Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 9 KR 809/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 16.11.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.5.2013 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für den stationären Aufenthalt in der C. Klinik vom 20.5.2013 bis 23. 6. 2013 in Höhe von 14.350 EUR abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung von 280,- EUR, mithin von 14.070 EUR zu erstatten. 3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung in Höhe von 14.070,- EUR abzüglich der Kosten der gesetzlichen Zuzahlung für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung in einer Privatklinik (C. Klinik) vom 20.5.2013 bis 23.6.2013.
Die Klägerin, geboren am xxxxx1973 leidet an folgenden Erkrankungen: - Bulimia nervosa – Bulimie, Ess-/ Brechtsucht - Zustand nach Anorexia nervosa – Magersucht. Die täglichen ritualisierten Ess- Brechanfälle hatten insbesondere vor der streitigen stationären Behandlung in erheblichem Ausmaß zugenommen. Im Einzelnen und zusätzlich zur Beschreibung bei Aufnahme in die Klinik wird auf die Ausführungen der Klägerin in der Sitzungsniederschrift verwiesen. Sie führten zu Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche am nächsten Tag, wie sich aus dem Entlassungsbericht der C. Klinik ergibt. Im streitigen Zeitraum war sie als Teamleiterin im Controlling in einem Verlag tätig. Auf die näheren Erläuterungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu ihrer beruflichen Tätigkeit wird verwiesen.
Erstmals bereits mit 20 Jahren war die Klägerin 1993 und erneut 1996 stationär wegen Magersucht in der R.-Klinik behandelt worden. Ebenfalls vor der hier streitigen Krankenhausbehandlung war sie 2007 schon einmal stationär in der C. Klinik behandelt worden. Die Kostenübernahme für die damalige Behandlung war von der Beklagten auch damals abgelehnt worden und zu 20 % von einer privaten Zusatzversicherung getragen worden. Diese Zusatzversicherung hat die Kostenübernahme für die hier streitige Behandlung abgelehnt. Die Klägerin beantragte nach einem Vorgespräch in der C. Klinik am 15.10.2012 am 20./29.10.2012 die Kostenübernahme für einen erneuten geplanten Aufenthalt in dieser Klinik in M ... Ein Kostenvoranschlag über 14.350 EUR war beigefügt und ebenfalls eine ärztliche Verordnung des behandelnden Hausarztes Dr. H. zur Erforderlichkeit der Behandlung wegen einer akuten Verschlechterung der bekannten Essstörung und einer hieraus resultierenden dekompensierten Depression.
Am 16.11.2012 erließ die Beklagte einen ablehnenden Bescheid dahingehend, dass die Kosten für die Behandlung in der beantragten Klinik nicht übernommen würden, da es sich um eine Privatklinik handele. Anspruch auf stationäre Behandlung bestehe nur in Vertragskliniken. Diese könne im U., in der S. Klinik B. oder in der S1 in B1 durchgeführt werden.
Unter dem 13.12.2012 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Entscheidung der Beklagten ein und wies darauf hin, dass die zu erwartenden Kosten in den alternativ benannten Kliniken deutlich höher seien, weil die Behandlung dort länger dauere. Dort würden bei wesentlich geringerer Behandlungsdichte maximal 2 Therapiesitzungen pro Woche durchgeführt. In der von ihr vorgesehenen Klinik sei eine intensivere Behandlung mit 10 Behandlungseinheiten in Einzeltherapie wöchentlich vorgesehen. Sie benötige die kürzere Behandlungsdauer, da sie im Arbeitsprozess stehe. Die Beklagte beauftragte nun den MDK mit einer Stellungnahme, die dieser nach Aktenlage am 14.2.2013 durch Dr. S2 erstellte. Danach sei die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung aus den vorgelegten Unterlagen überhaupt nicht erkennbar. Im Übrigen sei eine Behandlung in einem wohnortnahen Krankenhaus möglich. Eigentlich sei ein sozialmedizinisches Gutachten überhaupt nicht möglich wegen der Voraussetzungen des § 39 SGB V, wonach der Krankenhausarzt die Frage der Notwendigkeit stationärer Behandlung jeweils für sich prüfen und anhand von § 39 SGB V abwägen müsse. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass eine hohe Frequenz an Psychotherapie bei der Klägerin derzeit nicht erfolge und auch kein Antrag auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation gestellt worden sei.
Im Schreiben vom 20.2.2013 teilte die Beklagte der Klägerin das Ergebnis der Stellungnahme des MDK mit und benannte ihr als zugelassene Krankenhäuser für die Behandlung ihrer Erkrankung die C1- Klinik B2, die A. Klinik N. und die S. Klinik E ... Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht und verwies erneut auf ihre Erkrankung und die Erforderlichkeit einer individuellen und intensiven Behandlung, die in der vorgesehenen Klinik von geringerer Dauer sein könne als in den benannten Alternativkliniken.
Unter dem 13.5.2013 erließ die Beklagte Widerspruchsbescheid, in dem sie die Argumentation des MDK aufgriff, jedoch keinerlei Ausführungen dazu machte, dass stationäre Behandlung nicht erforderlich sei. Telefonisch und per E- Mail wurde die Klägerin aber dahingehend beraten, wie auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung angegeben hat.
Vom 20.5.2013 bis 23.6.2013 nahm die Klägerin die stationäre Behandlung in der von ihr favorisierten C. Klinik in M. wahr.
Mit der Klage von 10.6.2013 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, verweist auf die erfolgreiche vorangegangene Behandlung in der C.-Klinik im Jahr 2007 und legt zusätzlich ein Attest des Psychologen Dr. H2 vor. Das Gutachten des MDK sei nur nach Aktenlage ergangen und lasse eine Einzelfallprüfung nicht erkennen. Die Wartezeiten in den Vertragskliniken seien ihr angesichts der Schwere der Essstörung nicht zumutbar gewesen. Die Therapiedichte in der C.-Klinik mit ca. 10 Behandlungseinheiten pro Woche sei wesentlich größer und effektiver gegenüber 2 Individualsitzungen in den Vergleichskliniken. Die Inanspruchnahme der Vertragskliniken sei ihr deswegen bei dem Ausmaß ihrer gravierenden Essstörung nicht zumutbar gewesen. Ein Zuwarten auf eine Behandlung in einer anderen Klinik sei ihr nicht zumutbar gewesen, auch wegen Konflikten am Arbeitsplatz. Seit Anfang 2013 sei sie (erneut) in ambulanter Psychotherapie bei Frau Dr. P. auf eigene Kosten, was der Beklagten auch bekannt gewesen sei. Hierzu hat die Klägerin eine entsprechende Bescheinigung vorgelegt.
Außerdem hat die Klägerin auf einen nicht geprüften Anspruch nach der Satzung der Beklagten hingewiesen, wonach gegebenenfalls über die reine gesetzliche Anspruchsgrundlage hinaus Ansprüche bestünden.
Sie habe die Behandlung auf eigene Kosten durchgeführt. Angesichts der Tatsache, dass die Beklagte selbst Krankenhäuser für die stationäre Behandlung genannt habe, könne die Notwendigkeit einer stationären Behandlung hier nicht wirklich infrage gestellt werden. Hinsichtlich der Zeitspanne von 7 Monaten zwischen Antragstellung und Beginn der Behandlung bezieht sich die Klägerin darauf, dass sie den Widerspruchsbescheid habe abwarten wollen und müssen und sich Chancen für eine Bewilligung im Widerspruchsverfahren erhofft habe.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16.11.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.5.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für den stationären Aufenthalt in der C. Klinik in Höhe von 14.350 EUR abzüglich des Höchstbetrags der gesetzlichen Zuzahlung von 280,- EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat zunächst auf das bereits bekannte Gutachten des MDK sowie darauf verwiesen, dass es sich bei der C.-Klinik nicht um eine zugelassene Klinik handele. Ansprüche nach ihrer Satzung zur stationären Behandlung in nicht zugelassenen Krankenhäusern könnten zwar grundsätzlich bestehen, jedoch nur dann, wenn ein Vertrag mit dem jeweiligen in Anspruch genommenen Krankenhaus bestehe. Dies sei bei der von der Klägerin gewählten Klinik nicht der Fall. Die genannten Vertragskliniken seien vertraglich zur Behandlung der Erkrankungen unter denen sie leide, zugelassen. Eine solche Zulassung werde nur erteilt, wenn die Behandlungskonzepte nachvollziehbar, schlüssig und erfolgversprechend seien. Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten zu langen Wartezeit in einem zugelassenen Krankenhaus weist die Beklagte darauf hin, dass sie erst etwa 7 Monate nach dem Antrag mit der Behandlung in der gewählten Klinik begonnen habe. Sie habe nichts davon gewusst, dass die Klägerin auf eigene Kosten Psychotherapie bereits durchführe. Eine Notwendigkeit stationärer Behandlung habe überhaupt nicht bestanden und erst recht nicht im Sinne einer unaufschiebbaren Leistung. In der mündlichen Verhandlung am 16.8.2017 hat die Beklagte diesen Einwand schließlich nicht mehr aufrechterhalten.
Nach Vorlage von Unterlagen der gewählten Klinik hat die Beklagte den MDK nochmals beteiligt, der darauf hingewiesen hat, dass diese Unterlagen im Nachhinein letztlich nicht maßgeblich sein könnten, sondern die zuvor bei Antragstellung vorliegenden Unterlagen. Bei Beginn der Behandlung habe die Klägerin lediglich an leichtem Untergewicht gelitten (18,5 kg/m²). Krankenhausbehandlung müsse nach den Grundlagen der Weltgesundheitsorganisation erst bei unter 15 kg/m² erfolgen. Dasselbe ergebe sich aus der "AWMF-S3-Leitlinie – "Diagnostik und Therapie der Essstörungen". Die Behandlung sei auch nicht unaufschiebbar im Sinne des § 13 III SGB V gewesen.
Im Rahmen der gerichtlichen Ermittlungen hat das Gericht Befundberichte angefordert von den behandelnden Ärzten der Klägerin, nämlich von Dr. K. als Praxisnachfolger der früher behandelnden Psychiaterin Dr. K1, vom Hausarzt Dr. H. und von der Diplom-Psychologin Frau Dr. P ... Außerdem ist die Patientenakte der C. Klinik angefordert worden.
Aufgrund der (geänderten) Beweisanordnung des Gerichts ist Dr. H1 mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt worden ist.
In seinem Gutachten vom 23.7.2015 nach persönlicher Begutachtung der Klägerin am 5.6.2015 hat Dr. H1 die Diagnose einer Bulimie, Ess-/ Brechsucht bestätigt und auch, dass die Klägerin früher an Anorexia nervosa gelitten habe. Ebenso hat er den bei der Klägerin noch zur Zeit der Begutachtung zu spürenden erheblichen Leidensdruck und innere Qualen in seinem schriftlichen Gutachten bestätigt.
Die stationäre Behandlung, so der Sachverständige, sei erforderlich gewesen. Ambulante Behandlungsmöglichkeiten habe die Klägerin bereits angewandt. Diese hätten nicht ausgereicht. Im Gegenteil sei eine Verschlechterung der Erkrankung bereits eingetreten gewesen bei Antragstellung. Die Erkrankung habe zur Verhinderung einer weitergehenden Verschlimmerung einer stationären multimodalen (Verhaltens-) Therapie bedurft. Die Klägerin habe damals weiter unter Ess- /Brech- Anfällen gelitten. Eine zusätzliche Komorbidität zur Begründung von Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit sei deswegen nicht erforderlich. Sie habe krankheitsbedingt nicht noch länger abwarten können bis zu einer stationären Behandlung und habe sich wochenlang darum bemüht, eine Alternativbehandlung zu finden. Teilstationäre Maßnahmen seien nicht vorhanden gewesen.
