S 7 AS 154/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 7 AS 154/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 379/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Bescheide des Beklagten vom 24.10.2011, 26.11.2011 und 18.01.2012, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2012, sowie der Folgebescheid des Beklagten vom 15.02.2012 werden geändert. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern im Zeitraum vom 01.09.2011 bis 31.01.2012 Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung der Freibeträge nach § 11 b Abs. 2, Abs. 3 SGB II zu gewähren.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Beklagte hat den Klägern 2/5 ihrer Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung von Ausbildungsgeld bei dem Kläger zu 1. und von Berufsausbildungshilfe (BAB) bei dem Kläger zu 2. dem Grunde, hilfsweise der Höhe nach, auf das Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.

Die 1993 geborenen Kläger lebten im Streitzeitraum gemeinsam mit ihrer 1965 geborenen Mutter in einer Bedarfsgemeinschaft. Mit Bescheid vom 29.07.2011 wurden den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft (Kläger zu 1. und 2. und ihrer Mutter) Leistungen nach dem SGB II bewilligt, dabei den Klägern in Höhe von 137,00 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.08.2011 bis 31.01.2012. Wegen des Bezugs von Ausbildungsgeld nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) III ab dem 19.09.2011 änderte der Beklagte mit Bescheid vom 24.08.2011 – bezogen auf den Kläger zu 1. – seine Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.09.2011 bis 31.01.2012 und bewilligte ihm für diesen Zeitraum lediglich noch 50,60 Euro statt der bisherigen 137,00 Euro an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Kosten der Unterkunft und Heizung wurden in unveränderter Höhe gewährt.

Mit weiterem Bescheid vom 24.10.2011 änderte der Beklagte seine Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.09. bis 31.01.2012 erneut; Grund hierfür war die Anrechnung von Berufsausbildungsbeihilfe nach dem SGB III bei dem Kläger zu 2., so dass dem Kläger zu 2. vom 01.09.2011 bis 31.01.2012) nur noch 50,60 Euro an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (bei gleichbleibenden Kosten für Unterkunft und Heizung) gewährt wurden. Eine hierdurch eingetretene Überzahlung der in der Vergangenheit erbrachten Leistungen nach dem SGB II wurde durch einen von dem Beklagten bei der Arbeitsagentur angemeldeten Erstattungsanspruch ausgeglichen. Mit seinem Widerspruch vom 17.11.2011 machte der Prozessbevollmächtigte der Kläger geltend, die Anrechnung der Berufsausbildungsbeihilfe bzw. des Ausbildungsgeldes bei den Klägern sei fehlerhaft. Seit dem 19.09.2011 absolvierten beide Kläger eine berufsvorbereitende Ausbildung. Die Einnahmen aus dem Ausbildungsgeld und der Berufsausbildungsbeihilfe seien als Erwerbseinkommen im Sinne des SGB II zu bewerten, was zur Folge habe, dass beiden Klägern jeweils der Grundfreibetrag von 100,00 Euro gewährt werden müsse. Dies sei jedoch nicht geschehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2012 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, als Einkommen seien bei den Klägern zu berücksichtigen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert, abzüglich der nach § 11 b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11 a SGB II genannten Einnahmen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Bei dem Ausbildungsgeld, das ein Bezieher von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bei beruflicher Ausbildung beziehe, handele es sich um eine Leistung der Arbeitsförderung. Es sei damit keine zweckbestimmte Einnahme im Sinne von § 11 a Abs. 3 SGB II, sondern Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II, welches bedarfsmindernd bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen sei (so auch Sozialgericht Stade, Urteil vom 29.07.2010, Az. S 17 AS 169/10). Ein Grundfreibetrag für die am 23.01.1993 geborenen Kläger sei nicht zu gewähren, da dieser Freibetrag nur für Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit gewährt werde. Dies seien Einnahmen, welche die leistungsberechtigte Person unter Einsatz und Verwertung ihrer Arbeitskraft aus einer Tätigkeit erziele, was bedeute, dass eine Ausbildungsvergütung bereinigt werde, aber nicht die Berufsausbildungsbeihilfe, da diese nur die Arbeitsaufnahme fördere.

