat sich der Arbeitslose entgegen § 37b nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet, so mindert sich das Arbeitslosengeld, das dem Arbeitslosen auf Grund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist. Die Minderung beträgt 1. bei einem Bemessungsentgelt bis zu 400 Euro sieben Euro, 2. bei einem Bemessungsentgelt bis zu 700 Euro 35 Euro und 3. bei einem Bemessungsentgelt über 700 Euro 50 Euro für jeden Tag der verspäteten Meldung. Die Minderung ist auf den Betrag begrenzt, der sich bei einer Verspätung von 30 Tagen errechnet. Die Minderung erfolgt, indem der Minderungsbetrag, der sich nach den Sätzen 2 und 3 ergibt, auf das halbe Arbeitslosengeld angerechnet wird." Die Vorschrift generiert mithin eine Rechtsfolgenverortung des § 37b SGB III, dessen Voraussetzungen zwingend gegeben sein müssen, wenn eine Minderung nach § 140 SGB III eintreten soll.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind vorliegend aber die Voraussetzungen des § 37b SGB III nicht gegeben. § 37b SGB III in der Fassung vom 23. Dezember 2002, gültig ab 1. Juli 2003 bis 31. Dezember 2003 regelt, daß "Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet sind, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich beim Arbeitsamt arbeitsuchend zu melden. Im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen. Die Pflicht zur Meldung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses gerichtlich geltend gemacht wird. Die Pflicht zur Meldung gilt nicht bei einem betrieblichen Ausbildungsverhältnis." Für den vorliegenden Rechtsstreit ist die Regelung des § 37b S. 1 SGB III nicht einschlägig, weil das der Arbeitslosigkeit vorangehende Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bei der A. GmbH nicht durch Kündigung, sondern aufgrund einer Befristungsregelung durch Zeitablauf endete. Das Vorhandensein einer Verlängerungsoption ändert insoweit nichts an dem Charakter einer Zeitbefristung (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 1. Alt. TzBfG), da die Dauer des Arbeitsverhältnisses von Anfang an bestimmt war und nicht vom Eintritt eines späteren Ereignisses (etwa Zweckerfüllung) abhängig gemacht worden ist. Für befristete Arbeitsverhältnisse hält der § 37b SGB III in seinem Satz 2 aber eine Sonderregelung bereit (so auch Coseriu/Jakob, in: Wissing/Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe (Hrsg.), Sozialgesetzbuch III, Arbeitsförderung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2004, § 37b Rn. 11; a.A. wohl Voelzke, in: Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 Rn. 494, der in § 37b S. 2 SGB III eine unselbständige Begrenzung des Satzes 1 sieht). Nach § 37b S. 2 SGB III hat die Meldung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen. In diesem Zusammenhang waren für die Kammer zwei rechtliche Fragestellungen von entscheidungserheblicher Bedeutung: 1. Kann sich die Klägerin mit Erfolg auf die Unkenntnis der Regelung des § 37b S. 2 SGB III berufen und 2. wie ist der Wortlaut "frühestens" der Vorschrift zu interpretieren.

a) Zur Überzeugung der Kammer kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, nichts von der Regelung des § 37b S. 2 SGB III gewußt zu haben, respektive nicht belehrt worden zu sein. Denn § 37b SGB III begründet eine Obliegenheit des Versicherten, den Eintritt des Versicherungsfalles zu vermeiden (Spellbrink, in: Henning, SGB III, Arbeitsförderung, Kommentar mit Nebenrecht, Loseblattsammlung, § 37b Rn. 23 f.) Insofern stellt § 37b SGB III eine gesetzliche Normierung dieser allgemeinen Obliegenheitspflicht des Versicherten aus dem Versicherungsverhältnis dar, die entgegen des Wortlautes keine Rechtpflicht ist, da die Bundesagentur die "frühzeitige Arbeitssuche" im Sinne des § 37b SGB III nicht erzwingen kann (Spellbrink, in: Henning, SGB III, § 37b Rn. 24). Die genannte Obliegenheitspflicht des Versicherten besteht zu einem gegenüber der Versichertengemeinschaft, um diese vor dem Risiko des Versicherungsfalls "Arbeitslosigkeit" zu bewahren, sie besteht aber auch im wohlverstandenen Sinne einer "diligentia quam in suis" gegenüber dem Versicherten