S 4 U 824/96

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 4 U 824/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 49/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 8.5.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.5.1996 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, beim Kläger die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 1302 und Nr. 1307 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen sowie eine Verletztenrente ab dem 1.6.1993 nach einer MdE in Höhe von 40% und ab dem 1.1.1998 nach einer MdE in Höhe von 70% zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nrn. 1302 sowie 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung.

Der 1947 geborene Kläger ist seit dem 1.4.1962 bei der CX. und späteren C. beschäftigt. Vom 15.11.1982 bis zum 1.5.1993 arbeitete er als Entstörer bei der Vermittlungsstelle in D-Stadt und war dort im Wesentlichen mit Schaltarbeiten und Bedienungsarbeiten beschäftigt. Ab 1.5.1993 ist er nach B-Stadt umgesetzt worden. Im Zeitraum zwischen 1980 und 1982 war der Kläger ebenfalls in B-Stadt eingesetzt, jedoch zwischenzeitlich für ein halbes Jahr in der Vermittlungsstelle in E-Stadt eingesetzt. Seit Ende 1999 erhält der Kläger eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Mit am 23.9.1993 bei der Beklagten eingegangenen Anzeige von Dr. F. wurde der Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit bei der Beklagten gestellt. Zugleich erfolgte eine Anzeige gegenüber dem Staatlichen Gewerbearzt im Hessischen Sozialministerium durch Dr. G. mit Anzeige vom 20.9.1993. Die Beklagte holte sodann Arztbriefe bei Dr. H. vom 8.11.1990 sowie 1.3.1991 ein sowie einen Arztbrief von Dr. J. vom 23.11.1993. Darüber hinaus wurde ein Gutachten bzw. Entlassungsbericht nach einer durchgeführten Reha-Maßnahme vom 7.10.1993 sowie die Unterlagen der Bundespost-Betriebskrankenkasse beigezogen. Sodann holte die Beklagte einen Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes, nämlich beim Bundesamt für Post und Telekommunikations-Zentralstelle Arbeitsschutz, vom 25.2.1994 ein, in welchem dargelegt wird, dass im Falle des Klägers lediglich für die halbjährige Tätigkeit in der Vermittlungsstelle E-Stadt eine geringfügige Überschreitung der duldbaren Tagesdosis von 7000 Nitrogramm festzustellen sei. Darüber hinaus würden Zeiten erhöhter Exposition durch Zeiten geringerer Exposition ausgeglichen.

Die Beklagte holte sodann ein medizinisches Sachverständigengutachten auf Hals-Nase-Ohrenärztlichem Gebiet bei Professor Dr. K., eingegangen am 18. Oktober 1994, ein, in welchem dieser als Erkrankung auf dem HNO-Gebiet eine behinderte Nasenluftpassage bei Septumdeviation und chronischer Rhinopharyngitis feststellte, jedoch einen ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit verneinte.

Mit Bescheid vom 8.5.1995 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag des Klägers auf Anerkennung einer Berufskrankheit ab.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers vom 12. Juni 1995 hatte zur Folge, dass die Beklagte u.a. einen Arztbrief des Professor Dr. L. vom 6.6.1994 beizog, demzufolge die Werte der polychlorierten Diphenyle, wie sie beim Kläger festgestellt worden seien, nicht als Ausdruck der Belastung am Arbeitsplatz zu verwerten seien, da diese noch im Normbereich lägen. Die Beklagte holte darüber hinaus einen Arztbrief von Dr. M. vom 31.10.1995 ein, in welchem dieser beim Kläger das Vorliegen einer Polyneuropathie, Myopathie sowie Leistungs- und Wesensänderung bei dringendem Verdacht auf Entstehung durch toxische Arbeitsstoffe äußerte. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.5.1996 wurde der Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen mit der wesentlichen Begründung, dass das Gutachten von Herrn Professor Dr. K. ergeben habe, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den diagnostizierten Erkrankungen und der PCB-Belastung vorläge sowie dass die beim Kläger festgestellte Polyneuropathie nicht Ausdruck der Belastung am Arbeitsplatz sei. Folglich könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Erkrankung wesentlich durch die Arbeit des Klägers verursacht worden sei.

Mit am 28. Juni 1996 beim Arbeitsgericht Kassel eingegangenem Schriftsatz erhob der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten sodann Klage. Das Sozialgericht Kassel hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG bei Herrn Dr. N. vom 13.7.1998, der in seinem Gutachten die folgenden Diagnosen stellt:

1. Berufsbedingte chronische PCB-lntoxikation mit den Folgekrankheiten,
2. Encephalo-, Neuropathie Stadium lib,
3. Arthromyopathie,
4. chronisch rezidivierende Blasenentzündung mit Ausbildung eines Papilloms,
5. chronische Magen-, Darmschleimhautentzündung,
6. toxische Myokarditis mit Hypotonie,
7. Erschöpfungssyndrom,
8. Hypercholesterolämie,
9. chronische Dermatose (Hauterkrankung),
10. Immunschwäche-Syndrom,
11. Sicca-Syndrom der Schleimhäute,
12. hyperreagibles Bronchialsystem,
13. Entgiftungsschwäche in der Phase-Il-Entgiftung.

Des Weiteren führt Herr Dr. N. in seinem Gutachten folgendes aus:

"Die Hirn-Szintigrafie weist auf eine Hirnstammschädigung hin, in der Hirnbotenstoffe nicht an die Rezeptoren ankoppeln können. Die Hirnbasis reguliert zahlreiche vegetative Funktionen wie Blutdruck, Schweißbildung, Temperaturregelung, Sexualfunktion, Darm- und Herzfunktion. Störungen in diesem Bereich sind irreversibel ... Blutuntersuchungen auf PCB erbringen nach langer Expositionspause keine Hinweise auf stattgehabte Belastungen, da diese Substanzen sich aus dem Blut in andere Gewebe verlagern. Auf Grund der zum Teil langen Halbwertszeiten finden sich aber PCB zum Teil hochkonzentriert in Gallensaft und Sperma. Bei Herrn A. ist die Konzentration als hoch einzuschätzen. Normalerweise liegen PCB-Konzentrationen im Nanogrammbereich ...Außerdem weist das gefundene PCB 28 auf technischen Ursprung hin, es stammt nicht aus der Nahrung ... Ein WHO-Expertenkomitee gab 1993 eine Aufstellung von Susceptibilitätsparametern (Empfindlichkeitsparametern) für Chemikalien-Exponierte heraus ... Anlass waren die Beobachtungen, dass auch unter geringen Schadstoffbelastungen Erkrankungen auftreten können. Diese Differenzen beruhen auf einem Enzympolymorphismus. In der Empfehlung finden sich Genanalysen der Enzyme der Entgiftungsphasen I und Il. Wir untersuchten vier Enzyme, die zur Phase Il zählen, die NAT2 und die GSH-S-Transferasen M1, T1 und &960;. Bei letzterer ist zur Zeit eine Genanalyse noch nicht möglich. Die gefundene niedrige GST-&960;-Konzentration spricht aber für ein nicht vorhandenes &960;-Gen. Die M1-Transferase fehlt, da sie genetisch nicht angelegt ist ... Die Resultate ergeben zwei Entgiftungsschwächen, einmal eine langsame Entgiftung über die NAT2 und die nicht vorhandene der &960;- und M1-Transferasen. Die langsame Entgiftungsform des gefundenen Genotyps der NAT2 findet sich bei ca. 30% unter der Bevölkerung. Die Gendeletion der GST-&960; (fehlendes Gen) ist ebenfalls bei ca. 16% der Bevölkerung nachweisbar ... Die M1-Deletion findet sich bei ca. 45%. Bei der vorgefundenen Entgiftungsschwäche handelt es sich folglich nicht um eine seltene exotische Enzymausstattung, sondern um eine normale Variation. In der Wissenschaft bezeichnet man diese Variabilität als Enzympolymorphismus. Das vorgefundene Enzymmuster hat keinen Krankheitswert. Ein gesundes Altern ist möglich, solange chronische Schadstoffbelastungen vermieden werden ..."

Des Weiteren legt Herr Dr. N. in seinem Gutachten eine Tabelle mit den verschiedenen PCB-Blutwerten beim Kläger vor (BI. 88 Gerichtsakte) und er führt dazu aus:

"Die höchsten Werte an PCB wurden im Mai 1993 mit nachfolgenden abfallenden Konzentrationen bis 1995 ermittelt, wobei sie im gesamten Zeitraum (mit Ausnahme der PCB 180 1994) über den Referenzwerten lagen. Erst recht wurden die Werte unbelasteter Personen weit überschritten."

Herr Dr. N. führt weiter aus, dass die gemessene Spermakonzentration von 3,1 &956;g/PCB 28/kg für eine berufliche Intoxikation spreche. Hierzu führt er aus:

"Normalerweise liegen PCB-Konzentrationen im Nanogrammbereichl also um den Faktor 10 bis 100 niedriger ... Eigene Untersuchungen an PCB-belasteten Patienten ergaben selbst nach langjähriger Expositionspause im Sperma 10- bis 100-fach höhere PCB-Werte als im Blut. Das bei Herrn A. nachgewiesene PCB 28 ist mit Sicherheit technischen Ursprungs und stammt nicht aus der Nahrung. Zusätzlich ergaben sich:

- über dem Referenzwert liegendes HCB im September 1995,
- über dem Referenzwert liegende Summe an DDT und Isomeren DDE und DDD,
- ein über dem Wert unbelasteter Personen liegendes PCP 1993 und 1995, wobei dieses PCP aus dem Abbau von HCB im Organismus stammen kann. Es ist davon auszugehen, dass auch im Mai 1993 die HCB-Werte um 3000 ng/l lagen, da PCP mit 15.000 ng sogar etwas höher als 1995 ermittelt wurde. HCB, PCP und DDT (-metabolite) sind klassische Insekti-, Mykocide, wie sie in Holzschutzmitteln eingesetzt werden. Da Herr A. diese nicht im häuslichen Bereich eingesetzt hat, sind als Ausgasungsquellen die VST wahrscheinlich."

Herr Dr. N. kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger ab 1980 eine Berufskrankheit der Ziffer 1302 sowie ab 1984 eine Berufskrankheit der Ziffer 1317 vorliegt und dass zu den entschädigungspflichtigen Krankheiten eine Encephalo-Neuropathie Stadium Ilb mit irreversibler Hirnstammschädigung sowie eine absolute Arrhythmie in Folge Vorhofflimmern des Herzens mit Herzinsuffizienz (Pumpschwäche) Stadium Il nach WHO vorliegen, wobei alle diese Erkrankungen auf die Berufskrankheit zurückzuführen seien. Hinsichtlich der dadurch verursachten MdE legte er eine Tabelle mit Messwerten seit 1993 vor (BI. 106 Gerichtsakte) und kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass ab 1993 eine Gesamt-MdE in Höhe von 40 sowie ab 1998 eine Gesamt-MdE in Höhe von 70 vorgelegen habe.

Auf Vorschlag des Gerichtssachverständigen Dr. N. holte das Gericht sodann ein toxikologisches Gutachten nach Aktenlage bei Herrn Professor Dr. O. vom 29.8.1998 ein, der beim Kläger ebenfalls das Vorliegen der Berufskrankheiten 1302 sowie Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung befürwortet (BI. 194 Gerichtsakte) sowie zu den beim Kläger bestehenden entschädigungspflichtigen Erkrankungsfolgen ausführt:

"Zu den herausragenden Erkrankungsfolgen zählt die vollständige Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Herr A. kann nicht an verantwortlicher Stelle eingesetzt werden, da seine Konzentrations- und Merkfähigkeit zumindest partiell unvorhersagbar beeinträchtigt sind. Bei längerer Anstrengung - wie stundenlanger Arbeit - nehmen die Störungen zu und sind nicht absehbar in ihren Folgen. Wegen der vorherigen Sensibilisierung und Sensitisierung ist Herr A. stärker empfänglich für erneute Einwirkungen und die damit verbundenen neuen Störungen sind ebenfalls nicht absehbar, so dass eine auch nur geringgradige erneute Einwirkung nicht stattfinden darf. Dies ist aber bei der - unbeabsichtigten, aber nach Aussagen der Fachwelt zutreffenden - ubiquitären Verbreitung der PCB in der Umwelt, Nahrungskette, Gebäuden (Baumaterialien) und im Boden (biologische Kette) schon nicht ganz auszuschließen. Umso mehr muss eine berufsbedingte weitergehende Einwirkung unter allen Umständen vermieden werden."

Hinsichtlich der beim Kläger bestehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit befürwortet auch er eine MdE in Höhe von 70%.

Die Beklagte legte daraufhin eine Stellungnahme ihres medizinischen Beraters Dr. P. vom 17.12.1999 vor, demzufolge nicht nachvollziehbar sei, dass bei einer täglichen zweistündigen Exposition gegenüber 6000 ng solchen schweren Erkrankungen dadurch verursacht werden könnten, während andere Arbeitnehmer bei einer achtstündigen Exposition gegenüber 500.000 bzw. 1.000,000 ng PCB - im allgemeinen ohne eine Gesundheitsbeeinträchtigung zu erleiden - zugemutet werden könnten. Zudem seien die Nahrungsmittel-PCB, die beim Kläger im Blut festgestellt worden seien, auffälliger als die Atemluft-PCB, was ebenfalls dagegen spreche, dass die Erkrankungen des Klägers durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden seien. Das Gericht holte daraufhin eine ergänzende Stellungnahme bei Herrn Professor Dr. O. vom 18.3.2000 ein, der darin folgendes ausführt:

"Die Tatsache, dass 90% der Toxizität aus der Nahrungskette stammen soll, ist ebenfalls spekulativ, da man keine andere Aufnahmequelle kennt ... Da 90% der aufgenommenen Mengen bereits eine Belastung darstellen (und dass wird hier impliziert unterstellt, weil die Krankheit selbst bei Herrn A. nicht angezweifelt wird), während die 10% vom Arbeitsplatz - wenn das überhaupt stimmt und die Verhältnisse nicht 50 zu 50% oder 40 zu 60% sind - dann gerade doch viel zu hoch, denn sie kommen zur generellen Belastung wegen versäumter Prävention am Arbeitsplatz unnötigerweise hinzu, wären aber dem Betroffenen ohne den Arbeitsplatz erspart geblieben. Hierbei handelt es sich dann ohnehin um eine typische geeignete Mitursache, die in dem Moment wesentlich geworden ist, sobald eine Erkrankung aufgetreten ist. Hier sei wiederholt, dass der Ursache-Wirkung-Zusammenhang unstrittig ist. Andernfalls wirkt es widersprüchlich, dass Herr A. im Außendienst arbeitete, wo kein Risiko bestünde, da im Innendienst gerade die wesentlich mitursächlich wirkende Einwirkung von PCB bereits auftrat, bevor er in den Außendienst übertrat. Im Außendienst war bereits - durch den Innendienst bedingt - als Vorschädigung vorhanden, was im Innendienst auch unmittelbar bereits mit Symptomen auftrat, so dass die ganze Argumentation eher im Sinne der Verursachung zu sehen ist. Es gibt keine Belege dafür, dass unterhalb des Grenzwertes keine spezifischen Störungen, Schädigungen oder Krankheiten auftreten. Das Argument, es gebe keine anerkannten Entschädigungsfälle, ist eine beliebte Methode, auf diese Weise einerseits jeden Anerkennungsfall zu verhindern und andererseits damit die Evidenz völlig willkürlich, d.h. unwissenschaftlich, überhaupt erst zu schaffen, dass eine Einwirkung unterhalb der Werte nicht pathogen sei ... Einmal durch die Schleimhäute aufgenommen, können die PCB die Wirkungen entfalten. Es bedarf keiner großen Logik - die angeblich durch die Ernährung bedingten zusätzlichen Dosen einmal akzeptiert - die verheerende Wirkung solcher zusätzlicher Expositionen mit Spitzenwerten als die eigentliche und auslösende Belastung für die prompt aufgetretenen Symptome zu erkennen. Auf der Basis von Tierversuchen über 5 Jahre Dauer wurde von Apfelbach und Hagenmaier (1998) festgestellt, dass der Riechnerv als Eintrittspforte von PCB wirken kann, so dass bei empfänglichen Personen die entscheidende hohe Dosis nicht etwa über die Nahrung, sondern über die Umgebungsluft aufgenommen werden kann. Aus den Akten geht wiederholt hervor, dass die Nasenschleimhaut und Eintrittspforte bei Herrn A. besonders stark betroffen gewesen ist. Hinzu kommt, dass eine einmalige Blutwertbestimmung wegen gewisser Fehlerbreiten des Laborwerts nicht so aussagekräftig ist, dass sie mit Mittelwerten aus größeren Untersuchungsreihen direkt in Beziehung gesetzt werden können. Die Über den Riechnerv aufgenommenen Mengen werden ohnehin nur erfassbar, wenn das Stammhirn - Zentrum der wichtigsten Regulationsfunktionen des Nervensystems - analysiert wird ... Bei 90% angeblich aus der Nahrung aufgenommenen PCBs muss doch sofort einleuchten, dass zusätzliche 10% nicht einfach tolerabel sind, sondern der gefürchtete Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, zumal wenn sie aus einem Bereich stammen, wo sie nicht auftreten sollten und wo - bald Einwirkungen dennoch stattfinden - die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität zu prüfen sind. Aus den Akten geht hervor, dass von einem Sachbearbeiter Q. der Zentralstelle Arbeitsschutz behauptet wird: die PCB-Belastung von ca. 10.000 ng/m³ über 5 Monate und 6000 ng/m³ über 11 Jahre bedeute nur geringfügige Überschreitung der duldbaren Tagesdosis ... und würde durch die Zeiten geringerer Exposition wieder ausgeglichen. Das trifft nicht zu und ist auch völlig spekulativ ..., wie aus der gesamten von mir hier angeführten Literatur hervorgeht. Es verkennt erstens die Art der PCB Congeneren und zweitens den metabolischen Schaden, der eine Rolle bei der kumulativen Speicherung spielt ... Der Vorsorgewert liegt bei 300 ng/m³. Wieso soll die Exposition von Herrn A. gegenüber einer Konzentration von 1.000 ng/³ dann als "geringfügige Überschreitung" und "wieder ausgeglichen" gelten, wenn andererseits schon bei über 3.000 ng/m³ eine Sanierung gefordert wird? Kann Herr Dr. P. entscheiden, welche PCB-Belastung die wesentliche Mitursache gewesen ist? ... Auch aus diesen Untersuchungen ergibt sich besonders deutlich, dass bei empfänglichen Personen bereits geringe Dosen der PCB-Belastung zu Schäden führen und dass ein, wenn auch nur geringfügiges, Überschreitung tolerabler Dosen nicht mit der Gesundheit vereinbar ist, sobald auf bereits vorbestehende Schädigungen und auf sonstigen Wegen aufgenommene Mengen der gleichen Substanzen ein wegen versäumter Prävention weiterer jahrelang hoher Belastungsgrad hinzutritt ..."

Die Beklagte legte daraufhin eine erneute Stellungnahme ihres medizinischen Beraters Dr. P. vom 7. Juni 2000 vor, in welcher dieser ausführt, dass er nicht behaupten wolle, dass die Erkrankung des Klägers durch PCBs in der Nahrungsmittelkette alleine verursacht sei. Vielmehr seien die Gesundheitsstörungen des Klägers aus seiner Sicht nicht durch PCB erklärbar, weder arbeitsplatzbedingt, noch nahrungsmittelbedingt, da dazu die Dosis nicht ausreiche. Selbst wenn man von einem Gendefekt beim Kläger ausginge, könne nicht die arbeitsplatzbedingte PCB-Belastung die wesentliche Ursache für die Erkrankung des Klägers gewesen sein, da die Grenzwerte für die Allgemeinbevölkerung nicht überstiegen worden sei. Zudem sei das Konzept des Sachverständigen Dr. N. nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt.

Der Vorsitzende hat am Tag vor der mündlichen Verhandlung telefonisch mit dem Sachverständigen Professor Dr. O. Rücksprache gehalten und sich Teile des Gutachtens mündlich erläutern lassen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass bei ihm die Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheiten Nr. 1302 und 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorlägen und beantragt,

den Bescheid vom 8.5.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.5.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen einer Berufskrankheit der Nrn. 1302 sowie 1317 der Anlage 1 der BKVO anzuerkennen sowie nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 40 ab Mai 1993 sowie in Höhe von 70 ab Januar 1998 in gesetzlicher Höhe zu entschädigen,

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung ihres Widerspruchsbescheides, die Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes sowie die Stellungnahmen ihres medizinischen Beraters. Insbesondere vertritt sie die Auffassung, dass auch durch die Beweisaufnahme in Gerichtsverfahren nicht nachgewiesen seil dass die Erkrankungen des Klägers auf die PCB-Belastung am Arbeitsplatz zurückzuführen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Beklagtenakte Bezug genommen, soweit deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden (§§ 57, 87, 90, 91 und 92 des Sozialgerichtsgesetzes SGG ). Insoweit gilt der Einwurf der Klageschrift beim Arbeitsgericht als fristwahrend. Das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Vorverfahren ist erfolglos durchgeführt worden (vgl. §§ 78 ff. SGG). Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG statthaft, da der Kläger sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung einer Berufskrankheit sowie deren Entschädigung und somit einen belastenden Verwaltungsakt wehrt, sowie mit seinem Begehren auf Anerkennung einer Entschädigung eine Leistung erhalten möchte, auf die er bei Vorliegen der Voraussetzungen auch einen Anspruch hat.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sich der von ihm geltend gemachte Leistungsfall, nämlich die Exposition gegenüber PCB, durch welche eine Erkrankung verursacht wurde, im Mai 1993 und somit vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 ereignet hat (Art. 36 Unfallversicherungseinordnungsgesetz, § 212 SGB VII).

Die Klage ist auch fast in vollem Umfang begründet. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen zur Anerkennung der Berufskrankheiten Nr. 1302 sowie 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sowie auf Gewährung einer Verletztenrente seit 1. Juni 1993 unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles im Mai 1993 nach einer MdE in Höhe von 40 sowie seit Januar 1998 in Höhe einer MdE von 70%. Die Bescheide der Beklagten waren daher aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Gemäß § 551 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall (§ 548 RVO) auch eine Berufskrankheit. Danach sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der im Gesetz näher bezeichneten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu verzeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung durch den Erlass der hier anzuwendenden, noch bis 1.12.1997 in Kraft gewesenen Zweiten Verordnung über die Änderung der BKVO vom 18.12.1992 (vgl. BGBI. l, S. 2343) Gebrauch gemacht. Hierbei ist die BVKO anzuwenden, die im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls Gültigkeit hatte (vgl. BSG in SozR 5670 Anl. 1 Nr. 4302 Nr. 1; SozR 5677 Anl. 1 Nr. 46 Nr. 8). Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls bestimmt § 551 Abs. 3 RVO den Zeitpunkt des Beginns der Krankheit bzw. den Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit, wenn letzteres für den Versicherten günstiger ist.

Eine Anerkennung der Berufskrankheit der Ziffer 1302 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung setzt voraus, dass

(1) der Kläger am Arbeitsplatz einer Exposition von halogenen Kohlenwasserstoffen unterlegen hat,
(2) dass beim Kläger Erkrankungen vorliegen,
(3) dass diese Erkrankungen im Sinne einer rechtlich wesentlichen Ursache durch die berufliche Tätigkeit verursacht wurden.

Die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 1317 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung setzt darüber hinaus voraus, dass der Kläger

(1) am Arbeitsort organischen Lösungsmitteln bzw. deren Gemischen ausgesetzt war,
(2) dass bei ihm eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie besteht und
(3) dass diese Erkrankungen im Sinne einer wesentlichen Ursache durch die berufliche Exposition verursacht wurden.

Voraussetzung für das Vorliegen dieser Merkmale ist des Weiteren, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, wegen der Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Hierbei muss ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des gesamten Ergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 54, 285, 287; 61, 127, 128). Hingegen genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge schädigender Einwirkungen – die Kausalität also - die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (s. BSGE 58, 76, 78; 61, 127, 128), die dann gegeben ist, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen diese Kausalität spricht. Der ursächliche Zusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).

ad 1:
Der Kläger war im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit seit spätestens Anfang der 80iger Jahre bis zur Umsetzung zur Dienststelle B-Stadt in den Vermittlungsstellen E-Stadt und D-Stadt auf Grund der dort verwandten Isoliermittel polychlorierten Biphenylen (PCBs), die zu den halogenen Kohlenwasserstoffen gehören (s. Merkblätter Nr. 1302, 1.6) ausgesetzt. Zugleich handelt es sich bei polychlorierten Biphenylen um organische Lösungsmittel, wie sie die Berufskrankheit Nr. 1317 voraussetzt. Dass der Kläger an seinem Arbeitsort diesen PCBs durch die dort eingeatmete Atemluft ausgesetzt war, ist im Wesentlichen zwischen den Beteiligten nicht streitig, wie bereits aus der Stellungnahme der Zentralstelle Arbeitsschutz vom 25.2.1994 (BI. 77 Beklagtenakte) folgt, wonach der Kläger in der Ortsvermittlungsstelle E-Stadt über ein halbes Jahr einer Menge von etwas mehr als 7.000 ng PCBs ausgesetzt war. Auch die Beklagte geht davon aus, dass der Kläger 1981 für ca. fünf Monate einer Belastung von 10.000 ng PCB/m³ Luft und von 1982 bis 1993 einer Menge von etwa 6.000 ng PCB/m³ für ca. zwei Stunden täglich ausgesetzt war.

ad 2:
Beim Kläger bestehen darüber hinaus Erkrankungen, wie sie der Wortlaut der Nrn. 1302 bzw. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ebenfalls voraussetzt. So folgt aus den im Laufe des Gerichtsverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten, dass beim Kläger sowohl eine Encephalo- als auch eine Polyneuropathie Stadium Ilb (Hirn- und Vielnervenkrankheit) vorliegen sowie eine toxisch bedingte Herzmuskelschädigung, eine Gelenkshaut- sowie Muskelerkrankung als auch eine chronisch wiederkehrende Harnblasenentzündung mit Zustand nach einem gutartigen Harnblasentumor, eine chronische Magenschleimhautentzündung mit Rückflusskrankheit in die Speiseröhre, chronisch wiederkehrende Entzündungen der oberen und mittleren Atemwege bei einem bestehenden Trockenheitssyndrom der Schleimhaut und Augenbindehäute sowie ein Trockenheitssyndrom der Haut, ein Erschöpfungssyndrom sowie eine Hypercolesterin- und Triglyzeridämie (Blutfetterhöhung). Dies folgt zur Überzeugung der Kammer insbesondere aus dem Gutachten des Herrn Dr. N., in dem dieser die Befunde nach Untersuchung des Klägers erhoben hat. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. N. sind in sich schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend. Die Diagnosen werden nach eingehender Befunderhebung mit nachvollziehbarer und für die Kammer einleuchtender Begründung gestellt und stehen im Einklang mit den übrigen Befunduntedagen. Da beim Kläger eine Encephalo- sowie Polyneuropathie somit festgestellt wurden, liegen auch die gesundheitsbedingten Voraussetzungen der Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vor. Die Erkrankungen des Klägers sind zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

ad 3:
Streit besteht zwischen den Beteiligten jedoch hinsichtlich der Frage, ob die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen durch die PCB-Belastungen am Arbeitsplatz im Sinne einer rechtlich wesentlichen Ursache kausal bedingt sind, weshalb sich darauf die Prüfung der Kammer zu konzentrieren hatte. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung und der festgestellten Gesundheitsschädigung - die haftungsausfüllende Kausalität also - beurteilt sich auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung nach der im Sozialrecht herrschenden Lehre von der wesentlich mitwirkenden Bedingung (s. hierzu BSG 1, 72, 76; 6, 164, 169; 12, 242, 165). Danach ist nicht jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (so genannte conditio sine qua non) als ursächlich anzusehen, sondern nur diejenige Bedingung, die im Verhältnis zu anderen, einzelnen Bedingungen nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Wenn mehrere Bedingungen gleichwertig oder annähernd gleichwertig zu dem Erfolg beigetragen haben, so ist jede von ihnen Ursache im Rechtssinne. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, so ist er allein wesentliche Ursache im Rechtssinne. Der Begriff der wesentlichen Ursache ist somit ein Wertbegriff. Die Frage, ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich demnach nach dem Wert, den ihm die Auffassung des täglichen Lebens gibt. Die von der beruflichen Belastung ausgehende gesundheitsschädigende Wirkung braucht danach zwar nicht die alleinige, es wird aber zumindest eine wesentliche mitwirkende Ursache nach den obigen Ausführungen sein. Wenn mehrere Bedingungen gleicher Intensität zum Erfolgseintritt beigetragen haben, dann sind sie auch als nebeneinander stehende Mitursachen im Rechtssinne zu betrachten und keine von ihnen hebt die Mitursächlichkeit der anderen auf. Tritt aber eine der Bedingungen gegenüber den anderen für den Erfolgseintritt weit in den Vordergrund, so ist diese alleine Ursache im Rechtssinne, während die anderen Bedingungen als rechtlich unwesentlich außer Betracht bleiben. Für das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhangs muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit vorhanden sein, d.h., dass bei einer vernünftigen Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Erwägungen muss die dafür sprechende so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden außer Betracht bleiben können. Die bloße Möglichkeit hingegen reicht für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges nicht aus (s. Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII, Rdnrn. 3 ff., s. auch Breiter Hahnen/Schicke/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 SGB VII Rdnr. 10.1 m.w,N.).

Nach Auffassung der Kammer kann aus den im Laufe des Gerichtsverfahrens eingeholten Gutachten bei Professor Dr. N. sowie Herrn Professor Dr. O. zweifelsfrei entnommen werden, dass mit Wahrscheinlichkeit die PCB-Exposition, derder Kläger in seinem beruflichen Alltag unterlegen hat, rechtlich wesentliche Bedingung für die bei ihm festgestellten Erkrankungen ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann nicht aus den gegensätzlich lautenden Ausführungen ihres medizinischen Beraters Dr. P. geschlossen werden, dass der Beweis im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht erbracht sei. So sprechen für die Kausalität im Sinne einer wesentlichen Bedingung nach Auffassung der Kammer die folgenden Gesichtspunkte:

- Laut Gutachten von Professor Dr. N. wurde beim Kläger das PCB 28 im Sperma mit einer Konzentration von 3,1 &956;g/28 kg festgestellt. Bei diesem PCB 28 handelt es sich nach den Darlegungen von Dr. N. als auch von Professor Dr. O., die dieser in der telefonischen Rücksprache mit dem Vorsitzenden noch einmal bestätigt hat, um ein PCB, welches nicht durch die Nahrung aufgenommen wird, sondern technischen Ursprungs ist und somit durch die Atemluft inhaliert wird. Da normalerweise PCB-Konzentrationen im Nanogrammbereich und somit um den Faktor 10 bis 100 niedriger liegen, muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger durch die Atemluft dieses PCB in erheblichem Umfang aufgenommen hat.

- Nach Auffassung der Kammer kann diesen Feststellungen auch nicht entgegengesetzt werden, dass andere Bevölkerungsschichten wie auch Kollegen des Klägers den gleichen PCB-Mengen ausgesetzt waren und nicht erkrankt sind, da aus den schlüssigen und widerspruchsfreien Ausführungen von Dr. N. folgt, dass der Kläger an einem Gendefekt und einer damit verbundenen Immunschwäche auf Grund des Fehlens eines bestimmten Enzyms leidet, welches für den PCB-Abbau bzw. die Entgiftung verantwortlich ist. So folgt aus dem Gutachten zweifelsfrei, dass die Untersuchungen zwei Entgiftungsschwächen, nämlich einmal eine langsame Entgiftung über die NAT2 und die nicht vorhandene der &960; und M1-Transferasen ergeben haben. Hierbei handelt es sich auch nicht um eine seltene Enzymausstattung, sondern um eine normale Variation, wie sie bei 30 bzw. 16% der Bevölkerung vorkommt (Enzympolymorphismus). Aus dem Gutachten von Dr. N. folgt des Weiteren, dass diese Enzymstruktur als solche keinen Krankheitswert hat, sondern dass erst eine chronische Schadstoffbelastung die beim Kläger festgestellten Erkrankungen auslösen kann.

- Gerade dieser Enzymdefekt stellt nach Auffassung der Kammer auch eine logische und überzeugende Erklärung dafür dar, dass trotz der geringfügigen Überschreitung der Grenzwerten, wie sie der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten berechnet hat, der Kläger erkrankt ist. Insoweit vertritt jedoch auch das Gericht die Auffassung, dass diese Grenzwerte gemessen an den Vorgaben des Gesundheitsamtes über die Sanierung von PCB-belasteten Gebäuden als zu hoch angesetzt erscheinen müssen. So folgt aus diesen Vorgaben des Gesundheitsamtes Hessen (s. BI. 234 Gerichtsakte), dass bereits bei einer Raumluftkonzentration von über 3.000 ng PCB/m³ unverzügliche Maßnahmen bei Abwehr möglicher Gefahren für die Gesundheit zu ergreifen sind und, soweit durch Erstmaßnahmen die Werte nicht innerhalb von drei Monaten auf unter 3.000 ng/m³ gesenkt werden können, der entsprechende Raum bzw. Gebäudeteil geschlossen werden muss. Nach Auffassung der Kammer kann daher kaum mehr von einer geringfügigen Überschreitung ausgegangen werden, wenn der Kläger unstreitig von 1982 bis 1993 der doppelten Menge, nämlich 6.000 ng PCB/m³ Luft für ca. zwei Stunden täglich exponiert war. Selbst wenn man jedoch die Grenzwertberechnung des Technischen Aufsichtsdienstes annimmt und bei einem etwa 70 kg schweren Menschen von einer höchstzulässigen PBC-Belastung in Höhe von 7.000 ng/m³ Luft ausgeht, so ist der beim Kläger festgestellte Enzymdefekt eine logische Erklärung dafür, dass die - nach Auffassung der Beklagten geringfügigen - PCB-Belastungswerte beim Kläger zu den verheerenden Auswirkungen führen konnten.

