S 9 R 2821/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 2821/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Aufhebung eines Bescheids über die Bewilligung eines Zuschusses zu den Aufwendungen für die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung richtet sich alleine nach § 108 Abs. 2 S. 1 SGB VI.

2. Ausgehend von der gesetzgeberischen Intention und den systematischen Zusammenhängen gilt § 108 Abs. 2 SGB VI für alle ab seinem Inkrafttreten erlassenen Bescheide, welche einen Zuschuss nach § 106 SGB VI aufheben.

3. Für welchen Zeitraum die aufzuhebenden Zuschüsse nach § 106 SGB VI geleistet wurden ist ebenso wie ein eventuell bestehendes Vertrauen unerheblich.

4. Ein an einen Erben gerichteter Aufhebungs- und Erstattungsbescheid steht ein zuvor an die verstorbene Person adressierter, aber nie zugegangener Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nicht entgegen.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird endgültig auf § 5.165,64 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit steht eine Erstattungsforderung bezüglich überzahlter Zuschüsse zur Krankenversicherung im Rahmen des Rentenbezugs.

Der Kläger ist gesetzlicher Miterbe zu ½ seiner am 14.09.2016 verstorbenen Mutter Frau K, welche bis dahin von der Beklagten eine Hinterbliebenenrente bezog.

Bereits vor dem Versterben hob die Beklagte mit Bescheid vom 01.09.2016 an Frau K. ihren Bescheid vom 03.04.2009 über die Bewilligung des Zuschusses zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung ab dem 01.10.2013 auf. Gleichzeitig machte die Beklagte gegen Frau K. die Erstattung der für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.07.2016 erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 5.257,11 EUR geltend. Die Überzahlung sei dadurch entstanden, dass durch die Krankenkasse eine rückwirkende Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner gemeldet worden sei und der bisher gezahlte Beitragszuschuss zur Rente vom 01.10.2013 bis zum 31.07.2016 in Höhe von 5.257,11 EUR ihr nicht mehr zugestanden habe und daher zu Unrecht geleistet worden sei. Der per Einschreiben versandte Bescheid vom 01.09.2016 wurde von Frau K. nie abgeholt und ging der Beklagten wieder per Retour zu.

Mit Anhörungsschreiben vom 07.12.2016 teilte die Beklagte dem Kläger diesen Sachverhalt mit. Durch den Tod der Mutter des Klägers sei noch keine Rückzahlung des Betrages erfolgt, jedoch sei der mit Bescheid vom 18.08.2016 festgestellte Nachzahlungsbetrag in Höhe von 91,47 EUR bereits verrechnet worden. Es sei daher beabsichtigt, den überzahlten Betrag der Beitragszuschüsse in Höhe von noch 5.165,64 EUR vom Kläger zurückzufordern.

Der Kläger beantragte daraufhin mit Schreiben vom 31.01.2017 den gegen seine verstorbene Mutter ergangenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 01.09.2016 zu überprüfen. Der Kläger begründete seinen Antrag damit, dass eine Aufhebung des Bescheids vom 03.04.2009 über die Bewilligung des Zuschusses zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung für die Vergangenheit nicht gerechtfertigt sei.

Mit Bescheid vom 07.02.2017 an den Kläger teilte die Beklagte mit, dass der Bescheid für Frau K. vom 03.04.2009 für die Zeit vom 01.10.2013 bis zum 31.07.2016 aufgehoben werde. Der infolge der Bescheidaufhebung für den genannten Zeitraum zu Unrecht gezahlte Zuschuss in Höhe von insgesamt 5.165,64 EUR sei zu erstatten.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2017 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 18.08.2017 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Er ist der Auffassung, der im angefochtenen vom 07.02.2017 gegenüber ihm erklärten Aufhebung des Bescheids vom 03.04.2019 stünde die bereits mit Bescheid vom 01.09.2016 gegenüber seiner verstorbenen Mutter erfolgten Aufhebung entgegen. Zusätzlich sei die im Bescheid vom 01.09.2016 erfolgte Aufhebung für die Vergangenheit rechtmäßig. Eine Entscheidung über den am 31.01.2017 gestellten Überprüfungsantrag sei bisher nicht ergangen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 07.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.07.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erachtet die angefochtenen Bescheide weiterhin als rechtmäßig und verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 27.07.2017. Ergänzend merkt sie an, dass der an die verstorbene Mutter des Klägers gerichtete Aufhebungsbescheid vom 01.09.2016 dem Erstattungsanspruch gegen den Kläger nicht entgegenstehe. Denn der Bescheid habe seinerzeit nicht zugestellt werden können. Das Einschreiben sei nicht abgeholt worden. Der Bescheid vom 01.09.2016 sei somit mangels Bekanntgabe nie wirksam geworden. Der angegebene Überprüfungsantrag vom 31.01.2017 liege ihr nicht vor. Selbst wenn er vorläge, hätte der Kläger keinen Anspruch auf Durchführung eines Überprüfungsverfahrens, denn ein rechtlich nicht existenter Bescheid könne nicht Gegenstand eines Überprüfungsverfahrens sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Klage ist in Form der Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zwar zulässig.