Bereits vor Erlass des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2012 erließ der Beklagte weitere Änderungsbescheide (Änderung aus hier nicht streitgegenständlichen Gründen) vom 26.11.2011 und 18.01.2012 im Streitzeitraum. Nach Widerspruchsbescheid erging ein weiterer Bescheid vom 15.02.2012.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.01.2012 richtet sich die am 24.02.2012 erhobene Klage.

Die Kläger sind der Auffassung, dass Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II überhaupt nicht als Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II auf die Leistungen anzurechnen seien. Hierbei beziehen sie sich unter anderem auf ein Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05.12.2008 (Az. S 37 AS 23403/08; Juris) wonach Ausbildungsgeld nicht als Einkommen anzurechnen sei, da es Taschengeldcharakter habe und dazu diene, die Motivation zur Absolvierung der Maßnahme zu unterstützen. Doch selbst wenn man davon ausginge, dass Ausbildungsgeld und Berufsausbildungsbeihilfe grundsätzlich als Einkommen im Sinne des SGB II zu berücksichtigen seien, so hätte den Klägern über die erfolgte Berücksichtigung des Versicherungspauschal-Freibetrages in Höhe von 30,00 Euro monatlich hinaus auch die Freibeträge nach § 11 b Abs. 2 und 3 SGB II zugestanden, so dass die Berechnung des Beklagten unzutreffend und daher Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in zu geringer Höhe bewilligt worden seien. Die Erwerbstätigenfreibeträge seien auch bei diesen Leistungen nach dem SGB III zu gewähren, wobei die Kläger auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.09.2011, Az. B 4 AS 180/10 R) Bezug nehmen, wonach der Erwerbstätigenfreibetrag einzig vom Erwerbs- und nicht vom Erwerbsersatzeinkommen abzusetzen sei. Bei dem Ausbildungsgeld und bei der Berufsausbildungsbeihilfe handele es sich jedoch um ein solches Erwerbseinkommen, da sowohl Ausbildungsgeld als auch Berufsausbildungsbeihilfe nur bei Anbieten der Gegenleistung in Form der Arbeitsleistung des Auszubildenden gezahlt werde. Der Auszubildende verwerte seine Arbeitskraft, unabhängig davon, ob es sich möglicherweise nur um eine berufsvorbereitende Maßnahme handele. Insbesondere die Anreizwirkung des Erwerbstätigenfreibetrages sei auch bei dieser Art von Ausbildung zu berücksichtigen. Die Kläger legen die Bescheide der Arbeitsagentur Kassel vom 16.08.2011 und 25.10.2011 über die Bewilligung von Ausbildungsgeld für den Kläger zu 1. für die Zeit vom 19.09.2011 bis 18.08.2012 in Höhe von 216,00 Euro monatlich, zuzüglich Reisekosten für Pendelfahrten in Höhe von 44,70 Euro monatlich, und vom 25.10.2011 über die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von 261,00 Euro monatlich für die Zeit vom 19.09.2011 bis 18.07.2012 für den Kläger zu 2. vor, wobei im Bescheid über die Berufsausbildungsbeihilfe ein Bedarf für den Lebensunterhalt von 216,00 Euro und ein Bedarf für Pendelfahrkosten von 44,70 Euro enthalten ist.

