S 35 R 1248/18

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 35 R 1248/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Rentenbewilligungsbescheides wegen zusätzlich erzielten Einkommens kommt nur § 45 SGB X in Betracht, wenn der Rentenversicherungsträger trotz Kenntnis des schwankenden Einkommens einen endgültigen Bescheid statt eines vorläufigen Bescheides erlassen hat (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - SozR 4-1300 § 45 Nr. 12).
I. Der Rentenbescheid vom 01.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2018 wird aufgehoben, soweit dort für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 30.06.2017 eine teilweise Aufhebung des Rentenbescheides vom 28.04.2015 erfolgte und von der Klägerin 3.812,48 EUR zurückgefordert werden.

II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie die Erstattung der entsprechenden Überzahlung streitig.

Die 1965 geborene Klägerin beantragte am 29.04.2014 Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund einer Erkrankung wegen Mamma-Carzinom links. Während der Prüfung des Antrags durch die Beklagte hat die Klägerin einen Arbeitsplatz als Kurierfahrer mit 25 Wochenstunden, beginnend ab 01.10.2014, bei T. gefunden, was der Beklagten durch Eingang des Arbeitsvertrages spätestens am 06.10.2014 bekannt war. Mit Bescheid vom 09.10.2014 bewilligte die Beklagte für die Tätigkeit als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben die Kosten für eine Transportkarre in Höhe von 79,00 EUR.

Nachdem der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen festgestellt hat, hat die Beklagte zur weiteren Klärung des Rentenanspruchs die Klägerin mit Schreiben vom 05.03.2015 angeschrieben. Um die Hinzuverdienstregelungen zu prüfen werden weitere Angaben benötigt. Die Klägerin wurde aufgefordert die Ziffern 2 bis 2.8 des beiliegenden Vordruckes von ihrem Arbeitgeber ausfüllen zu lassen. Mit Scheiben vom 12.03.2015 teilte T. ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von ca. 900,00 EUR mit. Von der Klägerin wurden Lohn- und Gehaltsabrechnungen der Monate 10/2014 bis 02/2015 vorgelegt (10/2014: 650,00 EUR brutto, 11/2014: 800,00 EUR brutto, 12/2014: 650,00 EUR brutto, 01/2015: 1.071,00 EUR brutto, 02/2015: 884,00 EUR brutto).

Mit Rentenbescheid vom 28.04.2015 bewilligte die Beklagte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.11.2014 befristet bis 31.10.2017 in Höhe eines laufenden monatlichen Zahlbetrages ab 01.06.2015 von 382,56 EUR. Der Rentenbescheid enthielt (auf den Seiten 4 ff.) Mitteilungspflichten und Mitwirkungspflichten. Danach wurde die Klägerin aufgefordert, unverzüglich mitzuteilen, wenn sie eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit aufnimmt oder ausübt. Die Rente könne dann wegfallen. Die Beklagte wies auf die Darstellung der Hinzuverdienstgrenze in der Anlage 19 hin mit dem weiteren Hinweis: "Sie müssen uns unverzüglich mitteilen, wenn ihr Einkommen über der Hinzuverdienstgrenze liegt" (Seite 4 des Rentenbescheides, letzter Absatz). In der Anlage 19 des Rentenbescheides (Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen) wurde u.a. ausgeführt, dass eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nur geleistet werden könne, wenn sich das erzielte Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung (Bruttoverdienst) oder das Arbeitseinkommen im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Hinzuverdienstmöglichkeiten hält. Die monatliche Hinzuverdienstgrenze betrage für die Rente im Falle der Klägerin ab 01.11.2014 für die Rente in voller Höhe 879,91 EUR und für die Rente in hälftiger Höhe 1.071,19 EUR. Ab 01.01.2015 betrage die monatliche Hinzuverdienstgrenze für die Rente in voller Höhe 902,18 EUR und in Höhe der Hälfte 1.098,31 EUR. In der Anlage 21 des Rentenbescheides wurde geprüft, inwieweit Auswirkungen durch den Hinzuverdienst auf die Rentenhöhe bestehen. Dabei wurde für den Monat Januar 2015 das Arbeitsentgelt in Höhe von 1.071,00 EUR gewürdigt, womit die Hinzuverdienstgrenze (in Höhe von 902,18 EUR) überschritten wurde. Da die Hinzuverdienstgrenze im Laufe eines Kalenderjahres zweimal überschritten werden darf, ergaben sich keine Auswirkungen. Die Rente wurde für Januar 2015 in voller Höhe bewilligt. In den übrigen zurückliegenden Monaten (November 2014, Dezember 2014, Februar 2015 und März 2015) wurde die Hinzuverdienstgrenze von 879,91 EUR bzw. 902,18 EUR nicht überschritten.