Eine Behandlung in einer Vertragsklinik wäre "sicher möglich" gewesen. Der Sachverständige benennt in diesem Zusammenhang mehrere Kliniken, weist jedoch darauf hin, dass die meisten dieser Kliniken nicht ausschließlich auf Essstörungen spezialisiert seien. Behandelt würden die verschiedensten psychosomatischen Erkrankungen wie Depressionen, Angst-und Zwangsstörungen. In der S.-Klinik in B. gebe es zwar eine solche Spezialisierung. Das Behandlungsangebot sei jedoch – jedenfalls nach den Recherchen der Klägerin – weniger intensiv.
In einer abschließenden Bewertung sei aus seiner Sicht von gewichtigen Gründen im Sinne eines Systemversagens auszugehen. Der MDK habe bei seiner Prüfung den Einzelfall der Klägerin und ihrer Erkrankung nicht ausreichend berücksichtigt.
Die Beklagte verweist in ihrer Stellungnahme zum Gutachten darauf, dass der Sachverständige die Möglichkeit einer vertraglichen Versorgung dargestellt habe. Es bestehe kein Anspruch auf eine Behandlung mit einer bestimmten Methode und auch nur ein solcher auf das medizinisch Notwendige. Die Klägerin hat sich auf das vom Sachverständigen benannte Systemversagen bezogen.
In einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 8.4.2016 ist der Sachverhalt ausführlich mit den Beteiligten erörtert worden. Die Klägerin ist angehört worden und hat darauf hingewiesen, dass sie sich in der S. Klinik B. vorgestellt habe. Er sei dort gesagt worden, dass die Therapie mindestens 12 Wochen dauern werde und Wartezeiten von 10-12 Wochen bestünden. Das sei "von ihrem Job her nicht gegangen". Hinzu käme, dass sie die einzige Erwachsene gewesen wäre mit einem solchen Erkrankungsbild. Ansonsten würden dort lediglich Patienten/Patientinnen im Alter von 17 oder 18 Jahren behandelt. Gruppentherapie, die dort vielfach eingesetzt werde, hätte deswegen für sie als einzige Erwachsene keinen Sinn ergeben. Sie habe sich aufgrund dessen letztlich anders entschieden.
Nach Zwischenberatung ist der Termin vertagt worden mit dem vorgesehenen weiteren Vorgehen, dass das Gericht einen Vergleichsvorschlag machen sollte.
Gemäß dem Vergleichsvorschlag des Gerichts hätte die Beklagte einen Betrag von 5.000,- EUR im Rahmen einer Beteiligung an den entstandenen Kosten zahlen sollen in Anlehnung an Fälle der Inanspruchnahme privater Psychotherapie). Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin diese Kosten für psychotherapeutische Behandlungen selbst getragen habe und außerdem unter einer sehr schwerwiegenden Erkrankung leide. Bei Berücksichtigung der Prozessrisiken und der hohen Anforderungen an ein Systemversagen sei der Betrag als angemessen anzusehen ebenso wie die Übernahme von 1/3 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Beklagte hat dies abgelehnt. Das Gericht habe nicht ermittelt zu Behandlungsmöglichkeiten der Klägerin, sondern ihr lediglich geglaubt. Sie habe keinen Anspruch auf spezielle Behandlungskonzepte. Im Übrigen sei nicht davon auszugehen, dass die Konzepte sämtlicher Vertragskliniken ungeeignet oder unwirtschaftlich seien.
Sodann hat das Gericht unter dem 1.6.2016 weitere Fragen an den Sachverständigen Dr. H1 gestellt und ihn um eine ergänzende Stellungnahme zu seinem Gutachten gebeten.
Die Klägerin hat den gesamten Verlauf nochmal aus ihrer Sicht dargestellt. Sie habe sich bei der S. Klinik in B. vorgestellt und nach deren Behandlungskonzept erkundigt und sei gerade nicht davon ausgegangen, dass nur die schließlich gewählte Klinik für eine Therapie infrage komme. Das Beratungsgespräch sei wohl auch über die Beklagte abgerechnet worden. Sie habe die Beklagte jederzeit über ihre Schritte ins Bild gesetzt. Die Beklagte habe sich aber darauf berufen, dass eine stationäre Behandlung überhaupt nicht erforderlich sei. Dies sei jedoch nach dem Gutachten anders zu sehen.
Bei entsprechender Nachfrage wären durchaus auch Unterlagen über die durchgeführte ambulante Psychotherapie vorgelegt worden. Angesichts dessen sei es nicht hinzunehmen, wenn die Beklagte sich nun darauf berufe, alle diese Dinge erst zu spät erfahren zu haben. Ihr seien 2 Psychotherapeuten von der Beklagten benannt worden. Zu der einen habe sie kein Vertrauen fassen können. Der andere habe lediglich Termine während ihrer Arbeitszeit vergeben können. So habe sie schließlich auch ihre ambulante Psychotherapie bei Frau Dr. P. wieder selbst bezahlt (einmal wöchentlich 101,00 EUR über 2 Jahre). Derzeit sei sie arbeitslos, habe zwischenzeitlich über 30.000,- EUR für ihre Behandlung selbst investiert. Beigefügt ist eine Stellungnahme des Psychologen Dr. H2 von der A. Neurologischen Klinik B3, der darauf hinweist, dass er bereits im Dezember 2012 eine intensivere Behandlung der Klägerin empfohlen habe. Im Einzelnen wird auf die Stellungnahme von Dr. H2 verwiesen. Ferner beigefügt ist der Schriftwechsel der Klägerin mit der Beklagten, in dem die Klägerin intensiv, jedoch erfolglos versucht, mit Hilfe der Beklagten psychotherapeutische Behandler zu finden.
In der ergänzenden Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H1 vom 20.1.2017 setzt sich der Sachverständige zunächst mit den Äußerungen der Beklagten und des MDK zu seinem Gutachten auseinander und weist Teile der dortigen Feststellungen zurück.
Sodann stellt er dar, welche Krankenhäuser mit Zulassung für die Behandlung der Klägerin noch infrage gekommen wären. Auf der Webseite der Beklagten hat der Sachverständige dabei gar keine Krankenhäuser gefunden. Er selbst habe dann Krankenhäuser recherchiert und unter diesen eine Vorauswahl getroffen, wobei er Rehakliniken ausgeschlossen hat, bei denen nur bereits berentete Mitglieder der Krankenversicherung behandelt würden, ebenso rein tiefenpsychologisch arbeitende Kliniken, Kliniken für Kinder-und Jugendliche, teilstationäre oder ambulante Angebote und solche mit eindeutig anderen Schwerpunkten (Sucht, Trauma und Ähnliches). Ebenso habe er Kliniken mit psychosomatischen Abteilungen ohne erkennbare Spezialisierung auf Essstörungen und die Hardtwaldklinik ausgeschlossen, die zwar eine Spezialisierung auf Essstörungen habe, jedoch auf solche für Adipositas-Patienten mit einem Gewicht von über 150 kg.
Der Sachverständige hat sodann mehrere mögliche Kliniken aufgelistet und im Einzelnen jeweils dargelegt, wie dort die Aufnahmekriterien seien. Außerdem hat er darauf hingewiesen, dass die im Schreiben der Beklagten vom 20.2. 2013 an die Klägerin zur Behandlung vorgeschlagenen Vertragskliniken (U., A. Klinik N., S. Klinik E. und S. Klinik B., insbesondere die S. Klinik B.) aus seiner Sicht nicht adäquat gewesen seien und die Behandlung nicht hätten sicherstellen können. In der A. Klinik N. gebe es zwar eine Spezialstation für Essgestörte. Diese sei jedoch auch mit Menschen z.B. mit Persönlichkeitsstörungen belegt. Die C1 Klinik in B2 haben einen eindeutigen tiefenpsychologischen Schwerpunkt.
Eine medizinisch adäquate Behandlung für die Klägerin sei somit offensichtlich nirgendwo als in der von ihr ausgesuchten Klinik sinnvoll und hilfreich möglich gewesen.
Die in den anderen Vertragskliniken üblichen längeren Behandlungsdauer wären ihrem Behandlungsziel nämlich einer effektiven Behandlung in möglichst kurzer Zeit nicht gerecht geworden.
Zur Frage, welche konkreten medizinischen Nachteile der Klägerin bei einer Behandlung in einer Vertragsklinik entstanden wären, weist er darauf hin, dass diese nur ein für die Klägerin "suboptimal geeignetes" Verfahren anbieten würden und zudem lange Wartezeiten bestünden. Es müsse als wahrscheinlich angesehen werden, dass die Behandlung dort nicht rechtzeitig und nicht wirksam genug gewesen wäre um die akuten Krankheitssymptome (abendliche Ess-/Brechattacken mit Zuführen von 12 Liter Wasser innerhalb von 4-6 Stunden mit am Folgetag eintretender Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten) wesentlich zu bessern oder zu beseitigen. Großer Nachteil der Behandlung in einer anderen Klinik als der bereits früher aufgesuchten sei darin zu sehen, dass die notwendigen Untersuchungen für die Diagnostik und das Kennenlernen einen schnellen Beginn der Behandlung und eine ausreichend lange Behandlungszeit nicht ermöglicht hätten. In der gewählten Klinik habe sie 3 Wochen nach Ihrer Anfrage und nach einem zwischenzeitlichen Vorgespräch aufgenommen werden, sofort die therapeutische auf Arbeit aufnehmen und nach 5 Wochen gebessert entlassen werden können.
Konkrete medizinische Nachteile, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aufgetreten wären, benennt der Sachverständige dahingehend, dass die Klägerin sich während der Wartezeit nicht konsequent genug ernährt hätte, sondern durch unbewusste Vorgänge im Zusammenhang mit ihrer Ungeduld über die Aufnahme-und Diagnoseprozeduren und die Unterforderung körperliches Unwohlsein wie Übelkeit, Brechreiz, Schlafstörungen und möglicherweise auch depressive Symptome erlitten hätte. Sie hätte einen Rückfall in das überhaupt erst zur stationären Aufnahme führende Essverhalten erlitten. Es wären dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch Elektrolytstörungen und Magen-Darmsymptome aufgetreten. Behandlungserfolge wie in der gewählten Klinik wären in einer Vertragsklinik mit Sicherheit nicht erzielt worden, erst recht nicht in der Kürze der Behandlungszeit. Sie hätte eine sinnlose Zeit körperlichen und seelischen Unwohlseins erleben müssen und ihre Ressourcen für eine möglichst rasche Gesundung nicht ausreichend nutzen können. Ihre gesundheitliche Situation bezüglich Ernährung, Schlaf, Entspannung und gesunder Anspannung hätte die gesundheitliche Gesamtsituation noch verschlechtert und zu einem verlängerten Leiden und zu einer verzögerten Heilung geführt.
Gravierende und schwerwiegende gesundheitliche Nachteile für die Klägerin seien "selbstredend nicht unbedingt" bei Behandlung in einer Vertragsklinik aufgetreten. Sie wäre jedoch voraussichtlich nach kurzer Zeit, wenn die Behandlung nicht ihrem Wunsch entsprochen hätte, auf eigenen Wunsch vorzeitig gegangen und hätte sich anderweitig beholfen. Dann wäre mit Sicherheit wieder ein problematisches Gewichtsverhalten aufgetreten.
Es sei zu fragen, ob ein Krankenhaus seine Patienten vielleicht nur so gut behandeln müsse, dass keine gravierenden oder schwerwiegenden gesundheitlichen Nachteile aufträten, oder ob es nicht so sein müsse, dass den Patienten die bestmögliche Behandlung gewährt werde, also zu verhindern, dass überhaupt medizinische Nachteile auftreten. Rein formale Gründe hinderten die Beklagte daran, den Anspruch anzuerkennen. Gleichzeitig habe sie selbst der Klägerin nicht ausreichend Hilfestellung geleistet.