Die Kläger beantragen,
die Bescheide des Beklagten vom 24.10.2011, 26.11.2011 und 18.01.2012, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2012 sowie den Änderungsbescheid des Beklagten vom 15.02.2012 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihnen im Bewilligungszeitraum vom 01.09.2011 bis 31.01.2012 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen und hierbei das Ausbildungsgeld des Klägers zu 1. und die Berufsausbildungsbeihilfe des Klägers zu 2. nicht als Einkommen zu berücksichtigen,
hilfsweise
den Beklagen zu verurteilen, den Klägern im Bewilligungszeitraum vom 01.09.2011 bis 31.01.2012 bei der Anrechnung des Ausbildungsgeldes bzw. der Berufsausbildungsbeihilfe jeweils einen Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 11 b Abs. 2 und 3 SGB II zu berücksichtigen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner Rechtsauffassung im angefochtenen Widerspruchsbescheid fest. Der Bezug von Ausbildungsgeld und Berufsausbildungsbeihilfe sei gemäß § 11 Abs. 1 SGB II auf die Leistungen nach dem SGB II anzurechnen, so dass die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden seien. Die Berücksichtigung von Erwerbstätigenfreibeträgen komme hingegen nicht in Betracht, da diese nur für Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit gewährt würden. Dieses seien Einnahmen, die unter Einsatz und Verwertung der Arbeitskraft erzielt würden. Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld seien um diesen Erwerbstätigenfreibetrag nicht zu bereinigen, da die Leistungen nach dem SGB III lediglich die Arbeitsaufnahme förderten, jedoch keine Gegenleistung für den Einsatz und die Verwertung der Arbeitskraft der Kläger darstellten.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind. Die Kläger haben sich mit Schriftsätzen vom 20.06.2012 und 20.06.2013, der Beklagte mit Schriftsatz vom 21.06.2012 mit einer Entscheidung des Gerichtes ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über den vorliegenden Rechtsstreit entscheiden, nachdem die Beteiligten mit ihren Schriftsätzen vom 20.06.2012 und 21.06.2012 sowie vom 20.06.2013 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 SGG erteilt hatten.

Die Auslegung der Kammer zum Streitzeitraum ergibt für beide Kläger, dass der gesamte Zeitraum vom 1.9.2011 bis 31.1.2012 Streitgegenstand der vorliegenden Klage ist, auch wenn der Kläger zu 1. den ursprünglich ändernden Bescheid des Beklagten vom 24.08.2011 (Anrechnung des ab 19.9.2011 gezahlten Ausbildungsgeldes) nicht angefochten hat und insofern Bestandskraft nach § 77 SGG eintrat. Denn der ursprünglich angefochtene Bescheid des Beklagten vom 24.10.2011 regelt eine Leistungsänderung lediglich wegen der Zahlung von Berufsausbildungsbeihilfe bei dem Kläger zu 2. ab dem 19.09.2011. Die vorangegangene Änderung wegen der Zahlung von Ausbildungsgeld für den Kläger zu 1. war von dem Beklagten bereits im Bescheid vom 26.08.2011 ab dem 19.09.2011 berücksichtigt worden. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.10.2011 konnte sich somit grundsätzlich sachlich lediglich gegen die Anrechnung der Berufsausbildungsbeihilfe bei dem Kläger zu 2. richten, da lediglich insoweit eine Änderung des im Übrigen bestandskräftigen Bescheides vom 26.08.2011 durch den Beklagten erfolgte. Allerdings hat sich der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 19.01.2012 sachlich zum Vorbringen auch des Klägers zu 1. wegen der (wenigstens hilfsweisen) Berücksichtigung von Freibeträgen nach § 11 b Abs. 2, 3 SGB II eingelassen, so dass auch die Anrechnung von Ausbildungsgeld für den Kläger zu 1. aufgrund der sachlichen Einlassung des Beklagten zum Gegenstand dieses Klageverfahrens und des vorangegangenen Widerspruchsverfahrens geworden ist, und die Kammer daher auch über den Streitgegenstand wegen der Gewährung von Ausbildungsgeld für den Kläger zu 1. ab dem 19.09.2011 entscheiden konnte.

Die Klage ist nur zum Teil begründet. Der Änderungsbescheid des Beklagten vom 24.10.2011 sowie die weiteren Änderungsbescheide vom 26.11.2011, 18.01.2012 und der nach Widerspruchsbescheid ergangene Folgebescheid vom 15.02.2012 sowie der Widerspruchsbescheid vom 19.01.2012 selbst sind insoweit rechtswidrig, als sie eine Berechnung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II ohne Berücksichtigung der Erwerbstätigenfreibeträge auf das Ausbildungsgeld bzw. Die Berufsausbildungsbeihilfe der Kläger angenommen haben. Insoweit sind den Klägern Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 19.09.2011 bis 31.01.2012 nicht in vollem Umfang bewilligt worden. Ausbildungsgeld und Berufsausbildungsbeihilfe wurden nach den vorgelegten Bescheiden der Arbeitsagentur vom 16.08.2011 bzw. 25.10.2011 für den Kläger zu 1. und den Kläger zu 2. ab dem 19.09.2011 in einer Gesamthöhe von 260,70 Euro bzw. 261,00 Euro monatlich gezahlt. Für die Kläger bestand jedoch auch Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II, in Form von Arbeitslosengeld II, soweit Erwerbstätigenfreibeträge bei ihnen nach § 11 b Abs. 3 SGB II in der gesetzlich hiernach zu ermittelnden Höhe abzusetzen waren. Darüber hinaus ist die Klage jedoch abzuweisen, da es sich bei dem Ausbildungsgeld und der Berufsausbildungsbeihilfe um Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II handelt, das entgegen der Rechtsansicht der Kläger und nach zutreffender Auffassung des Beklagten grundsätzlich als Einkommen auf die Leistungen nach dem SGB II in den angefochtenen Bescheiden anzurechnen war.

