S 4 R 1415/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 1415/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Vormerkung von Beitragszeiten umstritten.

Der am 00.00.1959 in L (damals UdSSR, heute Moldawien) geborene Kläger leistete in der Zeit vom 26.07.1976-04.07.1990 Militärdienst bei der sowjetischen Armee, in der Zeit vom 30.07. 1990-29.11.1992 war er als Fahrer für einen Kfz-Transporter beim Staatlichen Pädagogischen T-Institut U beschäftigt. Am 21.12.1992 reiste er von U (Moldawien) aus in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde hier als Staatenloser, nicht jedoch als Vertriebener oder Spätaussiedler im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) anerkannt. Aus seinem am 24.07.2017 von der Bundesstadt C ausgestellten Reisepass ergibt sich ferner, dass der Kläger heimatloser Ausländer nach dem Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25.04.1951 und zum Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland berechtigt ist.

Am 10.09.2012 beantragte der Kläger beim beklagten Rentenversicherungsträger die Klärung seines Rentenkontos. Mit Bescheid vom 30.07.2013 stellte die Beklagte die rentenrechtlichen Zeiten des Klägers bis zum 31.12.2006 verbindlich fest, sie entschied unter anderem, dass die Zeit vom 26.07.1976-29.11.1992 nicht als Beitrags- oder Beschäftigungszeit vorgemerkt werden kann, da die Zeit im Ausland zurückgelegt worden sei und persönlichen Voraussetzungen des § 1 Fremdrentengesetz (FRG) nicht vorlägen, der Kläger sei z.B. weder als Vertriebener noch als Spätaussiedler anerkannt.

Der Kläger widersprach und machte geltend, die Zeit vom 26.07.1976-29.11.1992 sei als Beitragszeit vorzumerken, da er anerkannter Staatenloser sei. Nach Artikel 24 des Staatenlosenübereinkommens von 1954 (StlÜbk) erfahre er in Bezug auf die Soziale Sicherheit die gleiche Behandlung wie deutsche Staatsangehörige. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2015 zurück. Die Fremdrentenzeiten des Klägers könnten in der deutschen Rentenversicherung nicht berücksichtigt werden, weil er die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Insbesondere scheide eine Berücksichtigung der Fremdrentenzeiten nach § 1d FAG als heimatloser Ausländer aus, da der Kläger seinen Wohnsitz im Bundesgebiet nicht bereits am 30.06.1950 hatte, sondern erst seit Dezember 1992.

Mit seiner am 15.09.2015 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Er ist weiterhin der Auffassung, seine in der ehemaligen UdSSR und Moldawien zurückgelegten Beitragszeiten sein nach Art. 24 des StlÜbk in der deutschen Rentenversicherung zu berücksichtigen. Demgegenüber müsse er die Voraussetzungen des FRG nicht erfüllen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2015 zu verpflichten, die Zeit vom 26.07.1976-29.11.1992 als Beitragszeit in der deutschen Rentenversicherung vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an der getroffenen Entscheidung fest. Der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 24 des StlÜbk führe nicht zu der für die Berücksichtigung der außerhalb des Bundesgebiets zurückgelegten Beitragszeiten notwendigen Zugehörigkeit des Klägers zum Personenkreis nach dem FRG.

Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 30.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2015 beschwert den Kläger nicht nach § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Diese Bescheide sind rechtmäßig, weil der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf hat, die Zeit vom 26.07.1976-29.11.1992 als Beitragszeit in der deutschen Rentenversicherung vorzumerken. Dies folgt aus § 55 Abs. 1 S. 1 und 2 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI). Nach Abs. 1 S. 1 der Vorschrift sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Beiträge sind dann nach Bundesrecht gezahlt, wenn sie nach Inkrafttreten des Grundgesetzes (GG) aufgrund der im Bundesgebiet geltenden Vorschriften, insbesondere nach dem SGB VI oder der Reichsversicherungsordnung (RVO) gezahlt worden sind. Diese Rechtsqualität kommt auch Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach den §§ 15, 16 FRG zu. Darüber hinaus werden ausländische Versicherungszeiten von § 55 Absatz 1 S. 1 SGB VI nur erfasst, wenn diese deutschen Beitragszeiten gleichstehen; eine solche Gleichstellung kann sich aus Sozialversicherungsabkommen oder überstaatlichem Recht ergeben (Kasseler Kommentar-Gürtner, § 55 SGB VI Rn. 7f.). Des Weiteren sind nach § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten, z.B. nach §§ 11, 12 WGSVG (Kasseler Kommentar-Gürtner, a. a. O., Rn. 9).