Aufgrund eines maschinellen Arbeitsauftrags vom 01.03.2017 wurde die Klägerin aufgefordert, den Nachprüfungsbogen vollständig ausgefüllt zurückzusenden und den Vordruck (R 5406) von dem Arbeitgeber ab März 2015 beantwortet einzureichen. Auf die Erinnerung der Beklagten (vom 20.04.2017) ging am 04.05.2017 die Bescheinigung des Arbeitgebers T. vom 20.04.2017 mit Angaben über das monatliche Bruttoeinkommen ab März 2015 bis Dezember 2015 (Bruttoeinkommen von monatlich zwischen 969,00EUR und 1.098,00 EUR) bei der Beklagten ein. Laut Arbeitgeberbescheinigung von Mai 2017 bzw. Juni 2017 betrug das Bruttoeinkommen von Januar 2016 bis April 2017 monatlich zwischen 777,92 EUR und 1.113,84 EUR. Nach der Arbeitgeberauskunft der B. Klinik vom 24.05.2017 betrug das monatlich Bruttoeinkommen im Zeitraum Mai 2017 bis August 2017 zwischen 1.147,26 EUR und 1.256,52 EUR.

Die Beklagte ermittelte die Rentenhöhe aufgrund des Hinzuverdienstes ab 01.04.2015 neu und kam zu dem Ergebnis, dass die Rente im März 2015 sowie im Zeitraum vom 01.02.2016 bis 30.06.2016, im Monat November 2016 und vom 01.03.2017 bis 31.05.2017 in voller Höhe zustehe. Im Zeitraum vom 01.04.2015 bis 31.01.2016 stehe die Rente in Höhe der Hälfte zu. Gleiches gelte für den Monat Juni 2016 und für den Zeitraum vom 01.12.2016 bis 28.02.2017. Ab 01.06.2017 sei aufgrund des Hinzuverdienstes die Rente nicht zu zahlen, weil alle Hinzuverdienstgrenzen überschritten werden.

Mit Anhörung vom 13.07.2017 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung kraft Gesetzes zu kürzen ist bzw. ruht, weil das Einkommen der Klägerin die Hinzuverdienstgrenze nach § 96a SGB VI überschritten hat. Es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 28.04.2015 ab Änderung der Verhältnisse, also mit Wirkung ab 01.04.2015, nach § 48 SGB X aufzuheben, die laufende Rentenzahlung ab 01.08.2017 einzustellen und die Überzahlung für die Zeit vom 01.04.2015 bis 31.07.2017 in Höhe von 4.240,43 EUR nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern. Die rechtlichen Grundlagen ergeben sich aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, Nr. 3 und Nr. 2 SGB X. Die Beklagte verwies auf den eindeutigen Hinweis in dem Rentenbescheid, wonach das Einkommen Einfluss auf die Rentenhöhe hat und das Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze unverzüglich mitzuteilen sei. Die Klägerin habe die Erhöhung ihres Verdienstes ab 01.04.2015 nicht mitgeteilt und sei somit ihrer gesetzlichen Mitteilungspflicht nicht nachgekommen.

In ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 23.07.2017 verwies die Klägerin darauf, dass sie davon ausgegangen sei, dass es sich bei der Hinzuverdienstgrenze von 902,00 EUR um das Nettoeinkommen handle. Auch habe sie darauf vertraut, dass durch die ordnungsgemäße Abrechnung des Arbeitgebers Franz die monatlichen Einkommen der Rentenversicherung bekannt sind. Persönlich hat die Klägerin am 24.07.2017 bei der Beklagten vorgesprochen und um nochmalige Prüfung der überzahlten Beträge gebeten. Sie hat die Frage aufgeworfen, warum 2015 bzw. 2016 keine Überprüfung des Hinzuverdienstes von Amts wegen erfolgte. Die Arbeitsaufnahme sei bekannt gewesen. Schließlich hat die Klägerin einen neuen Arbeitsvertrag (bei dem Arbeitgeber B. Klinik) vorgelegt.

Mit Rentenbescheid vom 01.09.2017 hat die Beklagte die Rente der Klägerin ab 01.03.2015 neu berechnet und für die Zeit vom 01.03.2015 bis 31.08.2017 eine Überzahlung in Höhe von insgesamt 4.668,38 EUR ermittelt. Der Rentenbescheid vom 28.04.2015 wurde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.04.2015 nach § 48 SGB X aufgehoben, weil ein Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X gegeben war und die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X noch nicht abgelaufen waren. Zu den Einwänden der Klägerin hat die Beklagte ausgeführt, dass in der Anlage "Hinzuverdienstgrenzen" bereits im ersten Satz darauf hingewiesen wurde, dass die Rente nur geleistet werden kann, wenn das Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung (Bruttoverdienst) die Hinzuverdienstgrenze einhalte. Die Klägerin sei im Rentenbescheid auf Seite 4 ausdrücklich auf ihre gesetzlichen Mitteilungspflichten hingewiesen worden. Diese gesetzliche Mitteilungspflicht könne nicht auf Dritte (z.B. den Arbeitgeber) übertragen werden. Des Weiteren seien die Hinzuverdienstgrenzen monatlich zu prüfen, die Meldung der Arbeitgeber erfolge als Jahresmeldung, bei der bei schwankenden Bezügen das Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze nicht feststellbar sei. Ein atypischer Fall liege nicht vor.

In ihrem Widerspruch hiergegen vom 24.09.2017 führte die Klägerin aus, die Beklagte hätte vor Erlass des Rentenbescheides erkennen können und müssen, dass die Rente wegen des Hinzuverdienstes gekürzt werden musste. Sie sieht eine Teilschuld bei der Beklagten und wäre bereit, die Rückzahlung in Höhe der Hälfte (von 2.334,19 EUR) zu akzeptieren.

Die Beklagte lehnt die Reduzierung des Rückforderungsbetrages ab und prüft wegen der geänderten Rechtslage ab 01.07.2017 den Rentenanspruch der Klägerin neu. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wurde im Rentenbescheid vom 15.12.2017 ab 01.07.2017 neu berechnet. Es ergab sich ein laufender Zahlbetrag ab 01.01.2018 in Höhe von 427,95 EUR sowie eine Nachzahlung vom 01.07.2017 bis 31.12.2017 in Höhe von 1.811,68 EUR. Für den Zeitraum vom 01.07.2017 bis 31.12.2017 berücksichtigte die Beklagte eine kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze, die nicht überschritten wurde.

Anschließend stellte die Beklagte fest, dass für den Zeitraum von Juli 2017 bis August 2017 die Verrechnungsbeträge im Rentenbescheid vom 15.12.2017 fehlerhaft waren, wodurch eine Überzahlung in Höhe von 99,88 EUR entstanden sei. Mit Bescheid vom 09.05.2018 hob die Beklagte den Rentenbescheid vom 15.12.2017 für den Zeitraum vom 01.07.2017 bis 31.08.2017 nach § 45 SGB X auf und forderte die Überzahlung in Höhe der Hälfte (von 49,94 EUR) nach § 50 SGB X zurück. Dabei hat sie im Wege des Ermessens den Überzahlungsbetrag auf die Hälfte reduziert.