Denn bei dem Ausbildungsgeld des Klägers zu 1. und der Berufsausbildungsbeihilfe des Klägers zu 2. handelt es sich um Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Hiernach sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11 b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11 a SGB sogenannten Einnahmen. Laufende Einnahmen sind gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. An der Qualität der von Seiten der Arbeitsagentur gezahlten Leistungen des Ausbildungsgeldes und der Berufsausbildungsbeihilfe als Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu zweifeln, sieht das Gericht keinen Anlass. Insoweit ist den Ausführungen des Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 19.01.2012 in vollem Umfang zuzustimmen.

Hierbei schließt sich die Kammer – wie bereits das Sozialgerichts Stade im Urteil vom 29.7.2010 (S 17 AS 169/10, juris, Rn. 18 ff) der zutreffenden Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialgerichtes (Urteil vom 1.11.2007, L 3 AS 158/06) an und verzichtet unter Bezug auf die dortigen Ausführungen auf eine weitere Darstellung. Demgegenüber schließt es sich der Rechtsauffassung des Sozialgerichts Berlin im Urteil vom 5.12.2008 (S 37 AS 23403/08, juris) ausdrücklich nicht an, da weder Ausbildungsgeld noch Berufsausbildungsbeihilfe als Taschengeld bezeichnet werden können.

Steht hiernach die Anrechnung der nach dem SGB III ab dem 19.9.2011 gezahlten Leistungen fest nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf das Arbeitslosengeld fest, so ist hingegen die Rechtsauffassung des Beklagten unzutreffend, bei dem Ausbildungsgeld des Klägers zu 1. und der Berufsausbildungsbeihilfe des Klägers zu 2. seien die bei Einkommenserzielung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigenden Freibeträge des § 11 b Abs. 2 SGB II nicht abzuziehen, weil es sich bei den Einnahmen der Kläger nicht um Erwerbseinkommen handele.

Gemäß § 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II ist bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, anstelle der Beträge nach § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II ein Betrag von insgesamt 100,00 Euro monatlich abzusetzen. Ferner ist gemäß § 11 b Abs. 3 Satz 1 SGB II bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die erwerbstätig sind, von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser Betrag beläuft sich nach Satz 2 Nr. 1 der Vorschrift für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100,00 Euro übersteigt und nicht mehr als 1.000,00 Euro beträgt auf 20 %. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 27.09.2009 (Az. B 4 AS 180/10 R, juris, Randnr. 18 f, noch zu der § 11 b Abs. 3 SGB II vorangegangenen, aber gleichlautenden Gesetzesfassung des § 30 SGB II) wie folgt ausgeführt:

" ... Der Wortlaut des § 30 Halbs 1 SGB II knüpft den Freibetrag an Einkommen, das aus der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gezogen wird (vgl zur Anknüpfung an die Erwerbstätigkeit in § 11 Abs 2 Satz 2 SGB II: BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 16). Beim Krankengeld handelt es sich jedoch nicht um Erwerbseinkommen, sondern eine Entgeltersatzleistung, die nach § 44 Abs 1 SGB V gerade deswegen gewährt wird, weil die Erwerbstätigkeit wegen Arbeitsunfähigkeit nicht verrichtet werden kann und damit das Erwerbseinkommen ausfällt. Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass das Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis Bemessungsgrundlage für das ihr gewährte Krankengeld gewesen sei und das Arbeitsverhältnis während des Krankengeldbezugs nur geruht habe, ändert dies nichts daran, dass es sich gleichwohl aktuell nicht um Einkommen aus einer ausgeübten Erwerbstätigkeit handelt.

Auch nach der Zielsetzung der Freibetragsregelung, wie sie sich aus der Begründung zum Entwurf des Freibetragsneuregelungsgesetzes ergibt, war die Freistellung eines Teils des Krankengeldes vor der Berücksichtigung bei der Berechnung des Alg II nicht mit § 30 SGB II intendiert. Ziel sollte vielmehr sein, Hilfebedürftigen stärkere Anreize als bislang zur Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bieten, damit diese mittelfristig aus eigenen Kräften und möglichst ohne Unterstützung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (BT-Drucks 15/5446, S 1). Diese Zielsetzung geht bei Bezug von Entgeltersatzleistungen jedoch ins Leere. Die Absetzung von Freibeträgen und damit die Minderung des zu berücksichtigenden Einkommens oder umgekehrt, die Erhöhung des Teils der Entgeltersatzleistung, der zur Lebensunterhaltssicherung neben dem Alg II verbleiben würde, setzte den gegenteiligen Anreiz.

Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung in dem systematischen Zusammenhang, in den die Vorschrift des § 30 SGB II in das Grundsicherungsrecht eingebettet ist "

Übertragen auf den vorliegenden Fall beider Kläger stellt sich nach diesen Ausführungen das Ausbildungsgeld nach § 122 Abs. 1 SGB III sowie die Berufsausbildungsbeihilfe nach § 56 SGB III – anders als für die im Falle des Bundessozialgerichtes zu beurteilenden Leistung des Krankengeldes als Entgeltersatzleistung – nicht als Entgeltersatzleistung, sondern vielmehr als Entgelt dar, das die mangelnde Ausbildungsvergütung eines (ggfs fehlenden) Ausbildungsbetriebs ersetzen oder zumindest aufstocken soll, um den betroffenen Personenkreis - wie hier den Klägern - eine Berufsausbildung gleich oder später zu ermöglichen. Hierbei sieht das Gericht eine vergleichbare Interessenlage wie bei der Aufnahme einer - ggf. auch nur geringfügig entlohnten - (Neben-) Tätigkeit, die den Hilfebezug nach dem SGB II begrenzen oder aufheben soll. Stärker noch als bei einer Erwerbstätigkeit besteht bei Auszubildenden (oder nach entsprechender Berufsvorbereitung künftigen Auszubildenden) das vorrangige Ziel, ihnen stärkere Anreize als bislang zur Aufnahme oder Weiterführung ihrer Ausbildung bzw. der ausbildungsvorbereitenden Maßnahme zu bieten, damit sie mittelfristig aus eigenen Kräften und möglichst ohne Unterstützung der Grundsicherung für Arbeitssuchende und dann nach erfolgter Berufsausbildung dauerhaft in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten. Insoweit tritt die Kammer in vollem Umfang der Argumentation der Kläger im vorliegenden Verfahren hinsichtlich der Anwendbarkeit der Freibeträge nach § 11 b Abs. 2, Abs. 3 SGB II bei.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung zum Hessischen Landesozialgericht musste das Gericht trotz der zur Überzeugung des Gerichtes bestehenden grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) nicht zulassen, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro übersteigt. Denn der Wert des Beschwerdegegenstandes wird bei subjektiver Klagehäufung - wie hier - hinsichtlich der unterschiedlichen Streitgegenstände zusammengerechnet wird (vgl. Meyer-Ladewig-Leitherer, Kom. zum SGG, § 144, Rn. 14 und 16). Der zusammengerechnete Berufungswert im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (mehr als 750,00 Euro) ist bei beiden Klägern überstiegen, denen nach der Berechnung der Kammer nach diesem Urteil im Streitzeitraum noch jeweils 615,00 Euro versagt bleiben, somit insgesamt 1.230,00 Euro. Nach der Berechnung der Kammer bedeutet die Anrechnung der Freibeträge nach § 11 b Abs. 2, Abs. 3 SGB II eine Mehrbewilligung im Streitzeitraum für jeden Kläger von jeweils 465,00 Euro, somit von 930,00 Euro insgesamt zu Lasten des Beklagten, so dass auch hier der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGG überschritten wäre.
Rechtskraft
Aus
Saved