selbst. Mit anderen Worten: Es ist eine höchstpersönliche Obliegenheit des potentiell Arbeitslosen und in seinem ureigenen Interesse, die eigene Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Damit hat er gegenüber sich selbst die Sorgfalt zu tragen, nicht arbeitslos zu werden bzw. einen Anschlußarbeitsplatz zu finden, um in eigener Angelegenheit für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Der § 37b SGB III begründet nämlich insoweit eine unbedingte Verhaltens- und Handlungspflicht des Versicherten. Soweit man aus der in § 37b SGB III manifestierten Obliegenheitspflicht des Versicherten gegenüber der Versichertengemeinschaft überhaupt noch eine Informations- und Beratungspflicht der Beklagten ableiten will (wie die Kammer dagegen wohl auch Spellbrink, in: Henning, SGB III, § 37b Rn. 26 f.), verbietet sich dergleichen jedenfalls bei dem Teil der Obliegenheitspflicht des § 37b SGB III, der eine Sorgfaltspflicht in eigenen Angelegenheiten begründet. Über eigene höchstper-sönliche Pflichten muß und kann kein Dritter aufklären; für Dinge des eigenen allgemeinen Risikobereichs muß jeder selbst Sorge tragen. So wird letztlich die Kenntnis von der gesetzlichen Pflicht zur frühzeitigen Arbeitssuchendmeldung im Sinne des § 37b SGB III dem Bürger im Falle seiner nicht oder nicht rechtzeitigen Meldung typisierend zugerechnet (mit der Rechtsfolge der Minderung des Alg gemäß § 140 SGB III) (Spellbrink, in: Henning, SGB III, § 37b Rn. 27). Eine Exkulpation des Versicherten mit Nichtwissen gibt es im Rahmen des § 140 SGB III nicht(Spellbrink, in: Henning, SGB III, § 37b Rn. 27). Aus diesem Grund war es für die Ent-scheidung auch ohne Belang, ob die Beklagte der Klä-gerin ein aktuelles Merkblatt hätte aushändigen müssen bzw. ob sie sich an das alte Merkblatt festhalten las-sen muß.

b) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Klägerin mit ihrer persönlichen Vorsprache am 30.12.2003 ihrer Pflicht aus § 37b S. 2 SGB III rechtzeitig nachgekommen. Denn dieses Datum ist (auch) "frühestens" im Sinne des § 37b S. 2 SGB III. Nach dieser Vorschrift hat die Meldung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen. In diesem Wortlaut ist auch die Möglichkeit begründet, daß eine Meldung später auch noch möglich sein kann (vgl. dazu auch Spellbrink, in: Henning, SGB III, § 37b Rn. 56). Dies ist umso schlüssiger, als auch eine Bezugnahme auf die Unverzüglichkeit der Meldung in § 37b S. 1 SGB III fehlt. Von seinem Wortlaut her kann § 37b S. 2 SGB III daher nicht so verstanden werden, daß der Meldepflicht unverzüglich an dem Tag Folge geleistet werden muß, der drei Monate vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegt. Nicht desto trotz ist es Aufgabe des Rechtsanwenders Normen zu interpretieren. Damit stellte sich der Kammer die Frage, wie der Begriff "frühestens" in § 37b S. 2 SGB III zu verstehen ist. In der Literatur wird dazu eine Lesart der Norm vorgeschlagen, die das vom Gesetzgeber nicht begründete Füllwort "frühestens" negiert: "Im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen." (so Spellbrink, in: Henning, SGB III, § 37b Rn. 58). Dieser Ansicht ist allerdings entgegenzuhalten, daß damit die Norm nicht ausgelegt, sondern ersetzt wird. Ersetzt mit einem Sinngehalt der wohl etwas anderes meint, nämlich anstelle eines Zeitfensters einen konkreten Termin. Dieses wiederum würde aber eine Bearbeitung der Vorschrift bedeuten, die über eine Interpretation hinausgeht und gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Die verfassungsmäßige Bindung der Richter an das Gesetz, die den Vorrang der gesetzgebenden Gewalt vor den anderen "Gewalten" im Prozeß der Rechtsschöpfung bedeutet – was die Mitwirkung der richterlichen Gewalt in diesem Prozeß nicht ausschließt – würde sonst bedeutungslos (Auslegung, nicht Hineinlegung; siehe zum ganzen Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 139). Die Auslegung einer Vorschrift hat sich daher nicht zuletzt am ihrem Wortsinn zu orientieren und setzt im Ergebnis voraus, daß genau dieses Ergebnis im Wortsinn einen Niederschlag bzw. eine Andeutung findet (vgl. dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 163 ff., insb. S. 166 " ... Da der Wortsinn die möglichen Auslegungen einer Bestimmung begrenzt ..."). Aus diesem Grund ist dem § 37b S. 2 SGB III dessen Begriff "frühestens" zu erhalten und schließlich so zu interpretieren, daß die Meldepflicht zwar später, nie aber früher als drei Monate ("frühestens") vor Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses eintreten kann (so im Ergebnis auch Coseriu/Jakob, in: Wissing/Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe (Hrsg.), Sozialgesetzbuch III, Arbeitsförderung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2004, § 37b Rn. 12). Die Negierung des Wortes "frühestens" würde all die Fälle dem Anwendungsbereich des § 37b S. 2 SGB III verschließen, bei denen das Versicherungspflicht-verhältnis weniger als drei Monate befristet wäre. Denn dann könnte die Vorschrift – und dies wohl zu recht – so interpretiert werden, daß sie für kürzer als dreimonatig befristete Versicherungspflichtverhältnisse gar nicht anwendbar wäre. Dabei war sich die Kammer bewußt, daß die vorgeschlagene Auslegung der Vorschrift nicht zugleich bedeuten kann, daß die Arbeitssuchendmeldung auch noch am Tage vor dem Ende des Versicherungspflichtverhältnisses rechtzeitig wäre. Eine solche weite Auslegung im Sinne einer "offenen Frist" würde die gesetzgeberische Intention des § 37b SGB III torpedieren. Der Gesetzgeber verfolgt mit der frühzeitigen Arbeitssuchendmeldung den Zweck, eine Eingliederung von Arbeitssuchenden zu beschleunigen und damit Arbeitslosigkeit und Entgeltersatzleistungen der Versichertengemeinschaft möglichst zu vermeiden bzw. die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen (BT-Drucks. 15/25 S. 27). Letztlich soll das Ziel erreicht werden, ohne zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit von Beschäftigung in Beschäftigung zu wechseln (Bericht der Hartz-Kommission, S. 82). Es geht mithin darum, die wertvolle Zeit zwischen der Kenntnis des Endes und eben diesem Ende des Versicherungspflichtverhältnisses mit der aktiven Vermittlung des Arbeitlosen auszufüllen (§ 35 SGB III, vgl. auch BT-Drucks. 15/25 S. 27), um besser in der Lage zu sein, einen unmittelbaren Anschlußarbeitsplatz zu erhalten. Bei der Auslegung des Begriffes "frühestens" ist dies zu beachten und daher auf die teleologische Interpretationsmethode zurückzugreifen, die unter Berücksichtigung des Rechtssystems, der Rechtsgeschichte und dem objektiven Willen des Gesetzgebers die in dem Rechtssatz zum Ausdruck gekommenen Bewertungen der beteiligten Interessen ermittelt (vgl. dazu etwa Müller-Erzbach, AcP 1955, 229; Edelmann, Die Entwicklung der Interessenjurisprudenz, 1967, passim). Es muß folglich ein vermittelnder Weg zwischen der weiten Auslegung "offene Frist" und dem anderen Extrem "konkreter Termin" im Sinne eines "Zeitfensters" gefunden werden. Mit anderen Worten: Es ist eine Auslegung zu finden, die sowohl der gesetzgeberischen Entscheidung des Nutzens der Zeit des Auslaufens des Beschäftigungsverhältnisses ("Personen, ..., sollen sich deshalb so früh wie möglich persönlich beim Arbeitsamt arbeitssuchend melden.", BT-Drucks. 15/25 S. 27) als auch dem Wortlaut des § 37b S. 2 SGB III "frühestens" gerecht wird. Dazu bietet es sich auch im Hinblick auf § 37b S. 1 SGB III förmlich an, Anleihen bei dem klassischen Beendigungsinstitut von Dauerrechtsverhältnissen, nämlich der Kündigung, zu holen. Unterstützung für die Auslegung gewährt ein Rückgriff auf die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB, der die gesetzlich kürzeste Monats-Kündigungsfrist eines "normalen" Arbeitsverhältnisses normiert. Die Norm in der derzeit gültigen Fassung bestimmt: "Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats." Es erscheint daher im Sinne einer gerechten Lösung angebracht, die Grenze der "frühesten" Arbeitssuchendmeldung eben genau bei einem Monat vor Ende des Versicherungspflichtverhältnisses zu ziehen und dem Arbeitslosen damit ein Zeitfenster von zwei Monaten zu eröffnen. "Frühestens" im Sinne von § 37b S. 2 SGB III bedeutet mithin drei Monate