S 46 KR 1744/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
46
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 46 KR 1744/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 227,17 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2015 zu zahlen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten. 3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Vergütung für Dolmetscherleistungen. Die Klägerin ist Diplom-Gebärdendolmetscherin. Sie verdolmetschte am 29.10.2015 ärztliche Gespräche zwischen Ärzten der Beklagten und deren Patienten Herrn T., der zugleich Versicherter der Beigeladenen ist.

Die Klägerin verdolmetschte zunächst am 28.10.2015 im Rahmen einer Notfallbehandlung in der Notaufnahme der Klägerin Gespräche zwischen dem Versicherten der Beigeladenen und den Ärzten der Klägerin. Hierzu begleitete sie den Patienten bereits in die Notaufnahme, nachdem sie zuvor schon ein Gespräch zwischen dem Versicherten und seiner Hausärztin verdolmetschte. Die Rechnung für diese Leistung beglich die Beigeladene.

Die diensthabende Stationsschwester bat anschließend die Klägerin, auch am Folgetag zu erscheinen und zu dolmetschen. Dem kam die Klägerin nach.

Die Beklagte bestätigte die geleistete Dolmetschertätigkeit. Die Rechnung der Klägerin vom 30.10.2015 (Anlage K 1) beglich sie jedoch nicht. Stattdessen übersendete die Beklagte der Klägerin ein vorgedrucktes Schreiben, worin diese die Klägerin an die Krankenkasse des Versicherten verwies.

Daraufhin wendete sich die Klägerin an die Beigeladene, die die Rechnung ebenfalls nicht beglich.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe durch die diensthabende Stationsschwester die Dienstleistung der Klägerin veranlasst und sei daher zur Zahlung der Dolmetschervergütung verpflichtet. Darüber hinaus komme es auch in Betracht, dass die Beauftragung der Klägerin der Beklagten zuzurechnen sei, da damit der Sach- und Dienstleistungsanspruch des Versicherten erfüllt werden solle. Sollte hingegen die Dolmetscherleistung bereits mit der Fallpauschale der Krankenhausvergütung abgegolten sein, so wäre wiederum die Beigeladene ihrer Verpflichtung zur Gewährung eines Dolmetschers ggü. dem hörbehinderten Versicherten nachgekommen und die Klägerin die Schuldnerin des Vergütungsanspruchs der Klägerin.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 227,17 EUR zzgl. Zinsen i. H. v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2015 zu zahlen.

2. hilfsweise festzustellen, dass die Beigeladene die Schuldnerin des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Beigeladene sei Schuldnerin des Anspruchs der Klägerin. Dies ergäbe sich zum einen daraus, dass die diensthabende Stationsschwester nicht befugt sei, derartige Leistungen eines Dritten zu beauftragen, zum anderen aber auch daraus, dass die Beigeladene als gesetzliche Krankenkasse gem. § 17 Abs. 2 S. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) verpflichtet sei, die Kosten der Dolmetscherleistung zu übernehmen. Wäre diese Leistung bereits mit der Fallpauschale vergütet, so wäre § 17 Abs. 2 S. 2 SGB I obsolet.

Mit Beschluss vom 1.09.2016 hat das Sozialgericht durch die vormals zuständige Kammer 2 die Krankenkasse des Patienten gem. § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen, da auch sie als Leistungspflichtige in Betracht kommt.

Die Beigeladene beantragt,

die Beklagte zu verurteilen.

Sie ist der Auffassung, dass die Kosten für die Dolmetscherleistung bereits mit der von der Beigeladenen an die Beklagte geleisteten Fallpauschale für die Krankenhausbehandlung abgegolten seien. Der Versicherte sei zum Zeitpunkt der Beauftragung bereits in die stationäre Krankenhausbehandlung aufgenommen gewesen. Dann treffe die Krankenhäuser auch die Pflicht, die Kommunikation mit dem Patienten z gewährleisten. Gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 KHEntG hätten die Krankenhäuser für die dafür anfallenden Kosten selbst einzustehen. Zwar treffe die Krankenkassen die Pflicht des § 17 Abs. 2 S. 2 SGB I, dieser seien sie aber durch eine entsprechende Vereinbarung der Fallpauschalen nachgekommen. Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beigeladenen beigezogen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 9.10.2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage der Klägerin gegen die beklagte Krankenhausträgerin hat Erfolg.

I. Die Klage ist zulässig. Auch bei der Vergütungsklage eines Gebärdendolmetschers gegen das Krankenhaus handelt es sich um eine (echte) Leistungsklage, die gem. § 54 Abs. 5 SGG ohne Durchführung eines Vorverfahrens und Einhaltung einer Klagefrist zulässig ist.

Für die Klage eines Gebärdensprachdolmetschers auf Vergütung der während der vollstationären Behandlung eines gehörlosen Versicherten erbrachten Dolmetscherdienste durch den Krankenhausträger (Beklagter) bzw. die Krankenkasse (Beigeladene) ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet (BSG, Beschluss vom 29. Juli 2014 – B 3 SF 1/14 R –, SozR 4-1500 § 51 Nr 13, Leitsatz bei juris.).

II. Die Klägerin kann von der beklagten Krankenhausträgerin auch die Zahlung der geltend gemachten Vergütung sowie der Zinsen verlangen.

1. Der Vergütungsanspruch der Klägerin folgt aus einem Dienstvertrag im Sinne des § 611 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Die Klägerin und die Beklagte haben einen Dienstvertrag nach § 611 Bürgerliches Gesetzbuch geschlossen, indem die Mitarbeiterin der Beklagten am Abend des 28.10. die Klägerin beauftragte, am nächsten Tag wieder im Krankenhaus der Klägerin zu erscheinen und weitere Gespräche zu verdolmetschen. Dabei ist es unerheblich, ob die Mitarbeiterin der Beklagten hierzu im Innenverhältnis zu ihrer Arbeitgeberin befugt war. Notwendig und ausreichend ist allein, dass die Klägerin die Mitarbeiterin nach den Grundsätzen der Stellvertretung für vertretungsbefugt halten durfte. Zwar handelte die Mitarbeiterin hier tatsächlich ohne die nach § 164 BGB erforderliche Vertretungsmacht, die Beklagte muss sich deren Verhalten aber jedenfalls im Rahmen der sog. Anscheinsvollmacht zurechnen lassen. Eine Anscheinsvollmacht ist gegeben, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können und der andere Teil annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln des Vertreters (AG Neukölln, Urteil vom 12. Juni 2017 – 16 C 373/16 –, Rn. 10, juris). Hiervon geht die Kammer aus, denn die weitere Erörterung während der mündlichen Verhandlung hat ergeben, dass es im Bereich der Beklagten durchaus üblich ist, dass die Patienten sich ihre "eigenen" Gebärdensprachdolmetscher zur ärztlichen Behandlung mitbringen, die dann von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Beklagten darum gebeten werden, auch die weiteren Gespräche zu verdolmetschen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erklärte hierzu auch, dass ihm nicht bekannt sei, dass die Beklagte bestehende Verträge zu anderen Dolmetschern hätte. Die Beklagte bestätigte die Tätigkeit der Dolmetscher (vgl. Anlage K1, Bl. 15 d. Akte) durch Anbringen eines Stempels und einer Unterschrift auf dem Vordruck der Klägerin. Außerdem übersandte die Beklagte der Klägerin später einen Vordruck an Gebärdendolmetscher (Anlage K2), worin sie ausführt, dass nicht sie, sondern die jeweilige Krankenkasse des Patienten – hier also die Beigeladene – die Kostenschuldnerin sämtlicher in ihrem Krankenhaus erbrachter Dolmetscherleistungen sei. Allein aus dem Umstand, dass die Beklagte diesen Vordruck vorgefertigt hat und in einer Vielzahl von Fällen zu verwenden scheint, kann aus Sicht der Kammer geschlussfolgert werden, dass die Beauftragung von Gebärdensprachdolmetschern durch Mitarbeiter der Beklagten ein üblicherweise vorkommendes Vorgehen ist, denn anderenfalls wäre dieser Vordruck kaum von Nöten.

Zwar haben die Beteiligten vorliegend keine Vergütung für die Leistung der Klägerin vereinbart, diese gilt aber gem. § 612 Abs. 1 BGB als vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Hiervon ist – unter Beachtung der Tatsache, dass die Klägerin sich ggü. der Beklagten als gewerblich tätige Gebärdensprachdolmetscherin ausgab – auszugehen. Letztlich steht hier auch nicht im Streit, ob eine Vergütung vereinbart war, sondern wer Schuldnerin dieser Vergütung ist.

Schuldnerin der Vergütung ist die Beklagte. Die [ ] Gebärdensprachdolmetscherkosten im Sinne des § 2 KHEntgG in der Fassung vom 17.07.2003 waren von der Beklagten zu tragen, weil sie bereits über das pauschalierende DRG-Vergütungssystem (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG i.V.m. § 17b Abs. 1 Satz 1 HS 2 KHG) abgegolten waren. Mit den Entgelten für allgemeine Krankenhausleistungen werden dem Krankenhaus alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen - wie § 7 Abs. 1 Satz 2 KHEntgG zu entnehmen ist - vergütet. Leistungen, die nicht zu den allgemeinen Krankenhausleistungen gehören sind darin nicht enthalten. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG sind Krankenhausleistungen nach § 1 Abs.1 KHEntgG insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, die für die Versorgung im Krankenhaus notwendig sind, sowie Unterkunft und Verpflegung; sie umfassen allgemeine Krankenhausleistungen und Wahlleistungen. Allgemeine Krankenhausleistungen sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 KHEntgG die Krankenhausleistungen, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind. Der Begriff der allgemeinen Krankenhausleistung ist identisch mit dem der teil- und vollstationären Krankenhausleistung nach § 39 SGB V und berücksichtigt den Bedarf im Einzelfall unter nach den patienten- und krankenhausindividuellen Bedürfnissen (Tuschen/Trefz: KHEntG Komm. 2. Aufl. 2010 S. 16-17). Das Krankenhaus wird somit zu einer einheitlichen und umfassenden Gesamtleistung verpflichtet (Quaas/Dietz in: Dietz/Bofinger, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundespflegesatzverordnung und Folgerecht, § 2 BPflV, Anm. II.1., S. 22b). Grundsätzlich sind Leistungen des Krankenhauses nur solche, die dieses durch eigenes Personal und eigene sächliche Mittel erbringt. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind enumerativ - u.a. in § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG - geregelt (vgl. BSG, Urteil v. 23.03.2011 - B 6 KA 11/10 R, juris Rdn. 59; Quaas/Dietz in: Dietz/Bofinger, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundespflegesatzverordnung und Folgerecht, § 2 BPflV, Anm. II.1., S. 22b). Danach gehören zu den allgemeinen - abrechnungsfähigen - Leistungen des Krankenhauses auch die von ihm veranlassten Leistungen Dritter, die im Verhältnis zu der vom Krankenhaus zu erbringenden Hauptbehandlungsleistung, wie im vorliegenden Fall, ergänzende oder unterstützende Funktion haben (BSG, Urteil vom 28. Februar 2007 – B 3 KR 17/06 R –, SozR 4-2500 § 39 Nr. 8). Diese sind somit nur zwischen Krankenkasse und Krankenhaus abzurechnen. § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG bezieht jede zur Behandlung notwendige Leistung Dritter ein (Quaas/Dietz in: Dietz/Bofinger, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundespflegesatzverordnung und Folgerecht, § 2 BPflV, Anm. II.4., S. 25; Anm. II.10, S. 30 f.). Dass im vorliegenden Fall ein notwendig medizinischer Bedarf an Kommunikation der Versicherten mit den behandelnden Ärzten - insbesondere zur Anamneseerhebung und Patientenaufklärung (vgl. Kreutz, ZFSH 2011, S. 629 ff.) - bestand, der die Versicherte aufgrund ihrer Taubstummheit nicht ohne Einsatz einer Gebärdensprachdolmetscherin nachkommen konnte, liegt auf der Hand und wurde der Klägerin von der Beklagten auch bestätigt. Eine Notwendigkeit des Einsatzes von Gebärdensprachdolmetschern im Rahmen der stationären Behandlung folgt darüber hinaus aus dem Qualitätsgebot (§ 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V) sowie aus § 2a SGB V, wonach den Belangen behinderter und chronisch erkrankter Menschen Rechnung zu tragen ist (vgl. Kreutz a.a.O.) (SG Hamburg, Urteil vom 24. März 2017 – S 48 KR 1082/14 ZVW –, Rn. 24, juris).

Diese Annahme deckt sich auch damit, dass für die Behandlung des Versicherten durch die Beklagte die u. U. Nebendiagnose Taubstummheit kodiert werden kann, wenn dadurch (also durch die Taubstummheit) ein irgendwie gearteter vergütungsrelevanter Mehraufwand entsteht (vgl. Deutsche Kodierrichtlinie, D003l).

Nichts anderes folgt aus § 17 Abs. 2 S. 2 SGB I. Die Beklagte muss zwar die Kosten für eine nach § 17 Abs. 1 von ihr geschuldete Dolmetscherleistung tragen, wie sie dies aber tut, ist in der Vorschrift nicht geregelt. Wie soeben gezeigt ist dieser Kostentragungspflicht im Rahmen der fallpauschalisierten Abrechnung von Krankenhausleistungen durch die entsprechende DRG-Vereinbarung genüge getan und die Krankenkasse ihrer Pflicht des § 17 Abs. 2 S. 2 SGB I nachgekommen. Durch dieses Verständnis der Vorschrift wird die Vorschrift entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht obsolet, sondern lediglich im Falle der Krankenbehandlung durch ein DRG-Krankenhaus durch die spezielleren Regelungen des Krankenhausentgeltgesetzes verdrängt. Es verbleiben darüber hinaus noch genügend Anwendungsfälle, in denen die Vorschrift des § 17 Abs. 2 S. 2 SGB I zur Anwendung kommen kann.

2. Der Zinsanspruch folgt aus 288 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 286 BGB. Der Rechnungsbetrag war 14 Tage nach Erhalt fällig. Spätestens mit Email vom 12.11.2015 verweigerte die Beklagte die Zahlung des geschuldeten Betrages endgültig, sodass auch ohne eine weitere Mahnung Verzug eintrat, § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB.

III. Kostenentscheidung folgt aus 197a Abs. 1 SGG i.V.m. 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO. Da auch die Beigeladene einen Antrag gestellt hat, waren dem Grunde nach auch ihre entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten aufzuerlegen (vgl. dazu § 154 Abs. 3 VwGO).

Das Gericht hatte die Berufung zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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