- Auch die im Verhältnis zu den Atemluft-PCB-Werten auffälligeren Nahrungsmittel-PCB-Werte vermögen den Beweiswert der eingeholten Gerichtsgutachten und die Überzeugung der Kammer, dass die Entstehung der Krankheit des Klägers wesentlich durch die Ateminhalation der PCB-verunreinigten Atemluft an seinem Arbeitsplatz mit Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich verursacht worden ist, nicht zu erschüttern. Aus den Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. O. in seinem Gutachten, welche dieser am Tag vor der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Vorsitzenden telefonisch noch einmal erläutert hat, folgt zudem, dass die Aufnahme von PCB durch die Atemluft eine erheblich aggressivere Wirkung entfaltet, als die Aufnahme von PCBs durch die Nahrungsmittel, da letztere zunächst den gesamten Verdauungstrakt, nämlich Magen und Darm, durchlaufen müssen, dort vom Blut resorbiert werden und sodann in einem Reinigungsprozess in der Leber unterlaufen, bevor sie unmittelbar auf das Hirn einwirken können. Bei durch die Atemluft aufgenommenen PCBs ist es hingegen so, dass diese unmittelbar beim Einatmen auf das Hirn einwirken können und so die bekannten Reaktionen bzw. Erkrankungen auslösen können. Nach Auffassung der Kammer ist daher entgegen den Ausführungen von Dr. P. als medizinischem Berater der Beklagten kein Widerspruch darin zu sehen, dass die PCB-Werte der Nahrungsmittel-PCB höher waren als die der Atemluft-PCB und es ist nach Auffassung der Kammer auch unschädlich, dass der Kläger ein erheblich höheres Maß von PCBs durch die Nahrungsmittel aufgenommen hat, da es, wie aus dem Gutachten folgt, nicht nur auf die absolute Menge der aufgenommenen PCBs ankommt, sondern auch auf den Weg, wie diese auf das Nervensystem einwirken können. Es ist für die Kammer überzeugend, dass im Falle eines vorliegenden Enzymdefekts, wie beim Kläger, und der unmittelbaren Aufnahme von PCBs durch die Atemluft somit Erkrankungen, wie sie beim Kläger festgestellt wurden, ausgelöst werden.

Bei dem beim Kläger festgestellten Enzymdefekt handelt es sich auch nicht um die allein rechtlich wesentliche Ursache für die Erkrankungen des Klägers, weshalb der PCB-Atemluftbelastung, der der Kläger ausgesetzt gewesen ist, nicht bloß die Bedeutung einer Gelegenheitsursache zukommt. Wenn eine krankhafte Veranlagung oder ein Unfallereignis bei der Entstehung einer Körperschädigung zusammenwirken, so sind beide Bedingungen für das Unfallgeschehen als ursächlich anzusehen. Nach den Grundsätzen über den ursächlichen Zusammenhang ist dann zu beurteilen, ob das Unfallereignis eine wesentlich mitwirkende Bedingung für die Schädigung gewesen ist, oder ob die krankhafte Veranlagung alleinige oder überragende Ursache war. Das Unfallereignis kann dann nicht als rechtlich wesentlich für einen bestehenden körperlichen Schaden im dargestellten Sinne gewertet werden, wenn es lediglich eine Gelegenheitsursache dafür darstellt. Eine solche liegt vor, wenn bei der Abwägung der kausalen Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar ist, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr keiner besonderen Einwirkungen bedarf, sondern vielmehr jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu etwa derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG in SozR 2200 § 589 Nr. 10). Maßgeblich dafür ist der Schweregrad der Krankheitsanlage unmittelbar vor dem in Streit stehenden äußeren Ereignis. Diese muss so ausgeprägt sein, dass bereits alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignisse in absehbarer Zeit wahrscheinlich die Krankheit zum Entstehen gebracht hätten (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 51). Als Faustformel gilt hier, dass, je größer die Schadensanlage und je geringer das äußere Ereignis ist, um so eher eine rechtlich unwesentliche Ursache anzunehmen ist und umgekehrt (s. Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII Rdnr. 30). Zwar ist danach ein äußeres Ereignis im Maß einer alltäglichen Belastung bei mitwirkenden Schadensanlagen immer nur eine rechtlich unwesentliche Ursache (s. Kasseler Kommentar, a.a.O., Rdnr. 27). Im vorliegenden Fall kann jedoch nach dem oben Gesagten nicht von einer alltäglichen PCB-Belastung ausgegangen werden, da auch nach den von der Beklagten berechneten Grenzwerten immerhin über fünf Monate der Kläger einer erhöhten und über dieser höchstzulässigen Menge von 7.000 ng liegenden PCB-Belastung unterlegen hat. Gemessen an den Sanierungsrichtlinien des Gesundheitsamtes muss zudem von einer erheblichen Übersteigung der alltäglichen Belastungsgrenze ausgegangen werden. Zudem hat Herr Dr. N. in seinem Gutachten schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt, dass es sich bei dem Enzymdefekt allein nicht um einen krankheitswertigen Zustand handelt, sondern dass dieser erst durch die äußeren Einflüsse in Form von Schadstoffbelastungen entsteht. Geht man davon aus, dass der Kläger über 13 Jahre am Arbeitsort bei der dort eingeatmeten Luft einer PCB-Belastung von mindestens 6.000 ng/m³ Luft zwei Stunden täglich ausgesetzt war, und die bei ihm festgestellten Erkrankungen ohne diese PCB-Belastung vermutlich nie aufgetreten wäre, kann nicht bloß von einer Gelegenheitsursache ausgegangen werden.