vor Ende des Versicherungspflichtverhältnisses bis zu einen Monat vor Ende des Versicherungspflichtverhältnisses. Diese Auslegung der Vorschrift bedeutet zugleich auch eine Kongruenz des Satzes 2 zu Satz 1 des § 37b SGB III. Es findet dann nämlich keine sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Ungleichbehandlung der Fälle mehr statt, in denen einerseits ein unbefristetes fünfzehn bis zwanzig Jahre gedauertes Arbeitsverhältnis gekündigt wird und anderseits ein von Anfang an auf sechs bzw. sieben Monate befristetes Arbeitsverhältnis ausläuft. Ersterenfalls müßte nach § 37b S. 1 SGB III die frühzeitige Arbeitssuchendmeldung sechs bzw. sieben Monate vor Beschäftigungsende erfolgen (vgl. § 622 Abs. 2 Nr. 6 bzw. 7 BGB), während dies bei gleicher Ausgangssituation (Arbeitsende in sechs bzw. sieben Monaten) bei dem befristeten Arbeitsverhältnis "frühestens" drei Monate vor Ende des Beschäftigungsverhältnisses der Fall sein soll (vgl. das Beispiel bei Spellbrink, in: Henning, SGB III, § 37b Rn. 57). Die Gesetzesbegründung jedenfalls läßt keinen plausiblen Grund für eine Sonderbehandlung bzw. Bevorzugung befristeter Arbeitsverhältnisse gegenüber gekündigten erkennen (so auch Spellbrink, in: Henning, SGB III, § 37b Rn. 57). Andererseits findet mit der vorgenommenen Auslegung des § 37b S. 2 SGB III auch keine übergebührlich großzügige Privilegierung von befristeten Versicherungspflichtverhältnissen gegenüber unbefristeten Versicherungspflichtverhältnissen statt. Denn es dürfte in der überwiegenden Anzahl ohnehin der Fall sein, daß Beschäftigungsverhältnisse nicht länger als zwei Jahre befristet werden, weil ansonsten ein sachlicher Grund für die Befristung gegeben sein müßte, § 14 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 Satz 2 TzBfG. Wenn ein (unbefristetes) Arbeitsverhältnis nun aber zwei Jahre bestanden hat, beträgt die gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB einen Monat zum Ende eines Kalendermonats – und löst entsprechend das Regime des § 37b S. 1 SGB III aus. Es erscheint dann sachgerecht jedenfalls bei bis zu zwei Jahren befristeten Beschäftigungsverhältnissen ebenfalls von diesem einen Monat auszugehen, mithin den § 37b S. 2 SGB III im Sinne des beschriebenen Zeitfensters auszulegen. Dies eröffnet für vergleichbare Sachverhalte eine kongruente Anwendungsweise der einzelnen Sätze des § 37b SGB III. Mag sein, daß der Gesetzgeber einen konkreten Termin und kein Zeitfenster für die Meldepflicht im Auge hatte. Vom Wortlaut und der gängigen Interpretationsregel her hat er sich aber eben für dieses Zeitfenster entschieden. Wenn dem Gesetzgeber daran gelegen ist, die Arbeitssuchendmeldung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses "spätestens" drei Monate vor dessen Beendigung erfolgen zu lassen, ist er berufen, aber auch aufgerufen, eine entsprechende Änderung des Gesetzeswortlautes vorzunehmen. Bis dahin ist die Vorschrift wortlautgetreu und dem objektiven Gesetzgeberwillen entsprechend zu verwenden.

2. Die verbundene Arbeitssuchend- und Arbeitslosmeldung der Klägerin am 30.12.2003 war daher (noch) rechtzeitig, weil sie frühestens drei Monate vor Ende des am 31.01.2004 endenden Versicherungspflichtverhältnisses aber auch mehr als einen Monat vor eben diesem Ende erfolgte. Die Klägerin ist daher ihrer in § 37b S. 2 SGB III manifestierten Obliegenheit rechtzeitig nachgekommen. Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 37b SGB III, die Minderung des Arbeitslosengeldes nach § 140 SGB III, trat nicht ein. Die Klägerin hat Anspruch auf ein nichtgemindertes Alg, so daß die Bewilligung der Beklagten zu korrigieren war.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Berufung war nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Diese ergibt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden Interpretation des § 37b S. 2 SGB III durch die Kammer und einer damit verbundenen grundsätzlichen Klärung der Rechtsfrage, da soweit ersichtlich, dazu noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist. -
Rechtskraft
Aus
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