In ihrer Stellungnahme vom 10.2.2017 zu der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen weist die Beklagte die Ausführungen des Sachverständigen zurück. Ein Systemversagen im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V liege dann vor, wenn eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung als Dienst-oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden könne. Hierzu wird auf Rechtsprechung des BSG verwiesen, auch hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung. Das eindeutige Vorliegen eines Systemversagens habe der Sachverständige nicht bestätigen können. Viele seiner Aussagen bewegten sich im Bereich von Vermutungen. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, dass die Behandlung in einer Vertragsklinik zu gravierenden oder schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden geführt hätte. Er selbst habe Vertragskliniken benannt, die eine Behandlung hätten durchführen können, womit bereits das Vorliegen eines Systemversagens widerlegt sei. Auch das Argument der Wartezeiten sei angesichts der Zeit zwischen Antragstellung und Behandlung hinfällig. Der Sachverständige verkenne, dass sie, die Beklagte an das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V gebunden sei. Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung hätten gerade keinen Anspruch auf die bestmögliche Versorgung, wenn diese nur in einer Privatklinik zur Verfügung stehe, sondern auf angemessene Behandlung. Die Notwendigkeit stationärer Krankenhausbehandlung müsse vom behandelnden Vertragsarzt grundsätzlich auf einem entsprechenden Vordruck verordnet werden. Dieser liege nach wie vor nicht vor. Entgegen der Auffassung des Sachverständigen seien doch auf ihrer Webseite viele Kliniken mit dem Schwerpunkt Essstörungen (zugelassene Kliniken) zu finden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung am 16.8.2017 sind der Sachverständige Dr. H1 und sind die Beteiligten ausführlich angehört, die Rechtslage mit ihnen erörtert worden. Hinsichtlich des Inhalts der Verhandlung im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Hinsichtlich des Inhalts der Prozessakte der Kammer sowie die Verwaltungsakte der Beklagten im Übrigen wird auf deren Inhalt verwiesen. Sie haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und auch begründet bezüglich des Klageantrags, so wie er in der mündlichen Verhandlung formuliert worden ist.
Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 13 III Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. In beiden Fällen setzt ein Anspruch nach § 13 III Satz 1 SGB V einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch der Versicherten gegen ihre Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, die die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl LSG Baden- Württemberg vom 19.4.2016, L 11 KR 3930/15; BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Nach § 27 I Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Krankenhausbehandlung (§ 27 I Satz 2 Nr 5 SGB V) durch zugelassene Krankenhäuser (§§ 39 I Satz 2, 108 SGB V).
Entgegen der bis ins Klageverfahren hinein vertretenen Auffassung der Beklagten war bei der Klägerin stationäre Behandlung erforderlich. Sie litt vor allem an einer Bulimieerkrankung mit im Jahr 2012 sich zuspitzenden immer schlimmeren Ess-/ Brechanfällen. Dabei konsumierte sie bei der Arbeit etwa 10 Brötchen innerhalb von 2 Stunden mit erheblichem Trinken, zusätzlich 3-4 Äpfel und 10 Joghurt und erbrach alles wieder auf der Toilette. Zuhause nach der Arbeit nahm sie in der Regel folgendes zu sich: ca. 12 Paketbrötchen zum Aufbacken, 2 Packungen Erdnüsse, 1 kg Müsli mit 2-3 l Milch mit Wasser gemischt und mit Puddingpulver zusammen gekocht, ein Glas Nutella, ein Glas Marmelade und einen gefrorenen Aufbackkuchen von ca. 1 kg, eine große Packung Vanilleeis und 10 200- g-Tafeln Schokolade. Dies geschah täglich über ca. 4 – 6 Stunden mit zwischenzeitlichem Erbrechen, wie der Entlassungsbericht aus der C. Klinik beschreibt. Folge dieser täglichen Ess-/Brechanfälle war insbesondere eine große Tagesmüdigkeit und Erschöpfung.
Nach der S3-Leitlinie vom 6.12.2011: "Diagnostik und Therapie der Essstörungen", die derzeit überarbeitet wird (S3- Leitlinie), spricht u.a. eine schwere bulimische Symptomatik (z.B. Laxanzien-/Diuretikaabusus, schwere Essanfälle mit Erbrechen oder exzessiver Bewegungsdrang, die ambulant nicht beherrscht werden können, für eine stationäre Behandlungsnotwendigkeit. Inwieweit hier noch eine Komorbidität i. S. einer depressiven Störung zu behandeln war, wie sie der MDK wohl verlangt hat, spielt keine Rolle, da die Voraussetzungen der schweren bulimischen Symptomatik bei der Klägerin in Form der Ess-/ Brechanfälle auf jeden Fall vorlagen. Der gerichtliche Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung das Ausmaß der Bulimieerkrankung der Klägerin auch innerhalb des Spektrums der Essstörungen als extrem und sehr gravierend eingestuft. Die Kammer folgt dieser Einschätzung. Nach der "S3- Leitlinie" soll in diesen Fällen die stationäre Behandlung in Einrichtungen erfolgen, die ein auf die Behandlung von Essstörungen spezialisiertes, multimodales Behandlungsprogramm anbieten können.
Darüber hinaus wurde ambulante Behandlung (auf Kosten der Klägerin selbst) insbesondere in Form psychotherapeutischer Behandlung bei Frau Dr. P. bereits erbracht, ohne ausreichend zu sein, wie Dr. H1 erläutert hat. Im Gegenteil verschlimmerte sich die Krankheit massiv im Jahr 2012.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Kostenerstattung wegen der Inanspruchnahme einer Leistung eines krankenversicherungsrechtlich nicht zugelassenen Leistungserbringers in aller Regel ausgeschlossen (BSG 15.04.1997, 1 RK 4/96, BSGE 80, 181, SozR 3-2500 § 13 Nr 14; 02.11.2007, B 1 KR 14/07 R, BSGE 99, 180, SozR 4-2500 § 13 Nr 15). Das Wahlrecht der Versicherten besteht nur in Bezug auf zugelassene Krankenhäuser (BSG B 3 KR 47/08 B vom 22.1.2009. Die C. Klinik ist unstreitig kein zugelassenes Krankenhaus im Sinne von § 108 SGB V.
Der Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung besteht hier aber ausnahmsweise dennoch nach § 13 III SGB V, denn nach dieser Vorschrift sind Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung entweder unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (zweite Fallgruppe),(BSG vom 25. 9. 2000 – B 1 KR 5/99 R –, SozR 3-2500 § 13 Nr 22, juris, Rdn. 16). Dabei handelt es sich nicht um die Erstattung für Kosten in Notfällen i.S.d. § 76 I Satz 2 SGB V, da sie zwar in medizinischer Hinsicht unaufschiebbar sind, jedoch einen Sachleistungsanspruch des Leistungserbringers gegen die Krankenkasse hervorbringen (Helbig in Schlegel/ Voelzke, juris PK-SGB V, 3. Aufl., 2016, § 13 Rdn.38 und BSG a.a.O., Rdn. 14). Ein solcher ist hier von dem Krankenhaus nicht geltend gemacht worden und steht nicht im Streit.
Die Krankenhausbehandlung der Klägerin in der C. Klinik war im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Erbringung unaufschiebbar (geworden).
Eine Leistung ist unaufschiebbar im Sinne dieser Regelung, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand, BSG v. 25.09.2000 - B 1 KR 5/99 R - SozR 3-2500 § 13 Nr. 22, juris, Rdn. 16). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wurden hierin früher vor allem Fälle gesehen, in denen die Versicherten eine Behandlung wahrgenommen hatten, ohne zuvor die Krankenkasse überhaupt zu befassen i.S. einer Antragstellung (so z.B. BSG B 1 KR 14/07 R, Rdn. 28, juris und B 1 KR 5/99 R wo es unter Rdn.16 zur Frage der Unaufschiebbarkeit heißt: "Unaufschiebbar kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn mit der Ausführung so lange gewartet wird, bis die Leistung zwingend erbracht werden muß, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann (BSGE 73, 271, 287 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4 S 26). Die medizinische Dringlichkeit ist indessen nicht allein ausschlaggebend. Denn für die erste Fallgruppe wird neben der Unaufschiebbarkeit vorausgesetzt, daß die Krankenkasse die in Rede stehenden Leistungen nicht rechtzeitig erbringen konnte. Davon kann im Regelfall nur ausgegangen werden, wenn sie mit dem Leistungsbegehren konfrontiert war und sich dabei ihr Unvermögen herausgestellt hat."
Dies war im Fall der Klägerin nicht so. Sie hat einen Antrag auf Behandlung in der von ihr bevorzugten Klinik lange vor dem Beginn der Behandlung bei der Beklagten gestellt, die ihn sofort abgelehnt hat.
Außerdem hat das BSG inzwischen, Urteil vom 08. 9. 2015 (B 1 KR 14/14 R –, Rdn. 15, juris diese frühere Rechtsprechung verändert und formuliert nun so: "Unaufschiebbarkeit verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der KK abzuwarten (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 13 mwN; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23). Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder zB wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 18). Soweit der erkennende Senat früher hierzu formuliert hat, dass der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der KK zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur begründet werden kann, wenn es dem Versicherten - aus medizinischen oder anderen Gründen - nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die KK einzuschalten (vgl BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105), hält der Senat hieran nicht fest. Diese Sicht ist zu eng und vernachlässigt die Normstruktur des § 13 Abs 3 S 1 SGB V. Die Alternative zur rechtswidrigen Ablehnung des Antrags (§ 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V) besteht gerade, um Eilsituationen aufgrund der Unaufschiebbarkeit Rechnung zu tragen, bei denen der Versicherte die Entscheidung seiner KK nicht mehr abwarten kann (vgl auch Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Bd 1, Stand April 2015, § 13 SGB V RdNr 250 mwN). Unaufschiebbar kann danach auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen (vgl BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105) oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Beschaffungsvorgang aus der Natur der Sache heraus eines längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf und der Zeitpunkt der Entscheidung der KK nicht abzusehen ist. Es betrifft auch die Fälle, in denen der Versicherte zunächst einen Antrag bei der KK stellte, aber wegen Unaufschiebbarkeit deren Entscheidung nicht mehr abwarten konnte."
Zum Zeitpunkt der stationären Behandlung der Klägerin war die Leistung zur Überzeugung der Kammer in diesem Sinne unaufschiebbar geworden, und zugleich war eine Leistungserbringung innerhalb des Systems zugelassener Krankenhäuser nicht mehr ausreichend und nicht mehr möglich (Versorgungslücke).
Dabei reicht nach der ständigen Rechtsprechung für ein Unvermögen der Leistungserbringung innerhalb des Systems nicht ein besonderes Vertrauensverhältnis der Versicherten zu einer außervertraglichen Einrichtung, wie es hier bei der Klägerin gegenüber der C. Klinik bestand, die ihr bereits einmal geholfen hatte. Auch hält es die Kammer nicht generell für unzumutbar, wenn in einzelnen Kliniken ein Vorgespräch geführt werden muss. Wenn sich anschließend nochmals lange Wartezeiten ergeben bis zur Behandlung, kann dies jedoch die Dringlichkeit erhöhen. So hat es Dr. H1 auch in seinem schriftlichen Gutachten gemeint, wie er in der mündlichen Verhandlung präzisiert hat. Hinsichtlich der von der Klägerin geschilderten und vor allem befürchteten negativen Folgen einer um viele Wochen längeren Abwesenheit vom Arbeitsplatz bei einer länger dauernden Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus hält die Kammer auch dies nicht generell für unzumutbar. Sie berücksichtigt aber im Fall der Klägerin die besondere Drucksituation am Arbeitsplatz bei drohendem Personalabbau in ihrer Firma, die sich ihrerseits bereits erheblich negativ auf ihre Gesundheit ausgewirkt hatte mit Ess-/Brechanfällen sogar am Arbeitsplatz, die sie verbergen musste. Dies hat ebenfalls die Dringlichkeit der Behandlung mit erzeugt und letztlich auch den psychischen Druck der Klägerin so verstärkt, dass sie – bedingt auch durch ihre innere Struktur - nur eine möglichst kurze Behandlung überhaupt in Anspruch nehmen konnte. Ferner berücksichtigt die Kammer, dass grundsätzlich kein Anspruch der Versicherten auf die Behandlung durch Ärzte besteht, von denen die betreffende Versicherte annimmt, dass nur sie besonders mit ihrem Krankheitsbild vertraut seien. Selbst die Tatsache, dass in der gewählten Klinik mehr Wochenstunden an Einzeltherapie stattfanden, reicht für sich genommen nicht aus, um einen Anspruch nach § 13 III SGB V zu befürworten.
