S 4 AS 3978/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AS 3978/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die Kosten eines Widerspruchsverfahrens der Höhe nach umstritten.

Der Kläger ist als selbständiger Rechtsanwalt tätig und bezieht vom beklagten Jobcenter bereits seit längerem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Hierbei kam es bereits in der Vergangenheit zu sanktionsbedingten Minderungen der Leistungen. Mit Bescheid vom 07.01.2014 verfügte der Beklagte erneut eine sanktionsbedingte Minderung des Arbeitslosengeldes (ALG) II. Er stellte einen vollständigen Wegfall des ALG II für die Zeit vom 01.02.2014-30.04.2014 fest, der Kläger sei wiederholt seinen Pflichten nicht nachgekommen (vorangegangene Pflichtverletzung am 10.11.2013), er habe entgegen seinen Verpflichtungen aus dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.07.2013 keine Bemühungen zur Aufnahme einer Arbeit in Form von mindestens vier Bewerbungsbemühungen pro Monat nachgewiesen. Der Kläger widersprach unter Darlegung seiner Rechtsauffassung auf insgesamt 29 Seiten, unter anderem machte er geltend, die Sanktionsregelungen seien verfassungswidrig, sie verstießen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, missachteten das Grundrecht auf Gewährleistung des Existenzminimums, verstießen gegen das Folterverbot, missachteten die Persönlichkeitsentfaltung als Zweck der Menschenwürde, schränkten die Berufsfreiheit ein und führten zu Arbeitszwang. Infolge des Widerspruchs hob der Beklagte den Sanktionsbescheid vom 07.01.2014 mit Bescheid vom 27.03.2015 auf und verpflichtete sich zur Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren dem Grunde nach, was auch für die Kosten eines Bevollmächtigten gelte. Daraufhin beantragte der Kläger beim Beklagten am 21.07.2016 die vom Beklagten zu erstattenden Kosten auf insgesamt 660 EUR festzusetzen, im Einzelnen machte er folgende Gebühren geltend: – Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG 640 EUR und – Pauschale für Post und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG 20 EUR. Für die Geltendmachung der Höchstgebühr genüge es, wenn ein vom Rechtsanwalt ausgewähltes Kriterium den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertige. Die anwaltliche Tätigkeit sei umfangreich und schwierig gewesen, zum Umfang der durchgeführten Tätigkeit gehöre auch die im Kostenfestsetzungsverfahren, ebenso die Sichtung des umfangreichen Streitstoffs und die umfangreiche Auswertung, Heranziehung und Anführung der für die Erstellung des Widerspruchsschriftsatzes verarbeiteten Rechtsprechung und Literatur. Hinsichtlich der Schwierigkeit sei die Komplexität der Sachverhaltsaufklärung sowie das kompliziert geregelte Spezialrecht (SGB II) zu würdigen. Hinsichtlich der Bedeutung der Angelegenheit sei der Verlust der sozialen Existenz, der Gedanke der Sicherung des Lebensunterhalts, die wirtschaftliche Bedeutung und die gesellschaftliche Stellung in den Blick zu nehmen. Hinsichtlich des Kriteriums der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sei die Erwägung, dass ein Anwalt, der sich selbst vertrete, unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse als Auftraggeber oder ein Haftungsrisiko als Anwalt gegen sich selbst berücksichtigen soll, abwegig. Außerdem sei dieses Kriterium generell im Rahmen von SGB II-Verfahren kein gleichrangiges Beurteilungskriterium. Ferner könne die Bestimmung durch den Rechtsanwalt ausschließlich auf Ermessensfehler nachgeprüft werden, für die vom Rechtsanwalt vorgenommene Betragsbestimmung gelte ferner eine "Nichtbeanstandungsgrenze" von 20 %. Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 03.08.2016 setzte der Beklagte die zu erstattenden Kosten auf insgesamt 320 EUR fest. Der Kläger könne nur eine Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr von 300 EUR beanspruchen. Eine höhere Gebühr könne nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen ist. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien hier als durchschnittlich einzustufen, nachdem sich das Widerspruchsschreiben gegen einen Sanktionsbescheid i.V.m. einem Eingliederungsverwaltungsakt gerichtet habe.

Der Kläger widersprach und verwies darauf, dass die Bestimmung der Kosten durch den Rechtsanwalt ausschließlich einer Ermessensprüfung unterzogen werden könne. Außerdem bestehe eine Nichtbeanstandungsgrenze von 20 %. Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2016 zurück. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien weiterhin als durchschnittlich zu bewerten.

Mit seiner am 17.10.2016 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beklagten unter Abänderung ihres Bescheides vom 03.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2016 zu verurteilen, weitere Kosten i.H.v. 340 EUR zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an der getroffenen Entscheidung fest.

Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die Gerichtsakte und die vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach § 110 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, weil dieser in der ihm ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 03.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2016 beschwert den Kläger nicht nach § 54 Abs. 2 SGG. Diese Bescheide sind rechtmäßig, weil der Kläger vom Beklagten keine über den Betrag von 320 EUR hinausgehende Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens beanspruchen kann.

Dies folgt aus § 63 Abs. 3 S. 1 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sowie der Nr. 2302 des Vergütungsverzeichnis (VV). § 63 Abs. 1 SGB X bestimmt zunächst, dass die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen auf Antrag festsetzt. Für die Bemessung der Gebühren ist die Regelung in § 14 RVG maßgeblich. Danach hat der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Hiervon ausgehend hat der Beklagte zu Recht entschieden, dass die Geschäftsgebühr lediglich in Höhe des Schwellenwertes von 300 EUR angefallen ist.