Die Klägerin hat ihren Widerspruch (durch persönliche Vorsprache bei der Beklagten am 28.05.2018) aufrechterhalten und die Regulierung ab 01.07.2017 akzeptiert. Die Überzahlung (von 49,94 EUR) werde von ihr zeitnah überwiesen.

Die Beklagte ermittelte für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 30.06.2017 noch eine Überzahlung von 3.812,48 EUR und hat den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2018 zurückgewiesen, soweit ihm nicht durch Bescheid vom 15.12.2017 abgeholfen wurde. Die Kosten des Widerspruchsverfahrens seien auf Antrag zu einem Viertel zu erstatten. Die Beklagte verwies auf § 96a SGB VI und das Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen. Zur Aufhebung des Rentenbescheides vom 28.04.2015 verwies die Beklagte auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 4 SGB X. Ein atypischer Fall sei nicht gegeben.

Am 04.09.2018 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 01.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2014 Klage erhoben und auf ihre Widerspruchsbegründung verwiesen. Auf Aufforderung des Gerichts hat sie den Arbeitsvertrag mit T. übersandt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auf ihre persönlichen Lebensumstände verwiesen und weiterhin die Bereitschaft erklärt, die Hälfte des streitigen Betrages zu erstatten.

Die Klägerin beantragt, den Rentenbescheid vom 01.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2018 aufzuheben, soweit dort für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 30.06.2017 eine teilweise Aufhebung des Rentenbescheides vom 28.04.2015 erfolgte und von der Klägerin 3.812,48 EUR zurückgefordert werden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Auf die richterliche Nachfrage zur Anwendung des § 48 SGB X für den Monat April 2015 hat die Beklagte schriftsätzlich vorgetragen, dass eine Bescheidaufhebung im Rahmen des § 48 SGB X vorzunehmen gewesen sei. Im aufzuhebenden Bescheid vom 28.04.2015 sei das tatsächliche Einkommen nicht bekannt gewesen, vielmehr erfolgte die Berechnung der Hinzuverdienstgrenzen aufgrund der vorausbescheinigten Entgelte laut Arbeitgeberbescheinigung. Eine Anrechnung von Einkommen sei danach bereits erfolgt. Den Ausführungen des Gerichts im Rahmen der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BSG zur Abgrenzung von § 45 SGB X und § 48 SGB X bei der Bewilligung einkommensabhängiger Leistungen und schwankendem Einkommen folgt die Beklagte nicht. Die von der Klägerin vorgeschlagene hälftige Zahlung wurde von der Beklagten abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf zwei Bände Versichertenakte der Beklagten, die Klägerin betreffend, sowie die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im vollen Umfang begründet. Der Rentenbescheid vom 01.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2018 verletzt die Klägerin rechtswidrig in ihren Rechten, soweit dort für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 30.06.2017 eine teilweise Aufhebung des Rentenbescheides vom 28.04.2015 erfolgte und von der Klägerin 3.812,48 EUR zurückgefordert werden.

Unstrittig ist, dass der Klägerin für den Zeitraum, für den die teilweise Aufhebung erfolgte, der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht in der ursprünglich bewilligten Höhe zustand. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 01.04.2015 bis 30.06.2017 die maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen (teilweise) überschritten, weshalb ihr in diesem Zeitraum die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht oder nicht ungekürzt zustand.

Nach § 96a Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) in der bis 30.06.2017 geltenden Fassung wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird (Satz 1). Sie wird nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit im Monat die in Absatz 2 genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt (§ 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Abhängig vom erzielten Hinzuverdienst wird gemäß § 96a Abs. 1a Nr. 1 SGB VI eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in voller Höhe oder in Höhe der Hälfte geleistet.

