S 13 KR 2011/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 KR 2011/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Beitragspflicht einer einmaligen Kapitalleistung bei ungekündigtem Arbeitsverhältnis und vorzeitiger Auszahlung; abzustellen ist entscheidend auf den Versorgungszweck bei Abschluss des Versicherunsgvertrages.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Beitragspflicht einer Kapitalleistung.

Der am 1959 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er steht in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Im November 2016 zahlte ihm die Z.H. Lebensversicherung AG eine einmalige Kapitalleistung in Höhe von 41.198,89 EUR aus, welche aus der vorzeitigen Kündigung eines im Jahr 1999 mit einer eigentlichen Laufzeit bis zum 31.10.2019 geschlossenen Vertrages resultiert. Die Versicherungsgesellschaft informierte die Beklagte per maschinellem Datensatz am 08.12.2016 hierüber.

Mit Bescheid vom 19.12.2016 setzte die Beklagte Beiträge aus dieser Kapitalleistung in Höhe von 61,62 EUR monatlich (KV: 53,55 EUR; PV: 8,07 EUR) ab dem 01.12.2016 fest.

Mit weiterem Bescheid vom 25.01.2018 teilte die Beklagte dem Kläger einen ab dem 01.01.2017 geltenden monatlichen Beitrag in Höhe von 62,30 EUR mit. Der Bescheid ersetzte den Beitragsbescheid vom 19.12.2016 und alle darauffolgenden Beitragsbescheide mit Wirkung zum 01.01.2017.

Am 30.07.2018 stellte der Kläger einen Antrag auf Überprüfung des Beitragsbescheides vom 19.12.2016 sowie der Folgescheide gemäß § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Im vorliegenden Fall handele es sich nicht um einen Altersversorgungsbezug. Der Vertrag sei einige Jahre vor dem Renteneintrittsalter gekündigt worden. Sein Renteneintrittsalter läge bei 66 Jahren und zwei Monaten. Er sei 1959 geboren. Zudem arbeite er weiterhin beim selben Arbeitgeber. Er befinde sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. In einer solchen Fallkonstellation lägen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 20.07.2017 – B 12 KR 12/15 R – keine der Altersversorgung dienenden Bezüge vor. Er verweise zudem auf die Entscheidung des Sozialgerichts Osnabrück vom 14.02.2018 – S 34 KR 595/16 -.

Mit Bescheid vom 23.11.2018 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers ab. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.07.2017 treffe beim Kläger nicht zu, da er nicht aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden sei und die Zahlung deshalb keine Überbrückungsleistung darstelle. Die Entscheidung des SG Osnabrück beziehe sich auf eine Kapitalleistung, die vor dem 30.06.2016 ausgezahlt worden sei. Die Auszahlung der Kapitalleistung an den Kläger sei im November 2016 erfolgt. Damit läge ein völlig anderer Sachverhalt vor. Laut Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24.03.2015 – L 11 R 1130/14 läge deshalb ein Versorgungsbezug in Form einer Kapitalleistung vor.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Diesen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2019 als unbegründet zurück. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 25.08.2004 – B 12 KR 30/03 R – entschieden, dass eine an den Arbeitnehmer im laufenden Beschäftigungsverhältnis gezahlte Abfindung erworbener Versorgungsanwartschaften aus einer Unterstützungskasse, deren Träger der Arbeitgeber ist, kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) darstelle. Vielmehr sei hier der Anwendungsbereich des § 229 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) eröffnet. In einem weiteren Urteil vom 25.04.2012 – B 12 KR 26/10 R – habe das BSG deutlich gemacht, dass der Charakter einer Kapitalleistung als Versorgungsbezug nicht dadurch – nachträglich – verloren gehe, wenn sie wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und vor Eintritt des vertraglich vereinbarten Versicherungsfalles ausbezahlt werde. Vielmehr komme es auf den Versorgungszweck bei Vereinbarung an. Nicht maßgebend sei in diesem Zusammenhang, ob das vorzeitig ausgezahlte Kapital möglicherweise nicht mehr einem Versorgungszweck diene, sondern zur Deckung eines anderen Bedarfs verwendet werde. Dazu habe das LSG Baden-Württemberg am 24.03.2015 entschieden, dass es sich bei der Abfindung einer betrieblichen Altersversorgung auch während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht um Arbeitsentgelt nach § 14 SGB IV, sondern um einen Versorgungsbezug nach § 229 SGB V handele. Demnach handele es sich bei den Einnahmen des Klägers aus der Kapitalleistung (Rückkaufswert) um einen einmalig gezahlten Versorgungsbezug aus der betrieblichen Altersversorgung.

