S 12 SB 981/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 981/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Ein nicht statthafter Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist vor Erlass des angekündigten Gerichtsbescheides als unzulässig zu verwerfen.

Ein in Verschleppungsabsicht gestellter Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens ist als unzulässig zu verwerfen, wenn er in rechtsmissbräuchlicher Weise gestellt wird, damit die Sechs-Monats-Frist für Zurückverweisungen aus § 131 Abs. 5 SGG nicht mehr eingehalten werden kann.

Bis zur Beseitigung des langjährigen, diskriminierenden und rechtsstaatswidrigen Ermittlungsdefizits der Landesversorgungsverwaltung in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts können sozialgerichtliche Zurückverweisungsentscheidungen zur weiteren Ermittlung und neuerlichen Entscheidung an die Versorgungsverwaltung zumindest im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts Karlsruhe durch Gerichtsbescheid erfolgen.
Der Bescheid des Beklagten vom 04.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2019 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Neufeststellungsantrag vom 18.09.2017 für die Zeit ab dessen Eingang beim Beklagten am 21.09.2017 an den Beklagten zurückverwiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).

Bei dem am 23.05.1959 geborenen Kläger hatte der Beklagte den Gesamt-GdB mit Bescheid vom 13.10.2016 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 06.03.2017 zuletzt mit 30 ab 13.09.2016 unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen festgestellt:

"GdB" Funktionsstörung(en) 20 Diabetes Mellitus 20 Sehminderung rechts

Der Kläger beantragte am 18.09.2017 die Neufestsetzung des GdB. Er teilte dem Beklagten zur Überprüfung seiner gesundheitlichen Verhältnisse die ihn behandelnden Ärzte mit, befreite diese von ihrer Schweigepflicht und legte zur Substantiierung seiner Gesundheitsstörungen einen von ihm ausgefüllten "Fragebogen Diabetes" nebst freitextlicher Erläuterung der hierdurch bedingten Einschnitte in der Lebensführung sowie lückenlose Aufzeichnungen über seine Blutzuckermessungen bzw. Insulin-Dosisberechnungen für einen dreimonatigen Zeitraum vor. Er gab an, inwiefern er aufgrund der Unterzuckerungs-Gefahr beruflich und sozial eingeschränkt sei und beschrieb Schweißausbrüche, Verdauungsstörungen, Konzentrationsstörungen und Stimmungsschwankungen.

Nach medizinischer Ermittlung des Sachverhalts im Wege der Beiziehung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsunterlagen bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin und Innere Medizin und Diabetologie Dr. Kunstmann und bei der Fachärztin für Augenmedizin Dr. Schumacher sowie der sozialmedizinischen Auswertung der Aktenlage meinte der Ärztliche Dienst des Beklagten ohne jegliche Bezugnahme auf die VersMedV oder die VMG oder irgendwelche Ausführungen zur Bildung des Gesamt-GdB, es sei seit 21.09.2017 ein Gesamt-GdB von 40 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen nachgewiesen:

"GdB" Funktionsstörung(en) 40 Diabetes Mellitus 20 Sehminderung rechts 10 Polyneuropathie

Dementsprechend setzte der Beklagte mit Bescheid vom 04.07.2018 den GdB unter gleichzeitiger Aufhebung des Bescheids vom 06.03.2017 ab dem 21.09.2017 auf 40 fest. Hiergegen legte der Kläger am 03.08.2018 im Wesentlichen mit der Begründung Widerspruch ein, die Funktionsstörungen durch Sehminderung und Diabetes überschnitten sich nicht, weshalb der führende Teil-GdB von 40 um 10 auf 50 zu erhöhen sei. Überdies beeinträchtige die Polyneuropathie wegen des Kribbelns in den unteren Gliedmaßen den Nachtschlaf dermaßen, dass ein Einzel-GdB von 20 anzusetzen sei. Der medikamentös nicht zureichend einstellbare Bluthochdruck sei ebenfalls mit 20 zu bemessen.

Der Beklagte zog daraufhin keine weiteren Unterlagen bei, ließ den Kläger nicht ambulant begutachten, sondern lediglich die Aktenlage gutachterlich durch seinen Ärztlichen Dienst – erneut ohne Bezugnahme auf die VersMedV oder die VMG oder Ausführungen zur Bildung des Gesamt-GdB – bewerten. Dieser bestätigte die bisherigen Einschätzungen und führte in einem achtzeiligen Freitext im Wesentlichen aus, die Polyneuropathie sei sehr leicht ausgeprägt, da ausweislich der diabetischen Untersuchung des Fußes am 12.01.2017 die Sensibilitätsprüfungen bis auf ein leicht vermindertes Vibrationsempfinden unauffällig gewesen sei. Zum Bluthochdruck lägen lediglich undatierte diastolische Blutwerte unter 100 mmHg sowie ein einzelner Wert von 150/100 mmHg vom Januar 2017, aber keine Erkenntnisse zur Medikation vor. Daraufhin hat der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2019 (zugestellt am 18.02.2019) zurückgewiesen.

Deswegen hat der Kläger am 15.03.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, eine Schweigepflichtentbindungserklärung für die vier ihn jeweils auf diabetologischem, augenheilkundlichen, orthopädischem und kardiologischem Fachgebiet behandelnden Spezialisten abgegeben, sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren zu Art und Ausmaß seiner krankheitsbedingten Teilhabebeeinträchtigungen wiederholt, ergänzend auf die fachorthopädisch diagnostizierten Gesundheitsstörungen (unter anderem: Chronisch-rezidivierende Lumbalgie, Skoliotische Fehlhaltung links, Spondylarthrose der Lendenwirbelsäule, Adipositas mit Body-Mass-Index von 30 bis unter 35 sowie Funktionelle Störung des Muskel-Skelett-Systems) abgehoben bzw. einen diesbezüglich aktuellen Facharztbericht vorgelegt, in dem es unter den Unterschriften "Befund" bzw. "Röntgen" jeweils hieß: "bekannt, siehe Vorbefunde".

Der seitens des Gerichts mitgeteilten Absicht, die Sache zur erneuten behördlichen Ermittlung und Entscheidung ohne vorherige mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid zurückzuweisen, ist der Kläger nicht entgegengetreten.

Der fachkundig vertretene Kläger beantragt wörtlich:

Der Bescheid vom 04.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2019 wird abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, die Schwerbehinderteneigenschaft im einem GdB von 50 festzustellen.

Die Kammer hat die Beteiligten mit Verfügung vom 02.08.2019 darauf hingewiesen, dass sie erheblichen Ermittlungsbedarf sehe, um über den geltend gemachten Anspruch entscheiden zu können. Der Beklagte dürfe die erforderlichen Begutachtungen nach ambulanter Untersuchung binnen sechs Monaten bzw. deutlich schneller bewerkstelligen können. Das Gericht erachte daher die Zurückweisung der Sache an den Beklagten unter Aufhebung seiner angefochtenen Entscheidung für sachdienlich, damit es möglichst schnell und nicht erst in vielen Monaten oder Jahren eine in der Sache zutreffende Entscheidung geben könne. Das Gericht beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, da die Sache nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei.

Der Beklagte hat der Kammer am 12.04.2019 seine Verwaltungsakte vorgelegt. Er meint, die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheids seien nicht gegeben. Die Sache sei für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht geeignet, da sie besondere Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweise. Dies zeige sich schon daran, dass in der Parallelsache S 12 SB 877/19 eine mündliche Verhandlung von gut eineinhalb Stunden Dauer durchgeführt worden sei und die Kammer ihre Zurückverweisungsentscheidung im Urteil vom 29. Juli 2019 auf insgesamt 31 Seiten begründet habe. Abgesehen davon tendiere die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (bspw. Urteil vom 21. Oktober 2015 - L 5 R 4256/13 -) auch allgemein zu der Auffassung, dass Zurückverweisungsentscheidungen grundsätzlich durch Urteil zu treffen seien, da zumeist besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art vorlägen.

Im Übrigen werfe der Rechtsstreit die allgemeine, bislang höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage auf, inwieweit das Sozialgericht der Verwaltung über das Instrument der Zurückweisung eine bestimmte Art und Weise der Sachverhaltsermittlung vorschreiben kann, obgleich die Behörde im Rahmen der Amtsermittlung Art und Umfang der Sachverhaltsermittlungen bestimme und sich dabei der Beweismittel bediene, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich halte. Das "Wie" der Ermittlungen sei vom Gesetzgeber somit in das Ermessen der Behörde gestellt. Dies gelte auch für die Entscheidung, ob die medizinische Sachverhaltsaufklärung durch den versorgungsärztlichen Dienst im Rahmen einer eigenen ambulanten gutachtlichen Untersuchung oder in Auswertung beigezogener Befundberichte stattfindet.