Der Klägerin stand die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Anwendung von § 96a SGB VI wegen Berücksichtigung des jeweiligen Monatsverdienstes bei T. im Zeitraum vom 01.04.2015 bis 31.01.2016, im Monat Juni 2016 und im Zeitraum vom 01.12.2016 bis 28.02.2017 nur in Höhe der Hälfte zu. Im Monat Juni 2017 stand ihr die Rente nicht mehr zu, weil alle Hinzuverdienstgrenzen überschritten wurden.

Damit wären die Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme des Rentenbewilligungsbescheides vom 28.04.2015 nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) von der Beklagten zu prüfen gewesen. Insbes. hätte die Beklagte bei der Rücknahme für die Vergangenheit Ermessen prüfen müssen.

Die Beklagte hat jedoch bei ihrer Aufhebungsentscheidung (im Bescheid vom 01.09.2017 wie auch im Widerspruchsbescheid vom 30.08.2018) kein Ermessen ausgeübt, da sie fehlerhaft von der rückwirkenden Korrekturmöglichkeit des § 48 SGB X statt von der Rücknahmeregelung in § 45 SGB X ausgegangen war.

Ein rechtswidriger Bewilligungsbescheid darf als begünstigender Verwaltungsakt gemäß § 45 Abs. 1 SGB X nur unter weiteren Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dabei stellt das Gesetz vor allem auf das Vorliegen von Vertrauensschutz (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X) und auf die Ausübung von Ermessen ab.

Bei ursprünglich rechtmäßigen Bewilligungsbescheiden sieht § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse grundsätzlich eine Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Zukunft vor. Nach Satz 2 der Regelung soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit (Nr. 2) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift getroffenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, oder (Nr. 3) nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt hat, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder (Nr. 4) der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Nach Auffassung der Kammer kommt als Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheides wegen zusätzlich erzielten Einkommens nur § 45 SGB X in Betracht, wenn bei einkommensabhängigen Leistungen trotz schwankenden Einkommens ein endgültiger Bescheid, statt eines vorläufigen Bescheides erlassen wurde (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R –, BSGE 112, 221-229, SozR 4-1300 § 45 Nr. 12).

Der Anwendungsbereich der §§ 45 und 48 SGB X unterscheidet sich danach, ob die aufzuhebende Leistungsbewilligung im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens (vgl. § 39 SGB X) rechtswidrig war - dann § 45 SGB X - oder erst danach - dann § 48 SGB X - rechtswidrig wurde. Die beiden Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnisses im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, der aufgehoben werden soll, ab. Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig abzuklären (BSG, Urteil vom 21.06.2011, B 4 AS 22/10 R in juris; BSG, Urteil vom 28.06.1999, 4 RA 57/89 in SozR 3-1300 § 32 Nr. 2: sog. Verbot vorzeitigen Verfahrensabschlusses). Gerade die Anerkennung eines Rentenanspruchs bezweckt, eine geschützte, unmittelbar, d.h. ohne weitere Sachaufklärung einklagbare Rechtsposition festzustellen, auf deren Bestand der Rentner vertrauen und deswegen sich auf Dauer in seiner Lebensführung einrichten darf (BSG, Urteil vom 28.06.1990, 4 RA 57/89 a.a.O.). Entsprechend sind im Zeitpunkt der Leistungsbewilligung bereits (objektiv) feststehende, die Höhe des Anspruchs betreffende Umstände, auch wenn sie in der Zukunft liegen, zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 02.06.2004, B 7 AL 58/03 R in SozR 4-4100 § 115 Nr. 1; zur Abgrenzung bei unklarer Sachlage in der Zukunft vgl. BSG, Urteil vom 25.06.1998, B 7 AL 2/98 R in SozR 3-4100 § 242 v Nr. 1; bei aufeinander aufbauenden Bescheiden und zeitlich rückwirkender Aufhebung s. BSG, Urteil vom 29.05.2008, B 11a/7a AL 74/06 R in SozR 4-1300 § 45 Nr.7: einheitlich § 45 SGB X; zum Ganzen: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Juni 2016 – L 10 R 3153/13 –, Rn. 23, juris)

