S 35 R 866/17

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 35 R 866/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist bereits vor Inkrafttreten des § 108 Abs. 2 SGB VI eine Verwaltungsentscheidung zur Aufhebung des Zuschusses zur freiwilligen Krankenversicherung getroffen worden, so ist die zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung geltende Rechtslage weiter anzuwenden.
I. Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gezahlte Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung an die Beklagte zurückzahlen muss.

Der 1936 geborene Kläger hat bei der Beantragung von Regelaltersrente auch den Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung und Pflegeversicherung (gemäß §§ 106, 106a SGB VI) bei der Beklagten beantragt. Mit Rentenbescheid vom 09.10.2001 hat die Beklagte zunächst Altersrente ab 01.05.2001 mit einem Zuschuss zur Pflegeversicherung bewilligt. Mit Rentenbescheid vom 29.11.2001 hat die Beklagte die Altersrente ab 01.05.2001 neu berechnet und einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung bewilligt. Der Kläger hat neben der Altersrente seine selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt weiter ausgeführt und war bei der späteren Beigeladenen, AOK Plus, freiwillig krankenversichert.

Mit Schreiben vom 24.08.2015 hat die AOK Plus den Kläger darauf hingewiesen, dass seine freiwillige Mitgliedschaft wegen Umwandlung seiner hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit in eine nebenberufliche Tätigkeit rückwirkend zum 31.07.2013 beendet sei (Arbeitseinkommen unterhalb der monatlichen Grenze von 141,75 EUR). Der Kläger erfülle die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner und sei ab 1. August 2013 über den Rentenbezug versichert. Rückwirkend ab 1. August 2013 würden Pflichtbeiträge erhoben, der Beitragszuschuss sei zurückzuzahlen. Die Beiträge, die der Kläger selbst gezahlt habe, wären zu erstatten. Es sei beabsichtigt, das Guthaben mit der offenen Forderung aus der Rente und den Beiträgen aus den Einnahmen der nicht hauptberuflichen Tätigkeit zu verrechnen. Gegen das Schreiben der AOK Plus hat der Kläger Widerspruch eingelegt und seine Einkommensverhältnisse seit 2007 dargestellt. Nach Meinung des Klägers hätte die Krankenkasse die Entscheidung über die Umwandlung in eine nebenberufliche Tätigkeit bereits für das Jahr 2008 treffen können. Ferner widersprach der Kläger der Verrechnung seines Guthabens mit der Nachforderung des Rentenversicherungsträgers.

Am 08.09.2015 ging bei der Beklagten die maschinelle Meldung der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung seit 01.08.2013 ein. Die Beklagte ermittelte eine Überzahlung für den Zeitraum vom 01.08.2013 bis 30.09.2015 in Höhe von insgesamt 6.124,54 EUR, bestehend aus den rückständigen Beitragsanteilen des Rentners für die Kranken- und Pflegeversicherung und dem zu Unrecht gezahlten Zuschuss zur Krankenversicherung. Mit Schreiben vom 14.09.2015 hat die Krankenkasse der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger keine Zustimmung zur Verrechnung erteilt hat.

Am 04.11.2015 teilte die AOK Plus der Beklagten mit, dass nach dem Widerspruchsverfahren bereits ab dem 01.01.2008 Versicherungspflicht besteht. Die Beklagte ermittelte daraufhin für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.12.2015 eine Überzahlung in Höhe von insgesamt 16.705,90 EUR, bestehend aus rückständigen Beitragsanteilen des Rentners für die Krankenversicherung in Höhe von 6.344,44 EUR, für die Pflegeversicherung in Höhe von 1.625,94 EUR und zu Unrecht gezahlte Zuschüsse zur Krankenversicherung in Höhe von 8.735,52 EUR.

Mit Rentenbescheid vom 19.11.2015 hat die Beklagte (Abteilung Versicherung und Rente, Stralsund) die Regelaltersrente ab 01.01.2008 neu berechnet. Für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.12.2015 ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 16.705,90 EUR. Der Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses vom 09.10.2001 werde nach § 48 Abs. 1 SGB X für die Zeit ab dem 01.01.2016 aufgehoben. Hinsichtlich der Aufhebung des Bescheides mit Wirkung für die Vergangenheit und die Rückforderung überzahlter Zuschüsse seien zunächst noch weitere Ermittlungen bei der Krankenkasse erforderlich. Nach Abschluss dieser Ermittlungen werde der Kläger hierzu noch einmal gesondert angehört.

Gegen den Rentenbescheid vom 19.11.2015 hat der Kläger mit Schreiben vom 17.12.2015 Widerspruch eingelegt und beanstandet, dass die vorherige Anhörung fehlt. Ferner sei die Berechnung nicht nachvollziehbar. Der Kläger hat die Einrede der Verjährung erhoben. Der gesetzlich geregelte Verjährungszeitraum von vier Jahren sei überschritten. Eine Rückforderung für die Vergangenheit könne ferner nur auf der Grundlage des § 48 SGB X erfolgen. Die Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor und werden im angefochtenen Bescheid auch nicht aufgeführt.

Mit Bescheid vom 11.12.2015 hat die Beklagte den Bescheid vom 09.10.2001 über die Bewilligung des Zuschusses zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung ab 01.01.2008 aufgehoben, da ein Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder Nr. 4 SGB X gegeben sei und die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X noch nicht abgelaufen sind. Die für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.12.2015 bereits erbrachten Leistungen seien vom Kläger infolge der Aufhebung des Bescheides in Höhe von 8.735,52 EUR zu erstatten (§ 50 SGB X). Gegen den Bescheid vom 11.12.2015 hat der Kläger mit Schreiben vom 22.12.2015 Widerspruch eingelegt, beschränkt auf die Erstattung für die Vergangenheit. Zu § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X führte der Kläger aus, dass er selbst erst mit Scheiben der AOK Plus vom 24.08.2015 darauf hingewiesen wurde, dass rückwirkend zum 31.07.2013 seine berufliche Tätigkeit in eine nebenberufliche Tätigkeit umgewandelt wurde und er damit ab 01.08.2013 in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert ist. Hiergegen habe er Widerspruch eingelegt, da sein Einkommen bereits ab dem Jahre 2008 als ein Einkommen aus nebenberuflicher Tätigkeit einzuschätzen gewesen wäre. Dem Widerspruch sei stattgegeben worden mit der Konsequenz, dass er ab 01.01.2008 in der Krankenversicherung der Rentner versichert sei. Es sei eindeutig unrichtig, dass er Informationspflichten vernachlässigt oder die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hätte.

Mit Scheiben vom 06.01.2016 hat die Beklagte die Anhörung nachgeholt und zu § 48 Abs. 1 SGB X (Bescheidaufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit) ausgeführt, dass der Kläger über die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung des Zuschusses zur Krankenversicherung hinreichend informiert worden war, so dass nach Lage der Akten die Voraussetzungen für die beabsichtigte Aufhebungsentscheidung erfüllt sind.

Der Kläger erwiderte im Schreiben vom 11.01.2016, dass die nachgeholte Anhörung nicht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides beseitige. Seinerseits lagen keinerlei Versäumnisse oder die Verletzung von Informationspflichten vor. Die rückständigen Beitragsanteile habe er in Höhe von 7.970,38 EUR bereits an die Beklagte überwiesen. Gegenüber der AOK Plus hat der Kläger mit Schreiben vom 23.11.2015 mitgeteilt, dass er weiterhin keine Zustimmung zur Verrechnung erteilt und bat um Überweisung des von der Krankenkasse ermittelten Betrages von 29.008,01 EUR auf sein Konto.

Mit Bescheid vom 09.03.2016 erklärte die Beklagte den Widerruf des Bescheides für die Bewilligung des Zuschusses zur Krankenversicherung für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.12.2015 nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X. Der überzahlte Betrag sei nach § 50 Abs. 1 SGB X von dem Kläger zu erstatten. Gegen den Bescheid vom 09.03.2016 hat der Kläger mit Scheiben vom 30.03.2016 Widerspruch eingelegt.

Mit Bescheid vom 26.05.2016 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 11.12.2015 aufgrund des Widerspruchs des Klägers zurück. Gegen den Bescheid vom 26.05.2016 hat der Kläger mit Schreiben vom 15.05.2016 Widerspruch eingelegt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2016 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 09.03.2016 zurückgewiesen und auf § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X verwiesen. Hiergegen hat der Kläger am 15.09.2016 Klage erhoben (Az.: S 50 R 1407/16). Die Beklagte bat (mit Schriftsatz vom 11.11.2016) zunächst um Fristverlängerung für die Klageerwiderung und verwies zur Begründung auf die baldige Verkündung der Vorschrift des § 108 Abs. 2 SGB VI i.d.F. des 6. SGB VI – Änderungsgesetzes im Bundesgesetzblatt. Mit Schriftsatz vom 15.03.2017 erklärte die Beklagte: "1. Der Bescheid vom 09.03.2016 in Gestalt des Bescheides vom 26.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2016 wird zurückgenommen. 2. Der Kläger dürfte damit klaglos stehen und der Rechtsstreit hat seine Erledigung gefunden." Ergänzend verwies die Beklagte auf § 108 Abs. 2 SGB VI als spezialgesetzliche Regelung. Sie kündigte an, dass sie "im Anschluss über die Aufhebung des den Zuschuss bewilligenden Bescheides vom 09.10.2001 mit Wirkung für die Vergangenheit nach Maßgabe des § 108 Abs. 2 SGB VI neu entscheiden" werde. Der Kläger hat das Anerkenntnis mit Schreiben vom 05.04.2017 (Eingang bei Gericht am 10.04.2017) angenommen und den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Mit Schreiben vom 25.04.2017 hat die Beklagte "aufgrund des angenommenen und von uns abgegebenen Anerkenntnisses" ein Kostengrundanerkenntnis abgegeben.

Mit Bescheid vom 09.05.2017 hat die Beklagte den Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses zur Krankenversicherung für die Zeit ab 01.01.2008 aufgehoben und zur Begründung auf § 108 Abs. 2 SGB VI verwiesen. Danach ist ein Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Beginn der Mitgliedschaft aufzuheben, wenn die Krankenkasse die Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung rückwirkend festgestellt hat. Dies gilt nicht für Zeiten, für die bereits gezahlte freiwillige Beiträge wegen Verjährung nicht mehr erstattet werden. Nach Auskunft der AOK Plus wurden die gezahlten freiwilligen Beiträge ab 01.01.2008 in Gänze erstattet. Dort stehe kein Erstattungsbetrag mehr zur Verfügung, so dass ein Ausgleich der Forderung im Wege einer möglichen Verrechnung nicht möglich ist. Daher sei der gesamte Betrag in Höhe von 8.735,52 EUR nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Der Kläger hat mit seinem Widerspruch vom 23.05.2017 die Einrede der Verjährung erhoben. Die Rückforderung übersteige den gesetzlich geregelten Verjährungszeitraum von 4 Jahren. Ferner sei die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 SGB X, § 44 Abs. 4 SGB X überschritten. Im Übrigen seien die Beiträge nicht von der Krankenkasse in Gänze erstattet worden. Für die Zeit vom 01.01.2008 bis 30.11.2010 sei ein Betrag von 4.123,97 EUR einbehalten worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2017 hat die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 09.05.2017 zurückgewiesen und zur Begründung auf § 108 Abs. 2 SGB VI hingewiesen. Für die Aufhebung des Zuschussbescheides sei weder eine Anhörung nach § 24 SGB X erforderlich, noch seien die Korrekturvorschriften der §§ 45, 48 SGB X anzuwenden (§ 108 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Im Übrigen sei die Rückforderung bereits mit dem Anerkenntnis vom 15.03.2017 angekündigt worden.

Am 07.07.2017 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 09.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 Klage erhoben (Az. S 35 R 866/17) und zur Begründung angegeben, es könne nicht sein, dass zur gleichen Problematik drei Bescheide mit mehreren Zwischenbescheiden erlassen werden. Der Kläger erhebt die Einrede der Verjährung, da die Rückforderung den gesetzlich geltenden Verjährungszeitraum von 4 Jahren übersteigt. Ferner sei die Jahresfrist des § 48 Abs. 4, § 44 Abs. 4 SGB X überschritten. Weiter verweist der Kläger auf den für die Zeit vom 01.01.2008 bis 30.11.2010 von der Krankenkasse einbehaltenen Betrag von 4123,97 EUR und legt hierzu verschiedene Bescheide der AOK Plus vor. Nach Meinung des Klägers unterfällt der Betrag von 4.123,97 EUR der Vorschrift in § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB VI. Schließlich hätte die Beklagte die Möglichkeit gehabt, im Verfahren S 50 R 1407/16 darzulegen, dass sie das Verfahren nicht beende, sondern einen neuen Bescheid erlassen will. Der Kläger meint, er sei durch die Vorgehensweise der Beklagten getäuscht worden. Er kann die im Rahmen der mündlichen Verhandlung geäußerte Auffassung der Beklagten, wonach es sich bei den 4.123,97 EUR um Pflichtbeiträge gehandelt habe, nicht teilen. Zum Zeitpunkt der Beitragszahlung habe es sich um freiwillige Beiträge gehandelt, die im Block bezahlt wurden. Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den am 17.01.2016 in Kraft getretenen § 108 Abs. 2 SGB VI. Es sind weder Fristen versäumt, noch Verjährungsvorschriften zu beachten. Die von der Beigeladenen AOK Plus für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 30.11.2010 einbehaltenen Beträge (4.123,97 EUR) seien nicht einbehalten worden, weil sie der Verjährung unterliegen, sondern für einen eventuell bestehenden Erstattungsanspruch der Beklagten. Der Einbehalt erkläre sich aus der Nachberechnung mit Beiträgen aus selbständiger Tätigkeit.

Mit Beschluss vom 09.05.2018 wurde die zuständige Krankenkasse zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladene, die keinen eigenen Antrag gestellt hat, hat zunächst schriftsätzlich erklärt, dass der Kläger einer Verrechnung des überzahlten Zuschusses mit dem Beitragsüberschuss nicht zugestimmt habe. Deshalb sei der Beitragsanteil für 01.01.2008 bis 30.11.2010 (4.123,97 EUR) einbehalten worden, da dieser Betrag unter Berufung auf die Verjährung nicht an die Beigeladene abgeführt worden wäre. Die Beigeladene hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung erläutert, dass es sich bei dem Betrag von 4.123,97 EUR um den Pflichtversicherungsbeitrag zur Krankenversicherung der Rentner handelte, den die Beigeladene von der Beklagten aufgrund Verjährungsvorschriften nicht mehr hätte erhalten können.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf zwei Bände Verwaltungsakten der Beklagten, den Kläger betreffend, die beigezogene Gerichtsakte S 50 R 1407/16 sowie die Gerichtsakte des laufenden Verfahrens, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 verletzt den Kläger rechtswidrig in seinen Rechten und war deshalb aufzuheben.

Der Kläger bezog ab Rentenbeginn am 01.05.2001 von der Beklagten einen Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung (nach § 106 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch - SGB VI) und bis 31.03.2004 einen Zuschuss zur Pflegeversicherung (nach § 106a SGB VI a.F.). Es handelt sich bei dem Zuschuss um eine eigenständige Zusatzleistung des SGB VI, die nicht Teil der Rente ist. Der Kläger hatte, was unstrittig sein dürfte, bereits ab 01.01.2008 keinen Anspruch mehr auf den Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung, da er nach § 5 Abs. 1 Ziff. 11 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) mit Wirkung für die Vergangenheit Pflichtmitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner geworden ist.

Fraglich ist, ob der von der Beklagten zunächst unternommene Versuch, den Bescheid über die Zuschussbewilligung durch den Bescheid vom 11.12.2015 mit Wirkung für die Vergangenheit (nach § 48 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch - SGB X) aufzuheben, rechtmäßig war. Die Frage kann jedoch offen bleiben, da der Bescheid vom 11.12.2015 von der Beklagten selbst (im Bescheid vom 26.05.2016) aufgehoben wurde.

Der weitere Versuch, den Bescheid über die Zuschussbewilligung durch den Bescheid vom 09.03.2016 mit Wirkung für die Vergangenheit im Wege des Widerrufs (nach § 47 Abs. 2 SGB X) aufzuheben, hätte einer gerichtlichen Überprüfung kaum standgehalten, da nicht ersichtlich ist, dass der Rentenbescheid vom 09.10.2001, mit welchem erstmals ein Zuschuss bewilligt wurde, mit einem Widerrufsvorbehalt i.S.v. § 47 Abs. 1 SGB X versehen war. Auch diese Frage kann offen bleiben, da der Bescheid vom 09.03.2016 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2016) von der Beklagten im Klageverfahren S 50 R 1407/16 aufgehoben wurde.

Der nunmehr zu prüfende dritte Versuch, den Bescheid über die Zuschussbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, verletzt den Kläger rechtswidrig in seinen Rechten: Sofern sich die Beklagte zur Begründung für die Aufhebung der Bewilligung des Zuschusses zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit Wirkung für die Vergangenheit auf § 108 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der Fassung des 6. SGB VI - Änderungsgesetzes vom 11.11.2016 (BGBl. I, S. 2500) beruft, erweist sich dies als rechtswidrig.

§ 108 Abs. 2 SGB VI (in der Fassung des 6. SGB VI – Änderungsgesetzes) regelt: "Sind die Anspruchsvoraussetzungen für den Zuschuss zu den Aufwendungen für die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung entfallen, weil die Krankenkasse rückwirkend eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt hat, ist der Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses vom Beginn der Pflichtmitgliedschaft an aufzuheben (Satz 1). Dies gilt nicht für Zeiten, für die freiwillige Beiträge gezahlt wurden, die wegen § 27 Absatz 2 des Vierten Buches nicht erstattet werden (Satz 2). Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), die Vorschriften zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und die Vorschriften zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches) (Satz 3)."

§ 108 Abs. 2 SGB VI (n.F.) dient der Entlastung der Solidargemeinschaft der Rentenbeitragszahler. So soll verhindert werden, dass Rentner, denen ein Zuschuss nach § 106 Abs. 1 SGB VI gewährt wurde, bei denen sich aber nachträglich herausstellt, dass sie nicht freiwillig in der GKV, sondern dort versicherungspflichtig sind, den bewilligten Zuschuss behalten dürfen und zugleich der Rentenversicherungsträger die aus der Rente zu entrichtenden Pflichtbeiträge zur GKV zahlen muss und damit durch den Zuschuss und den Pflichtbeitrag doppelt belastet ist (BT-Drucksache 18/8487 Seite 51).

Der Tatbestand des § 108 Abs. 2 Satz 1 SGB VI wäre hier zwar erfüllt, da zum 01.01.2008 die Anspruchsvoraussetzungen für den Zuschuss zu den Aufwendungen für die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung entfallen, weil die Krankenkasse rückwirkend eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt hat.

Gleichwohl kann sich die Beklagte nicht auf § 108 Abs. 2 SGB VI i.d.F. des 6. ÄndG berufen. Nach § 108 Abs. 1 SGB I (i.d.F. des RRG 1992) sind für die Zuschüsse die Vorschriften über Beginn, Änderung und Ende von Renten entsprechend anzuwenden. Somit sind auch die §§ 300 ff. SGB VI heranzuziehen für die Frage, welches Recht bei Rechtsänderungen anzuwenden ist. Nach dem Grundsatz des § 300 Abs. 1 SGB VI ist die am 17.11.2016 in Kraft getretene Neuregelung des § 108 Abs. 2 SGB VI von diesem Zeitpunkt an auch auf die Fälle anzuwenden, bei denen der zu beurteilende Sachverhalt schon vor dem Inkrafttreten der Vorschrift liegt. Allerdings regelt § 306 Abs. 1 SGB VI (für Renten), dass grundsätzlich keine Neuberechnung aus Anlass einer Rechtsänderung erfolgt. Übertragen auf die Frage der Anwendung des § 108 Abs. 2 SGB VI bedeutet dies, dass, sofern ein Sachverhalt zur Aufhebung und Rückforderung von Zuschüssen in der Vergangenheit abgeschlossen wurde, § 108 Abs. 2 SGB VI nicht nochmals – mit Rückwirkung – angewendet werden darf. Deshalb gilt: Ist bereits vor Inkrafttreten des § 108 Abs. 2 SGB VI eine Verwaltungsentscheidung zur Aufhebung des Zuschusses zur freiwilligen Krankenversicherung getroffen worden, so ist die zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung geltende Rechtslage anzuwenden ist (vgl. Böttiger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 108 SGB VI 1. Überarbeitung, Rn. 53).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte durch ihr Verhalten in dem Klageverfahren S 50 R 1407/16 ein volles Anerkenntnis dahingehend abgegeben, den ursprünglichen Bescheid vom 09.03.2016 in Gestalt des Bescheides vom 26.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2016 zurückzunehmen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 05.04.2017, bei Gericht eingegangen am 10.04.2017, das Anerkenntnis angenommen. Damit war das Klageverfahren S 50 R 1407/16 beendet (§ 101 Abs. 2 SGG). Der streitige Sachverhalt (Rücknahme des Zuschusses für die Vergangenheit, konkret für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.12.2015) war damit am 10.04.2017 rechtskräftig abgeschlossen.

Der Bescheid vom 09.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 ist mithin anhand der Rechtslage zu überprüfen, die vor dem In-Kraft-Treten des 6. SGB VI - Änderungsgesetzes gegolten hat.