Der Kläger ist als einzelner Miterbe eines ungeteilten Nachlasses klagebefugt, da es sich bei dem streitgegenständlichen Bescheid um eine – jedenfalls mittelbar – den Nachlass belastenden Verwaltungsakt handelt (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 27.11.1981, Az.: 4 C 1/81). Jedenfalls ist eine Klagebefugnis bereits deswegen zu bejahen, da sich der angefochtene Bescheid gegen den Kläger selbst richtet.

2. Darüber hinaus ist die Klage jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 07.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat einen Anspruch auf Erstattung, da sie den Bescheid vom 03.04.2009 zu Recht aufgehoben hat.

a) Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheids vom 03.04.2009 liegen vor.

aa) Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Bescheids über die Bewilligung eines Zuschusses zu den Aufwendungen für die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung ist § 108 Abs. 2 S. 1 SGB VI in der ab dem 17.11.2016 geltenden Fassung (vgl. Artikel 4 Nr. 5 des 6. SGB VI-Änderungsgesetzes, BGBl. 2016 I S. 2500 ff.). Danach ist der Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses vom Beginn der Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung an rückwirkend aufzuheben.

bb) Die Anspruchsvoraussetzungen des § 106 SGB VI für den Zuschuss zur Krankenversicherung sind von dem 01.10.2013 an nicht mehr gegeben.

Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem Krankenversicherungsunternehmen, das der deutschen Aufsicht unterliegt, versichert sind, erhalten gemäß § 106 Abs. 1 S. 1 SGB VI zu ihrer Rente einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung. Dies gilt gemäß § 106 Abs. 1 S. 2 SGB VI allerdings nicht, wenn sie gleichzeitig in einer in- oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind.

Nach Mitteilung der für Frau K. zuständigen Krankenkasse ist für Frau K. rückwirkend ab dem 01.10.2013 eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner und in der sozialen Pflegeversicherung begründet worden. Das Ende ihrer freiwilligen Versicherung und der Eintritt der Pflichtmitgliedschaft haben somit zur Folge, dass sie ab dem 01.10.2013 keinen Anspruch auf die Zuschusszahlung mehr gehabt hat.

cc) Die Regelung des § 108 Abs. 2 S. 1 SGB VI findet ferner nur Anwendung, soweit die vom Versicherten entrichteten freiwilligen Krankenversicherungsbeiträge erstattet werden können und noch nicht von der Verjährungseinrede des §&8201;27 Abs. 2 SGB&8201;IV betroffen sind (vgl. § 108 Abs. 2 S. 2 SGB VI). Die gesetzliche Krankenkasse der Frau K. überwies dieser am 13.04.2016 einen Erstattungsbetrag für vom 01.10.2013 bis zum 29.02.2016 zu Unrecht gezahlte freiwillige Beiträge insgesamt 11.401,24 EUR.

dd) Weitere Voraussetzungen waren für die erfolgte Aufhebung nicht zu erfüllen.

§ 108 Abs. 2 S. 3 SGB VI bestimmt, dass im Rahmen einer Aufhebung nach § 108 Abs. 2 S. 1 SGB VI die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Sozialgesetzbuchs (SGB X)) die Vorschriften zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 SGB X) und die Vorschriften zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 SGB X) nicht anzuwenden sind. Damit ist insbesondere ein Vertrauen in den Bestand eines rechtswidrigen Zuschussbescheids durchgehend unbeachtlich.

Auch wenn § 108 Abs. 2 SGB VI erst ab dem 17.11.2016 Wirkung entfaltet, ist er – und nicht § 48 SGB X – für den bereits abgeschlossenen Aufhebungszeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.07.2016 maßgeblich. Denn ausgehend von der gesetzgeberischen Intention und den systematischen Zusammenhängen gilt § 108 Abs. 2 SGB VI für alle ab dem 17.11.2016 erlassenen Bescheide, welche einen Zuschuss nach § 106 SGB VI aufheben. Für welchen Zeitraum die aufzuhebenden Zuschüsse nach § 106 SGB VI geleistet wurden, ist dagegen unerheblich.