Das Gericht könne die Ermessensbetätigung nur eingeschränkt überprüfen und dürfe im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung insbesondere nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Äußerst zweifelhaft sei, ob dem Sozialgericht die Befugnis zukomme, der Verwaltung unter Durchbrechung weiten Verwaltungsermessens eine bestimmte Art und Weise der Sachverhaltsermittlung, nämlich die Durchführung von Begutachtungen mit ambulanter Untersuchung, durch Urteil vorzugeben. Zur Klärung dieser grundsätzlichen Frage habe der Beklagte zwischenzeitlich gegen das Urteil der Kammer vom 29. Juli 2019 (-S 12 SB 877/19-) Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Darüber hinaus stehe einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid auch entgegen, dass die Kammer in dem angekündigten Gerichtsbescheid offenbar von der Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte abweichen wolle. Denn die im richterlichen Hinweis geäußerte, vorläufige Rechtsauffassung der Kammer sei mit Entscheidungen z.B. des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Urteile vom 19. April 2012 - L 11 SB 45/11 - und vom 27. Januar 2009 - L 4 R 1519/08-) und des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (Urteil vom 5. Mai 2011- L 7 SB 54/09) nicht zu vereinbaren. Nach diesen Entscheidungen sei nämlich allein das Erfordernis der Einholung eines Sachverständigengutachtens für eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltung nicht ausreichend, da eine solche Beweiserhebung zum sozialgerichtlichen Alltag gehöre und deshalb für die Gerichte regelmäßig nicht mit einem erheblichen Aufwand verbunden sei.

Soweit die Kammer weiter meine, der Beklagte könne "die erforderlichen Begutachtungen nach ambulanter Untersuchung" im Streitfall viel schneller bewerkstelligen als das angerufene Gericht, da er nicht auf externe Gutachter angewiesen sei, sei der Sachverhalt nicht geklärt. Denn es sei unklar, ob der ärztliche Dienst des zuständigen Landratsamts Karlsruhe überhaupt über Fachärzte derjenigen medizinischen Fachrichtungen verfügt, in denen die Kammer eine Begutachtung mit ambulanter Untersuchung für notwendig erachte. Die beabsichtigte Zurückverweisung an den Beklagten sei unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten nicht sachdienlich, wenn der Versorgungsverwaltung im vorliegenden Fall keine bessere Ausstattung als dem Gericht zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts zur Verfügung stehe und von ihr deshalb ebenfalls ein externes Gutachten eingeholt werden müsste. Allein die zeitlichen Vorgaben des § 88 SGG, welche die Kammer in dem richterlichen Hinweis in Bezug nehme, würden nach Auffassung des Beklagten eine Sachdienlichkeit der Zurückverweisung an die Verwaltung nicht zu begründen vermögen. Denn seit jeher sei anerkannt, dass umfangreiche medizinische Ermittlungen der Behörde und die Notwendigkeit der Einholung von Sachverständigengutachten im Verwaltungsverfahren einen zureichenden Grund für die Überschreitung der Entscheidungsfristen (§ 88 Abs. 1 Satz 2 SGG) darstelle.

Schließlich könne sich der Beklagte zu dem entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht substantiiert äußern. Denn die Kammer teile in dem richterlichen Hinweis nicht mit, welchen konkreten Ermittlungsbedarf sie noch sehe und welche weiteren Begutachtungen sie für erforderlich halte. Unter diesen Umständen sei eine inhaltliche Stellungnahme nicht möglich.

Insgesamt erscheine es dem Beklagten auch mit Blick auf die Interessen des Klägers nicht sachdienlich, wenn das Gericht vor Abschluss des bereits angestrengten Berufungsverfahrens weitere Zurückverweisungsentscheidungen treffe, die wegen der grundsätzlichen Problematik wiederum mit der Berufung angefochten werden müssten, wodurch letztlich nur Zeitverzögerungen und zusätzliche Kosten für die Beteiligten entstünden.

Der Beklagte beantragt,

die Anordnung des Ruhens des Verfahrens,

die Durchführung der mündlichen Verhandlung und

die Klageabweisung.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und gemäß § 131 Abs. 1 und 5 SGG begründet im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Bescheide unter Zurückverweisung der angegriffenen Entscheidung an den Beklagten zur neuerlichen Prüfung.

Nach § 131 Abs. 5 Satz 1 und 5 SGG kann das Gericht, hält es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten seit Eingang der Behördenakten aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Das gilt nach § 131 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 SGG auch bei Klagen auf Verurteilung zum Erlass eines Verwaltungsakts der hier vorliegenden Art.

Die Frist für die Zurückverweisung ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung am 10.10.2019 noch nicht abgelaufen, weil seit dem erstmaligen Eingang der Verwaltungsakte am 12.04.2019 bei Gericht noch keine sechs Monate verstrichen sind.

Die Kammer sieht noch erheblichen Ermittlungsbedarf, bevor über das Klägerbegehren entschieden werden kann. Das materiell-rechtliche Begehren des Klägers ist gemäß §§ 123, 106 Abs. 1 Satz 1 SGG auf die Feststellung eines höheren GdB als 50 ab 21.09.2017 gerichtet. Das Ausmaß der durch ihn zu ertragenden Teilhabebeeinträchtigungen aufgrund der von ihm substantiiert vorgetragenen Krankheiten und Behinderungen auf diabetologischem, augenheilkundlichem, orthopädischem und kardiologischem Fachgebiet ist für die Kammer noch nicht mit dem erforderlichen Beweismaß – dem Vollbeweis – feststellbar, ohne das die vorhandenen Beweismittel ausgeschöpft wären.

Rechtsgrundlage für die Feststellung eines GdB ist § 152 Abs. 1 S 1 SGB IX. Nach dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den Gesamt-GdB fest. Als Gesamt-GdB werden dabei nach § 152 Abs. 1 S 5 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wenn nicht ein niedrigerer Gesamt-GdB als 20 gegeben ist, § 152 Abs. 1 S. 6 SGB IX.

Durch den bis zum 14.01.2015 in der Vorgängervorschrift des § 69 Abs. 1 S 5 SGB IX enthaltenen Verweis auf die im Rahmen des § 30 BVG festgelegten Maßstäbe wurde auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem abgestellt, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden sind. Von diesen Mindestvomhundertsätzen leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (VersMedV) ab, wobei die nähere Ausgestaltung in der Anlage zu § 2 der VersMedV, den sogenannten Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG), erfolgt ist. Als Rechtsverordnung binden sie grundsätzlich sowohl Verwaltung als auch Gerichte.

Gemessen an diesen Beurteilungsmaßstäben ist die durch den Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage noch nicht spruchreif. Spruchreif wird sie erst sein, wenn nach Ausschöpfung der Aufklärungsmöglichkeiten entweder festgestellt oder nicht feststellbar sein wird, ob der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 ab 21.09.2017 besteht. Bevor hier über das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigungen des Klägers abschließend entschieden werden kann, besteht noch erheblicher Ermittlungsbedarf, weil zuvor die ihn behandelnden Ärzte (ggfs. schriftlich) als sachverständige Zeugen anzuhören und anschließend (d. h. unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der behandelnden Ärzte) sachverständige ambulante Untersuchungen und Begutachtungen auf diabetologischem, augenheilkundlichem, orthopädischem und (orientierend) kardiologischem Fachgebiet zu veranlassen sind durch solche Ärzte, für welche der Kläger nicht Patient, sondern sozialmedizinischer Proband ist.

Gemäß § 103 Satz 1 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Das Gericht ist nach § 103 Satz 2 SGG an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. § 106 Abs. 2 SGG zufolge hat der Vorsitzende Richter am Sozialgericht bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen. Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1. um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen, 2. Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen, 3. Auskünfte jeder Art einholen, 4. Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen, 5. die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen.

Gemäß § 106 Abs. 4 SGG gelten für die Beweisaufnahme die §§ 116, 118 und 119 SGG entsprechend. Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG ist auf Antrag des behinderten Menschen ein bestimmter Arzt gutachtlich zu hören. § 116 Satz 1 und 2 SGG zufolge werden die Beteiligten von allen Beweisaufnahmeterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen; sie können an Zeugen und Sachverständige sachdienliche Fragen richten lassen und Fragen beanstanden. Soweit dieses Gesetz nichts Anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 ZPO entsprechend anzuwenden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG). Unter Berücksichtigung dieser sozialgerichtsverfahrensrechtlichen Vorgaben können in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts zur sozialmedizinischem Aufklärung von Amts wegen je nach Einzelfall sachverständige ambulante Untersuchungen und Begutachtungen dann zu veranlassen sein, wenn der Kläger mithilfe fachärztlicher Atteste einerseits das Vorliegen einer Behinderung hinreichend substantiiert hat, andererseits die aktenkundigen Berichte der den Antragsteller behandelnden Mediziner für eine abschließende Beurteilung noch nicht zur Bejahung der für den Vollbeweis erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausreichen, etwa wenn tatsächliche Zweifel fortbestehen, weil in den (Untersuchungs-, Behandlungs- bzw. Entlassungs-) Berichten die für die sozialmedizinische Beurteilung maßgeblichen Befunde entweder gar nicht dokumentiert, nicht hinreichend validiert, unschlüssig, nicht nachvollziehbar, veraltet oder anderweitig unzureichend sind und auch nicht durch die Beiziehung von medizinischen Unterlagen oder Auskünften behandelnder Ärzte beschafft werden können (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Hier sind aufgrund des substantiierten Vorbringens des Klägers im Verwaltungs- und Widerspruchs- und Klageverfahren sowie aufgrund der Vorlage bzw. Beiziehung aussagekräftiger Entlassungs- und Befundberichte – einerseits – hinreichend Anhaltspunkte für die Feststellung des geltend gemachten Grades der Behinderung von mindestens 50 gegeben, ohne dass – andererseits – bereits der Vollbeweis des hierfür erforderlichen Gesamt-Ausmaßes aller Teilhabe-Einschränkungen allein durch die aktenkundigen medizinischen Unterlagen und Auswertungen erbracht wäre.

Im vorliegenden Einzelfall werden vor der abschließenden Entscheidung über den GdB eine allein sozialmedizinisch (und nicht therapeutisch) motivierte ambulante Untersuchung des Klägers auf internistischem, orthopädischem und neurologischem Fachgebiet sowie eine sozialmedizinische Begutachtung der Untersuchungsergebnisse von Amts wegen stattfinden müssen. Im Falle einer gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung wäre ggfs. zusätzlich – auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG – noch die Anhörung eines von ihm benannten Arztes und/oder – auf Inanspruchnahme des Fragerechts nach § 116 SGG – die Einholung ergänzender Stellungnahmen der gehörten Ärzte zu veranlassen.

Die tatrichterliche Überzeugungsbildung über den im Fall des Klägers zutreffenden Gesamt-GdB erfordert hier die Durchführung ärztlicher Untersuchungen auf mindestens drei, je nach deren Ergebnis auch auf mehr, medizinischen Fachgebieten, weil die beiden aktenkundigen gutachterlichen Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes des Beklagten sowie die ihnen zugrundeliegenden Berichte über die Gesundheitsstörungen des Klägers keine abschließende sozialmedizinische Bewertung erlauben. Sie beruhen – erstens – nicht auf einer hinreichend aktuellen, vollständigen, fachlich fundierten, von den Zwängen eines Patientenverhältnisses unabhängigen Anamnese, Befunderhebung, Diagnostizierung und unvoreingenommener Würdigung des bisherigen Therapieverlaufs auf denjenigen medizinischen Fachgebieten, auf denen für den Gesamt-GdB erhebliche Funktionsstörungen vorliegen könnten. Die beiden gutachterlichen Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes lassen – zweitens – keine nachvollziehbare sozialmedizinische Würdigung erkennen, welche seitens des Gerichts auf ihre Schlüssigkeit hin überprüfbar wäre.

Weiterer Ermittlungsbedarf besteht zuvörderst im Hinblick auf die sozialmedizinische Bildung des Gesamt-GdB.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Gesamt-GdB gemäß § 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX ferner nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Folglich werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (§ 2 Abs. 1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen bestimmt. In einem zweiten Schritt sind diese mit einem Einzel-GdB zu bewerten und den jeweils unter Teil A Ziff. 2 Buchstabe e) der VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen. Innerhalb der Funktionssysteme sind die jeweiligen Einzel-GdB sodann zu einem Teil-GdB zusammen zu fassen. In einem dritten Schritt ist gemäß Teil A Ziff. 3 der VMG dann in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Teil-GdB in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle feste Grade angegeben sind.

Gemessen hieran kann die Kammer noch keine abschließende Bewertung des Gesamt-GdB vornehmen. Sie verfügt selbst nicht über hinreichend eigene sozialmedizinische Expertise, um die wechselseitigen Auswirkungen der durch den Beklagten wegen der einzelnen Funktionssysteme als Behinderungen anerkannten Teilhabebeeinträchtigungen des Klägers zu bewerten. Die Kammer kann sich insofern auch nicht auf eine nachvollziehbare und schlüssige sozialmedizinische Auswertung eines hierzu qualifizierten Arztes stützen.

Zwar ist die Bewertung des GdB nicht die vordringliche Aufgabe des medizinischen Sachverständigen. Wenn es indessen darum geht, alle Behinderungsmomente in einer Gesamtschau unter Beachtung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander einzuschätzen sind ärztliche Meinungsäußerungen jedoch unerlässlich. Ihnen kommt zwar bei der GdB-Schätzung keine bindende Wirkung zu; sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage (Fortführung von BSG, 27.01.1987, 9a RVs 53/85), so auch hier.

Im Fall des Klägers kann sich die Kammer insbesondere nicht auf die im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen stützen. Sie enthalten zwar die Nennung eines "Gesamt-GdB" sowie eine Auflistung verschiedener (Einzel- oder Teil-?) "GdB". Es fehlen jedoch jeweils erschöpfende Ausführungen über die Bildung des Gesamt-GdB unter Anwendung der oben zitierten Vorgaben. Die gutachterlichen Stellungnahmen sagen letztlich viel zu wenig darüber aus, wie sich alle festgestellten Behinderungen im Zusammenwirken zueinander funktional auswirken. Hierzu hätte es in Anbetracht von Anzahl, Art und Ausmaß der erheblichen Gesundheitsstörungen bzw. Teilhabebeeinträchtigungen überzeugender sozialmedizinischer Ausführungen bedurft.

Überdies steht im vorliegenden Einzelfall einer abschließenden Bewertung des Gesamt-GdB vorliegend auch entgegen, dass die Kammer schon die vom Ärztlichen Dienst des Beklagten denknotwendig vor dem Gesamt-GdB gebildeten und später zusammengefassten "GdB" teilweise nicht nachvollziehen kann. Für die Kammer ist in den gutachterlichen Stellungnahmen und hinsichtlich sämtlicher Einzel-Funktionsstörungen bereits nicht erkennbar, anhand welcher konkreten Beurteilungsmaßstäbe die einzelnen, durch den Ärztlichen Dienst als nachgewiesen angesehenen Funktionsstörungen bewertet wurden. Es fehlt insofern zunächst jeweils eine Bezugnahme auf VersMedV bzw. VMG. In Unkenntnis der konkret heranzuziehenden Beurteilungsmaßstäbe vermag die Kammer erst recht nicht mit einer dermaßen hohen Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass dahingehend keine vernünftigen Zweifel mehr geboten wären, inwieweit diesbezügliche Beurteilungsspielräume bestehen bzw. auszuschöpfen sind.

Die Klage wäre außerdem selbst dann nicht spruchreif, wenn sich die Kammer die sozialmedizinische Kompetenz anmaßte, allein mithilfe der rudimentären Tabellen und Bemerkungen des Ärztlichen Dienstes des Beklagten sowie unter Heranziehung des für den medizinischen Laien nicht selbstverständlichen Wortlauts der VMG selbst (Einzel-, Teil- bzw. Gesamt-) GdB zu bestimmen, weil in tatsächlicher Hinsicht zu starke Zweifel über Art und Ausmaß der Behinderungen des Klägers verblieben.

Zur Überzeugung der Kammer reichen in diesem Einzelfall die durch den Kläger vorgelegten und die durch den Beklagten beigezogenen medizinischen Unterlagen für eine abschließende Beurteilung noch nicht zur Bejahung der für den Vollbeweis erforderlichen Wahrscheinlichkeit aus, da Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die für die sozialmedizinische Beurteilung maßgeblichen Befunde darin nach unzureichender Validierung und zudem unvollständig dokumentiert worden sind und zudem nicht (mehr) den hier maßgeblichen Zeitraum abdecken. Ebenso wenig wird unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände allein durch die Beiziehung medizinischer Unterlagen bzw. Auskünfte seitens der behandelnden Ärzte eine hinreichende Beweismittellage erreicht werden können.