Von diesen rechtlichen Maßstäben ausgehend kann der Kläger von der Beklagten nicht die Vormerkung seiner in der ehemaligen UdSSR und Moldawien zurückgelegten Beitragszeiten beanspruchen. Für diese Zeiten wurden zunächst nicht im Sinne von § 55 Abs. 1 S. 1 SGB VI Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge nach Bundesrecht gezahlt. Für die geltend gemachten Zeiten wurden allenfalls Beiträge zu einem nichtdeutschen Rentenversicherungsträger geleistet. Ebenso scheidet eine Gleichstellung dieser Zeiten nach Maßgabe der Regelungen in §§ 15, 16 FRG aus. Das FRG findet auf den Kläger keine Anwendung. Nach § 1 FRG findet dieses Gesetz unbeschadet des § 5 Abs. 4 FRG und des § 17 FRG Anwendung auf a) Vertriebene im Sinne des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, die als solche in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt sind, b) Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes und frühere deutsche Staatsangehörige im Sinne des Artikels 116 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes, wenn sie unabhängig von den Kriegsauswirkungen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben, jedoch infolge der Kriegsauswirkungen den früher für sie zuständigen Versicherungsträger eines auswärtigen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen können, c) Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes und frühere deutsche Staatsangehörige im Sinne des Artikels 116 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes, die nach dem 8. Mai 1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung verbracht wurden, d) heimatlose Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951 (HAuslG), auch wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben oder erwerben, e) Hinterbliebene der in Buchstaben a bis d genannten Personen bezüglich der Gewährung von Leistungen an Hinterbliebene.

Hiervon wird der Kläger nicht erfasst, er ist zunächst weder im Sinne von § 1 lit. a bis c FRG als Vertriebener oder Spätaussiedler anerkannt noch ist er Deutscher, der in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung verbracht worden ist oder infolge der Kriegsauswirkungen den früher für ihn zuständigen Versicherungsträger eines auswärtigen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Auch unterfällt er nicht der Regelung in § 1 lit. d FRG. Der Kläger ist nicht heimatloser Ausländer im Sinne des HAuslG. Nach § 1 Abs. 1 HAuslG ist heimatloser Ausländer ein fremder Staatsangehöriger oder Staatenloser, der a) nachweist, dass er der Obhut der Internationalen Organisation untersteht, die von den Vereinten Nationen mit der Betreuung verschleppter Personen und Flüchtlinge beauftragt ist, und b) nicht Deutscher nach Artikel 116 des Grundgesetzes ist und c) am 30.06.1950 seinen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatte oder die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers auf Grund der Bestimmungen des § 2 Abs. 3 HAuslG erwirbt. Zum Nachweis dieser Voraussetzungen genügt noch nicht der Besitz eines entsprechenden Reiseausweises. Vielmehr haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit selbst festzustellen, ob die Voraussetzungen aus § 1 Abs. 1 HAuslG erfüllt sind (BSG, Urteil vom 14.05.1991 – 5RJ29/90, Rn. 23 bei juris).

Dies berücksichtigend kann offenbleiben, ob der Kläger im Sinne von § 1 Abs. 1 lit. a HauslG der Obhut der Internationalen Organisationen (IRO) unterstanden hat oder zumindest von ihr satzungsgemäß hätte betreut werden können (in diesem Sinne: BSG, a. a. O.). Jedenfalls erfüllt der Kläger nicht die Voraussetzungen aus § 1 Abs. 1 lit. c HAuslG. Er hat zunächst nicht bis zum 30.06.1950 seinen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) genommen, sondern erst im Dezember 1992. Auch hat er nicht nach § 2 Abs. 3 HAuslG die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers erworben. Danach erlangt ein fremder Staatsangehöriger oder Staatenloser, der die Bestimmungen des § 1 Abs. 1a und 1b HAuslG erfüllt und nach dem 01.07.1948 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatte und ihn danach außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes oder von Berlin (West) verlegt hat, die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers, wenn er innerhalb von 2 Jahren seit dem Zeitpunkt seiner Ausreise aus dem Geltungsbereich des Grundgesetzes oder aus Berlin (West) rechtmäßig seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt in den Geltungsbereich des Grundgesetzes oder nach Berlin (West) zurückverlegt. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Die Vorschrift ist nur auf Personen anwendbar, die während des 2. Weltkrieges oder wegen der durch ihn verursachten Macht- und Bevölkerungsverschiebungen fliehen mussten. Sie bezieht sich nur auf Personen, die in der Zeit vom 01.07.1948-30.06.1950 ihren Wohnsitz außerhalb des Geltungsbereichs des GG oder von Berlin (West) verlegt haben (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.11.2016 – L 3 R 39/16, Rn. 38 bei juris). Das trifft auf den Kläger nicht zu.

