S 3 AS 155/19 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 3 AS 155/19 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 605/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung ab 1. Dezember 2019 Kosten der Unterkunft bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zum Aktenzeichen S 3 AS 605/19 für die Zeit bis 31. Dezember 2019 in Höhe eines monatlichen Betrages von 386,00 EUR und für die Zeit ab 1. Januar 2020 in Höhe eines monatlichen Betrages von 419,00 EUR zu gewähren.

2. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

3. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ein Fünftel der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens über die dem Antragsteller zu gewährenden Kosten der Unterkunft und Heizung.

Der Antragsteller, der bei dem Antragsgegner im laufenden Leistungsbezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende steht, bewohnt eine 87 m² große Mietwohnung in A-Stadt. Ausweislich der mit Bescheinigung vom 26. April 2019 beträgt die monatlich anfallende Grundmiete 580,00 EUR; Betriebskostenvorauszahlungen werden i.H.v. 85,00 EUR monatlich fällig. Diese Wohnung mietete der Antragsteller zum 1. April 2019, durch Mietvertrag vom 28. Januar 2019, an. Mit zwei Schreiben vom 9. Mai 2019 wurde der Antragsteller darüber informiert, dass die von ihm bewohnte Wohnung die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung überschreite. Der Antragsteller wurde zur Kostensenkung aufgefordert. Der Antragsgegner erklärte sich bereit, die tatsächlichen Unterkunftskosten einschließlich 30. November 2019 zu berücksichtigen und zum 1. Dezember 2019 eine Absenkung vorzunehmen. Weiterhin wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass Heizkosten lediglich für die angemessene Wohnfläche berücksichtigt werden könnten. Anhand des zum Zeitpunkt der Erstellung der Kostensenkungsaufforderung geltenden Heizspiegels ließe sich ableiten, dass für ihn die angemessenen Heizkosten bei 66,25 EUR monatlich lägen. Eine Absenkung auf den angemessenen Betrag erfolge ab 1. Dezember 2019.

Durch Bescheid vom 26. September 2019 bewilligte der Antragsgegner nunmehr für einen Bewilligungszeitraum von Dezember 2019 bis Mai 2020 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende und hierbei einen Betrag von monatlichen Kosten der Unterkunft und Heizung in abgesenkter Höhe (Kosten der Unterkunft, 348,00 EUR; Kosten der Heizung 66,25 EUR monatlich); unter dem 1. Oktober 2019 erging ein Änderungsbescheid.

Hiergegen richtete sich der am 2. Oktober 2019 erhobene Widerspruch zu dessen Begründung der Antragsteller ausführte, die Wohnung habe er seinerzeit angemietet, weil ein Räumungsrechtsstreit dies erforderlich gemacht hätte. Ein weiterer Wohnungswechsel sei ihm trotz intensiver Bemühungen nicht möglich gewesen. Es stünde kein freier Wohnraum zur Genüge zur Verfügung. Zumindest kein Wohnraum, der den sozialrechtlichen Vorgaben der Angemessenheit entspreche. Aufgrund seines Sozialleistungsbezuges bestünden Schwierigkeiten, nach Ansicht des Jobcenters angemessenen Wohnraum anzumieten. Eine Untervermietung seiner Wohnung komme aufgrund mietvertraglicher Beschränkungen nicht in Betracht. Er sei ständig und überall auf Wohnungssuche, allerdings vergebens.

Durch Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2019 wies der Antragsgegner den Widerspruch mit ausführlicher Begründung, auf die insoweit Bezug genommen wird, zurück.