Im Einzelfall kann absehbar sein, dass allein die Einholung von Auskünften der Behandler unzureichend wäre, um umfassende, aktuelle und hinreichend objektivierte medizinische Befunde, anamnestische Angaben, fachärztliche Diagnosen und Therapieverläufe als sozialmedizinisch maßgebliche Anknüpfungstatsachen zu erheben bzw. eine schlüssige und nachvollziehbare Bewertung der strittigen Gesamt-Teilhabebeeinträchtigung zu ermöglichen, denn unter Umständen unterscheiden sich die Untersuchungsziele, -methoden und -ergebnisse in Abhängigkeit davon, ob eine Person entweder zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken oder zum Zwecke der sozialmedizinischen Beurteilung ärztlich untersucht wird (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Bei lebensnaher Betrachtung sind im Zuge der Auswertung der Angaben behandelnder Ärzte Zweifel geboten, ob und ggfs. inwiefern die Belastbarkeit ihrer Befundberichte, Diagnosen und sozialmedizinischen Einschätzungen unter legitimen Eigeninteressen sowie Ansprüchen ihrer Patienten leidet. Eine über vernünftige Zweifel regelmäßig erhabene Richtigkeit jeglicher Angaben seitens behandelnder Ärzte kann hingegen nicht für jeden Einzelfall unterstellt werden. Vielmehr ist bei deren Auswertung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass medizinische Behandler bei der Dokumentation ihrer Untersuchungen und Therapien sowie bei der Auskunft-Erteilung gegenüber Behörden und Gerichten einen wahren Drahtseilakt meistern müssen (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Seitens eines orthopädisch behandelnden Facharztes bedarf es zur Diagnose und Auswahl therapeutischer Mittel naturgemäß nicht der Erhebung oder Dokumentation der Befunde, welche zur sozialmedizinischen Beurteilung unabdingbar sind. Die genaue Feststellung der Bewegungsmaße der betroffenen Gliedmaßen in den jeweils einschlägigen Bewegungsformen ist von behandelnden Orthopäden nicht zu erwarten. Noch weniger kann von ihnen eine Objektivierung der vorgetragenen Beschwerden verlangt werden, welche hingegen Kernbestandteil jeder zwecks sozialmedizinischer Bewertung durchgeführten ambulanten fachorthopädischen Untersuchung seitens eines mit dem Probanden nicht durch ein Patientenverhältnis verbandelten Gutachters ist (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Den nach alldem noch zu veranlassenden Begutachtungen selbst muss zur Ausschöpfung der Erkenntnismöglichkeiten bzw. Abrundung der Aktenlage in der Regel eine Beiziehung medizinischer Auskünfte seitens der von der Klägerin zur Untersuchung und Behandlung seiner Gesundheitsstörungen in Anspruch genommenen Mediziner vorausgehen (vgl. SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren sowie des Inhalts des von Amts wegen beigezogenen medizinischen Unterlagen ist in diesem Einzelfall die ernsthafte Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass der Gesamt-GdB hier höher zu bewerten sein könnte, als der Beklagte außergerichtlich festgestellt hat. Bereits eine Gegenüberstellung der im Fall des Klägers vom Beklagten als nachgewiesen angesehenen Funktionsstörungen mit den diesbezüglich aktenkundigen medizinischen Unterlagen zeigt, dass eine der Amtsermittlungspflicht und dem (Voll-) Beweismaß genügende Sachaufklärung erfordert, zur sozialmedizinischen Bewertung der Einzel- bzw. Teil-GdB auf internistischem, orthopädischem und neurologischem Fachgebiet jeweils sozialmedizinisch motivierte Untersuchungen und Begutachtungen durchführen zu lassen, weil andernfalls die für die sozialmedizinische Beurteilung maßgeblichen Befunde ohne Ausschöpfung der vorhandenen Erkenntnismittel für die tatrichterliche Überzeugungsbildung unzureichend blieben.

Fachorthopädisch ist insbesondere aufzuklären, ob, seit wann und in welchem Ausmaß im Funktionssystem des Rumpfes solche Funktionsstörungen zu beklagten sind, welche einen Teil-GdB von zumindest 20 rechtfertigen. Anhaltspunkte hierfür bestehen, weil ausweislich des aktenkundigen fachorthopädischen Berichts bereits länger bekannt und zudem röntgendiagnostisch gesichert ist, dass der Kläger unter chronischen Gesundheitsstörungen an der Lendenwirbelsäule leidet, welche nach Teil B Ziffer 18.9 VMG ohne Weiteres einen Einzel- bzw. Teil-GdB von mindestens 20 bedingen könnten, wenn häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome vorliegen oder entsprechende Bewegungseinschränkungen gegeben sind, was gutachterlich ambulant zu untersuchen und unter Berücksichtigung der aktenkundigen Beschwerdeschilderung nach einer gebotenen Konsistenzprüfung zu bewerten ist.

Internistisch ist aufzuklären, wie sich die Blutwerte entwickelt haben, da insofern die letzten datierten Erkenntnisse den Zeitpunkt Januar 2017 (d. h.: von vor zwei Jahren und neun Monaten) betreffen und den aktuellen Stand nicht mehr zuverlässig abbilden. Überdies interessiert, unter welcher Medikation die bisherige Therapie des Bluthochdrucks die Symptomatik (nicht) dauerhaft bessern konnte. Ob für die Dokumentation des Behandlungsverlaufs eine Befragung des behandelnden Arztes unter ergänzender Anamnese im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung durch einen Fachinternisten erfolgen muss oder auch von einen fachfremden, aber sozialmedizinisch geschulten Arzt bewerkstelligt werden kann, sowie, inwieweit es wegen wiederholter Blutdruckmessungen mit Werten von über 100mmHg einer Langzeitblutdruckmessung bedarf, ist vom Ärztlichen Dienst des Beklagten nach dem weiteren Ermittlungsverlauf zu bewerten. Maßgeblich wird dabei vor allem sein, ob ein für den Gesamt-GdB erheblicher Teil-GdB von 20 trotz bestmöglicher Therapie insbesondere wegen Folgeschäden (Augenhintergrund, Linksherzhypertrophie, etc.) im Einzelfall ernstlich in Betracht kommt. Schließlich interessieren die funktionellen Auswirkungen der Adipositas bzw., ob inzwischen der BMI bereits über 40 liegt, ferner, ob und ggfs. wie sich dieser Umstand auf Einzel-, Teil- bzw. Gesamt-GdB auswirkt und, ob zu den bereits aktenkundigen Einschränkungen der Teilhabe durch den Diabetes ggfs. gravierendere hinzugekommen sind.

Auch in neurologischer Hinsicht interessiert, ob sich die Polyneuropathie der diesbezüglichen Untersuchung am 12.01.2017 (d. h. binnen der letzten drei Jahre) so verschlimmert hat, wie es der Kläger dargelegt hat.

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nach Art und Umfang "erheblich" im Sinne des § 131 Abs. 5 SGG. Für die Frage der Erheblichkeit gilt ein den Anforderungen des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG für eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme vergleichbarer Maßstab. Die Erheblichkeit der Ermittlungen kann sich aus der Art, Zeitdauer, dem Umgang und den personellen Möglichkeiten des Gerichts ergeben. Von einer solchen ist auszugehen, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erfordert (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 27.01.2012, L 13 SB 212/11). Seit der letzten Gesetzesänderung von 2008 ist diese Voraussetzung bereits dann zu bejahen, wenn auf lediglich einem einzigen medizinischen Fachgebiet die Einholung eines Sachverständigengutachtens nötig ist (LSG Berlin-Brandenburg, 24.4.2012, L 13 SB 10/12). Angesichts des ausdrücklichen Zwecks der Neuregelung zum 01.04.2008, die Sozialgerichtsbarkeit nachhaltig zu entlasten (BT-Drs 16/7716 S 1), ist es nicht geboten, die Vorschrift derart restriktiv auszulegen, dass ihr kein sinnvoller Anwendungsbereich mehr verbleibt (SG Karlsruhe, 09.05.2014, S 15 U 4024/13; Landessozialgericht Baden-Württemberg, 20.10.2015, L 11 R 2841/15). Auch widerspricht es bereits dem Wortlaut "erheblich", wenn nicht einmal der Einsatz des zeit-, kosten- und arbeitsintensivsten der in § 106 Abs. 3 SGG übrigens nach ihrer Aufwendigkeit unter Ziffer 1. bis 5. geordneten Beweismittel als unerheblich angesehen würde, denn die Beweiserhebung durch Sachverständige bedeutet – wegen des Fehlens eines eigenen Ärztlichen Dienstes an Sozialgerichten – sowohl in sächlicher (bzw. pekuniärer) Hinsicht regelmäßig die Verwendung von Beträgen vierstelliger Größenordnung, dauert zwischen regelmäßig drei bis manchmal deutlich mehr Monaten und ist – mit Blick auf den zeitintensiven bzw. richterlichen Einsatz bei der gedanklichen Durchdringung und Würdigung des einzuholenden Gutachtens – auch in personeller Hinsicht sehr arbeitsintensiv, zumal ggf. durch das erste Sachverständigengutachten zuvor nicht absehbare weitere Ermittlungen veranlasst werden. An ihrer hierzu gegensätzlichen Rechtsprechung haben die vom Beklagten zur Rechtsverteidigung in Bezug genommenen Landessozialgerichte (LSG Sachsen-Anhalt, Sachsen-Anhalt, Urteil vom 05.05.2011, Az. L 7 SB 42/09; LSG BB, 19.04.2012, L 11 SB 45/11) – soweit ersichtlich – seit vielen Jahren nicht festgehalten, zumal ihre Entscheidungen schon deshalb nicht überzeugten, weil sie die Diskrepanz nicht aufzulösen vermochten, welche zwischen der – vermeintlich wegen der Unerheblichkeit einer Sachverständigenbegutachtung – verkündeten Aufhebung der sozialgerichtlichen Zurückverweisung und der zugleich – wegen der Erheblichkeit der erforderlichen Sachverständigenbegutachtung – verkündeten landessozialgerichtlichen Zurückverweisung an das Sozialgericht bestand.

Die Kammer hält es auch für sachdienlich, die Sache an den Beklagte zurückzuweisen.

