S 34 KR 807/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
34
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 34 KR 807/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten zweier Brillengläser für eine Gleitsicht-Brille.

Die am 13.12.1966 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Unter Vorlage einer Verordnung des Facharztes für Augenheilkunde vom 26.05.2011 sowie eines Kostenvoranschlages der B1 vom 28.05.2011 über insgesamt 1115,80 Euro beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für zwei Gläser für eine Gleitsicht-Brille in Sonderanfertigung. Die Beklagte holte eine Stellungnahme der B2 vom 27.06.2011 ein. Danach seien die Voraussetzungen für eine Versorgung mit zwei Brillengläsern und Prisma gegeben. Nach dem Heil- und Hilfsmittelkatalog seien Kosten in Höhe von insgesamt 142,24 Euro übernahmefähig. Dem folgend gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 29.06.2011, abzüglich eines Zuzahlungsbetrages i.H.v. 10,00 Euro, einen Zuschuss für zwei Brillengläser mit Prisma i.H.v. 132,24 Euro. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 08.07.2011 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Ihr Augenleiden sei nur durch eine Brille auszugleichen. Niemand dürfe wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Ablehnung der Beklagten stelle eine derartige Benachteiligung dar. Die Brille ermögliche es ihr, länger die Konzentration aufrechtzuerhalten, Texte lesen und verstehen zu können, sich in ungewohnter Umgebung zurechtzufinden sowie einfachen Tätigkeiten unfallfrei nachgehen zu können. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 09.09.2013 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben. Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf das bisherige Vorbringen.

Die Klägerin beantragt in der Hauptsache (sinngemäß),

den Bescheid der Beklagten vom 29.06.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2013 abzuändern, und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mittels zweier Brillengläser für eine Gleitsichtbrille gemäß Kostenvoranschlag der B1 vom 28.05.2011 als Sachleistung zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 21.07.2014 auf seine Absicht hingewiesen, gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG gegeben.

Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten haben vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf ihren Inhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht hat ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 SGG entscheiden können, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§ 105 Abs. 1 Satz 2 SGG). Unerheblich ist der Einwand der Klägerin, sie sei mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht einverstanden. Das Gericht entscheidet nach eigenem Ermessen, ob es einen Gerichtsbescheid erlässt oder eine mündliche Verhandlung anberaumt. In der Anhörung können die Beteiligten lediglich Gründe angeben, warum im konkreten Fall eine mündliche Verhandlung dem Gerichtsbescheid vorzuziehen sei. Überzeugende Gründe hierfür sind indes nicht vorgetragen worden. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die aufgeworfene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Die form- und fristgerecht erhobene Klage (§§ 87, 90 SGG) ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29.06.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2013 hält einer gerichtlichen Überprüfung stand; die Klägerin wird hierdurch nicht beschwert (§ 54 SGG).

Das Gericht folgt der Begründung des angefochtenen Bescheides und sieht gemäß § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Lediglich ergänzend ist folgendes auszuführen:

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Die Versorgung mit Sehhilfen ist in § 33 Abs. 2 – 4 SGB V geregelt. Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen entsprechend den Voraussetzungen nach Abs. 1 haben gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB V Versicherte nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Für Versicherte, die - wie die Klägerin – das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie auf Grund ihrer Sehschwäche oder Blindheit, entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung, auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen.

Gemäß § 36 Abs. 1 SGB V bestimmt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen setzt für die Versorgung mit den nach Absatz 1 bestimmten Hilfsmitteln einheitliche Festbeträge fest (§ 36 Abs. 2 SGB V). Solche Festbeträge für Sehhilfen haben die Spitzenverbände der Krankenkassen bundesweit festgesetzten (in Kraft getreten am 01.03.2008).

Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel – Richtlinie / HilfsM-RL) ist eine Sehhilfe zur Verbesserung der Sehschärfe (§§ 13 bis 16), wie sie die Klägerin vorliegend begehrt, bei erwachsenen Versicherten verordnungsfähig, wenn diese entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweisen. Diese liegt nach Satz 2 unter anderem vor, wenn die Sehschärfe (Visus) bei bestmöglicher Korrektur mit einer Brillen- oder möglichen Kontaktlinsenversorgung auf dem besseren Auge &8804; 0,3 beträgt oder das beidäugige Gesichtsfeld &8804; 10 Grad bei zentraler Fixation ist. Die Sehschärfenbestimmung hat beidseits mit bester Korrektur mit Brillengläsern oder möglichen Kontaktlinsen zu erfolgen. Die Voraussetzungen einer solchen Sehbeeinträchtigung sind bei der Klägerin – worüber Einigkeit zwischen den Beteiligten besteht – erfüllt.

Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 HilfsM-RL können, wenn Brillengläser zur Fern- und Nahkorrektur erforderlich sind, wahlweise auch Mehrstärkengläser (Bifokal- / Trifokal- / Multifokalgläser) verordnet werden, ggf. mit Planglasanteil für einen Korrekturbereich, sofern die Notwendigkeit zum ständigen Tragen von Brillengläsern eine solche Ausstattung erforderlich macht. Vorliegend hat die Beklagte in Anwendung der durch die Spitzenverbände der Krankenkassen bundesweit festgesetzten Festbeträge für Sehhilfen (in Kraft getreten am 01.03.2008) einen Festzuschuss i.H.v. zweimal 43,15 Euro entsprechend der Positionsnummer 25.21.14.0 des Hilfsmittelverzeichnisses des GKV-Spitzenverbandes für organische Zweistärkengläser - Kunststoff - mit sphäro-torischen Flächen (mit einem Brechwert im Fernteil bis +/-4,0 und einem Zylinder bis +4,0) sowie einen Festzuschuss i. H. v. zweimal 27,97 Euro entsprechend der Positionsnummer 25.21.33.2 des Hilfsmittelverzeichnisses des GKV-Spitzenverbandes für einen Zuschlag für jeweils ein Prisma (für das ganze Glas) für Mehrstärkengläser mit sphärischen oder sphäro-torischen Flächen (Prisma bis 10 cm/m) gewährt. Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass bei der Klägerin eine darüber hinausgehende Versorgung erforderlich ist.

Soweit die Klägerin eine Benachteiligung wegen ihrer Behinderung rügt, ist nach der Überzeugung des Gerichtes die gesetzliche Regelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Krankenkassen müssen von Verfassungs wegen nicht alles leisten, was zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl. BVerfGE 115, 25).

Die streitgegenständliche gesetzliche Leistungseinschränkung verstößt insbesondere nicht gegen Art 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG). Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Leistungseinschränkungen der §§ 33, 36 SGB V indes knüpfen nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen Sinne, also an eine langfristige Sinnesbeeinträchtigung, an, sondern erfassen weitergehend alle Fälle von Sehschwäche, also z.B. auch solche vorübergehender Art.

Auch soweit §§ 33, 36 SGB V zugleich behinderte Menschen im Sinne des Art 3 Abs. 3 Satz 2 GG oder im Sinne von Regelungen der UN-Behindertenrechtskonvention - UN-BRK - (vgl. hierzu im Einzelnen BSG 06.03.2012 – B 1 KR 10/11 R) treffen, sind diese Bestimmungen wegen des Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) noch gerechtfertigt. Wie das Grundgesetz fordert auch die UN-BRK zur Achtung des Diskriminierungsverbots keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen. Die sich daraus ergebenden Rechtfertigungsanforderungen sind nicht höher als diejenigen nach dem GG. Nach der ständigen Rechtsprechung. des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die GKV den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskataloges (§ 11 SGB V) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung des Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Es steht mit dem GG in Einklang, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass die Leistungen der GKV ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben und nicht das Maß des Notwendigen überschreiten dürfen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der GKV-Leistungskatalog darf auch von finanzpolitischen Erwägungen mitbestimmt sein. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht (BVerfGE 103, 172, 184). Angesichts der Vielzahl von Menschen mit Sehfehlern ist die Begrenzung des Leistungsanspruchs bei der Versorgung mit Sehhilfen nicht zu beanstanden (vgl. SG Berlin 23.04.2013 – S 89 KR 2044/10).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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