Hiergegen richtet sich die am 12. November 2019 zum Sozialgericht Kassel zum Aktenzeichen S 3 AS 605/19 erhobene Klage und der am gleichen Tag gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, es sei ihm trotz zahlreicher Bemühungen nicht gelungen eine Wohnung im Umkreis von A Stadt für die jeweils angemessenen Kosten zu finden. In ganz Deutschland herrsche Wohnungsnot. Er habe sich bei allen großen Wohnungsbaugesellschaften gemeldet und dennoch keine Wohnungen gefunden. Deswegen habe er weiterhin Anspruch auf die Erstattung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung. Das von dem Antragsgegner angewandte Konzept sei nicht schlüssig. So seien die erhobenen Daten aus Bestandsmieten und Neuvermietungen ermittelt worden, obwohl es sich hierbei um völlig unterschiedliche Situationen handele, die nicht vergleichbar seien. Beispielsweise gäbe es viele alte alleinstehende Menschen, die in großen Wohnungen lebten und nicht umziehen könnten, weil kleinere Wohnungen viel teurer seien, als die Wohnungen in denen sie seit Jahrzehnten lebten.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab 1. Dezember 2019 Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt (sinngemäß),
den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt der Antragsgegner insbesondere vor, der Antragsteller habe keine ausreichenden Bemühungen zur Wohnungssuche dargelegt. Seit seiner Aufforderung die Wohnungskosten zu senken seien insgesamt nur sechs Mietangebote nachgewiesen worden. Zwei Angebote seien umgehend ausgeschieden, weil die Vermieter nur an Personen vermieten wollten, die in einem festen Arbeitsverhältnis stehen. Eine angebotene Wohnung sei nach den Richtlinien des Antragsgegners ebenfalls unangemessen gewesen. Zu den anderen Angeboten fehlten Informationen darüber, warum eine Anmietung scheitere. Der Antragsteller habe darüber hinaus nicht Stellung dazu bezogen, aus welchen Gründen er bezüglich der im Bereich der Stadt Kassel angebotenen Wohnungen offenbar keine Zustimmung beim Jobcenter der Stadt Kassel beantragt habe. Zudem sei nicht belegt, dass der Antragsteller kurzfristig Arbeit finden werde und damit nicht mehr bedürftig im Sinne der Vorschriften des Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) zu sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten; weiterhin wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Leistungsakte des Antragsgegners, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

II.

Der zulässige Antrag ist teilweise begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich auf Grund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 12. Aufl., 2017, § 86 b, Rz. 27, 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsanspruch grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht grundsätzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG v. 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05).

Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei sind, soweit beim Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG, a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 86 b Rz. 16 b, c).

Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze ist ein Anordnungsanspruch im Sinne der tenorierten Entscheidung vorliegend glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller hat zunächst den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II). Bei den Ansprüchen auf Leistungen für Unterkunft und Heizung handelt es sich um abtrennbare selbständige Ansprüche, sodass eine Beschränkung des Streitgegenstandes insoweit zulässig ist (BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 70/08 R –, Rn. 10, juris; BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 4 AS 44/14 R -, Rn. 11).

Er hat einen Leistungsanspruch auch auf die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II. Damit macht der Gesetzgeber deutlich, dass der Grundsicherungsträger nicht schrankenlos verpflichtet ist, die tatsächlichen Mietkosten zu übernehmen, sondern berechtigt ist, unter Einhaltung des Verfahrens nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, die Kosten der Unterkunft und Heizung auf die Gewährung angemessener Kosten zu beschränken. Die Angemessenheitsprüfung limitiert somit die erstattungsfähigen Kosten der Höhe nach (BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R –, BSGE 104, 192-199, SozR 4-4200 § 22 Nr 30, Rn. 12). Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt hierbei als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle.

Zur Festlegung der abstrakt angemessenen Leistungen für die Unterkunft ist zunächst in einem ersten Schritt die angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche örtliche Vergleichsraum zu ermitteln. Angemessen ist eine Wohnung nur dann, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist (BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 210/06 R – BSGE 97, 231 Rn. 24).

Zwar ist die von dem Antragsteller bewohnte Wohnung unangemessen groß, da sie eine Wohnfläche von 87 m2 aufweist. Als angemessene Wohnungsgröße ist bei einem 1-Personenhaushalt von 50 m2 auszugehen. Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die ausführlichen Gründe des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 25. Oktober 2019 (§ 136 Abs. 3 SGG) und sieht von einer weiteren Begründung ab.

Somit überschreitet die vom Antragsteller bewohnte Wohnung den angemessenen Wert erheblich. Diese Überschreitung ist indessen rechtlich nur beachtlich, wenn das Produkt, ausgedrückt in der Höhe des Mietzinses unangemessen wäre (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 6.11.2013 – L 4 SO 166/15 B ER – Rn. 29, juris).

