S 35 R 536/19

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 35 R 536/19
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur erforderlichen Begründung eines Rentenbescheides zählt auch die Mitteilung über die Berechnung der Entgeltpunkte als Kernbestandteil für die Berechnung der Rentenhöhe.
2. Ist ein Verfahrens- oder Formfehler nach § 41 SGB X geheilt worden, ist der Bescheid mangelfrei und kann nicht mehr an einem Fehler im Sinne von § 42 SGB X leiden. Die Unbeachtlichkeit eines Verfahrens- oder Formfehlers nach § 42 SGB X vermag deshalb die Kostenfolge des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht auszuschließen.
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2019 verurteilt, die der Klägerin in dem Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 14.08.2018 entstandenen notwendigen Aufwendungen dem Grunde nach zu erstatten.

II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten.

III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung hinsichtlich des Widerspruchsverfahrens gegen einen Altersrentenbescheid streitig.

Die 1955 geborene Klägerin beantragte am 29.06.2018 Altersrente für besonders langjährige Versicherte. Die Beklagte bewilligte die Leistung und übersandte an die Klägerin einen Rentenbescheid mit Datum vom 14.08.2018 über die Bewilligung von Altersrente für besonders langjährige Versicherte ab 01.09.2018. Der Rentenbescheid enthielt die Anlage "Berechnung der Rente", wonach sich der Zahlbetrag aus persönlichen Entgeltpunkten (Ost) von 44,4990, dem Rentenartfaktor von 1,0 und dem aktuellen Rentenwert (Ost) von 30,69 EUR ermittelte. Nach Abzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung ergab sich ein monatlicher Zahlbetrag von 1.222,97 EUR. Beigefügt war dem Rentenbescheid ferner die Anlage "Versicherungsverlauf". Die Anlagen zur Berechnung der Entgeltpunkte aus den Beitragszeiten, aus beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten und aus dem Versorgungsausgleich waren nicht beigefügt.

Mit Schreiben vom 04.09.2018 hat die Klägerin persönlich Widerspruch eingelegt, der von ihrem Bevollmächtigten mit Schreiben vom 02.11.2018 begründet wurde. In der Widerspruchsbegründung wurde auf § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X hingewiesen, wonach jeder Verwaltungsakt zu begründen sei. Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X seien in der Begründung die wesentlichen, tatsächlichen und rechtlichen Gründe für die Entscheidung mitzuteilen. Diesen Anforderungen genüge der Rentenbescheid nicht. Ihm können weder die Berechnung der Entgeltpunkte für Beitragszeiten noch die Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten, die Kernbestandteil für die Berechnung der Rentenhöhe sind, entnommen werden.

Mit Schreiben vom 14.11.2018 hat die Beklagte die Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten", "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten" und "Versorgungsausgleich" an den Bevollmächtigten der Klägerin übersandt mit Bitte um Mitteilung, wie es mit dem Widerspruchsverfahren weitergehen soll. Der Bevollmächtigte der Klägerin erklärte hierzu, dass mit der Übersendung der Anlagen der Widerspruchsbegründung in vollem Umfang abgeholfen sei. Er bat um Zusendung der entsprechenden Kostengrundentscheidung für das Widerspruchsverfahren (Schriftsatz vom 27.11.2018).

Mit Bescheid vom 03.12.2018 hat die Beklagte festgestellt, dass Kosten nach § 63 SGB X für das Widerspruchsverfahren nicht erstattet werden. Der Widerspruch war nicht erfolgreich i.S.v. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der angefochtene Bescheid sei schon bei seinem Erlass mit der nach § 35 Abs. 1 SGB X erforderlichen Begründung versehen gewesen. Die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die der Entscheidung über den Rentenanspruch zugrunde lagen, wurden in dem Bescheid und den Anlagen, die Gegenstand des Bescheides waren, mitgeteilt. Doch selbst, wenn davon ausgegangen würde, dass der Bescheid ursprünglich nicht mit der erforderlichen Begründung versehen war, wäre dies aufgrund der nachträglichen Übersendung der ergänzenden Anlagen gemäß §§ 41, 42 SGB X unbeachtlich (Beschluss LSG Berlin-Brandenburg vom 31.03.2014, Az.: L 29 AS 314/14 NZB).

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 11.12.2018 gegen den Bescheid vom 03.12.2018 Widerspruch eingelegt. Es handele sich bei der zitierten Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg um eine Entscheidung aus dem Arbeitsförderungsrecht, die nicht ohne weiteres auf die Rentenversicherung übertragen werden könne. Im Übrigen sei die Entscheidung auch rechtlich fragwürdig, da es bei dem vom LSG zitierten § 42 SGB X um die Frage der Aufhebbarkeit eines unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommenen Verwaltungsaktes ging.

Die Beklagte hat den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 04.04.2019) und auf § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X Bezug genommen. Sie verwies auf § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach sich die Begründungspflicht darauf beschränke, den Betroffenen eines Verwaltungsaktes die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung brauche sich nicht mit allen in Betracht kommenden Umständen und Einzelüberlegungen auseinanderzusetzen. Sie dürfe sich auf die Mitteilung der wesentlichen Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang beschränken, so dass der Betroffene seine Rechte sachgemäß wahrnehmen könne, wie sich aus den Urteilen des BSG vom 09.12.2004, Az.: B 6 KA 44/03 und B 6 KA 71/03 R ergebe.

Am 02.05.2019 wurde Klage erhoben und zur Begründung weiter ausgeführt: Regelbestand des Rentenbescheides sei die Rentenhöhe. Für den Betroffenen müsse ersichtlich sein, wie sich die Rentenhöhe zusammensetzt. Dem Rentenbescheid müssen sämtliche Berechnungsgrundlagen entnommen werden können. Hier fehlte die erforderliche Begründung. Auf Nachfrage des Gerichts übersandte die Klägerin den Rentenbescheid vom 14.08.2018 in der Fassung, wie er ursprünglich übersandt wurde, sowie die Anlagen, die nachträglich mit Schreiben vom 14.11.2018 nachgereicht wurden.

Mit Schreiben vom 30.10.2019 hat die Klägerin ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten des Widerspruchsverfahrens gemäß § 63 SGB X dem Grunde nach zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihren Widerspruchsbescheid und auf Rechtsprechung, die ihre Auffassung stützt.

Mit Schreiben vom 08.10.2019 hat auch die Beklagte ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Versichertenakte der Beklagten, die Klägerin betreffend, sowie die Gerichtsakte, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Da das Einverständnis der Beteiligten vorlag, konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 03.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2019 verletzt die Klägerin rechtswidrig in ihren Rechten. Insoweit wurde der Antrag der Klägerin dahingehend ausgelegt, dass auch die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird (vgl. § 123 SGG).

Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der im Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 14.08.2018 entstandenen notwendigen Aufwendungen.

Rechtsgrundlage der Erstattungsforderung ist § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, - soweit der Widerspruch erfolgreich ist - demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X auch dann, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist.

Nach Auffassung der Kammer sind die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X hier gegeben, denn der Widerspruch der Klägerin gegen den Rentenbescheid vom 14.08.2018 hatte nur deshalb keinen Erfolg, weil eine Verletzung einer Verfahrensvorschrift vorlag, die nach § 41 SGB X geheilt werden kann.

Nach Auffassung der Kammer war der Rentenbescheid vom 14.08.2018 mit Übersendung der Anlagen "Berechnung der Rente" und "Versicherungsverlauf" nicht hinreichend begründet i.S.v. § 35 Abs. 1 SGB X. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X ist ein gebundener Verwaltungsakt zu begründen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass der Bürger seine Rechte sachgerecht verteidigen kann. Sie ist so abzufassen, dass das Verwaltungshandeln transparent wird und überflüssigen Rechtsbehelfen vorgebeugt wird (Engelmann in von Wulffen/Schütze Kommentar SGB X ,8. Auflage § 35 Rn. 2 m.w.N.). Ein schriftlicher Bescheid muss für einen seriösen, um Verständnis bemühten Leser ohne spezielle Kenntnis der besonderen Rechtsmaterie (zum Beispiel des Sozialversicherungsrechts) aus sich selbst heraus verständlich und nachvollziehbar sein (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 22. Januar 2009 – L 3 R 17/08 –, juris). Formell fehlerhaft ist die Begründung dann, wenn die Behörde die für sie subjektiv entscheidungserheblichen Umstände und Erwägungen nicht mitteilt (Schneider-Danwitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 41 SGB X, Rn. 22).

Ein Verwaltungsakt ist nur dann ausreichend begründet, wenn er für den Adressaten nachprüfbar ist. Werden Sozialleistungen bewilligt, gehört hierzu, dass neben der exakten Rechtsgrundlage, die genaue Höhe sowie die genaue Zusammensetzung der bewilligten Leistungen mitgeteilt wird.

Diesen Anforderungen genügt der Rentenbescheid vom 14.08.2018 in der ursprünglich an die Klägerin übersandten Form nicht. Für die Klägerin als Adressatin eines Rentenbescheides war nicht nachvollziehbar, wie die ausgewiesenen persönlichen Entgeltpunkte (Ost) in Höhe von 44,4990 ermittelt wurden. Dem Rentenbescheid vom 14.08.2018 ist lediglich zu entnehmen, dass für Beitragszeiten 38,6266 Punkte ermittelt wurden. Davon entfallen 7,9426 Entgeltpunkte (Ost) auf Kindererziehungszeiten. Ferner wurden Entgeltpunkte (Ost) für beitragsfreie Zeiten in Höhe von 1,4560 Punkten und für beitragsgeminderte Zeiten von 2,4601 Punkten mitgeteilt. Schließlich wurde ein Zuschlag aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich in Höhe von 1,9563 Punkten mitgeteilt. Die rechnerische Ermittlung der Entgeltpunkte für Beitragszeiten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen, für beitragsfreie Zeiten, beitragsgeminderte Zeiten und für den Versorgungsausgleich lässt sich erst den mit Schreiben vom 14.11.2018 übersandten Anlagen entnehmen.

Zutreffend hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass aus einem Rentenbescheid ersichtlich sein muss, aufgrund welcher Berechnungsgrundlagen sich die mitgeteilte Rentenhöhe von 1.222,97 EUR pro Monat ermittelt. Die Kammer teilt ausdrücklich die Auffassung der Klägerin, dass zur erforderlichen Begründung eines Rentenbescheides auch die Mitteilung über die Berechnung der Entgeltpunkte als Kernbestandteil für die Berechnung der Rentenhöhe zählt. Dem Rentenbescheid vom 14.08.2018 fehlt somit die maßgebliche Begründung für die Ermittlung der ausgewiesenen Rentenhöhe.

Hintergrund für die unterbliebene Übersendung der Anlagen ist die von der Deutschen Rentenversicherung seit September 2015 begonnene Neugestaltung von Rentenbewilligungsbescheiden (vgl. die Fachlichen Informationen 02/2018 vom 17.05.2018 von DRV Rheinland, Seite 9 f.). Im Jahr 2018 wurden in einem vierten Teilschritt die Anlagen der Rentenbescheide neu angeordnet. Die Rentenbescheide sollten schlanker werden. Insbes. sollten nicht mehr alle Anlagen mitgeschickt werden. Die Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten", "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten" und "Versorgungsausgleich" werden von der Deutschen Rentenversicherung als "ergänzende Anlagen" definiert, die nur noch auf nachträgliche Anforderung an den Berechtigten versandt werden. Es war danach beabsichtigt, die Rechenschritte nicht mehr einzeln vorzurechnen, "sondern die Berechnungsweise verständlich zu erläutern" (vgl. Fachliche Information 02/2018 vom 17. Mai 2018 von DRV Rheinland, Seite 10).

Die Neugestaltung der Rentenbewilligungsbescheide wurde auch im Fall des an die Klägerin adressierten Rentenbescheides vom 14.08.2018 umgesetzt. Nach Auffassung der Kammer fehlt damit dem Rentenbescheid allerdings die erforderliche Begründung i.S.v. § 35 Abs. 1 SGB X, da sich der bewilligende Betrag, die konkrete Rentenhöhe, aus dem Bescheid selbst nicht nachvollziehbar errechnen lässt. Die Berechnung der Entgeltpunkte stellt ein maßgebliches Begründungsmerkmal i.S.v. § 35 Abs. 1 SGB X dar, da es sich um die wesentlichen tatsächlichen Gründe handelt, die der Rentenhöhe zugrunde liegen (zur Höhe von Arbeitslosengeld II ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 09.05.2006, Az.: L 7 AS 403/05 ER in Juris). Der Rentenversicherungsträger kann sich nicht darauf zurückziehen, die allgemeine Berechnungsweise zu erläutern, sondern muss die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen bezogen auf den konkreten Einzelfall darzustellen (ebenso: LSG Hamburg, Urteil vom 22. Januar 2009 – L 3 R 17/08 –, Rn. 34, juris)

Soweit die Beklagte (in ihrem Widerspruchsbescheid vom 04.04.2019) unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des BSG vom 09.12.2004 (Az. B 6 KA 44/03 R und B 6 KA 71/03 R) ausführt, dass sich die Begründung eines Bescheide nicht mit allen Einzelerwägungen auseinanderzusetzten hat, verkennt sie, dass die in den genannten Entscheidungen aufgestellten Begründungsanforderungen an vertragsärztliche Honorarbescheide nicht auf die Begründungsanforderungen an Sozialleistungsbescheide übertragen werden können. Der 6. Senat des BSG hat zu Honorarbescheiden ausgeführt, dass die Anforderungen an die Darlegungen und Berechnungen nicht überspannt werden dürfen (Az. B 6 KA 44/03 in juris, Rdnr. 33). Begründet wird dies damit, dass sich die Honorarbescheide "an einen sachkundigen Personenkreis richten, der mit den Abrechnungsvoraussetzungen vertraut ist bzw. zu dessen Pflichten es gehört, über die Grundlagen der Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen Bescheid zu wissen". Dies erlaubt der erlassenden Behörde, der Kassenärztliche Vereinigung, "auch hinsichtlich der Honorarberechnung entsprechende Kenntnisse, welche von ihr regelmäßig durch Rundschreiben oder anderweitige Veröffentlichungen unter allen Vertragsärzten verbreitet werden, vorauszusetzen und die Begründung ihrer Honorarbescheide hierauf einzustellen" (BSG a.a.O.). Im Hinblick hierauf hat es das BSG nicht für erforderlich gehalten, dass eine Kassenärztliche Vereinigung alle für die Festlegung einer Honorarbegrenzungsmaßnahme wesentlichen Umstände, Zahlen und Beträge im Einzelnen im Bescheid aufführt; es reiche vielmehr aus, wenn sich der für die Berechnung maßgebliche Rechenvorgang aus dem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) ergibt (ebenso: BSGE 81, 213, 215 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 23 S 150).

Die BSG-Entscheidungen sind nicht auf die Begründungspflicht für Rentenbescheide übertragbar. Es handelt sich bei Honorarbescheiden nicht um Bescheide, mit denen eine Sozialleistung bewilligt wird. Bereits aus diesem Grund sind die in den BSG-Entscheidungen (vom 09.12.2004, Az. B 6 KA 44/03 R und B 6 KA 71/03 in juris) aufgestellten Grundsätze nicht auf den streitigen Rentenbescheid, der eine Sozialleistung bewilligt, übertragbar. Auch handelt es sich bei den Empfängern von Rentenbescheiden um die Rentenbezieher, also einen Personenkreis, bei dem die Behörde nicht davon ausgehen darf, dass dieser mit den Einzelheiten der Rentenberechnung vertraut ist. Schließlich ist Grundlage des Honorarbescheides der Honorarverteilungsmaßstab, der von der Kassenärztlichen Vereinigung unter Mitwirkung der Vertragsärzte erlassen wird (vgl. § 87b Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, SGB V). Die Vertragsärzte wirken somit an den Grundlagen der Berechnung ihrer eigenen Honorare mit. Die oben dargestellten Besonderheiten bei der Begründung von Honorarbescheiden (keine Sozialleistung, Mitwirkung des Bescheid-Empfängers bei der Gestaltung der Honorarverteilung, sachkundiger Personenkreis, der die Grundlagen der Abrechnung kennt) lassen sich auf die Begründung eines Rentenbescheides und den Empfängerhorizont eines Rentners nicht übertragen.

Damit lag ursprünglich ein Begründungmangel vor. Nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Dies ist hier gegeben. Mit der Übersendung der fehlenden Anlagen im Schreiben vom 14.11.2018 ist der Verfahrensfehler geheilt worden. Die Heilung des Verfahrensfehlers hat dazu geführt, dass der Widerspruch der Klägerin erfolglos geblieben ist.

Obwohl der Widerspruch der Klägerin im Ergebnis nicht erfolgreich gewesen ist, ergibt sich ein Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen aus § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X.

Zwar kann nach § 42 Satz 1 SGB X die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er formell mangelhaft ist. Dies kann aber nicht die Kostenfolge des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X ausschließen. Der insoweit in Literatur (z.B. Krasney in Kasseler Kommentar, § 63 Rdnr. 9a) oder Rechtsprechung teilweise vertretenen anderen Auffassung (z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.03.2014, L 29 AS 314/14 NZB, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.05.2012, L 7 AS 52/11 B, jeweils in juris) folgt die Kammer nicht.

Die Vorschrift des § 42 SGB X beschränkt die Rechtsfolgen von Verfahrensfehlern der Verwaltungsbehörden. Grundsätzlich ist ein unter Missachtung wesentlicher Verfahrensvorschriften ergangener Verwaltungsakt rechtswidrig und unterliegt auf Klage ungeachtet der materiellen Rechtslage schon deshalb der Aufhebung (vgl. Schütze in von Wullfen/Schütze SGB X, 8. Auflage, § 42 Rdnr. 2). Von dieser Rechtsfolge nimmt § 42 SGB X solche Verfahrensfehler aus, die für das materiell-rechtliche Ergebnis bedeutungslos waren. Hintergrund ist der Grundsatz der Verfahrensökonomie und das Verbot unzulässiger Rechtsausübung.

§ 42 SGB X korrespondiert mit § 41 SGB X: Ist danach ein Verfahrens- oder Formfehler nach § 41 SGB X geheilt worden, ist er mangelfrei und kann nicht mehr an einem Fehler im Sinne von § 42 SGB X leiden. § 42 SGB X kommt somit in Fällen wie diesen gar nicht zu Anwendung (Littmann in Hauk/Noftz K § 42 Rdnr. 3). Die Unbeachtlichkeit eines Verfahrensfehlers nach § 42 SGB X vermag deshalb die Kostenfolge des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht auszuschließen.

Bei § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X kommt es allein darauf an, dass ein Verfahrensfehler nach § 41 SGB X unbeachtlich geworden ist. Die Behörde soll Verfahrens- oder Formvorschriften von vornherein beachten, dies wird ggf. mit der Folge einer Kostenerstattungsplicht sanktioniert. Ob in der Sache selbst ein Erfolg möglich gewesen wäre, ist insofern unerheblich. Die Pflicht zu Erstattung von Aufwendungen wird alleine dadurch ausgelöst, dass Verfahrens- oder Formvorschriften verletzt worden sind. Die Verwaltung soll sich nicht darauf verlassen können, dass nachträglich durch § 41 Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die bei Erlass eines Bescheides gemachten Verfahrens- oder Formfehler repariert werden können und dann unbeachtlich sind. Wird im Widerspruchsverfahren ausschließlich die mangelnde Begründung, also lediglich die Verletzung eines Verfahrensfehlers, geltend gemacht, löst dessen Heilung im Widerspruchsbescheid die Kostenfolge des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X aus.

Den hierzu entgegenstehenden Entscheidungen (z.B. des LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.03.2014, L 29 AS 314/14 NZB oder LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.05.2012, L 7 AS 52/11 B jeweils in juris) folgt die Kammer nicht. Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg (vom 31.03.2014, L 29 AS 314/14 NZB) betraf die Erstattung von Anwaltskosten über ein Klageverfahren, das einen Zinsbescheid (in Höhe von 5,42 EUR) zum Gegenstand hatte. Die dortigen Ausführungen sind nach Auffassung der Kammer auch im Hinblick auf das Missverhältnis zwischen den entstandenen Anwaltskosten (309,40 EUR) und dem angegriffenen Zinsbescheid (5,42 EUR) zu bewerten und lassen sich nicht auf den auf Dauer angelegten Rentenbescheid übertragen. Sofern in der Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 08.05.2012 (Az.: L 7 AS 52/11 B) ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X abgelehnt wurde, da nur ein formell fehlerhafter Bescheid nach § 42 SGB X vorgelegen hat, ist dem nicht zu folgen. Die Tatsache, dass selbst der vollständige Begründungsausfall als Unterfall des § 42 Satz 1 SGB X gesehen wird (vgl. BSGE 68, 228, 231) kann nicht dazu führen, dass dadurch die Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X beim Begründungsmangel ausgehebelt wird. § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X folgt dem Grundsatz, dass die Kostenentscheidung entsprechend der Sachentscheidung ergeht, weil ohne die Heilung des Verfahrens- oder Formfehlers nach § 41 SGB X eine dem Widerspruchsführer günstige Sachentscheidung hätte ergehen müssen. LSG-Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 08.05.2012, Az.: L 7 AS 52/11 B) hat in seiner Entscheidung den Schluss gezogen, dass im Falle der Nachholung der Begründung im Widerspruchsverfahren eine Aufhebung des Bescheides nach § 42 SGB X nicht mehr in Betracht kommt mit der Folge, dass § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht mehr anzuwenden ist. Dieser Schluss geht jedoch nach Auffassung der Kammer fehl, da anderenfalls bei Begründungmängeln kein Anwendungsfall für die Regelung in § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X mehr denkbar ist (ebenso: SG Chemnitz, Urteil vom 11.11.2016, Az. S 33 AS 1347/16 in juris).

Da die Heilung des Begründungmangels dazu geführt hat, dass der Widerspruch der Klägerin gegen den Rentenbescheid erfolglos geblieben ist, sind die entstandenen Kosten zu erstatten (zum geheilten Anhörungsmangel ebenso: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2001 – L 5 KA 2481/00 –, Rn. 20 in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Berufung ist nicht kraft Gesetzes zulässig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung war jedoch zuzulassen, da die Rechtssache - auch aufgrund der zahlreichen anhängigen Verfahren zur gleichen Rechtsfrage - grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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