Die von den Beteiligten aufgeworfene Frage, ob es sich für den Beitragsanteil für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 30.11.2010 (von 4.123,97 EUR) um Beiträge handelt, die nach § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB VI aus Gründen der Verjährung einbehalten wurden, kann somit offenbleiben, da nach Auffassung der Kammer ohnehin keine Aufhebung des Zuschussbescheides für die Vergangenheit nach § 108 Abs. 2 SGB VI in Betracht kommt.

Die Kammer hatte die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 09.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 an den §§ 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), hier an § 48 SGB X, zu messen.

Bei ursprünglich rechtmäßigen Bewilligungsbescheiden sieht § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse grundsätzlich eine Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Zukunft vor. Nach Satz 2 der Regelung soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit (Nr. 2) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift getroffenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, oder (Nr. 4) der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Zwar trat im vorliegenden Fall eine wesentliche Änderung Im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ein, da die freiwillige Krankenversicherung des Klägers am 31.12.2007 endete und ab 01.01.2008 die Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner mit Pflegeversicherung begründet wurde. Eine rückwirkende Aufhebung wäre jedoch nur unter den qualifizierten Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X zulässig. Die vorliegend in Betracht zu ziehenden Tatbestände der Nr. 2 und der Nr. 4 sind nicht erfüllt: Weder ist der Kläger einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen (Nr. 2), noch wusste er oder wusste deshalb nicht, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).

Die in beiden Tatbeständen geforderte subjektive Vorwerfbarkeit muss zu dem Zeitpunkt vorliegen, in welchem die rückwirkend verfügte Aufhebung ihre innere Wirksamkeit entfaltete, also zum 01.01.2008. Bezogen auf diesen Tag kann dem Kläger weder vorsätzliches oder grob fahrlässiges Unterlassens einer Mitteilungspflicht noch das Wissen oder das sorgfaltswidrige Nichtwissen des Eintritts der Versicherungspflicht vorgeworfen werden. Dies zeigt sich aus dem Verfahrensablauf, da der Kläger selbst erst mit Wirkung für die Vergangenheit (frühestens aufgrund des Schreibens der Beigeladenen vom 24.08.2015) Kenntnis darüber hatte, dass aufgrund Absinken des Einkommens die hauptberuflich selbständige Tätigkeit in eine nebenberufliche Tätigkeit umgewandelt wurde mit der Folge, dass er (mit Rückwirkung) in der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert wurde.

Die Frage, ob Bösgläubigkeit im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder Nr. 4 SGB X vorlag, kann allerdings auch offenbleiben, da der Bescheid vom 09.05.2017 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017) jedenfalls nicht die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X wahrte. Die Beklagte hatte am 08.09.2015 aufgrund maschineller Meldung Kenntnis von der Versicherungspflicht des Klägers (seit 01.08.2013). Am 04.11.2015 hatte die Beklagte Kenntnis darüber, dass die Versicherungspflicht bereits seit 01.01.2008 besteht. Hiervon ausgehend hätte der Bescheid über die Rücknahme des Zuschusses für die Vergangenheit bis 03.11.2016 ergehen müssen. Die ursprünglich von der Beklagten erlassenen Bescheide (vom 11.12.2015 und vom 09.03.2016) haben diese Frist auch gewahrt. Auf die dort eingehaltene Jahresfrist kommt es indessen nicht an, da die Beklagte selbst diese Bescheide im Verwaltungsverfahren bzw. im Klageverfahren S 50 R 1407/16 aufgehoben hat. Sie hat im Klageverfahren S 50 R 1407/16 eindeutig erklärt, die in dem Verwaltungsverfahren zunächst erlassenen Bescheide (vom 09.03.2016 in der Fassung des Bescheides vom 26.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2016) zurückzunehmen. Damit wurde das Verwaltungsverfahren über die rückwirkende Aufhebung der Zuschussbewilligung bestandskräftig beendet.

Anders wäre die Situation, wenn die Beklagte während des Klageverfahrens S 50 R 1407/16 durch Erlass eines neuen Bescheides die Begründung der angefochtenen Bescheide ausgetauscht hätte (was nach § 41 Abs. 1 Ziff. 2 SGB X möglich gewesen wäre). Der neue Bescheid wäre nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, mit der Folge, dass seine Rechtmäßigkeit im Klageverfahren S 50 R 1407/16 überprüft worden wäre. Für diesen Weg hat sich die Beklagte allerdings nicht entschieden und sich durch ihre Vorgehensweise der Möglichkeiten beraubt, den Zuschuss mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben und vom Kläger (nach § 50 SGB X) zurückzufordern.

Damit war der Klage in vollem Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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