Der Kläger hat am 13.06.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben und seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.05.2019 zu verurteilen, den Bescheid vom 19.12.2016 sowie den Bescheid vom 25.01.2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf das Besprechungsergebnis des GKV Spitzenverbandes, der DRV Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 20.04.2016. Bei dem Urteil des SG Osnabrück handele es sich um eine Einzelfallentscheidung, die sich auf eine Kapitalleistung beziehe, welche vor dem 30.06.2016 ausgezahlt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 23.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.05.2019 ist rechtmäßig. Die Beklagte war nicht dazu zu verurteilen, die Beitragsbescheide vom 19.12.2016 sowie vom 25.01.2018 aufzuheben, weil sie zutreffend aus der vom Kläger empfangenen Kapitalleistung der Z.H. Lebensversicherung AG Beiträge erhebt. Die im November 2016 erhaltene Kapitalleistung ist ein Versorgungsbezug in Form einer Rente der betrieblichen Altersvorsorge, auf die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu erheben sind.

Nach § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V wird bei versicherungspflichtigen Beschäftigten der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) der Beitragsberechnung zugrunde gelegt. Als der Rente vergleichbare Einnahmen in diesem Sinne gelten nach § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V in der bis zum 31. 12.2017 geltenden Fassung auch Renten der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden.

Für die Einordnung einer Leistung als betriebliche Altersversorgung iS des § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung iS des § 1 Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) handelt (st. Rspr. des BSG, z.B. Urteil vom 20.07.2017,, B 12 KR 12/15 R, juris, Rn. 13; Urteil vom 25.05.2011, B 12 P 1/09 R, juris). Vielmehr sind wesentliche Merkmale einer Leistung als betriebliche Altersversorgung im Sinne des Beitragsrechts der GKV ein Zusammenhang zwischen dem Erwerb dieser Rente und der (früheren) Beschäftigung sowie ihre Einkommens- (Lohn bzw. Entgelt-) Ersatzfunktion (BSG, Urteil vom 25.05.2011, aaO). Leistungen sind dann der betrieblichen Altersversorgung zuzuordnen, wenn sie die Versorgung des Arbeitsnehmers im Alter bezwecken, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben dienen sollen (BSG, Urteil vom 13.09.2006, B 12 KR 5/06 R, juris).

Das Bundessozialgericht stellt in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Abgrenzung sonstiger Zuwendungen des Arbeitgebers auf den objektiven Inhalt der Leistung und vor allem auf den vereinbarten Leistungsbeginn ab (BAG, Urteil vom 28.10.2008, 3 AZR 317/07). Danach liegt ein Versorgungsbezug nicht vor, wenn bei der Zusage von Zuwendungen durch den Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Leistungsbeginn auf ein Lebensalter abgestellt wird, das nach der Verkehrsanschauung typischerweise nicht schon als Beginn des Ruhestandes gelten kann und wenn diese Zuwendung bis zum Eintritt in den gesetzlichen Ruhestand befristet ist (BSG, Urteile vom 29.07.2015, B 12 KR 4/14 R, B 12 KR 18/14 R, juris, Rnd. 19). So ist das BSG in diesen Entscheidungen bei einem Lebensalter von 50 bzw. 55 Jahre davon ausgegangen, es liege nach der Verkehrsanschauung typischerweise noch kein Zusammenhang mit der Rente vor. Unbefristete Leistungen, die ein Arbeitgeber an Arbeitnehmer nach Ausscheiden aus dem Versicherungsverhältnis anfänglich mit Überbrückungsfunktion auch über den Renteneintritt hinaus zahlt, sind ab dem Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze als beitragspflichtige Versorgungsbezüge anzusehen (BSG, Urteil vom 20.07.2017, Rn. 15 aaO). Das BSG stellt in dieser Entscheidung maßgeblich auf die Zwecksetzung ab, dem der Versorgungsbezug dienen soll. Sobald sich der ursprüngliche Leistungszweck, im streitigen Urteil war dies eine Überbrückungsfunktion, bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze ändert, soll die Leistung beitragspflichtig im Sinne des § 229Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V werden. Dabei geht das BSG insbesondere auch von pragmatische Erwägungen im Rahmen der Massenverwaltung aus; so sind der Beginn des tatsächlichen Rentenbezugs sowie die gesetzlich festgelegte Regelaltersgrenze einfach festzustellende Merkmale (vgl. BSG, Urteil vom 20.07.2017, Rn. 17, aaO).

Im vorliegenden Fall stellt sich der Sachverhalt jedoch gänzlich anders dar, so dass hier nicht allein auf das noch mehrere Jahre entfernt liegende Renteneintrittsalter abgestellt werden kann und der Versorgungsbezug des Klägers allein deshalb beitragsfrei bleibt.