Die Entscheidung zur Zurückweisung nach § 131 Abs. 5 SGG steht im Ermessen des Gerichts. Es muss deshalb zunächst prüfen, ob es sich im Einzelfall zu einer Zurückweisung an die Behörde entschließt oder stattdessen die unterlassene Sachverhaltsaufklärung selbst nachholt und die Sache spruchreif macht.

Die ausdrücklich auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen erstreckte Regelung des § 131 Abs. 5 SGG begründet eine Ausnahme von der Verpflichtung der Gerichte, die bei ihnen anhängigen Sachen grundsätzlich selbst spruchreif zu machen (Hauck in Hennig, SGG, § 131 SGG, Rn. 114 m.w.N., Stand August 2011). In Anlehnung an die Vorschriften des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO und § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO soll sie den Gerichten im Interesse einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits eigentlich der Behörde obliegende zeit- und kostenintensive Sachverhaltsaufklärungen ersparen und einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung entgegenwirken, wenn die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist (BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 14 AS 4/18 R –, Rn. 14, m. w. N.). Da nach dem Wortlaut dieser Norm die Belange der Beteiligten "auch" besonders zu berücksichtigen sind, sind – im Umkehrschluss – bei der Bewertung der Sachdienlichkeit – neben diesen – auch sämtliche sonstigen öffentlichen Belange in die Abwägung einzustellen vorausgehen (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Die Zurückverweisung setzt insofern in der Regel voraus, dass der Beklagte nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung die Ermittlungen inhaltlich besser oder schneller durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, diesen tätig werden zu lassen. Die Berücksichtigung der Belange der Beteiligten, die sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet, ist bei Verpflichtungsklagen und kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen von besonderer Bedeutung, weil hier das Bedürfnis des Klägers nach einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung wesentlich stärker ist als bei reinen Anfechtungsklagen. In der Regel ist hier ein gravierendes Ermittlungsdefizit erforderlich (MKLS/Keller, 12. Aufl. 2017, SGG, § 131, Rn. 19a, m.w.N.). Als "gravierend" ist ein Ermittlungsdefizit jedenfalls dann anzusehen, wenn eine Behörde im konkreten Einzelfall zwingend gebotene Sachverhaltsaufklärungen in besonders großem Umfang unterlassen hat (BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 14 AS 4/18 R –, Rn. 15, m.w.N.). Jedenfalls bei einer vollständig unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung ist der Ausnahmecharakter des § 131 Abs. 5 SGG mit der Zurückverweisung in die Verwaltung nicht verkannt. Die mit der Zurückweisung intendierte Entlastung des Gerichts ist mit den Interessen eines Klägers unter Umständen auch dann vereinbar, wenn die Behörde zur sachgerechten Prozessvertretung umfangreiche medizinische Unterlagen genauso durchzuarbeiten hätte, wenn das Sozialgericht die Sache selbst spruchreif machen würde (BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 14 AS 4/18 R –, Rn. 15, m.w.N.).

Wenn ein Rechtsstreit nur mittels Einholung von Sachverständigengutachten auf drei oder mehr medizinischen Sachgebieten spruchreif gemacht werden kann, müssen die Ermittlungen seitens eines personell und sachlich hinreichend ausgestatteten Ärztlichen Dienstes der für die sozialmedizinischen Ermittlungen zuständigen Behörde ausgeführt werden, weil Sozialgerichte die Sachverhaltsaufklärung in aller Regel allein mithilfe externer Gutachter nicht in der gebotenen Geschwindigkeit zu bewerkstelligen vermögen, da mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung mehr als ein Jahr seit der Erhebung einiger der sodann zugrunde zu legenden Befunde auf zumindest einem der drei medizinischen Fachgebiete vergangen sein würde und insofern – gemessen an der vom BSG insofern angenommen Jahresgrenze (vgl. für die Jahresfrist: BSG, 27.01.1987, 9a RVs 53/85) – mit den Amtsermittlungen wieder und wieder von vorne anzufangen wäre vorausgehen (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Jedenfalls im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts Karlsruhe sind in allen Streitigkeiten des Schwerbehindertenrechts, in denen im Einzelfall nach Art und Umfang noch als erheblich anzusehende sozialmedizinische Ermittlungen über Art und Ausmaß behinderungsbedingter Teilhabeeinschränkungen nötig sind, bevor in der Sache entschieden werden kann, bis zur Beseitigung des langjährigen, diskriminierenden und rechtsstaatswidrigen Ermittlungsdefizits der Landesversorgungsverwaltung die Eignung, die Erforderlichkeit und die Sachdienlichkeit der Zurückverweisung an den Beklagten im Sinne des § 131 Abs. 5 SGG zu bejahen, weil die Zurückverweisung dem öffentlichen Interesse an einer verfassungsmäßigen Verwaltung, dem Interesse beider Beteiligten an der Beschleunigung des Verfahrens und dem pekuniären Interesse des Beklagten an einem möglichst niedrigen Kostenaufwand dienen (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

In Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts unterlässt die zuständige (Landes-) Versorgungsverwaltung des Bundeslandes Baden-Württemberg seit Jahren – wenn nicht Jahrzehnten – in abertausenden, gleichartigen Fällen systematisch zwingend bundesgesetzlich gebotene Beweiserhebungen und unterschreitet zu Lasten aller Menschen mit (schweren) Behinderungen bewusst ihr Auswahlermessen bezüglich der Mittel der sozialmedizinischen Aufklärung aus Kostenerwägungen heraus (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Die vom Gericht beigezogenen und ausgewerteten Statistiken und Beweismittel belegen die außerordentliche Schwere und Dauer, mit welcher sich das Bundesland ohne Rücksicht auf die Besonderheiten jedes Einzelfalls seiner Aufklärungspflicht aus §§ 20, 21 SGB X zum Trotz der hierfür erforderlichen personellen und sachlichen Ausstattung entledigt hat und sich der Sozialgerichtsbarkeit unter missbräuchlicher Ausnutzung der sozialgerichtlichen Amtsermittlungspflicht als einer ihr vermeintlich irgendwie nachgelagerten Außenstelle für sozialmedizinische Amtsermittlungen bedient (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Weder eine seit Jahren strukturell unzureichende Ausstattung einer Behörde (hinsichtlich Personal, Arbeitsmitteln und Räumlichkeiten) noch die hierdurch bedingten regelmäßig unangemessenen Bearbeitungszeiten noch eine bei der Wahl der Mittel der Amtsermittlung damit verursachte systematische Unterschreitung des Auswahlermessens auf die Einholung sozialmedizinischer Gutachten allein nach Lage der Akten bzw. ohne eigene ambulante Untersuchungen stehen der Sachdienlichkeit einer Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG entgegen, weil einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis keine normative Kraft zukommt, da die Verwaltung wegen des Rechtsstaatsprinzpips aus Art. 20 Abs. 3 GG an das Gesetz gebunden ist und nicht umgekehrt (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Da sich eine Behörde im Falle einer gerichtlichen Zurückverweisung zur Neuentscheidung gemäß § 131 Abs. 5 SGG für die Durchführung des weiteren Verwaltungsverfahrens nach der gesetzgeberischen Wertung aus § 88 Abs. 1 SGG regelmäßig höchstens sechs Monate Zeit lassen darf, hat sie ihren Ärztlichen Dienst in sachlicher und persönlicher Hinsicht so auszustatten, dass die Notwendigkeit einer oder mehrerer ambulanter Begutachtungen regelmäßig keine Überschreitung der Sechs-Monats-Frist bedingt (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19). Nicht zu überzeugen vermag der diesbezügliche Einwand des Beklagte, es sei seit jeher anerkannt, dass umfangreiche medizinische Ermittlungen der Behörde und die Notwendigkeit der Einholung von Sachverständigengutachten im Verwaltungsverfahren einen zureichenden Grund für die Überschreitung der Entscheidungsfristen darstellen, denn alltägliche Geschäfte rechtfertigen Letztere gerade nicht zureichend und die Beweiserhebung mittels Einholung eines Sachverständigengutachtens gehört – wie der Beklagte zur Klageerwiderung bezogen auf das Sozialgericht selbst ausführt – für eine von Amts wegen mit der Feststellung des GdB und der Zuerkennung behinderungsbedingter Nachteilsausgleiche befassten Stelle buchstäblich zum Ermittlungs-"Alltag".

Binnen sechs Monaten ist hingegen der Abschluss von Amtsermittlungen in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts im Bundesland Baden-Württemberg von Seiten der Sozialgerichte bis auf Weiteres regelmäßig selbst dann unmöglich zu bewerkstelligen, wenn nur auf einem einzigen medizinischen Fachgebiet ein Sachverständigengutachten extern eingeholt werden muss. Eine gerichtliche Nachholung einer außergerichtlich unterlassenen Begutachtung unter externer ambulanter Untersuchung dauert nämlich schon wegen des Anspruchs der Beteiligten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 GG und der damit regelmäßig unumgänglichen, zweimaligen Befassung des Ärztlichen Dienstes des Beklagten (sowohl nach Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte als auch nach Erstattung extern in Auftrag gegebener Gutachten) in der Regel länger als sechs Monate, denn allein mit den sozialmedizinischen Auswertungen der in Gerichtsverfahren beigezogenen Unterlagen seitens des Ärztlichen Dienstes der Versorgungsverwaltung des Landes Baden-Württemberg sind jeweils monatelange Bearbeitungszeiten verbunden, zumal weitere monatelange Verzögerungen mit der gebotenen Beiziehung von Zeugenauskünften seitens der behandelnden Ärzte und der Erstellung eines einzigen externen Sachverständigengutachtens schlechterdings nicht zu vermeiden sind.

Tragen ausgerechnet staatliche Instanzen der Bindung aller Rechtsunterworfenen an die Gesetze und ihre verbindliche Interpretation durch die hierzu berufenen Gerichte nicht Rechnung, wird die Axt an die Wurzel des Rechtstaates gelegt. Auch dauerhafte strukturelle Defizite bei der Umsetzung gesetzlicher Regelungen sind rechtsstaatlich nicht hinnehmbar. In Baden-Württemberg müssen die zuständigen Behörden der (Landes-)Versorgungsverwaltung die ihnen originär zugewiesenen Verwaltungsaufgaben der Tatsachenfeststellung und -würdigung selbst erfüllen, anstatt sie kompetenzordnungswidrig zu vernachlässigen und systematisch auf die Sozialgerichtsbarkeit abzuwälzen. Es ist nicht deren Aufgabe, über Jahre hinweg, in uferlosem Ausmaß Behördenermittlungen nachzuholen (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

In einem Rechtsstaat darf nicht in Kauf genommen werden, dass regelmäßig (aufgrund eines gravierenden, systematischen Ermittlungsdefizits folgefehlerhaft auch) materiell-rechtlich rechtswidrige Einzelfallentscheidungen in hoher Anzahl rechtlich bindend werden (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

In einem Rechtsstaat darf auch die materielle Richtigkeit gerichtlicher Entscheidungen nicht darunter leiden, dass im Zuständigkeitsbereich einer systematisch untätigen Behörde zwei vorherige Tatsacheninstanzen (nämlich: Ausgangs- und Widerspruchsbehörde) keine ernstliche Prüfung der Sach- und Rechtslage vornehmen und von den (einschließlich der Berufungsinstanz) gesetzgeberisch intendierten vier Tatsachen-Instanzen letztlich nur die Hälfte ernstliche Anstrengungen unternimmt, um die tatsächlichen Verhältnisse zu ermitteln, welche für die rechtliche Beurteilung ausschlaggebend sind (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Unter dem Gesichtspunkt des Gleichberechtigungsgebots aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes darf nicht hingenommen werden, dass die förmliche Anerkennung des zutreffenden Grades der Behinderung bzw. gesundheitlicher Merkzeichen ganz wesentlich von Umständen solcher Art und solchen Gewichts abhängen, die keine Benachteiligung rechtfertigen. Zur Durchsetzung der subjektiven Ansprüche auf Feststellung des GdB bzw. von Merkzeichen ist in Baden-Württemberg bislang in zahlreichen Fällen die Beschreitung des Sozialrechtsweges nötig. Die ggfs. behinderungsbedingt fehlende Fähigkeit bzw. Bereitschaft (schwer) behinderter Menschen, die mit dem (Sozial-)Rechtsweg verbundenen nervlichen, zeitlichen und finanziellen Aufwendungen, Verzögerungen und Risiken in Kauf zu nehmen, rechtfertigt die Vorenthaltung ihrer diesbezüglichen Rechte nicht (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Eine systematische Zurückweisung in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts dient dem Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Verwendung öffentlicher Mittel aus § 7 Abs. 1 LHO BW. Das Land Baden-Württemberg belastet durch sein systematisches Ermittlungsdefizit in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts in haushaltspolitisch unwirtschaftlicher Weise die Landeskasse. Es richtet seine Ärztlichen Dienste personell und sachlich nicht so ein, dass diese ausreichende sozialmedizinische Expertise aus ei(ge)ner Hand kosteneffizient bereithalten und bedient sich stattdessen der Sozialgerichtsbarkeit als ungleich teurerer "Außenstelle für sozialmedizinische Begutachtungen" unter Heranziehung privater Sachverständiger (SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Irgendwelche Gründe, aus denen eine Zurückweisung im vorliegenden Einzelfall nicht sachdienlich bzw. nicht ermessensgerecht sein sollte, sind weder zur Überzeugung der Kammer vorgetragen noch von Amts wegen ersichtlich.

Dies gilt insbesondere auch, soweit der Beklagte ernstlich in Zweifel zieht, ob Sozialgerichte die Ermessensausübung bei der behördlichen Auswahl der Mittel der Sachverhaltsaufklärung überhaupt überprüfen dürfen, obwohl allgemein anerkannt ist, dass Gerichte zu überprüfen haben, ob ein Fall sogenannter "Ermessensunterschreitung" vorliegt, in dem die Verwaltung nicht alle in Betracht kommenden Handlungsoptionen geprüft hat (vgl. MKLS/Keller, 12. Aufl., 2017, SGG § 54, Rn. 27 ff.), was jedenfalls dann der Fall ist, wenn sie – wie hier – rechtlich zulässige ambulante Untersuchungen zwecks sozialmedizinischer Begutachtung schon prinzipiell nicht veranlasst. Das Verständnis des Beklagten zum Prüfungsumfang des Gerichts würde den Anwendungsspielraum von § 131 Abs. 5 SGG auf Null reduzieren und verstößt damit dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen.

Der Antrag des Beklagten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGG als unzulässig verworfen, weil er gegen eine Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht statthaft ist (und überdies selbst gegen diesen Gerichtsbescheid nicht statthaft ist, weil gegen ihn die Berufung gegeben ist, da eine solche nach § 143 SGG auch zulässig gewesen wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte, denn eine Berufung hätte wegen der streitbefangenen Feststellungen keiner Zulassung bedurft, vgl. § 144 Abs. 1 SGG).

Das Gericht entscheidet über all dies gemäß §§ 105, 3 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach vorangegangener Anhörung der Beteiligten ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter und ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Ohne Erfolg moniert der Beklagte, das Gericht hätte nicht bereits mit der Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid mitgeteilt, welchen konkreten weiteren Ermittlungsbedarf es sehe.

Zweck der Anhörung ist es, den Beteiligte Gelegenheit zu geben, Gründe für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vorzubringen oder Beweisanträge zu stellen. Gründe für die Absicht des Gerichts brauchen nicht im Einzelnen mitgeteilt zu werden. Das Gericht ist auch sonst grundsätzlich nicht verpflichtet, den Beteiligten mitzuteilen, aus welchen rechtlichen Überlegungen es die Klage für begründet hält, so wünschenswert ein Rechtsgespräch auch ist, denn es muss auch vermieden werden, den Gesetzeszweck durch überzogene Anforderungen zu vereiteln (MKLS/B. Schmidt, 12. Aufl. 2017, SGG, § 105 Rn. 10a). Überdies sind dem Beklagten die Anforderungen, die das Sozialgericht an die Verwertbarkeit gutachterlicher Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes stellt, aus der von ihm zur Rechtsverteidigung in Bezug genommenen Gerichtsentscheidung vom 29.07.2019 im Verfahren S 12 SB 877/19 genauso wohl bekannt wie dessen Erwägungen zur Sachdienlichkeit von Zurückverweisungen in Fällen vergleichbarer Art. Da die Kammer von den dort aufgestellten Grundsätzen hier nicht abweicht, ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör bestens Genüge getan.

Einer gerichtlichen Entscheidung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid stehen weder das Erfordernis der Klärung des Sachverhalts noch die Voraussetzung, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher Art aufweisen darf, generell entgegen (LSG Baden-Württemberg, 21.10.2015, L 5 R 4256/13). Benn beides bezieht sich nur auf den entscheidungserheblichen Sachverhalt. Dieser beschränkt sich im Fall der Zurückverweisung aber auf die Umstände, die für die Beurteilung nach § 131 Abs. 5 S. 1 SGG erforderlich sind (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, 04.01.2006, L 6 SB 197/05; MKLS/B. Schmidt, 12. Aufl., 2017, SGG § 105, Rn. 7a).

Dies zugrunde gelegt steht – entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten – der Entscheidung durch Gerichtsbescheid hier auch nicht entgegen, dass die sächliche und persönliche Ausstattung des Ärztlichen Dienstes des örtlich zuständigen Versorgungsamtes des Beklagten weder dem Beklagten selbst noch dem Gericht im Einzelnen bekannt und insofern der Sachverhalt nicht geklärt ist. Die Aufklärung dieser Umstände ist nämlich nicht streiterheblich. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung ist der unbestimmte Rechtsbegriff der "Sachdienlichkeit" normativ zu betrachten bzw. auszulegen. Der Beklagte darf sich nach Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. §§ 20, 21 SGB X i. V. m. § 88 Abs. 1 SGG deshalb gerade nicht darauf ausruhen, dass er sich der für seine Aufgabenerfüllung nicht selten nötigen persönlichen und sachlichen Mittel für die Durchführung ambulanter Untersuchungen in rechtswidriger Weise möglicherweise ganz oder teilweise entledigt hat, s.o. (vgl. BSG, 08.12.1993, 14a RKa 1/93).