Für die Geschäftsgebühr bestimmt das RVG im VV 2302 einen Gebührenrahmen von 50-640 EUR. Das entspricht einer Mittelgebühr von 345 EUR, die im "Normalfall" gilt, wenn also die Bemessungskriterien aus § 14 RVG jeweils von durchschnittlicher Bedeutung sind (Mayer/Kroiß-Winkler, RVG, 7. Auflage 2018, § 14 Rn. 39 m.w.N.). Einschränkend regelt das Vergütungsverzeichnis, dass eine Gebühr von mehr als 300 EUR nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.

Von diesen rechtlichen Maßstäben ausgehend war die vom Kläger-Bevollmächtigten jenseits der Schwellengebühr getroffene Gebührenbestimmung unbillig. Die für die Bemessung des Gebührenrahmens nach § 14 Abs. 1 RVG maßgeblichen Kriterien bewegen sich nicht durchgehend im weit überdurchschnittlichen Bereich der Höchstgebühr.

Das gilt zunächst für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sind der Arbeits- und Zeitaufwand, den ein Rechtsanwalt in der Sache betrieben hat und den er objektiv auf die Sache verwenden musste, zu würdigen (BSG, Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 21/09 R, Rn. 28ff. m.w.N.). Der durchschnittliche Umfang orientiert sich am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf eines Verfahrens jeweils bezogen auf das in der jeweiligen Gebührenziffer umschriebene Tätigkeitsfeld. Bei der Gebühr ist von dem Leitbild auszugehen, dass ein mit der Sache bislang noch nicht befasster Rechtsanwalt mit der Durchführung des sozialrechtlichen Verfahrens beauftragt wird. Dies erfordert das Betreiben des Verfahrens und eine Einarbeitung in die Sach- und Rechtslage. Die Zahl der gefertigten Schriftsätze, einschließlich ihres Inhalts, kann ein Indiz für den zeitlichen Aufwand der anwaltlichen Tätigkeit darstellen (BSG, a.a.O., Rn. 30).

Hiervon ausgehend ist von einem allenfalls durchschnittlichen Umfang auszugehen, nachdem der Kläger-Bevollmächtigte den Widerspruch zwar über 29 Seiten begründet hat, dies aber objektiv nicht geboten war. Die Widerspruchsbegründung liest sich stellenweise wie eine juristische Hausarbeit, ohne einen konkreten Bezug zum Fall des Klägers erkennen zu lassen. Es finden sich dort zu einem erheblichen Teil abwegige Rechtsausführungen zur Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes, insbesondere soweit in der Verpflichtung zu Bewerbungsbemühungen ein Verstoß gegen das Folterverbot und das Verbot von Zwangsarbeit gesehen wird. Weitere zeitintensive Tätigkeiten - wie etwa das Lesen und Auswerten medizinischer Gutachten, das Verfassen von Schriftsätzen, die sich (objektiv geboten) mit komplexen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen auseinandersetzen, die Sichtung und Auswertung von Rechtsprechung, die Einsicht in Akten - sind nicht angefallen, jedenfalls nicht belegt.

Auch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit erweist sich als allenfalls durchschnittlich. Mit der Schwierigkeit ist die Intensität der Arbeit gemeint (BSG, Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 21/09 R). Dabei liegt ein Routinefall auf dem Gebiet des Sozialrechts vor, soweit ein Anspruch auf Sozialleistungen mittels Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Rechtsvorschriften, aber ohne umfangreichere Beweiswürdigung und eingehende Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur dargelegt wird (BSG, a.a.O.). Bei der Beurteilung der rechtlichen Schwierigkeit ist es ferner nicht angebracht, nach einzelnen Rechtsgebieten oder Teilrechtsgebieten zu differenzieren. Vielmehr ist in jedem Rechtsgebiet auf den konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände abzustellen (BSG, Urteil vom 05.05.2010 – B 11 AL 14/09 R). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Schwierigkeit als allenfalls durchschnittlich, nachdem die dem Widerspruch zu Grunde liegenden Rechtsfragen mit einem Routinefall auf dem Gebiet des Sozialrechts zu vergleichen sind, letztlich ging es um den Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für drei Monate, insoweit waren allein die Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes sowie die des darauf gestützten Sanktionsbescheides mittels Subsumtion zu klären. Hierbei stellten sich – bei objektiver Betrachtung – keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten.

Die Bedeutung der Angelegenheit war für den Kläger demgegenüber überdurchschnittlich, nachdem eine Sanktionierung zu 100 % und damit die Frage im Raum stand, ob dem Kläger für einen Zeitraum von drei Monaten überhaupt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustanden.

Hingegen ist ein besonderes Haftungsrisiko des Kläger-Bevollmächtigten von vornherein nicht zu erkennen, auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers erweisen sich als unterdurchschnittlich.

In einer Gesamtschau ergibt sich – in einem ersten Schritt – allenfalls eine Mittelgebühr, nachdem die überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit nicht die im Übrigen unterdurchschnittlich und durchschnittlich vorliegenden Kriterien zu kompensieren vermag. Diese Mittelgebühr war wiederum in einem zweiten Schritt auf die Schwellengebühr abzusenken, weil die Tätigkeit weder umfangreich noch schwierig gewesen ist. Hieran ist das Gericht auch nicht durch die vom Kläger erwähnte Toleranzgrenze von 20 % gehindert, dies schon deswegen nicht, weil sich der Kostenantrag des Kläger-Bevollmächtigten jenseits dieses Rahmens bewegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Berufung haben nicht bestanden, § 144 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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