Vorliegend hat sich der Versorgungszweck über die gesamte Zeit – im Gegensatz zu dem vom BSG entschiedenen Fall – nicht geändert. Vielmehr ist der Versorgungszweck, nämlich die Altersversorgung, über die ganze Zeit hinweg der gleiche geblieben. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts auch bestätigt. Zweck der Versicherung vor 20 Jahren sei die Altersversorgung gewesen. Bei Abschluss des Versicherungsvertrages im Jahr 1999 konnte noch nicht feststehen, wann der Kläger tatsächlich in den Ruhestand treten würde. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, sind Vereinbarungen zur Altersteilzeit oder vorzeitigem Ruhestand in seinem Betrieb nicht unüblich und werden derzeit auch für ihn tatsächlich diskutiert. Es ist deshalb zumindest davon auszugehen, dass der Kläger bei Abschluss des Versicherungsvertrages seine Altersversorgung bedacht hat. Die vom Kläger empfangene Kapitalleistung resultiert letztlich lediglich aus einem vorzeitigen Rückkauf dieser zunächst zur Altersversorgung abgeschlossenen Direktlebensversicherung, welche eigentlich erst am 31.10.2019 und somit nach dem 60. Lebensjahr des Klägers zur Auszahlung hätte kommen sollen. Das 60. Lebensjahr wird dabei gemeinhin als ein Alter angesehen, in dem ein Renteneintritt möglich ist und auch das BSG sieht bei einer zum 60. Lebensjahr erbrachte Zuwendung einen Bezug zur Altersabsicherung als gegeben an (vgl. BSG, Urt. v. 25.04.2007 – B 12 KR 25/05 R, Rn. 22 juris; Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 24. Januar 2019 – L 1 KR 31/18 –, Rn. 29, juris).

Allein die Entscheidung des Klägers, sich die Leistungen aus der Direktversicherung vorzeitig auszahlen zu lassen, kann hieran nichts ändern. Würde dieser Umstand zur Beitragsfreiheit führen, hätte es der Versorgungsempfänger selbst in der Hand, ob der Versorgungsbezug beitragspflichtig oder beitragsfrei ist. Durch vorzeitige Auszahlung, ggfs. sogar knapp vor Erreichen des Renteneintrittsalters, könnte er seine ansonsten unstreitig beitragspflichtige Kapitalleistung beitragsfrei werden lassen. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Beitragspflicht in der GKV, wonach mit § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V kapitalisierte Versorgungsleistungen für die Beitragspflicht möglichst lückenlos erfasst werden sollen, um die Beitragsgerechtigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung zu stärken (BT-Drs 15/1525 S 139; BSG 12.11.2008, SozR 4-2500 § 229 Nr. 6).

Allein die Tatsache, dass der Kläger – entgegen in den vom BSG bislang entschiedenen Fällen, noch in einem bestehenden Beschäftigungsverhältnis steht, vermag hieran nichts zu ändern. Denn letztlich handelt es sich um kapitalisierte Versorgungsbezüge, auf die, wenn sie nicht infolge Kündigung abgefunden worden wären – noch kein Anspruch bestanden hätte (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.03.2015, L 11 R 1130/14, LSG Hamburg, Urteil vom 27.11.2009, L 6 R 72/06 und L 6 R 73/06, beide in juris).

Für eine Beitragspflicht des Versorgungsbezugs streitet im Übrigen auch die Rechtsprechung des BSG. Danach ist § 229 Abs. 1 Satz 3 Regelung 2 SGB V nicht bereits aufgrund seines Wortlauts zu entnehmen, dass die Beitragspflicht von Kapitalleistungen aus einer vereinbarten oder zugesagten betrieblichen Altersversorgung den Eintritt des vertraglich vereinbarten Versicherungsfalls voraussetzt. Es kann nicht angenommen werden, dass es für die Einordnung als "Versorgungsbezug" nach dem Wortlaut neben dem Vorliegen eines der in § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Versorgungszwecke bei Vereinbarung oder Zusage, hier beim Abschluss der Lebensversicherung, auch auf die (tatsächliche) Erfüllung des Versorgungszwecks bei Auszahlung der Kapitalleistung ankäme. Der Wortsinn der gesetzlichen Formulierungen ist offen. Soweit Regelung 2 des § 229 Abs 1 S 3 SGB V den Terminus "vor Eintritt des Versicherungsfalls" enthält, ist dieser auf Grund seiner syntaktischen Verknüpfung lediglich dahin zu verstehen, dass die Kapitalleistung bis zu diesem Zeitpunkt vereinbart oder zugesagt worden sein muss (BSG, Urteil vom 25. April 2012 – B 12 KR 26/10 R –, SozR 4-2500 § 229 Nr. 16, Rn. 19). Die Kammer schließt sich insoweit nach eigener Überprüfung der vom BSG vertretenen Rechtsauffassung vollumfänglich an. Die Beklagte hat zutreffend nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlichen Zahlbetrag der Beitragsberechnung zugrunde gelegt.

Die Höhe der von der Beklagten erhobenen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ist nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Beiträge unzutreffend berechnet hat, sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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