Auch soweit der Beklagte vorbringt, die Schwierigkeit von Zurückverweisungen der vorliegenden Art habe sich im Parallelverfahren S 12 SB 877/19 in der Durchführung einer gut 90-minütigen Verhandlung sowie einer 31-seitigen Entscheidungsbegründung gezeigt, folgt ihm das Gericht nicht. In ihrer Leitsatzentscheidung vom 29.07.2019 hat sich die 12. Kammer den sich wegen des systematischen Ermittlungsdefizits des Beklagten wiederholt stellenden tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen erschöpfend gewidmet und die maßgeblichen Erwägungen umfassend erörtert, dargestellt und veröffentlicht. In (sozialgerichtlichen) Folgeverfahren muss nicht jedes Mal, wenn ein bereits in der Vergangenheit erfolgloser Beteiligter mit der Rechtsauffassung des Gerichts nicht einverstanden ist, das Rad neu erfunden werden. Es entspricht der allgemeinen Rechtspraxis und praktischen Notwendigkeit, zur Handhabung des Sach- und Streitstandes im Wege der Bezugnahme auf bereits veröffentlichte Entscheidungen – wie hier S 12 SB 877/19 – oder beigezogene Erkenntnismittel gerichtsbekannte Ermittlungsergebnisse und Rechtserkenntnisse in den Gerichtsprozess einzuführen. Als wesentlicher Prüfungsaufwand verbleibt in diesem Folgeverfahren im Wesentlichen daher nur die - Auseinandersetzung mit neuen Einwendungen des Beklagten an der bisherigen Entscheidung im Verfahren S 12 SB 877/19 sowie - die Subsumtion der dieses Folgeverfahren kennzeichnenden Einzelfallumstände unter die durch die Rechtsprechung im Verfahren S 12 SB 877/19 entwickelten Beurteilungsmaßstäbe.

Beides bereitet hier aus folgenden Gründen keinerlei "besondere Schwierigkeiten" im Sinne des § 105 SGG.

Die Formulierung: "weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art auf" ist an zivilprozessuale Regelungen (heute §§ 348 Abs. 3 Nr. 1, 348a Abs. 1 Nr. 1 ZPO) angelehnt. Ein Gerichtsbescheid kann danach nicht erlassen werden, wenn es sich um Fälle überdurchschnittlicher Schwierigkeit handelt, die tatsächlicher und rechtlicher Art sein kann. Es ist also nicht erforderlich, dass die Klage offensichtlich begründet oder offensichtlich unbegründet ist, oder dass die Sachverhaltsaufklärung und die rechtliche Würdigung besonders einfach sind (MKLS/B. Schmidt, 12. Aufl., 2017, SGG, § 105, Rn. 6). Besondere rechtliche Schwierigkeiten liegen vor, wenn der Fall komplizierte Rechtsfragen aufwirft, die höchstrichterlich noch nicht entschieden sind. Besondere rechtliche Schwierigkeiten liegen auch dann vor, wenn das Gericht um die Auslegung und Anwendung vom bisherigen Rechtszustand abweichender neuer Rechtsnormen geht, die höchstgerichtlich nicht geklärt sind, oder wenn es von einer Entscheidung eines LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats abweichen will (MKLS/B. Schmidt, 12. Aufl., 2017, SGG, § 105, Rn. 6b). Nichts von alldem ist hier der Fall.

Für den Schwierigkeitsgrad ist im Rahmen des § 105 SGG ein objektiver Maßstab anzusetzen. Maßgebend ist nur der entscheidungserhebliche Sachverhalt, während nicht von vornherein von Bedeutung ist, ob der Fall erheblichen Arbeitsaufwand erfordert. Auch ist der bloße Umfang der Akten kein Indiz für die Schwierigkeit der Sache. (MKLS/B. Schmidt, 12. Aufl. 2017, SGG § 105 Rn. 6a) (MKLS/B. Schmidt, 12. Aufl., 2017, SGG, § 105, Rn. 6a).

Nach diesen Beurteilungsmaßstäben wird ein einfacher Fall nicht allein deswegen "rechtlich schwierig" im Sinne des § 105 SGG, weil ein Beteiligter ihn durch eine Vielzahl nicht tragender Begründungsansätze und -elemente aufbläht. Die Auseinandersetzung mit der hier vorgebrachten Kritik des Beklagten an der Zurückverweisungsabsicht der Kammer bereitet hier keine ernstlichen "Schwierigkeiten" im Sinne des § 105 SGG, weil die Auseinandersetzung mit den unzulässigen Anträgen und Verweisen des Beklagten auf veraltete, nicht einschlägige oder aus dem Kontext gerissene Gerichtsentscheidungen in ihrer Gesamtheit der Kammer zwar ihrerseits seitenlange Auseinandersetzungen abzuverlangen vermögen. Alle vorgetragenen Argumente des Beklagten sind aber unter Berücksichtigung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung ausnahmslos einer sehr schnellen, eindeutigen und über vernünftige Zweifel erhabenen abschließenden rechtlichen Bewertung der Kammer zugänglich. Dies beruht nicht zuletzt auch darauf, dass sich die Klageerwiderung fast ausschließlich mit der Entscheidungsform – per Gerichtsbescheid – und so gut wie gar nicht mit dem Inhalt der angekündigten Entscheidung befasst.

Auch die Subsumtion unter die von der Rechtsprechung wegen des systematischen Ermittlungsdefizits des Landes Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts bereits durch das Gericht im Verfahren S 12 SB 877/19 entwickelten Obersätze bereitet hier keinerlei tatsächliche "Schwierigkeiten besonderer" Art. Bezüglich der vorliegenden Fallgruppe der Zurückweisung an den Beklagten wegen dessen in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts sowohl im Einzelfall gravierenden als auch systematisch defizitären Sachverhaltsaufklärung beschränkt sich der streiterhebliche konkrete sozialgerichtliche Prüfungsaufwand unter Zugrundelegung der Entscheidung der 12. Kammer vom 29.07.2019 im Wesentlichen auf folgende vier Fragen:

1. Ist vom Rechtsuchenden im Einzelfall mithilfe medizinischer Unterlagen das Vorliegen einer höher als bisher zu bewertenden und sich potentiell auch auf den Gesamt-GdB auswirkenden Behinderung hinreichend substantiiert vorgetragen worden?

2. Bestehen durchgreifende Bedenken an der Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit der im Einzelfall aktenkundigen gutachterlichen Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes des Beklagten?

3. Sind die im Einzelfall aktenkundigen medizinischen Unterlagen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die sozialmedizinische Bewertung der Teilhabeeinschränkungen ausreichend, weil zumindest hinsichtlich einer einzigen, auch für den Gesamt-GdB erheblichen Funktionsstörung, die maßgeblichen Befundtatsachen nur unvollständig dokumentiert, für den medizinischen Laien unverständlich, nicht hinreichend validiert, widersprüchlich, veraltet oder anderweitig nicht verwertbar sind?

4. Wäre unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte von den seitens des Rechtssuchenden benannten Behandlern ungeeignet, die ggfs. verbesserungsbedürftige Aktenlage dermaßen abzurunden, dass es anschließend keiner ambulanten Begutachtung mehr bedürfte?

Die Bejahung dieser vier Fragen fällt im vorliegenden Einzelfall – wegen des fortbestehenden systematischen Ermittlungsdefizits des Beklagten und aus den bereits jeweils einzelfallbezogen ausgeführten Gründen – ausgesprochen leicht, s.o.

Der Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens wird – wie der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, s. o. – als unzulässig verworfen, weil er zur vollen tatrichterlichen Überzeugung der Kammer in rechtsmissbräuchlicher Weise zum Zwecke der Verschleppung des Verfahrens über die Sechs-Monats-Frist für Zurückverweisungen aus § 131 Abs. 5 SGG gestellt worden ist.

Soweit der Beklagte andere Motive behauptet hat, sieht die Kammer darin nur fadenscheinige Vorwände, denn im Wesentlichen hat der Beklagte nur vorgebracht, ohne Anordnung des Ruhens dieses Verfahrens entstünden weitere Verzögerungen und weitere Kosten, weil er gegen eine Zurückweisungsentscheidung des Sozialgerichts Berufung zum Landessozialgericht einlegen müsse.