Desweiteren wird die Bedeutung der PCB-Atemluftkonzentration am Arbeitsplatz als wesentliche Ursache für die Krankheit des Klägers nicht dadurch relativiert, dass der Kläger PCB auch durch die Nahrungskette aufgenommen hat. So müsste zum einen feststehen, dass es sich hierbei um eine konkurrierende Ursachen handelte, die alleine für die Erkrankung des Klägers verantwortlich ist (s. Erlenkemper/Fichte, Sozialrecht 2.3). Jedoch hat auch der medizinische Berater der Beklagten, Dr. P., in seiner letzten Stellungnahme nicht ausgeführt, dass nach seiner Auffassung die Erkrankungen des Klägers durch die PCB-Belastung in der Nahrung entstanden sind, sondern dass die Gesamtdosis zu niedrig gewesen sei. Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen und erst recht nicht den Beweiswert der eingeholten Sachverständigengutachten zu erschüttern, da sich dann die Frage stellt, wodurch der Kläger ansonsten erkrankt sein soll, wenn nicht gerade durch die PCB-lnhalation. Vielmehr folgt aus den im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten zweifelsfrei, dass die Erkrankungen durch die PCB-Belastung des Klägers verursacht wurden und dass hierbei das durch die Atemluft aufgenommene PCB zumindest eine wesentliche Mitursache dargestellt hat. Wegen der aggresiveren Wirkung der Aufnahme von PCB durch die Atemluft ist sogar fraglich, ob alleine durch die Nahrungsmittel die Krankheiten ausgelöst worden wären.

Schließlich folgt nach Auffassung der Kammer aus dem Rechtsgedanken des § 830 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), dass bei einer so genannten Teilursächlichkeit, wenn nämlich nicht geklärt werden kann, welche Ursache einen bestimmten Erfolg tatsächlich herbeigeführt hat, jedoch jede alleine für sich kausal hat sein können, eine Vermutung eintritt, dass jede der Bedingungen kausal ist (s. Anders in SGb 10 2000, S. 454, 457 sowie Fuchs, SGb 97, S. 601 ff.). Selbst wenn also die durch die Nahrung aufgenommenen PCBs alleine kausal für das Auftreten der Erkrankungen hätten sein können, so steht nach den eingeholten Gutachten nach Überzeugung der Kammer fest, dass auch alleine die durch die Atemluft aufgenommenen PCBs Ursache der Krankheit sind und diese somit zumindest eine rechtlich wesentliche Mitursache darstellen.

Hinsichtlich der durch die berufliche PCB-Exposition verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit schließt sich die Kammer vollinhaltlich den Ausführungen von Dr. N. an, der in seinen Ausführungen in tabellarischer Form die einzelnen Krankheiten mit Einzel-MdE s bewertet hat und zu einer gestaffelten Gesamt-MdE in Höhe von 40 seit Mai 1993 sowie 70 seit Beginn 1998 kommt. Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Fähigkeit des Versicherten, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Kenntnissen und körperlichen sowie geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Dementsprechend ist unter MdE die Beeinträchtigung dieser Fähigkeit zu verstehen. Die Schadensberechnung selbst erfolgt jedoch abstrakt. Die Form einer Rente zu gewährenden Entschädigung soll nicht den tatsächlichen Minderverdienst ausgleichen, sondern ist nach dem Unterschied der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten des Verletzten vor und nach dem Arbeitsunfall zu bemessen. Für die Höhe der MdE ist es somit unerheblich, ob der Betroffene wegen der unfallbedingten Gesundheitsbeeinträchtigung tatsächlich arbeitet oder geringeres Erwerbseinkommen erzielt, ob er seine restliche Erwerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt überhaupt noch lohnbringend verwerten kann oder nicht mehr, ob er unabhängig von den Unfallfolgen etwa wegen seines Alters oder anderer Leiden ohnehin nicht mehr arbeiten würde, oder ob er als Kind, Schüler oder Student auch ohne das schädigende Ereignis ohne Arbeit und ohne Erwerbseinkommen wäre. Ausgangspunkt für die Bemessung der MdE ist demnach die individuelle Erwerbsfähigkeit, d.h. die Erwerbsfähigkeit, die bei dem Verletzten vor dem Unfall bestand. Für die Bemessung der MdE durch Unfallfolgen sind danach zwei Faktoren von Bedeutung: Einerseits der Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen, andererseits der Umfang der verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (BSG in SozR 2200 § 581 Nrn. 23, 24, 261 27; Brackmann/Burchhardt, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, 12. Aufl., § 56 SGB VII Rdnr. 38 ff.). Mögliche zukünftige, auf die Unfallfolgen zurückzuführende Gesundheitsbeeinträchtigungen sind dabei jedoch zunächst nicht zu berücksichtigen; diese können allenfalls im Zeitpunkt ihres Auftretens zu einer Erhöhung der unfallbedingten MdE führen. Die MdE-Einschätzung von 40% ab Mai 1993 sowie 70% ab Beginn 1998 entspricht den von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätzen, die zwar kein Gesetz darstellen und nicht im Einzelfall bindend sind, aber die die Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen in der täglichen Praxis bilden und daher von den Gerichten zur Gleichbehandlung aller Unfallverletzten bzw. Kläger regelmäßig angewandt werden (BSG in SozR 2200 § 581 Nr. 27).

Die MdE-Beurteilung war hier, obwohl letztlich zwei Berufskrankheiten vorliegen, einheitlich zu beurteilen, da es sich bei den Nrn. 1302 und 1317 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung um Berufskrankheiten handelt, die dieselben Zielorgane betreffen und deren Schutzzweck damit identisch ist. Es ist daher von einem Versicherungsfall auszugehen.

Der Beginn der zu gewährenden Verletztenrente richtet sich nach § 580 RVO. Nach Auffassung der Kammer ist der Versicherungsfall spätestens im Mai eingetreten, als der Kläger im Mai nach B-Stadt versetzt wurde und somit eine PCB-Belastung nicht mehr bestand. Die Rente war daher ab 1. Juni 1993 zuzusprechen.

Nach alledem war das Klagebegehren vollumfänglich bis auf den Monat Mai 1993 begründet. Die Bescheide der Beklagten waren aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
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