Soweit die Beklagte im Hinblick auf die Abgrenzung von § 45 SGB X und § 48 SGB X darauf verweist, zum Zeitpunkt des Erlass des Bescheides vom 28.04.2015 noch keine Kenntnis von der konkreten Einkommenshöhe ab 01.03.2015 gehabt zu haben, ist dies nach Auffassung der Kammer für die vorzunehmende Abgrenzung irrelevant. Abzustellen ist allein auf die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung. Zu diesem Zeitpunkt übte die Klägerin eine unbefristete, und somit auf Dauer angelegte Beschäftigung mit wechselnden Einkünften aus, so dass dem Bezug der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits seit 01.10.2014 Einkommen gegenüber stand, das bei der Prüfung der Hinzuverdienstgrenze zu würdigen ist. Die Beklagte hat vorliegend einen endgültigen Bescheid erlassen, obwohl ihr bekannt war, dass die Klägerin Einkommen erzielt, das zur Kürzung oder zum totalen Wegfall des Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung führen kann. Der Erlass eines endgültigen Bescheides stellt nach der Rechtsprechung des BSG (z.B. im Urteil vom 29.11.2012, Az. B 14 AS 6/12 R in juris) kein taugliches Instrumentarium in den Fällen dar, in denen mit schwankenden Einkommen zu rechnen ist.

Der Rentenbescheid vom 28.04.2015 war bereits bei Erlass rechtswidrig, da er für den Monat April 2015 kein Einkommen der Klägerin berücksichtigte. Die Klägerin hat im April 2015 ein Einkommen von 1.054,00 EUR erzielt und damit die Hinzuverdienstgrenze für die Rente in voller Höhe (von 902,18 EUR) überschritten. Für den Monat April 2015 stand der Klägerin mithin nur Rente in Höhe der Hälfte zu. Die volle Bewilligung stellt sich somit als rechtswidrig (zugunsten der Klägerin) dar. Unerheblich ist die fehelende Kenntnis der Beklagten von der konkreten Einkommenshöhe, da allein auf die objektiven Verhältnisse bei Bescheiderteilung abzustellen ist. Die Beklagte hatte allerdings Kenntnis davon, dass schwankendes Einkommen erzielt wird, das zu Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze führen kann: Die Klägerin hatte bereits im Monat Januar 2015 (mit 1.071,00 EUR) die Hinzuverdienstgrenze für die Rente in voller Höhe (von 902,18 EUR) überschritten. Wegen des auch im Übrigen wechselnden Monatslohnes (nach den vorgelegten Einkommensabrechnungen von Oktober 2014 bis Februar 2015 von 650,00 EUR bis 1.071,00 EUR) stand schließlich bereits bei Erlass des Rentenbescheides vom 28.04.2015 fest, dass es auch künftig zu Überschreitungen der Hinzuverdienstgrenze kommen kann. Der Erlass eines endgültigen Bescheides statt eines vorläufigen Bescheides ist dann von Anfang an rechtswidrig und § 45 SGB X die für seine Aufhebung einschlägige Ermächtigungsgrundlage. § 48 SGB X wäre demgegenüber nur dann anwendbar, soweit sich hinsichtlich der anderen Voraussetzungen eine wesentliche Änderung ergibt (BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 39, RdNr. 16 unter Hinweis auf BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr. 1, RdNr. 6; BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R –, BSGE 112, 221-229, SozR 4-1300 § 45 Nr. 12, Rn. 18). Eine wesentliche Änderung lag hier, entgegen der Annahme der Beklagten, aber nicht vor, da die Klägerin nach Erlass des Rentenbescheides vom 28.04.2015 auch weiterhin Einkommen in schwankender Höhe erzielt hat. In Fällen wie den vorliegenden stehen der Beklagten auch rechtlich korrekte Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, beispielsweise durch den Erlass einstweiliger Verwaltungsakte (nach § 42 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch - SGB I - Vorschuss). Auch wenn im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI) keine vorläufige Leistungsbewilligung (im Sinne von § 43 SGB I) geregelt ist, kann die Beklagte dem Umstand der noch ungeklärten Einkommensanrechnung in der Zukunft mit der Gewährung von Vorschüssen Rechnung tragen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.06.2016 Az. L 10 R 3153/13 in juris). Dann wäre sie nicht auf die Prüfung der Vertrauensschutzregelungen und die Ermessensprüfung in § 45 Abs. 2 SGB X angewiesen.