So erkannte bereits der Gesetzgeber, dass nach dem bis November 2016 geltenden Recht eine rückwirkende Aufhebung des Zuschussbescheides regelmäßig nicht möglich war (vgl. Gesetzesbegründung – BT-Drucks. 18/8487 S. 51 zu Nr. 5). Um sicherzustellen, dass die Träger der Rentenversicherung keine Doppelbelastung zu bewältigen haben, nämlich Zahlung des Zuschusses nach § 106 SGB VI und des Beitragsanteils zur Krankenversicherung der Rentner, ist die Rückforderung abweichend von §§ 45, 48 SGB X geregelt worden. Der Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses ist immer aufzuheben, ein Ermessen des Trägers ist nicht gegeben, auch hat die Prüfung eines atypischen Sachverhaltes (§ 48 Abs. 1 S. 2 SGB X) nicht stattzufinden. Der gezahlte Zuschuss ist zurückzufordern, weil der ursprüngliche Bewilligungsbescheid in unmittelbaren Zusammenhang mit dem freiwilligen Krankenversicherungsverhältnis und der Zahlung freiwilliger Beiträge steht und durch die Änderung des Versicherungsverhältnisses die Grundlage für den Zuschuss entfallen ist (vgl. BT-Drucks. 18/8487 S. 51 zu Nr. 5). Weil der zu erstattende Betrag für die Erstattung eindeutig ist, soll von einer Anhörung (§ 24 SGB X) abgesehen werden (vgl. von Koch in: Kreikebohm, SGB VI, 5. Auflage 2017, zu SGB VI § 108, Rn. 9).

Das Gesetz sieht zudem keine Übergangsvorschriften vor. Da § 108 Abs. 2 SGB VI eine gebundene Aufhebungsentscheidung ist, die keinerlei Ermessenserwägungen wie die §§ 45, 48 SGB X zulässt, kann nur entscheidend sein, wann die Aufhebungsentscheidung bekannt gegeben wurde. Davon ausgehend legt das Gericht § 108 Abs. 2 SGB VI dergestalt aus, dass dieser auch für Aufhebungszeiträume vor dem 17.11.2016 maßgeblich ist. Nur so kann der im Gesetz angelegte Schutz der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung vor vorschnellen Erstattungen der Krankenversicherung erreicht und eine Doppelbelastung jener vermieden werden.

b) Den angefochtenen Bescheiden steht der an Frau K. versandte aber nie zugegangene Bescheid vom 01.09.2016 nicht entgegen. Zwar wäre dieser ausgehend von dem gerichtlichen Verständnis des § 108 Abs. 2 SGB VI noch an den Voraussetzungen des § 48 SGB X zu messen gewesen. Allerdings ist der Bescheid vom 01.09.2016 mangels Bekanntgabe rechtlich nicht existent.

Zwar gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (vgl. § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X). Dies gilt gemäß § 37 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 SGB X aber nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.

Der per Einschreiben versandte Bescheid vom 01.09.2016 wurde von Frau K. nie abgeholt und ging der Beklagten daher wieder per Retour zu. Da eine Bekanntgabe nicht erfolgt ist, liegt keine nach außen wirksame Regelung und somit kein Verwaltungsakt vor. Der Verwaltungsakt ist nicht erlassen und konnte nicht im Sinne des § 39 SGB X wirksam werden (vgl. Mutschler in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Werkstand: 104. Ergänzungslieferung Juni 2019, zu SGB X § 37, Rn. 21).

c) Der Erstattungsanspruch der Beklagten folgt aus § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist.

Da der Kläger als Erbe gemäß §§ 1922, 1967 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gegenüber der Beklagten als Nachlassgläubiger als Gesamtschuldner haftet, ist der überzahlte Betrag in Höhe von 5.165,64 EUR von ihm zu erstatten. Sind mehrere Erben vorhanden, ist die Beklagte berechtigt, sich nur an einen Erben zu wenden (vgl. § 2058 BGB sowie BSG, Urteil vom 10.07.2012, Az.: B 13 R 105/11 R).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder der Kläger noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich nicht um ein nach § 183 SGG kostenprivilegiertes Verfahren, da der Kläger den Prozess im eigenen Namen und nicht als Sonderrechtsnachfolger im Sinne von § 56 des Ersten Sozialgesetzbuchs (SGB I) betreibt, sondern als sonstiger Rechtsnachfolger (Miterbe). Für diese besteht Kostenfreiheit im ersten Rechtszug nach § 56 Abs. 1 S. 2 SGG nur dann, wenn ein durch den Erblasser bereits begonnener Rechtsstreit durch den oder die Rechtnachfolger fortgeführt wird, was hier nicht der Fall ist. Insoweit handelt es sich um ein kostenpflichtiges Verfahren im Sinne von § 197a SGG.

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 40, 52 Abs. 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
Rechtskraft
Aus
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