Zum Zeitpunkt der stationären Behandlung der Klägerin bestand aber, bezogen auf die damalige noch immer weiter zunehmende Schwere ihrer Essstörung in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H1 und seinen zusätzlichen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung eine Versorgungslücke, in der Behandlungsalternativen in zugelassenen Krankenhäusern nicht (mehr) bestanden. Mit dem Landessozialgericht Baden- Württemberg (L 11 KR 3930/15 vom 19.4.2016, juris, Rdn. 23), das ebenfalls auf die Entscheidung des BSG B 1 KR 14/14 R verweist, geht die Kammer hinsichtlich des Vorliegens einer Versorgungslücke von Folgendem aus: "Eine Versorgungslücke besteht nicht, wenn der Versicherte eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann, aber nicht will (zum Ganzen BSG 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, BSGE 111, 137). Nur wenn die rechtswidrige Leistungsablehnung der Krankenkasse eine privatärztliche Selbstbeschaffung durch den Versicherten erzwingt, ziehen die Bestimmungen für privatärztliche Leistungen und nicht diejenigen für das Naturalleistungssystem die Grenzen für die Verschaffung einer entsprechenden Leistung (vgl BSG 11.09.2012, B 1 KR 3/12 R, BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23); der Leistungserbringer muss jedoch die entsprechende Qualifikation zur Ausübung der Heilkunde besitzen (BSG 20.02.2004, B 1 KR 10/03 B, juris). Gleiches gilt für die Fälle einer unaufschiebbaren Leistung." Eine Versorgungslücke in diesem Sinn liegt hier vor. Sie besteht allerdings dann nicht, wenn die Versicherte eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann, aber nicht will. (BSG B 1 KR 6/11 R, juris, Rdn. 22). So lag es bei der Klägerin zur Überzeugung der Kammer nicht. Denn der Sachverständige H1 hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Klägerin als Teil ihrer Krankheit und als Teil ihrer inneren Struktur weitgehend eingeschränkt war auf die Behandlung in der C. Klinik. Gerade in ihrem Fall war es so, dass sie aufgrund ihrer inneren Struktur kaum andere Möglichkeiten gehabt hätte, als die von ihr angestrebte Klinik auch tatsächlich aufzusuchen (und zu hoffen, dass die Krankenkasse es schließlich doch finanziert). Sie wäre wenig beeinflussbar auf diesem Weg gewesen, es sei denn, man hätte ihr ganz konkret auf ihre inneren Bedürfnisse zugeschnittene Behandlungsangebote machen können. Dennoch habe sie sich wochenlang um Alternativ- Kliniken gekümmert, was der Sachverständige "angesichts der sich zuspitzenden Bulimie- Symptome und der weitgehenden Blockierung von Affekten und anderweitigen Funktionen des Erlebens" (Seite 23) eher erstaunlich" fand. Unter diesen Umständen ist nicht von einem "Nicht- Wollen", sondern von einem "Nicht- anders können" auszugehen.
Die stationäre Behandlung war am 20.5.2013 unaufschiebbar geworden und konnte tatsächlich von der Beklagten nicht als Sachleistung zur Verfügung gestellt werden. Dadurch sind der Klägerin Kosten erstatten, die im notwendigen Umfang, nämlich in Höhe von 14.350,- EUR abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung von 280,- EUR zu erstatten sind.
Dabei folgt die Kammer dem Sachverständigen dahingehend, dass für die Behandlung der Klägerin nur eine Behandlung im Wege der Verhaltenstherapie in Betracht kam, weswegen Kliniken ausschieden, die z.B. tiefenpsychologische Konzepte verfolgen, wie z.B. die von der Beklagten benannte Seepark Klinik B1. Dabei kommt auch zum Tragen, dass positive Auswirkungen auf das Essverhalten hier nach Angaben des Sachverständigen länger dauern würden, weil der Schwerpunkt nicht darauf liegt, das schädliche Ess-/ Brechverhalten so rasch wie möglich zu stoppen. Es dient nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H1 ähnlich wie bei Angsterkrankungen oder selbstverletzendem Verhalten oder Zwangserkrankungen dazu, eine extreme innere Bedrohung sofort abzuwehren, in Schach zu halten. Dies hält die Kammer angesichts des Ausmaßes der täglichen Ess-/ Brechanfälle und des Ausmaßes der inneren Bedrohung nicht für zumutbar und verweist hierzu auf die Argumentation des BSG, B 1 KR 14714 R, Rdn. 15, juris: "Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder zB wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 18).". Die Schilderungen des Sachverständigen von der inneren Qual und dem Druck der Klägerin, wie der Sachverständige sie im schriftlichen Gutachten schildert und in der mündlichen Verhandlung weiter erläutert hat, wie auch die Ambivalenz der Persönlichkeit der Klägerin (Seite 18) waren auch in der mündlichen Verhandlung für die gesamte Kammer spürbar, und dies noch Jahre nach der streitigen Behandlung.
Wenn auch grundsätzlich kein Anspruch der Versicherten auf Behandlung in Form besonderer Therapieformen besteht, so besteht andererseits innerhalb eines Spektrums verbreiteter Behandlungsmethoden durchaus ein Anspruch auf Behandlung der jeweiligen Erkrankung mit derjenigen Behandlungsform, die ausreichend und notwendig ist, mithin bezogen auf die konkrete Erkrankung wirksam. Dies ist bei der Bulimie- Erkrankung bereits nach der "S3- Leitlinie" zunächst die Behandlung in einem Spezialkrankenhaus und zwar im Fall der Klägerin und bei ihrer Persönlichkeitsstruktur insbesondere bei akuter Behandlungsbedürftigkeit nach den Ausführungen des Sachverständigen die verhaltenstherapeutische Behandlung. Er legt nachvollziehbar dar, dass genau wie beim Essverhalten im gesamten Alltag der Bulimiekranken eine extreme Kontrolle herrschen muss, um möglichst die gesamte Situation, so gut es geht, beherrschen zu können. Sofern dies nicht gelingt, nimmt der innere Druck erheblich zu, was wiederum negative Auswirkungen im Sinne eines Teufelskreises auf das Ess-/Brechverhalten hat. Die Kammer folgt dem und sieht eine noch weitere Verschlimmerung der Krankheit als unzumutbar an.
Adäquate Behandlungsmöglichkeiten in zugelassenen Kliniken waren zur Zeit des Behandlungsbeginns für die Klägerin nicht gegeben. Insbesondere gilt dies für die von der Beklagten im Bescheid vom 16.11.2012 benannten Kliniken: das U., die S. Klinik B. und die S1 in B1, wie der Sachverständige Dr. H1 erläutert hat. Im U. besteht keine eigene Psychosomatikabteilung. Bulimiekranke Patientinnen werden von dort in die S. Klinik E. verwiesen. Die S. Klinik B., wo die Klägerin sich vorgestellt hatte, arbeitet in Gruppenarbeit mit jugendlichen Patienten und dies im Wesentlichen in Gruppenarbeit, was der Sachverständige als nicht ausreichend zur Behandlung der Klägerin erachtet hat. Die S1 in B1, zu der bereits oben Stellung genommen wurde, schied im Fall der Klägerin aus, weil sie tiefenpsychologisch arbeitet.
Zu den zusätzlich im Schreiben vom 20.2.2013 nach der Stellungnahme des MDK benannten Kliniken, nämlich der C1- Klinik B2, der A. Klinik N. und der S. Klinik E. hat Dr. H1 bereits in seinem schriftlichen Gutachten erläutert und die Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung noch ergänzt, warum er diese nicht für geeignet gehalten hat zur Sicherstellung einer Behandlung im Rahmen des Sachleistungsanspruchs. In der A. Klinik N. und in der S. Klinik E. gebe es zwar jeweils Stationen (auch) für Essgestörte, die jedoch auch mit Menschen z.B. mit Persönlichkeitsstörungen belegt seien, was zur Behandlung von deren (Begleit-) Erkrankungen sinnvoll sei, nicht jedoch bzgl. der Erkrankung der Klägerin. Die C1 Klinik in B2 habe einen eindeutigen tiefenpsychologischen Schwerpunkt und scheide deswegen aus. Die Kammer folgt dem Sachverständigen aus den von ihm genannten Gründen unter Verweis auch auf die S3- Leitlinie, wobei rechtlich bereits fraglich sein könnte, inwieweit diese Hinweise der Beklagten, die erst nach dem angefochtenen Ausgangsbescheid erfolgten, noch maßgeblich sind, wenn doch im Rahmen des § 13 III SGB V nach allgemeiner Meinung das Abwarten der Bekanntgabe der ersten ablehnenden Entscheidung ausreicht (Helbig in Schlegel/ Voelzke, juris PK-SGB V, 3. Aufl., 2016, § 13 Rdn.46 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG; u.a.: BSG B 3 KR 66/01 R). Da die Klägerin aber sogar den Widerspruchsbescheid hier abgewartet hat, sind sie hier zumindest mit erörtert worden.
Da alle der Klägerin benannten Kliniken nicht in Betracht kamen und von der Beklagten keine Hilfe angeboten wurde, war von einer Versorgungslücke im Zeitpunkt der Behandlung auszugehen. Insoweit bezieht sich die Kammer auf die Argumentation des LSG Baden- Württemberg, a.a.O., Rdn.26, wo es heißt: "Da von der Beklagten keine Hilfe angeboten worden war und sich auch ansonsten keine Alternativen aufdrängten, musste die Klägerin in ihrer kritischen Gesundheitssituation auch nicht weiter zuwarten. Wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass möglicherweise andere Vertragskliniken zur stationären Aufnahme in der Lage gewesen wären – die Angaben des Klinikums S. und des R.-S.-S. sind insoweit allerdings nicht ganz eindeutig, wie das SG zutreffend ausgeführt hat – ändert dies nichts daran, dass zum Zeitpunkt der unaufschiebbaren Behandlung gerade kein konkretes zugelassenes Krankenhaus für die Klägerin bereitstand. Das insoweit aufgetretene Systemversagen geht zu Lasten der Beklagten. Sie hätte es in der Hand gehabt, bei dem hier erkennbar dringlichen Behandlungsbedarf theoretisch denkbare Behandlungsalternativen konkret aufzuzeigen." Inwiefern durch die Beklagte bei der Beratung der Klägerin außerdem eine vollkommene Ablehnung stationärer Behandlung zur Behandlung ihrer Erkrankung erfolgt ist, was rechtswidrig war und wovon die Beklagte in Übereinstimmung mit dem MDK erst in der mündlichen Verhandlung abgerückt ist, muss hier nicht weiter erörtert werden, denn die Krankenhausbehandlung war im Zeitpunkt ihrer Erbringung unaufschiebbar. Ggf. würde jedoch auch dieses Verhalten der Klägerin einen Kostenerstattungsanspruch auch nach der 2. Alternative von § 13 III SGB V eröffnen. Insgesamt sind Kosten von 14.070,- zu erstatten. Von den Gesamtkosten der Behandlung in Höhe von 14.350,- EUR sind gemäß §§ 39 IV Satz 1; 61 Satz 2 SGB V 10,- EUR pro Behandlungstag für längstens 28 Tage abzuziehen Bei der hier vorliegenden Dauer von 35 Behandlungstagen beträgt der Abzug daher 280,- EUR. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Angesichts des geringen Anteils des Unterliegens der Klägerin mit ihrem ursprünglich, jedoch nicht mehr in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag wird von einer Kostenquotelung abgesehen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung in Höhe von 14.070,- EUR abzüglich der Kosten der gesetzlichen Zuzahlung für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung in einer Privatklinik (C. Klinik) vom 20.5.2013 bis 23.6.2013.