Des Weiteren scheidet auch eine Gleichstellung der ausländischen Versicherungszeiten mit deutschen Beitragszeiten aus. Eine solche ergibt sich weder aus Sozialversicherungsabkommen noch aus überstaatlichem Recht. Letzteres folgt zunächst nicht aus Art. 24 Abs. 1 lit. b Staatenlosenübereinkommen (StlÜbk). Danach gewähren die Vertragsstaaten des Übereinkommens den Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, in Bezug auf folgende Angelegenheiten die gleiche Behandlung wie ihren Staatsangehörigen: a) Arbeitsentgelt einschließlich Familienbeihilfen, wenn diese Bestandteil des Arbeitsentgelts sind, Arbeitszeit, Überstundenregelung, bezahlter Urlaub, Beschränkungen in der Heimarbeit, Mindestalter für die Beschäftigung, Lehrzeit und Berufsausbildung, Arbeit von Frauen und Jugendlichen sowie die Inanspruchnahme der auf Tarifverträgen beruhenden Vergünstigungen, soweit diese Angelegenheiten durch Rechtsvorschriften geregelt sind oder in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden fallen; b) Soziale Sicherheit (gesetzliche Bestimmungen über Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Alter, Tod, Arbeitslosigkeit, Familienunterhalt sowie jedes andere nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften durch ein System der Sozialen Sicherheit gedeckte Wagnis), vorbehaltlich i) geeigneter Regelungen in Bezug auf die Wahrung erworbener Rechte und Anwartschaften sowie ii) besonderer innerstaatlicher Rechtsvorschriften des Aufenthaltslands über Leistungen oder Leistungsteile, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten werden, sowie über Zuwendungen an Personen, welche die zur Erlangung einer normalen Rente festgesetzten Beitragsbedingungen nicht erfüllen. Von dieser Vorschrift kann der Kläger im Rahmen des Kontenklärungsverfahrens nicht profitieren. Unabhängig davon, dass dieses nicht die unmittelbare Anwendung gesetzlicher Bestimmungen insbesondere über das Alter betrifft, erfährt der Kläger als Staatenloser keine andere Behandlung als deutsche Staatsangehörige. Auch diese können eine Berücksichtigung von nicht im Bundesgebiet zurückgelegten Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung nur unter Beachtung weiterer Voraussetzungen beanspruchen, vornehmlich der aus § 1 FRG, die der Kläger wiederum, wie ausgeführt, nicht erfüllt – auch wenn man unterstellt, dass er Deutscher ist.

Ferner folgt für den Kläger nichts anderes aus Art. 1 lit. h, 2 Abs. 1, 6 VO (EG) Nr. 883/2004. Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur Einbeziehung der Staatenlosen und deren Gleichbehandlung mit Inländern gelten nur für die Einreise aus einem EU/EWR-Staat nach Deutschland. Bei unmittelbarer Einreise aus einem Drittland können aus der Verordnung keine Rechte (z.B. auf Kindergeld) abgeleitet werden (FG Nürnberg, Urteil vom 20.11.2014 – 3 K 1510/13; EuGH, Urteil vom 11.10.2001 – C-95/99). Das gilt auch für den Kläger, der 1992 von U (Moldawien) ohne EU-Bezug in die Bundesrepublik eingereist ist.

Schließlich unterfällt der Kläger auch nicht der Regelung aus § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI, wonach Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten sind, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Der Kläger hat einen solchen Tatbestand (siehe dazu im Einzelnen: Kasseler Kommentar-Gürtner, a. a. O., Rn. 9) nicht verwirklicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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