Im vorliegenden Fall stand bei Erlass des Rentenbescheides vom 28.04.2015 fest, dass die Klägerin Einkommen erzielen wird, das Auswirkungen auf die Rentenhöhe wegen möglichen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze haben kann. Die Beklagte ist mithin von vornherein von einer unzutreffenden (für die Klägerin günstigen) Tatsachengrundlage ausgegangen und hat mithin eine Entscheidung getroffen, die nur noch unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X (mit Wirkung für die Vergangenheit) korrigiert werden kann.

Die Beklagte hätte mithin die teilweise Rücknahme des Rentenbescheides vom 28.04.2015 nach § 45 Abs. 2 SGB X vornehmen müssen. Im vorliegenden Fall lägen die Voraussetzungen für eine Rücknahme für die Vergangenheit auch vor, da sich die Klägerin wegen grob fahrlässiger Verletzung der Mitteilungspflichten bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis vom Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze nicht auf Vertrauensschutz berufen könnte (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X). Der Klägerin hätte aufgrund der eindeutigen Hinweise im Rentenbescheid vom 28.04.2015 erstens klar sein müssen, dass sie selbst verpflichtet war, Einkommen mitzuteilen, das über der Hinzuverdienstgrenze liegt (Seite 4 des Rentenbescheides vom 28.04.2015, letzter Absatz). Ihr hätte aufgrund der Anlage 19 Seite 1 des Rentenbescheides auch klar sein müssen, dass es maßgeblich auf den Bruttoverdienst ankommt, da dort ausdrücklich auf den Bruttoverdienst abgestellt wird. Schließlich stellt sich das Vertrauen darauf, dass der Arbeitgeber mit seinen jährlichen Meldungen bei der Beklagten die Mitteilungspflichten entsprechend erfüllt, als grob fahrlässig dar.

Damit liegt der vom Gesetzgeber geregelte "Normalfall" einer Rücknahme bei fehlendem Vertrauensschutz vor, bei dem Ermessen auszuüben ist. Die Beklagte hat, da sie von einer falschen Rechtsgrundlage ausging, kein Ermessen ausgeübt. Damit fehlt eine der Tatbestandsvoraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheides vom 28.04.2015, was zur Rechtswidrigkeit der Rücknahmeentscheidung führt. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist nicht ersichtlich. Diese kommt selbst bei Vorliegen von "Bösgläubigkeit" des Leistungsempfängers nicht in Betracht (vgl. BSG, Urt. vom 09.09.1998, B 12 RJ 41/97 R in juris). Die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung mithin keinerlei Umstände gewürdigt, die eine andere, die Klägerin zumindest teilweise begünstigende Entscheidung, zuließen.

Damit ist der Rentenbescheid vom 01.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2018 wegen Fehlens einer Ermessensentscheidung durch die Beklagte rechtswidrig und war daher aufzuheben. Da nunmehr die Fristen (des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X) abgelaufen sind, kann die Beklagte diesen Fehler auch künftig nicht mehr korrigieren.

Da die teilweise Aufhebung der Rentenbewilligung für die Vergangenheit rechtswidrig war scheidet auch die Rückforderung (nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X) aus.

Damit war die Klage im vollen Umfang erfolgreich mit der Konsequenz, dass die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin nach § 193 Abs. 1 SGG zu erstatten hat.
Rechtskraft
Aus
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