Der Kammer leuchtet zuvörderst nicht ein, warum die Anordnung des Ruhens des Verfahrens der Prozessbeschleunigung dienen sollte. Der förmliche Stillstand eines Verfahrens bedeutet per Definition das exakte Gegenteil seiner Beschleunigung. Der Beklagte verkennt vermutlich, dass er mit der Nachholung der ihm aufgezeigten Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung auch dann nicht weiter zuwarten dürfte, falls er gegen diesen Gerichtsbescheid das Landessozialgericht Baden-Württemberg anrufen sollte, denn dieser Gerichtsbescheid wirkt gemäß § 105 Abs. 3 Halbsatz 1 SGG als Urteil. Nach § 199 Abs. 1 Ziff. 1 SGG wird aus ihm vollstreckt, soweit nach dem SGG kein Aufschub eintritt. § 154 Abs. 1 SGG zufolge entfaltet eine Berufung gegenüber sozialgerichtlichen Entscheidungen aber nur dann eine aufschiebende Wirkung, soweit die Klage nach § 86a SGG Aufschub bewirkt hat. Die aufschiebende Wirkung nach § 86a SGG ist jedoch nur für Rechtsbehelfe gegen belastende Verwaltungsakte von Bedeutung (MKLS/Keller, 12. Aufl., 2017, SGG, § 86a, Rn. 6). Dies gilt gemäß § 86a Abs. 1 Satz 2 SGG auch für feststellende Verwaltungsakte über die Höhe des GdB bzw. die Zuerkennung von Merkzeichen. Bei Verwaltungsakten, die lediglich einen Antrag ablehnen, ist vorläufiger Rechtsschutz hingegen nur durch eine einstweilige Anordnung des Gerichts nach § 86b Abs. 2 SGG möglich (vgl. MKLS/Keller, 12. Aufl. 2017, SGG, § 86a, Rn. 6). Das Gericht des ersten Rechtszugs kann gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 SGG auf Antrag unter Fristsetzung ein Zwangsgeld bis zu 1.000,- Euro durch Beschluss androhen und nach vergeblichem Fristablauf festsetzen, falls die verurteilte Behörde in den Fällen des § 131 SGG der ihr im Gerichtsbescheid auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt. Das Zwangsgeld kann gemäß § 201 Abs. 1 Satz 2 SGG wiederholt festgesetzt werden.

Nach alldem ist normativ hinreichend gewährleistet, dass keine weiteren Verzögerungen aufgrund des systematischen Ermittlungsdefizits des Beklagten oder wegen seines prozessualen Verhaltens ernstlich zu befürchten sind. Der Beklagte wird nach Zustellung dieses Gerichtsbescheides unverzüglich die erforderlichen ambulanten Begutachtungen nachholen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, zu Zwangsgeldzahlungen verpflichtet zu werden, denn im vorliegenden Fall war vom Rechtsuchenden die Erweiterung der Rechtsposition in Bezug auf den GdB begehrt und vom Beklagten außergerichtlich abgelehnt worden.

Ebenso wenig trägt der Verweis auf die im Falle einer Berufung anfallenden "weiteren Kosten". Das Verfahren ist vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für behinderte Menschen nach § 183 Satz 1 gerichtskostenfrei und von ihnen zur Rechtsdurchsetzung gegebenenfalls vorgeschossenen außergerichtlichen Kosten hat ihm der Beklagte anlässlich einer stattgebenden Entscheidung in der Regel vollumfänglich nach § 193 SGG zu erstatten, so auch hier. Der Beklagte selbst hat in Angelegenheiten nie nennenswerte außergerichtliche Kosten, da er selbst nie rechtsanwaltliche Hilfe beansprucht. Die vom Beklagten in erster bzw. zweiter Instanz zu entrichtenden Gebühren im Sinne von § 184 SGG kommen der eigenen Landeskasse des Beklagten zugute.

Überdies erschließt sich schließlich nicht, aus welchen Gründen der Beklagte überhaupt die zweite Instanz bemühen sollte. Mit der Klageverteidigung hat er sich hier im Wesentlichen nur gegen die prozessbeschleunigende Entscheidungsform der Kammer durch Gerichtsbescheid gewandt. In der Sache hat er zu den gesetzlichen Voraussetzungen einer Zurückweisung nach § 131 Abs. 5 SGG bzw. zu der von der Kammer hierzu entwickelten Rechtsprechung oder deren Anwendbarkeit auf den vorliegenden Einzelfall nichts Substantiiertes vorgetragen.

Nach alldem liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid hier vor. Die 12. Kammer macht von dem ihr deswegen durch § 105 Abs. 1 SGG eingeräumten Auswahlermessen nach Abwägung aller dafür und dagegen sprechenden Argumente sowie unter Berücksichtigung des ausdrücklichen Widerwillens des Beklagten dergestalt Gebrauch, dass sie sich zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid und gegen eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung nach § 124 Abs. 1 SGG oder ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter nach § 124 Abs. 2 SGG entschließt.

Für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid spricht zunächst, dass sie der Verfahrensbeschleunigung dient, weil dadurch keine weiteren Verzögerungen, die mit der Vorbereitung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung bzw. einer Kammersitzung verbunden wären, entstehen. Die Verfahrensbeschleunigung gewährleistet erstens die schnellstmögliche Durchsetzung strittiger Rechtsposition, die – ungeachtet ihrer etwaigen Berechtigung – gegen den Willen des Beklagten frühestens nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens verwirklicht werden können. Der Beschleunigungsgrundsatz dient – zweitens – aber auch der Wahrheitsfindung, weil die dem Gericht obliegende Feststellung des Sachverhalts durch zusätzlichen Zeitablauf erschwert oder sogar unmöglich wird – etwa, weil sich Zeugen nicht mehr erinnern können, oder der maßgebliche Zustand der personellen und sächlichen Ausstattung rückblickend nicht mehr mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann.

Gegen die Entschließung, gemäß § 105 Abs. 1 SGG durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, kann grundsätzlich die damit einhergehende Beschränkung des rechtlichen Gehörs sprechen, welches in Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verfassungskräftig geschützt ist. Im vorliegenden Einzelfall wiegt der Eingriff in Art. 103 Abs. 1 GG aber vergleichsweise wenig schwer. Denn den Beteiligten wurde bereits in umfangreicher Weise Gelegenheit zur Darlegung der tatsächlichen und rechtlichen Gründe ihrer Rechtsauffassung gegeben. Insbesondere hatte sie im Rahmen der Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid aufgrund der hierbei erteilten Hinweise hinreichende Gelegenheit hierzu. Eine mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 1 SGG erscheint daher zur Verwirklichung des rechtlichen Gehörs jedenfalls nicht mehr zwingend erforderlich.

Gegen die Entschließung, gemäß § 105 Abs. 1 SGG durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, spricht aber, dass dadurch der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung aus § 169 Gerichtsverfassungsgesetz i. V. m. § 61 Abs. 1 SGG bzw. aus Art. 6 Abs. 1 EMRK mittelbar beschränkt wird. Denn eine mündliche Verhandlung, an welcher jeder Dritte, auch wenn er nicht Beteiligter ist, teilnehmen, einen Einblick in die Funktionsweise der Rechtsprechung gewinnen und sich dadurch von der Einhaltung des formellen und materiellen Rechts vergewissern könnte, findet bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gerade nicht mehr statt. Auch der insofern vorliegende Eingriff in die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung wiegt aber hier nicht schwer, weil das Sozialgericht Karlsruhe über insgesamt 18 Kammern verfügt und infolgedessen an fast jedem Wochentag die Möglichkeit besteht, an einer öffentlichen Verhandlung teilzunehmen.

Bei einer Entschließung, gemäß § 105 Abs. 1 SGG durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, gilt zudem zu beachten, dass dadurch gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG die ehrenamtlichen Richter nicht an der Entscheidung mitwirken und so auch nicht ihre Sachkunde einbringen können, über die sie in ihrer jeweiligen Eigenschaft verfügen.

Auch dieser Eingriff wirkt in diesem Fall aber nicht schwer. Denn die hier maßgeblichen Wertungen über den Umgang mit den in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts sowohl im Einzelfall gelegentlich gravierenden als auch systematisch defizitären Sachverhaltsaufklärung seitens der Landesversorgungsverwaltung des Beklagten waren bereits am 29.07.2019 Gegenstand der ausführlichen Verhandlung und Beratung und Rechtsprechung in voller Kammerbesetzung in dem insofern vergleichbaren Verfahren S 12 SB 877/19. Da mit der hier vorliegenden Entscheidung von den damals in Kammerbesetzung entwickelten Rechtsauffassungen nicht abgewichen wird, erscheint es lässlich, erneut auch ehrenamtliche Richter mit einem ähnlich gelagerten Fall zu befassen.

Weitere Ermessensgesichtspunkte, welche im vorliegenden Einzelfall für eine Entscheidung nach § 124 Abs. 1 oder 2 SGG sprächen, sind nicht ersichtlich bzw. bereits Gegenstand der ausführlichen Erwägungen zur Frage der Sachdienlichkeit einer Zurückverweisung gewesen; insofern wird nach oben verwiesen. Unter Berücksichtigung aller genannten Aspekte überwiegen nach Auffassung des Vorsitzenden der 12. Kammer hier das Interesse insbesondere des Rechtssuchenden an einer Beschleunigung des Hauptsacheverfahrens die (jeweils für sich und auch bei kumulativer Betrachtung) weniger stark wiegenden Eingriffe in das rechtliche Gehör, den Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung und den gesetzgeberischen Willen, vor den Sozialgerichten grundsätzlich ehrenamtliche Richter mitwirken zu lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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