Die von dem Antragsgegner zugrunde gelegte Angemessenheitsobergrenze kann indessen hierfür nach summarischer Prüfung nicht herangezogen werden. Das von dem Beklagten verwendete Konzept zur Feststellung der Angemessenheit von Unterkunftskosten entspricht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts nach der im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht den durch das Bundessozialgericht aufgestellten Vorgaben für die Festlegung einer Mietobergrenze für den streitigen, hier zu entscheidenden Fall.

Im zweiten Schritt ist nach der Konkretisierung einer Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer abstrakt angemessenen Wohnungsgröße zu klären, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 9/14 R -, BSGE 117, 250, Rn. 24). Der Vergleichsraum ist ein, ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten Person, bestimmter ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4-4200 § 22 Nr 101, Rn. 22). Die Festlegung des genau eingegrenzten Vergleichsraumes ist die zentrale Forderung des Bundessozialgerichts zur Bestimmung der Mietobergrenze für ein bestimmtes Gebiet (so LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.07.2017 – L 10 AS 333/16, Rn. 41, juris). Die ordnungsgemäße Bestimmung des Vergleichsraumes ist somit logische Voraussetzung für die Entwicklung eines schlüssigen Konzeptes (BSG, Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 28/12 R -, SozR 4-4200 § 22 Nr 67, Rn. 31).

Die Vergleichsraumbildung wird als Voraussetzung für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze von vier Funktionen getragen: • Raum der Begrenzung von Unterkunftsleistungen, • Zumutbarer Raum der Wohnungssuche, • Raum gleicher Angemessenheitsgrenze, • Räumliche Bestimmung der Datenauswertung (Knickrehm, SGb 2017, 241 – 247).

Ein für die Bildung des Vergleichsraumes prägendes Kriterium ist somit die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stets besonders herausgestellte Forderung, dass es dem Hilfebedürftigen ermöglicht werden muss, sein soziales Umfeld zu erhalten. Ein Umzug der mit der Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, kann von dem Hilfebedürftigen im Regelfall nicht verlangt werden (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R -, BSGE 97, 254, Rn. 21). Demnach ist ein Vergleichsraum zu bilden, auf dessen Gebiet jeder dort Lebende beliebig umziehen könnte, ohne sein Wohnumfeld zu verlieren. Nach dem BSG ist als räumlicher Vergleichsmaßstab in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen maßgebend, ohne dass hierfür der kommunalverfassungsrechtliche Begriff der "Gemeinde" entscheidend sein muss (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R –, BSGE 97, 254-265, SozR 4-4200 § 22 Nr 3, Rn. 21; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.07.2017 – L 10 AS 333/16 –, Rn. 45, juris). Das bedeutet nicht, dass die Bildung des Vergleichsraumes dazu führen würde, Gesichtspunkte, die bei der konkreten Angemessenheit rechtlich bedeutsam und zu prüfen sind, in der abstrakten Angemessenheit zu bewerten wären. "Räumliche Nähe" bedeutet nicht, dass nach einem notwendig werdenden Umzug die alte Adresse gut erreicht werden muss; "räumliche Nähe" bezieht sich auf den "Stadtkern" als Zentrum des Wohnbereiches (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.07.2017 – L 10 AS 333/16 –, Rn. 53, juris). Somit ist die Festlegung des Vergleichsraumes der Ausgangspunkt für die Ermittlung einer Mietobergrenze die ein Grundsicherungsträger danach vorzunehmen hat, welche Bereiche zusammengefasst als homogen betrachtet werden können, wobei für das Kriterium der Homogenität die räumlichen Entfernungen zueinander eine erhebliche Bedeutung haben (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.07.2017 – L 10 AS 333/16 –, Rn. 55, juris).