Die Klägerin, geboren am xxxxx1973 leidet an folgenden Erkrankungen: - Bulimia nervosa – Bulimie, Ess-/ Brechtsucht - Zustand nach Anorexia nervosa – Magersucht. Die täglichen ritualisierten Ess- Brechanfälle hatten insbesondere vor der streitigen stationären Behandlung in erheblichem Ausmaß zugenommen. Im Einzelnen und zusätzlich zur Beschreibung bei Aufnahme in die Klinik wird auf die Ausführungen der Klägerin in der Sitzungsniederschrift verwiesen. Sie führten zu Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche am nächsten Tag, wie sich aus dem Entlassungsbericht der C. Klinik ergibt. Im streitigen Zeitraum war sie als Teamleiterin im Controlling in einem Verlag tätig. Auf die näheren Erläuterungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu ihrer beruflichen Tätigkeit wird verwiesen.
Erstmals bereits mit 20 Jahren war die Klägerin 1993 und erneut 1996 stationär wegen Magersucht in der R.-Klinik behandelt worden. Ebenfalls vor der hier streitigen Krankenhausbehandlung war sie 2007 schon einmal stationär in der C. Klinik behandelt worden. Die Kostenübernahme für die damalige Behandlung war von der Beklagten auch damals abgelehnt worden und zu 20 % von einer privaten Zusatzversicherung getragen worden. Diese Zusatzversicherung hat die Kostenübernahme für die hier streitige Behandlung abgelehnt. Die Klägerin beantragte nach einem Vorgespräch in der C. Klinik am 15.10.2012 am 20./29.10.2012 die Kostenübernahme für einen erneuten geplanten Aufenthalt in dieser Klinik in M ... Ein Kostenvoranschlag über 14.350 EUR war beigefügt und ebenfalls eine ärztliche Verordnung des behandelnden Hausarztes Dr. H. zur Erforderlichkeit der Behandlung wegen einer akuten Verschlechterung der bekannten Essstörung und einer hieraus resultierenden dekompensierten Depression.
Am 16.11.2012 erließ die Beklagte einen ablehnenden Bescheid dahingehend, dass die Kosten für die Behandlung in der beantragten Klinik nicht übernommen würden, da es sich um eine Privatklinik handele. Anspruch auf stationäre Behandlung bestehe nur in Vertragskliniken. Diese könne im U., in der S. Klinik B. oder in der S1 in B1 durchgeführt werden.
Unter dem 13.12.2012 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Entscheidung der Beklagten ein und wies darauf hin, dass die zu erwartenden Kosten in den alternativ benannten Kliniken deutlich höher seien, weil die Behandlung dort länger dauere. Dort würden bei wesentlich geringerer Behandlungsdichte maximal 2 Therapiesitzungen pro Woche durchgeführt. In der von ihr vorgesehenen Klinik sei eine intensivere Behandlung mit 10 Behandlungseinheiten in Einzeltherapie wöchentlich vorgesehen. Sie benötige die kürzere Behandlungsdauer, da sie im Arbeitsprozess stehe. Die Beklagte beauftragte nun den MDK mit einer Stellungnahme, die dieser nach Aktenlage am 14.2.2013 durch Dr. S2 erstellte. Danach sei die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung aus den vorgelegten Unterlagen überhaupt nicht erkennbar. Im Übrigen sei eine Behandlung in einem wohnortnahen Krankenhaus möglich. Eigentlich sei ein sozialmedizinisches Gutachten überhaupt nicht möglich wegen der Voraussetzungen des § 39 SGB V, wonach der Krankenhausarzt die Frage der Notwendigkeit stationärer Behandlung jeweils für sich prüfen und anhand von § 39 SGB V abwägen müsse. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass eine hohe Frequenz an Psychotherapie bei der Klägerin derzeit nicht erfolge und auch kein Antrag auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation gestellt worden sei.
Im Schreiben vom 20.2.2013 teilte die Beklagte der Klägerin das Ergebnis der Stellungnahme des MDK mit und benannte ihr als zugelassene Krankenhäuser für die Behandlung ihrer Erkrankung die C1- Klinik B2, die A. Klinik N. und die S. Klinik E ... Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht und verwies erneut auf ihre Erkrankung und die Erforderlichkeit einer individuellen und intensiven Behandlung, die in der vorgesehenen Klinik von geringerer Dauer sein könne als in den benannten Alternativkliniken.
Unter dem 13.5.2013 erließ die Beklagte Widerspruchsbescheid, in dem sie die Argumentation des MDK aufgriff, jedoch keinerlei Ausführungen dazu machte, dass stationäre Behandlung nicht erforderlich sei. Telefonisch und per E- Mail wurde die Klägerin aber dahingehend beraten, wie auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung angegeben hat.
Vom 20.5.2013 bis 23.6.2013 nahm die Klägerin die stationäre Behandlung in der von ihr favorisierten C. Klinik in M. wahr.
Mit der Klage von 10.6.2013 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, verweist auf die erfolgreiche vorangegangene Behandlung in der C.-Klinik im Jahr 2007 und legt zusätzlich ein Attest des Psychologen Dr. H2 vor. Das Gutachten des MDK sei nur nach Aktenlage ergangen und lasse eine Einzelfallprüfung nicht erkennen. Die Wartezeiten in den Vertragskliniken seien ihr angesichts der Schwere der Essstörung nicht zumutbar gewesen. Die Therapiedichte in der C.-Klinik mit ca. 10 Behandlungseinheiten pro Woche sei wesentlich größer und effektiver gegenüber 2 Individualsitzungen in den Vergleichskliniken. Die Inanspruchnahme der Vertragskliniken sei ihr deswegen bei dem Ausmaß ihrer gravierenden Essstörung nicht zumutbar gewesen. Ein Zuwarten auf eine Behandlung in einer anderen Klinik sei ihr nicht zumutbar gewesen, auch wegen Konflikten am Arbeitsplatz. Seit Anfang 2013 sei sie (erneut) in ambulanter Psychotherapie bei Frau Dr. P. auf eigene Kosten, was der Beklagten auch bekannt gewesen sei. Hierzu hat die Klägerin eine entsprechende Bescheinigung vorgelegt.
Außerdem hat die Klägerin auf einen nicht geprüften Anspruch nach der Satzung der Beklagten hingewiesen, wonach gegebenenfalls über die reine gesetzliche Anspruchsgrundlage hinaus Ansprüche bestünden.
Sie habe die Behandlung auf eigene Kosten durchgeführt. Angesichts der Tatsache, dass die Beklagte selbst Krankenhäuser für die stationäre Behandlung genannt habe, könne die Notwendigkeit einer stationären Behandlung hier nicht wirklich infrage gestellt werden. Hinsichtlich der Zeitspanne von 7 Monaten zwischen Antragstellung und Beginn der Behandlung bezieht sich die Klägerin darauf, dass sie den Widerspruchsbescheid habe abwarten wollen und müssen und sich Chancen für eine Bewilligung im Widerspruchsverfahren erhofft habe.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16.11.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.5.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für den stationären Aufenthalt in der C. Klinik in Höhe von 14.350 EUR abzüglich des Höchstbetrags der gesetzlichen Zuzahlung von 280,- EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat zunächst auf das bereits bekannte Gutachten des MDK sowie darauf verwiesen, dass es sich bei der C.-Klinik nicht um eine zugelassene Klinik handele. Ansprüche nach ihrer Satzung zur stationären Behandlung in nicht zugelassenen Krankenhäusern könnten zwar grundsätzlich bestehen, jedoch nur dann, wenn ein Vertrag mit dem jeweiligen in Anspruch genommenen Krankenhaus bestehe. Dies sei bei der von der Klägerin gewählten Klinik nicht der Fall. Die genannten Vertragskliniken seien vertraglich zur Behandlung der Erkrankungen unter denen sie leide, zugelassen. Eine solche Zulassung werde nur erteilt, wenn die Behandlungskonzepte nachvollziehbar, schlüssig und erfolgversprechend seien. Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten zu langen Wartezeit in einem zugelassenen Krankenhaus weist die Beklagte darauf hin, dass sie erst etwa 7 Monate nach dem Antrag mit der Behandlung in der gewählten Klinik begonnen habe. Sie habe nichts davon gewusst, dass die Klägerin auf eigene Kosten Psychotherapie bereits durchführe. Eine Notwendigkeit stationärer Behandlung habe überhaupt nicht bestanden und erst recht nicht im Sinne einer unaufschiebbaren Leistung. In der mündlichen Verhandlung am 16.8.2017 hat die Beklagte diesen Einwand schließlich nicht mehr aufrechterhalten.
Nach Vorlage von Unterlagen der gewählten Klinik hat die Beklagte den MDK nochmals beteiligt, der darauf hingewiesen hat, dass diese Unterlagen im Nachhinein letztlich nicht maßgeblich sein könnten, sondern die zuvor bei Antragstellung vorliegenden Unterlagen. Bei Beginn der Behandlung habe die Klägerin lediglich an leichtem Untergewicht gelitten (18,5 kg/m²). Krankenhausbehandlung müsse nach den Grundlagen der Weltgesundheitsorganisation erst bei unter 15 kg/m² erfolgen. Dasselbe ergebe sich aus der "AWMF-S3-Leitlinie – "Diagnostik und Therapie der Essstörungen". Die Behandlung sei auch nicht unaufschiebbar im Sinne des § 13 III SGB V gewesen.
Im Rahmen der gerichtlichen Ermittlungen hat das Gericht Befundberichte angefordert von den behandelnden Ärzten der Klägerin, nämlich von Dr. K. als Praxisnachfolger der früher behandelnden Psychiaterin Dr. K1, vom Hausarzt Dr. H. und von der Diplom-Psychologin Frau Dr. P ... Außerdem ist die Patientenakte der C. Klinik angefordert worden.
Aufgrund der (geänderten) Beweisanordnung des Gerichts ist Dr. H1 mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt worden ist.
In seinem Gutachten vom 23.7.2015 nach persönlicher Begutachtung der Klägerin am 5.6.2015 hat Dr. H1 die Diagnose einer Bulimie, Ess-/ Brechsucht bestätigt und auch, dass die Klägerin früher an Anorexia nervosa gelitten habe. Ebenso hat er den bei der Klägerin noch zur Zeit der Begutachtung zu spürenden erheblichen Leidensdruck und innere Qualen in seinem schriftlichen Gutachten bestätigt.
Die stationäre Behandlung, so der Sachverständige, sei erforderlich gewesen. Ambulante Behandlungsmöglichkeiten habe die Klägerin bereits angewandt. Diese hätten nicht ausgereicht. Im Gegenteil sei eine Verschlechterung der Erkrankung bereits eingetreten gewesen bei Antragstellung. Die Erkrankung habe zur Verhinderung einer weitergehenden Verschlimmerung einer stationären multimodalen (Verhaltens-) Therapie bedurft. Die Klägerin habe damals weiter unter Ess- /Brech- Anfällen gelitten. Eine zusätzliche Komorbidität zur Begründung von Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit sei deswegen nicht erforderlich. Sie habe krankheitsbedingt nicht noch länger abwarten können bis zu einer stationären Behandlung und habe sich wochenlang darum bemüht, eine Alternativbehandlung zu finden. Teilstationäre Maßnahmen seien nicht vorhanden gewesen.
Eine Behandlung in einer Vertragsklinik wäre "sicher möglich" gewesen. Der Sachverständige benennt in diesem Zusammenhang mehrere Kliniken, weist jedoch darauf hin, dass die meisten dieser Kliniken nicht ausschließlich auf Essstörungen spezialisiert seien. Behandelt würden die verschiedensten psychosomatischen Erkrankungen wie Depressionen, Angst-und Zwangsstörungen. In der S.-Klinik in B. gebe es zwar eine solche Spezialisierung. Das Behandlungsangebot sei jedoch – jedenfalls nach den Recherchen der Klägerin – weniger intensiv.
In einer abschließenden Bewertung sei aus seiner Sicht von gewichtigen Gründen im Sinne eines Systemversagens auszugehen. Der MDK habe bei seiner Prüfung den Einzelfall der Klägerin und ihrer Erkrankung nicht ausreichend berücksichtigt.
Die Beklagte verweist in ihrer Stellungnahme zum Gutachten darauf, dass der Sachverständige die Möglichkeit einer vertraglichen Versorgung dargestellt habe. Es bestehe kein Anspruch auf eine Behandlung mit einer bestimmten Methode und auch nur ein solcher auf das medizinisch Notwendige. Die Klägerin hat sich auf das vom Sachverständigen benannte Systemversagen bezogen.
In einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 8.4.2016 ist der Sachverhalt ausführlich mit den Beteiligten erörtert worden. Die Klägerin ist angehört worden und hat darauf hingewiesen, dass sie sich in der S. Klinik B. vorgestellt habe. Er sei dort gesagt worden, dass die Therapie mindestens 12 Wochen dauern werde und Wartezeiten von 10-12 Wochen bestünden. Das sei "von ihrem Job her nicht gegangen". Hinzu käme, dass sie die einzige Erwachsene gewesen wäre mit einem solchen Erkrankungsbild. Ansonsten würden dort lediglich Patienten/Patientinnen im Alter von 17 oder 18 Jahren behandelt. Gruppentherapie, die dort vielfach eingesetzt werde, hätte deswegen für sie als einzige Erwachsene keinen Sinn ergeben. Sie habe sich aufgrund dessen letztlich anders entschieden.
Nach Zwischenberatung ist der Termin vertagt worden mit dem vorgesehenen weiteren Vorgehen, dass das Gericht einen Vergleichsvorschlag machen sollte.
Gemäß dem Vergleichsvorschlag des Gerichts hätte die Beklagte einen Betrag von 5.000,- EUR im Rahmen einer Beteiligung an den entstandenen Kosten zahlen sollen in Anlehnung an Fälle der Inanspruchnahme privater Psychotherapie). Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin diese Kosten für psychotherapeutische Behandlungen selbst getragen habe und außerdem unter einer sehr schwerwiegenden Erkrankung leide. Bei Berücksichtigung der Prozessrisiken und der hohen Anforderungen an ein Systemversagen sei der Betrag als angemessen anzusehen ebenso wie die Übernahme von 1/3 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Beklagte hat dies abgelehnt. Das Gericht habe nicht ermittelt zu Behandlungsmöglichkeiten der Klägerin, sondern ihr lediglich geglaubt. Sie habe keinen Anspruch auf spezielle Behandlungskonzepte. Im Übrigen sei nicht davon auszugehen, dass die Konzepte sämtlicher Vertragskliniken ungeeignet oder unwirtschaftlich seien.
Sodann hat das Gericht unter dem 1.6.2016 weitere Fragen an den Sachverständigen Dr. H1 gestellt und ihn um eine ergänzende Stellungnahme zu seinem Gutachten gebeten.
Die Klägerin hat den gesamten Verlauf nochmal aus ihrer Sicht dargestellt. Sie habe sich bei der S. Klinik in B. vorgestellt und nach deren Behandlungskonzept erkundigt und sei gerade nicht davon ausgegangen, dass nur die schließlich gewählte Klinik für eine Therapie infrage komme. Das Beratungsgespräch sei wohl auch über die Beklagte abgerechnet worden. Sie habe die Beklagte jederzeit über ihre Schritte ins Bild gesetzt. Die Beklagte habe sich aber darauf berufen, dass eine stationäre Behandlung überhaupt nicht erforderlich sei. Dies sei jedoch nach dem Gutachten anders zu sehen.
Bei entsprechender Nachfrage wären durchaus auch Unterlagen über die durchgeführte ambulante Psychotherapie vorgelegt worden. Angesichts dessen sei es nicht hinzunehmen, wenn die Beklagte sich nun darauf berufe, alle diese Dinge erst zu spät erfahren zu haben. Ihr seien 2 Psychotherapeuten von der Beklagten benannt worden. Zu der einen habe sie kein Vertrauen fassen können. Der andere habe lediglich Termine während ihrer Arbeitszeit vergeben können. So habe sie schließlich auch ihre ambulante Psychotherapie bei Frau Dr. P. wieder selbst bezahlt (einmal wöchentlich 101,00 EUR über 2 Jahre). Derzeit sei sie arbeitslos, habe zwischenzeitlich über 30.000,- EUR für ihre Behandlung selbst investiert. Beigefügt ist eine Stellungnahme des Psychologen Dr. H2 von der A. Neurologischen Klinik B3, der darauf hinweist, dass er bereits im Dezember 2012 eine intensivere Behandlung der Klägerin empfohlen habe. Im Einzelnen wird auf die Stellungnahme von Dr. H2 verwiesen. Ferner beigefügt ist der Schriftwechsel der Klägerin mit der Beklagten, in dem die Klägerin intensiv, jedoch erfolglos versucht, mit Hilfe der Beklagten psychotherapeutische Behandler zu finden.
In der ergänzenden Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H1 vom 20.1.2017 setzt sich der Sachverständige zunächst mit den Äußerungen der Beklagten und des MDK zu seinem Gutachten auseinander und weist Teile der dortigen Feststellungen zurück.
Sodann stellt er dar, welche Krankenhäuser mit Zulassung für die Behandlung der Klägerin noch infrage gekommen wären. Auf der Webseite der Beklagten hat der Sachverständige dabei gar keine Krankenhäuser gefunden. Er selbst habe dann Krankenhäuser recherchiert und unter diesen eine Vorauswahl getroffen, wobei er Rehakliniken ausgeschlossen hat, bei denen nur bereits berentete Mitglieder der Krankenversicherung behandelt würden, ebenso rein tiefenpsychologisch arbeitende Kliniken, Kliniken für Kinder-und Jugendliche, teilstationäre oder ambulante Angebote und solche mit eindeutig anderen Schwerpunkten (Sucht, Trauma und Ähnliches). Ebenso habe er Kliniken mit psychosomatischen Abteilungen ohne erkennbare Spezialisierung auf Essstörungen und die Hardtwaldklinik ausgeschlossen, die zwar eine Spezialisierung auf Essstörungen habe, jedoch auf solche für Adipositas-Patienten mit einem Gewicht von über 150 kg.
Der Sachverständige hat sodann mehrere mögliche Kliniken aufgelistet und im Einzelnen jeweils dargelegt, wie dort die Aufnahmekriterien seien. Außerdem hat er darauf hingewiesen, dass die im Schreiben der Beklagten vom 20.2. 2013 an die Klägerin zur Behandlung vorgeschlagenen Vertragskliniken (U., A. Klinik N., S. Klinik E. und S. Klinik B., insbesondere die S. Klinik B.) aus seiner Sicht nicht adäquat gewesen seien und die Behandlung nicht hätten sicherstellen können. In der A. Klinik N. gebe es zwar eine Spezialstation für Essgestörte. Diese sei jedoch auch mit Menschen z.B. mit Persönlichkeitsstörungen belegt. Die C1 Klinik in B2 haben einen eindeutigen tiefenpsychologischen Schwerpunkt.
Eine medizinisch adäquate Behandlung für die Klägerin sei somit offensichtlich nirgendwo als in der von ihr ausgesuchten Klinik sinnvoll und hilfreich möglich gewesen.
Die in den anderen Vertragskliniken üblichen längeren Behandlungsdauer wären ihrem Behandlungsziel nämlich einer effektiven Behandlung in möglichst kurzer Zeit nicht gerecht geworden.
Zur Frage, welche konkreten medizinischen Nachteile der Klägerin bei einer Behandlung in einer Vertragsklinik entstanden wären, weist er darauf hin, dass diese nur ein für die Klägerin "suboptimal geeignetes" Verfahren anbieten würden und zudem lange Wartezeiten bestünden. Es müsse als wahrscheinlich angesehen werden, dass die Behandlung dort nicht rechtzeitig und nicht wirksam genug gewesen wäre um die akuten Krankheitssymptome (abendliche Ess-/Brechattacken mit Zuführen von 12 Liter Wasser innerhalb von 4-6 Stunden mit am Folgetag eintretender Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten) wesentlich zu bessern oder zu beseitigen. Großer Nachteil der Behandlung in einer anderen Klinik als der bereits früher aufgesuchten sei darin zu sehen, dass die notwendigen Untersuchungen für die Diagnostik und das Kennenlernen einen schnellen Beginn der Behandlung und eine ausreichend lange Behandlungszeit nicht ermöglicht hätten. In der gewählten Klinik habe sie 3 Wochen nach Ihrer Anfrage und nach einem zwischenzeitlichen Vorgespräch aufgenommen werden, sofort die therapeutische auf Arbeit aufnehmen und nach 5 Wochen gebessert entlassen werden können.
Konkrete medizinische Nachteile, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aufgetreten wären, benennt der Sachverständige dahingehend, dass die Klägerin sich während der Wartezeit nicht konsequent genug ernährt hätte, sondern durch unbewusste Vorgänge im Zusammenhang mit ihrer Ungeduld über die Aufnahme-und Diagnoseprozeduren und die Unterforderung körperliches Unwohlsein wie Übelkeit, Brechreiz, Schlafstörungen und möglicherweise auch depressive Symptome erlitten hätte. Sie hätte einen Rückfall in das überhaupt erst zur stationären Aufnahme führende Essverhalten erlitten. Es wären dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch Elektrolytstörungen und Magen-Darmsymptome aufgetreten. Behandlungserfolge wie in der gewählten Klinik wären in einer Vertragsklinik mit Sicherheit nicht erzielt worden, erst recht nicht in der Kürze der Behandlungszeit. Sie hätte eine sinnlose Zeit körperlichen und seelischen Unwohlseins erleben müssen und ihre Ressourcen für eine möglichst rasche Gesundung nicht ausreichend nutzen können. Ihre gesundheitliche Situation bezüglich Ernährung, Schlaf, Entspannung und gesunder Anspannung hätte die gesundheitliche Gesamtsituation noch verschlechtert und zu einem verlängerten Leiden und zu einer verzögerten Heilung geführt.
Gravierende und schwerwiegende gesundheitliche Nachteile für die Klägerin seien "selbstredend nicht unbedingt" bei Behandlung in einer Vertragsklinik aufgetreten. Sie wäre jedoch voraussichtlich nach kurzer Zeit, wenn die Behandlung nicht ihrem Wunsch entsprochen hätte, auf eigenen Wunsch vorzeitig gegangen und hätte sich anderweitig beholfen. Dann wäre mit Sicherheit wieder ein problematisches Gewichtsverhalten aufgetreten.
Es sei zu fragen, ob ein Krankenhaus seine Patienten vielleicht nur so gut behandeln müsse, dass keine gravierenden oder schwerwiegenden gesundheitlichen Nachteile aufträten, oder ob es nicht so sein müsse, dass den Patienten die bestmögliche Behandlung gewährt werde, also zu verhindern, dass überhaupt medizinische Nachteile auftreten. Rein formale Gründe hinderten die Beklagte daran, den Anspruch anzuerkennen. Gleichzeitig habe sie selbst der Klägerin nicht ausreichend Hilfestellung geleistet.
In ihrer Stellungnahme vom 10.2.2017 zu der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen weist die Beklagte die Ausführungen des Sachverständigen zurück. Ein Systemversagen im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V liege dann vor, wenn eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung als Dienst-oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden könne. Hierzu wird auf Rechtsprechung des BSG verwiesen, auch hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung. Das eindeutige Vorliegen eines Systemversagens habe der Sachverständige nicht bestätigen können. Viele seiner Aussagen bewegten sich im Bereich von Vermutungen. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, dass die Behandlung in einer Vertragsklinik zu gravierenden oder schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden geführt hätte. Er selbst habe Vertragskliniken benannt, die eine Behandlung hätten durchführen können, womit bereits das Vorliegen eines Systemversagens widerlegt sei. Auch das Argument der Wartezeiten sei angesichts der Zeit zwischen Antragstellung und Behandlung hinfällig. Der Sachverständige verkenne, dass sie, die Beklagte an das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V gebunden sei. Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung hätten gerade keinen Anspruch auf die bestmögliche Versorgung, wenn diese nur in einer Privatklinik zur Verfügung stehe, sondern auf angemessene Behandlung. Die Notwendigkeit stationärer Krankenhausbehandlung müsse vom behandelnden Vertragsarzt grundsätzlich auf einem entsprechenden Vordruck verordnet werden. Dieser liege nach wie vor nicht vor. Entgegen der Auffassung des Sachverständigen seien doch auf ihrer Webseite viele Kliniken mit dem Schwerpunkt Essstörungen (zugelassene Kliniken) zu finden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung am 16.8.2017 sind der Sachverständige Dr. H1 und sind die Beteiligten ausführlich angehört, die Rechtslage mit ihnen erörtert worden. Hinsichtlich des Inhalts der Verhandlung im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Hinsichtlich des Inhalts der Prozessakte der Kammer sowie die Verwaltungsakte der Beklagten im Übrigen wird auf deren Inhalt verwiesen. Sie haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und auch begründet bezüglich des Klageantrags, so wie er in der mündlichen Verhandlung formuliert worden ist.
Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 13 III Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. In beiden Fällen setzt ein Anspruch nach § 13 III Satz 1 SGB V einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch der Versicherten gegen ihre Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, die die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl LSG Baden- Württemberg vom 19.4.2016, L 11 KR 3930/15; BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Nach § 27 I Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Krankenhausbehandlung (§ 27 I Satz 2 Nr 5 SGB V) durch zugelassene Krankenhäuser (§§ 39 I Satz 2, 108 SGB V).
Entgegen der bis ins Klageverfahren hinein vertretenen Auffassung der Beklagten war bei der Klägerin stationäre Behandlung erforderlich. Sie litt vor allem an einer Bulimieerkrankung mit im Jahr 2012 sich zuspitzenden immer schlimmeren Ess-/ Brechanfällen. Dabei konsumierte sie bei der Arbeit etwa 10 Brötchen innerhalb von 2 Stunden mit erheblichem Trinken, zusätzlich 3-4 Äpfel und 10 Joghurt und erbrach alles wieder auf der Toilette. Zuhause nach der Arbeit nahm sie in der Regel folgendes zu sich: ca. 12 Paketbrötchen zum Aufbacken, 2 Packungen Erdnüsse, 1 kg Müsli mit 2-3 l Milch mit Wasser gemischt und mit Puddingpulver zusammen gekocht, ein Glas Nutella, ein Glas Marmelade und einen gefrorenen Aufbackkuchen von ca. 1 kg, eine große Packung Vanilleeis und 10 200- g-Tafeln Schokolade. Dies geschah täglich über ca. 4 – 6 Stunden mit zwischenzeitlichem Erbrechen, wie der Entlassungsbericht aus der C. Klinik beschreibt. Folge dieser täglichen Ess-/Brechanfälle war insbesondere eine große Tagesmüdigkeit und Erschöpfung.
Nach der S3-Leitlinie vom 6.12.2011: "Diagnostik und Therapie der Essstörungen", die derzeit überarbeitet wird (S3- Leitlinie), spricht u.a. eine schwere bulimische Symptomatik (z.B. Laxanzien-/Diuretikaabusus, schwere Essanfälle mit Erbrechen oder exzessiver Bewegungsdrang, die ambulant nicht beherrscht werden können, für eine stationäre Behandlungsnotwendigkeit. Inwieweit hier noch eine Komorbidität i. S. einer depressiven Störung zu behandeln war, wie sie der MDK wohl verlangt hat, spielt keine Rolle, da die Voraussetzungen der schweren bulimischen Symptomatik bei der Klägerin in Form der Ess-/ Brechanfälle auf jeden Fall vorlagen. Der gerichtliche Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung das Ausmaß der Bulimieerkrankung der Klägerin auch innerhalb des Spektrums der Essstörungen als extrem und sehr gravierend eingestuft. Die Kammer folgt dieser Einschätzung. Nach der "S3- Leitlinie" soll in diesen Fällen die stationäre Behandlung in Einrichtungen erfolgen, die ein auf die Behandlung von Essstörungen spezialisiertes, multimodales Behandlungsprogramm anbieten können.
Darüber hinaus wurde ambulante Behandlung (auf Kosten der Klägerin selbst) insbesondere in Form psychotherapeutischer Behandlung bei Frau Dr. P. bereits erbracht, ohne ausreichend zu sein, wie Dr. H1 erläutert hat. Im Gegenteil verschlimmerte sich die Krankheit massiv im Jahr 2012.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Kostenerstattung wegen der Inanspruchnahme einer Leistung eines krankenversicherungsrechtlich nicht zugelassenen Leistungserbringers in aller Regel ausgeschlossen (BSG 15.04.1997, 1 RK 4/96, BSGE 80, 181, SozR 3-2500 § 13 Nr 14; 02.11.2007, B 1 KR 14/07 R, BSGE 99, 180, SozR 4-2500 § 13 Nr 15). Das Wahlrecht der Versicherten besteht nur in Bezug auf zugelassene Krankenhäuser (BSG B 3 KR 47/08 B vom 22.1.2009. Die C. Klinik ist unstreitig kein zugelassenes Krankenhaus im Sinne von § 108 SGB V.
Der Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung besteht hier aber ausnahmsweise dennoch nach § 13 III SGB V, denn nach dieser Vorschrift sind Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung entweder unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (zweite Fallgruppe),(BSG vom 25. 9. 2000 – B 1 KR 5/99 R –, SozR 3-2500 § 13 Nr 22, juris, Rdn. 16). Dabei handelt es sich nicht um die Erstattung für Kosten in Notfällen i.S.d. § 76 I Satz 2 SGB V, da sie zwar in medizinischer Hinsicht unaufschiebbar sind, jedoch einen Sachleistungsanspruch des Leistungserbringers gegen die Krankenkasse hervorbringen (Helbig in Schlegel/ Voelzke, juris PK-SGB V, 3. Aufl., 2016, § 13 Rdn.38 und BSG a.a.O., Rdn. 14). Ein solcher ist hier von dem Krankenhaus nicht geltend gemacht worden und steht nicht im Streit.
Die Krankenhausbehandlung der Klägerin in der C. Klinik war im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Erbringung unaufschiebbar (geworden).
Eine Leistung ist unaufschiebbar im Sinne dieser Regelung, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand, BSG v. 25.09.2000 - B 1 KR 5/99 R - SozR 3-2500 § 13 Nr. 22, juris, Rdn. 16). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wurden hierin früher vor allem Fälle gesehen, in denen die Versicherten eine Behandlung wahrgenommen hatten, ohne zuvor die Krankenkasse überhaupt zu befassen i.S. einer Antragstellung (so z.B. BSG B 1 KR 14/07 R, Rdn. 28, juris und B 1 KR 5/99 R wo es unter Rdn.16 zur Frage der Unaufschiebbarkeit heißt: "Unaufschiebbar kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn mit der Ausführung so lange gewartet wird, bis die Leistung zwingend erbracht werden muß, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann (BSGE 73, 271, 287 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4 S 26). Die medizinische Dringlichkeit ist indessen nicht allein ausschlaggebend. Denn für die erste Fallgruppe wird neben der Unaufschiebbarkeit vorausgesetzt, daß die Krankenkasse die in Rede stehenden Leistungen nicht rechtzeitig erbringen konnte. Davon kann im Regelfall nur ausgegangen werden, wenn sie mit dem Leistungsbegehren konfrontiert war und sich dabei ihr Unvermögen herausgestellt hat."
Dies war im Fall der Klägerin nicht so. Sie hat einen Antrag auf Behandlung in der von ihr bevorzugten Klinik lange vor dem Beginn der Behandlung bei der Beklagten gestellt, die ihn sofort abgelehnt hat.
Außerdem hat das BSG inzwischen, Urteil vom 08. 9. 2015 (B 1 KR 14/14 R –, Rdn. 15, juris diese frühere Rechtsprechung verändert und formuliert nun so: "Unaufschiebbarkeit verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der KK abzuwarten (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 13 mwN; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23). Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder zB wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 18). Soweit der erkennende Senat früher hierzu formuliert hat, dass der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der KK zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur begründet werden kann, wenn es dem Versicherten - aus medizinischen oder anderen Gründen - nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die KK einzuschalten (vgl BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105), hält der Senat hieran nicht fest. Diese Sicht ist zu eng und vernachlässigt die Normstruktur des § 13 Abs 3 S 1 SGB V. Die Alternative zur rechtswidrigen Ablehnung des Antrags (§ 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V) besteht gerade, um Eilsituationen aufgrund der Unaufschiebbarkeit Rechnung zu tragen, bei denen der Versicherte die Entscheidung seiner KK nicht mehr abwarten kann (vgl auch Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Bd 1, Stand April 2015, § 13 SGB V RdNr 250 mwN). Unaufschiebbar kann danach auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen (vgl BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105) oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Beschaffungsvorgang aus der Natur der Sache heraus eines längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf und der Zeitpunkt der Entscheidung der KK nicht abzusehen ist. Es betrifft auch die Fälle, in denen der Versicherte zunächst einen Antrag bei der KK stellte, aber wegen Unaufschiebbarkeit deren Entscheidung nicht mehr abwarten konnte."
Zum Zeitpunkt der stationären Behandlung der Klägerin war die Leistung zur Überzeugung der Kammer in diesem Sinne unaufschiebbar geworden, und zugleich war eine Leistungserbringung innerhalb des Systems zugelassener Krankenhäuser nicht mehr ausreichend und nicht mehr möglich (Versorgungslücke).
Dabei reicht nach der ständigen Rechtsprechung für ein Unvermögen der Leistungserbringung innerhalb des Systems nicht ein besonderes Vertrauensverhältnis der Versicherten zu einer außervertraglichen Einrichtung, wie es hier bei der Klägerin gegenüber der C. Klinik bestand, die ihr bereits einmal geholfen hatte. Auch hält es die Kammer nicht generell für unzumutbar, wenn in einzelnen Kliniken ein Vorgespräch geführt werden muss. Wenn sich anschließend nochmals lange Wartezeiten ergeben bis zur Behandlung, kann dies jedoch die Dringlichkeit erhöhen. So hat es Dr. H1 auch in seinem schriftlichen Gutachten gemeint, wie er in der mündlichen Verhandlung präzisiert hat. Hinsichtlich der von der Klägerin geschilderten und vor allem befürchteten negativen Folgen einer um viele Wochen längeren Abwesenheit vom Arbeitsplatz bei einer länger dauernden Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus hält die Kammer auch dies nicht generell für unzumutbar. Sie berücksichtigt aber im Fall der Klägerin die besondere Drucksituation am Arbeitsplatz bei drohendem Personalabbau in ihrer Firma, die sich ihrerseits bereits erheblich negativ auf ihre Gesundheit ausgewirkt hatte mit Ess-/Brechanfällen sogar am Arbeitsplatz, die sie verbergen musste. Dies hat ebenfalls die Dringlichkeit der Behandlung mit erzeugt und letztlich auch den psychischen Druck der Klägerin so verstärkt, dass sie – bedingt auch durch ihre innere Struktur - nur eine möglichst kurze Behandlung überhaupt in Anspruch nehmen konnte. Ferner berücksichtigt die Kammer, dass grundsätzlich kein Anspruch der Versicherten auf die Behandlung durch Ärzte besteht, von denen die betreffende Versicherte annimmt, dass nur sie besonders mit ihrem Krankheitsbild vertraut seien. Selbst die Tatsache, dass in der gewählten Klinik mehr Wochenstunden an Einzeltherapie stattfanden, reicht für sich genommen nicht aus, um einen Anspruch nach § 13 III SGB V zu befürworten.
Zum Zeitpunkt der stationären Behandlung der Klägerin bestand aber, bezogen auf die damalige noch immer weiter zunehmende Schwere ihrer Essstörung in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H1 und seinen zusätzlichen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung eine Versorgungslücke, in der Behandlungsalternativen in zugelassenen Krankenhäusern nicht (mehr) bestanden. Mit dem Landessozialgericht Baden- Württemberg (L 11 KR 3930/15 vom 19.4.2016, juris, Rdn. 23), das ebenfalls auf die Entscheidung des BSG B 1 KR 14/14 R verweist, geht die Kammer hinsichtlich des Vorliegens einer Versorgungslücke von Folgendem aus: "Eine Versorgungslücke besteht nicht, wenn der Versicherte eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann, aber nicht will (zum Ganzen BSG 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, BSGE 111, 137). Nur wenn die rechtswidrige Leistungsablehnung der Krankenkasse eine privatärztliche Selbstbeschaffung durch den Versicherten erzwingt, ziehen die Bestimmungen für privatärztliche Leistungen und nicht diejenigen für das Naturalleistungssystem die Grenzen für die Verschaffung einer entsprechenden Leistung (vgl BSG 11.09.2012, B 1 KR 3/12 R, BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23); der Leistungserbringer muss jedoch die entsprechende Qualifikation zur Ausübung der Heilkunde besitzen (BSG 20.02.2004, B 1 KR 10/03 B, juris). Gleiches gilt für die Fälle einer unaufschiebbaren Leistung." Eine Versorgungslücke in diesem Sinn liegt hier vor. Sie besteht allerdings dann nicht, wenn die Versicherte eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann, aber nicht will. (BSG B 1 KR 6/11 R, juris, Rdn. 22). So lag es bei der Klägerin zur Überzeugung der Kammer nicht. Denn der Sachverständige H1 hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Klägerin als Teil ihrer Krankheit und als Teil ihrer inneren Struktur weitgehend eingeschränkt war auf die Behandlung in der C. Klinik. Gerade in ihrem Fall war es so, dass sie aufgrund ihrer inneren Struktur kaum andere Möglichkeiten gehabt hätte, als die von ihr angestrebte Klinik auch tatsächlich aufzusuchen (und zu hoffen, dass die Krankenkasse es schließlich doch finanziert). Sie wäre wenig beeinflussbar auf diesem Weg gewesen, es sei denn, man hätte ihr ganz konkret auf ihre inneren Bedürfnisse zugeschnittene Behandlungsangebote machen können. Dennoch habe sie sich wochenlang um Alternativ- Kliniken gekümmert, was der Sachverständige "angesichts der sich zuspitzenden Bulimie- Symptome und der weitgehenden Blockierung von Affekten und anderweitigen Funktionen des Erlebens" (Seite 23) eher erstaunlich" fand. Unter diesen Umständen ist nicht von einem "Nicht- Wollen", sondern von einem "Nicht- anders können" auszugehen.
Die stationäre Behandlung war am 20.5.2013 unaufschiebbar geworden und konnte tatsächlich von der Beklagten nicht als Sachleistung zur Verfügung gestellt werden. Dadurch sind der Klägerin Kosten erstatten, die im notwendigen Umfang, nämlich in Höhe von 14.350,- EUR abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung von 280,- EUR zu erstatten sind.
Dabei folgt die Kammer dem Sachverständigen dahingehend, dass für die Behandlung der Klägerin nur eine Behandlung im Wege der Verhaltenstherapie in Betracht kam, weswegen Kliniken ausschieden, die z.B. tiefenpsychologische Konzepte verfolgen, wie z.B. die von der Beklagten benannte Seepark Klinik B1. Dabei kommt auch zum Tragen, dass positive Auswirkungen auf das Essverhalten hier nach Angaben des Sachverständigen länger dauern würden, weil der Schwerpunkt nicht darauf liegt, das schädliche Ess-/ Brechverhalten so rasch wie möglich zu stoppen. Es dient nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H1 ähnlich wie bei Angsterkrankungen oder selbstverletzendem Verhalten oder Zwangserkrankungen dazu, eine extreme innere Bedrohung sofort abzuwehren, in Schach zu halten. Dies hält die Kammer angesichts des Ausmaßes der täglichen Ess-/ Brechanfälle und des Ausmaßes der inneren Bedrohung nicht für zumutbar und verweist hierzu auf die Argumentation des BSG, B 1 KR 14714 R, Rdn. 15, juris: "Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder zB wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 18).". Die Schilderungen des Sachverständigen von der inneren Qual und dem Druck der Klägerin, wie der Sachverständige sie im schriftlichen Gutachten schildert und in der mündlichen Verhandlung weiter erläutert hat, wie auch die Ambivalenz der Persönlichkeit der Klägerin (Seite 18) waren auch in der mündlichen Verhandlung für die gesamte Kammer spürbar, und dies noch Jahre nach der streitigen Behandlung.
Wenn auch grundsätzlich kein Anspruch der Versicherten auf Behandlung in Form besonderer Therapieformen besteht, so besteht andererseits innerhalb eines Spektrums verbreiteter Behandlungsmethoden durchaus ein Anspruch auf Behandlung der jeweiligen Erkrankung mit derjenigen Behandlungsform, die ausreichend und notwendig ist, mithin bezogen auf die konkrete Erkrankung wirksam. Dies ist bei der Bulimie- Erkrankung bereits nach der "S3- Leitlinie" zunächst die Behandlung in einem Spezialkrankenhaus und zwar im Fall der Klägerin und bei ihrer Persönlichkeitsstruktur insbesondere bei akuter Behandlungsbedürftigkeit nach den Ausführungen des Sachverständigen die verhaltenstherapeutische Behandlung. Er legt nachvollziehbar dar, dass genau wie beim Essverhalten im gesamten Alltag der Bulimiekranken eine extreme Kontrolle herrschen muss, um möglichst die gesamte Situation, so gut es geht, beherrschen zu können. Sofern dies nicht gelingt, nimmt der innere Druck erheblich zu, was wiederum negative Auswirkungen im Sinne eines Teufelskreises auf das Ess-/Brechverhalten hat. Die Kammer folgt dem und sieht eine noch weitere Verschlimmerung der Krankheit als unzumutbar an.
Adäquate Behandlungsmöglichkeiten in zugelassenen Kliniken waren zur Zeit des Behandlungsbeginns für die Klägerin nicht gegeben. Insbesondere gilt dies für die von der Beklagten im Bescheid vom 16.11.2012 benannten Kliniken: das U., die S. Klinik B. und die S1 in B1, wie der Sachverständige Dr. H1 erläutert hat. Im U. besteht keine eigene Psychosomatikabteilung. Bulimiekranke Patientinnen werden von dort in die S. Klinik E. verwiesen. Die S. Klinik B., wo die Klägerin sich vorgestellt hatte, arbeitet in Gruppenarbeit mit jugendlichen Patienten und dies im Wesentlichen in Gruppenarbeit, was der Sachverständige als nicht ausreichend zur Behandlung der Klägerin erachtet hat. Die S1 in B1, zu der bereits oben Stellung genommen wurde, schied im Fall der Klägerin aus, weil sie tiefenpsychologisch arbeitet.
Zu den zusätzlich im Schreiben vom 20.2.2013 nach der Stellungnahme des MDK benannten Kliniken, nämlich der C1- Klinik B2, der A. Klinik N. und der S. Klinik E. hat Dr. H1 bereits in seinem schriftlichen Gutachten erläutert und die Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung noch ergänzt, warum er diese nicht für geeignet gehalten hat zur Sicherstellung einer Behandlung im Rahmen des Sachleistungsanspruchs. In der A. Klinik N. und in der S. Klinik E. gebe es zwar jeweils Stationen (auch) für Essgestörte, die jedoch auch mit Menschen z.B. mit Persönlichkeitsstörungen belegt seien, was zur Behandlung von deren (Begleit-) Erkrankungen sinnvoll sei, nicht jedoch bzgl. der Erkrankung der Klägerin. Die C1 Klinik in B2 habe einen eindeutigen tiefenpsychologischen Schwerpunkt und scheide deswegen aus. Die Kammer folgt dem Sachverständigen aus den von ihm genannten Gründen unter Verweis auch auf die S3- Leitlinie, wobei rechtlich bereits fraglich sein könnte, inwieweit diese Hinweise der Beklagten, die erst nach dem angefochtenen Ausgangsbescheid erfolgten, noch maßgeblich sind, wenn doch im Rahmen des § 13 III SGB V nach allgemeiner Meinung das Abwarten der Bekanntgabe der ersten ablehnenden Entscheidung ausreicht (Helbig in Schlegel/ Voelzke, juris PK-SGB V, 3. Aufl., 2016, § 13 Rdn.46 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG; u.a.: BSG B 3 KR 66/01 R). Da die Klägerin aber sogar den Widerspruchsbescheid hier abgewartet hat, sind sie hier zumindest mit erörtert worden.
Da alle der Klägerin benannten Kliniken nicht in Betracht kamen und von der Beklagten keine Hilfe angeboten wurde, war von einer Versorgungslücke im Zeitpunkt der Behandlung auszugehen. Insoweit bezieht sich die Kammer auf die Argumentation des LSG Baden- Württemberg, a.a.O., Rdn.26, wo es heißt: "Da von der Beklagten keine Hilfe angeboten worden war und sich auch ansonsten keine Alternativen aufdrängten, musste die Klägerin in ihrer kritischen Gesundheitssituation auch nicht weiter zuwarten. Wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass möglicherweise andere Vertragskliniken zur stationären Aufnahme in der Lage gewesen wären – die Angaben des Klinikums S. und des R.-S.-S. sind insoweit allerdings nicht ganz eindeutig, wie das SG zutreffend ausgeführt hat – ändert dies nichts daran, dass zum Zeitpunkt der unaufschiebbaren Behandlung gerade kein konkretes zugelassenes Krankenhaus für die Klägerin bereitstand. Das insoweit aufgetretene Systemversagen geht zu Lasten der Beklagten. Sie hätte es in der Hand gehabt, bei dem hier erkennbar dringlichen Behandlungsbedarf theoretisch denkbare Behandlungsalternativen konkret aufzuzeigen." Inwiefern durch die Beklagte bei der Beratung der Klägerin außerdem eine vollkommene Ablehnung stationärer Behandlung zur Behandlung ihrer Erkrankung erfolgt ist, was rechtswidrig war und wovon die Beklagte in Übereinstimmung mit dem MDK erst in der mündlichen Verhandlung abgerückt ist, muss hier nicht weiter erörtert werden, denn die Krankenhausbehandlung war im Zeitpunkt ihrer Erbringung unaufschiebbar. Ggf. würde jedoch auch dieses Verhalten der Klägerin einen Kostenerstattungsanspruch auch nach der 2. Alternative von § 13 III SGB V eröffnen. Insgesamt sind Kosten von 14.070,- zu erstatten. Von den Gesamtkosten der Behandlung in Höhe von 14.350,- EUR sind gemäß §§ 39 IV Satz 1; 61 Satz 2 SGB V 10,- EUR pro Behandlungstag für längstens 28 Tage abzuziehen Bei der hier vorliegenden Dauer von 35 Behandlungstagen beträgt der Abzug daher 280,- EUR. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Angesichts des geringen Anteils des Unterliegens der Klägerin mit ihrem ursprünglich, jedoch nicht mehr in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag wird von einer Kostenquotelung abgesehen.
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Aus
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