Ausgehend hiervon vermag das Gericht nicht zu erkennen, inwieweit es sich bei dem vom Antragsgegner im so genannten "Schlüssigen Konzept zur Ermittlung der angemessenen Richtwerte der Kosten für die Unterkunft nach § 22 SGB ll und § 35 SGB Xll für den Landkreis Kassel" von April 2019 benannten Vergleichsraum Baunatal mit der Stadt Baunatal, Fuldabrück, Helsa, Kaufungen, A-Stadt, Nieste, Niestetal und Söhrewald um einen homogenen Lebens- und Wohnbereich mit räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit handeln soll. Eine Begründung hierfür enthält das Konzept nicht, ebenso wenig beispielsweise eine verkehrstechnische Analyse, die diese Vergleichsraumbildung verifiziert. Genau das sind indessen die Anforderungen die die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an die Bildung von Vergleichsräumen stellt. Das erkennende Gericht darf eine eigenständige Vergleichsraumbildung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht anstelle des Vergleichsraumes setzen, den der kommunale Träger zugrunde legt (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4-4200 § 22 Nr 101, Rn. 29). Im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens kann das erkennende Gericht aufgrund der Eilbedürftigkeit den Träger aber auch nicht auffordern, das Konzept nachzubessern. Somit ist im Rahmen der notwendigen summarischen Prüfung nach einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese Folgenabwägung führt vorliegend zu der Annahme, dass der "Vergleichsraum Baunatal" kein homogener Lebens- und Wohnbereich ist und insbesondere keine verkehrstechnische Verbundenheit zwischen allen diesem Vergleichsraum zugeordneten Städten und Gemeinden besteht.

Dies macht den Rückgriff auf die Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetzes (WoGG) zuzüglich eines "Sicherheitszuschlages" nach generell-abstrakten Kriterien im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze erforderlich (BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 4 AS 44/14 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 85, Rn. 25). Insoweit ist aufgrund der Gegebenheiten vor Ort von der Mietstufe I auszugehen.

Die Berücksichtigung der Mietstufe I beruht im Ergebnis auf dem Verfahren zur Festlegung der Mietstufen nach dem WoGG und den zugrunde zu legenden regionalen Gegebenheiten. § 12 Abs. 1 WoGG in der hier anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 9.12.2010 sieht monatliche Höchstbeträge für Miete und Belastung nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder und der jeweiligen Mietstufe vor. Demzufolge hat die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates in Ermächtigung durch § 38 Nr. 2 WoGG Mietstufen festgelegt. Nach der Anlage zu § 1 Abs. 3 Wohngeldverordnung (WoGV) ist der Wohnort des Antragstellers der Mietstufe II zugeordnet. Wegen der nur abstrakten, vom Einzelfall und den konkreten Umständen losgelösten Begrenzung der angemessenen Bruttokaltmiete im Wohngeldrecht (§ 9 Abs. 1 WoGG) ist auf den jeweiligen Höchstbetrag der rechten Spalte der Tabelle zurückzugreifen und ein "Sicherheitszuschlag" unter Berücksichtigung genereller, abstrakter Kriterien in Höhe von 10% festzulegen (BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 4 AS 87/12 R -, SozR 4-4200 § 22 Nr. 73, Rn. 25f).

Unter Berücksichtigung der Mietstufe II ergibt sich eine Angemessenheitsobergrenze für die Bruttokaltmiete für den 1-Personen-Haushalt des Antragstellers von 386,00 EUR (351,00 EUR zuzüglich eines 10%igen Sicherheitszuschlages) bis 31. Dezember 2019 und von 419,00 EUR (381,00 EUR zuzüglich eines 10%igen Sicherheitszuschlages) ab 1. Januar 2020.

Darüber hinausgehende Kosten der Unterkunft hat der Antragsgegner nicht zu tragen, weil der Antragsteller insoweit zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft gemacht hat, sich nach der Kostensenkungsaufforderung des Antragsgegners in gebotenem Maße um Wohnungen mit angemessenen Wohnkosten zu bemühen. Aus diesem Grunde war der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nicht zu verpflichten, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu gewähren.

Gleiches gilt für die über den Betrag von 66,25 EUR hinausgehenden Kosten der Heizung. Insoweit ist die Entscheidung des Antragsgegners rechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht nimmt Bezug auf die überzeugenden Gründe des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 25. Oktober 2019 und sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 136 Abs. 3 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved