S 27 KR 164/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 27 KR 164/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2002 verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Echthaarperücke in Höhe von 1075 EUR zu erstatten. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Echthaarperücke. Die 1955 geborene Klägerin unterzog sich 1999 einer Geschlechtsumwandlung vom männlichen zum weiblichen Geschlecht.

Am 07.12.2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine medizinische Echthaarperücke.

Sie legte dem Antrag ein Rezept des Dermatologen Dr. G bei. Ebenfalls dem Antrag beigelegt war ein Kostenvoranschlag des Perückenstudios "New Look" über eine Echthaarperücke inklusive Beratung und Schnitt in Höhe von 1.998 DM.

Obwohl die Beklagte die Klägerin in der Vergangenheit mit medizinischen Echthaarperücken versorgt hat, wies sie den Antrag mit Bescheid vom 03.01.2002 zurück und lehnte die Kostenübernahme ab. Zur Begründung verwies sie auf ein Sozialgerichtsverfahren, in dem es um den Antrag der Klägerin auf Eigenhaartransplantation ging (vgl. Sozialgericht Duisburg, S 9 KR 239/99). In diesem Verfahren wurde die Klage bezüglich der Eigenhaartransplantation abgewiesen. Die Berufung ist anhängig. Die 9. Kammer des Sozialgerichts Duisburg war in diesem Verfahren aufgrund Inaugenscheinnahme und aufgrund eines Gutachtens von Prof. H vom Universitätsklinikum F zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Eigenhaartransplantation habe. Aufgrund der Ausführungen in dem Urteil, das aufgrund von Augenscheinnahme ein Haarersatz für die Klägerin grundsätzlich nicht notwendig sei, wies die Beklagte auch den Antrag auf Bewilligung einer medizinischen Echthaarperücke ab.

In einem weiteren Verfahren, in dem es um den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für eine Perücke aus Naturmaterialien geht, wurde die Entscheidung bis zur Entscheidung über die Eigenhaartransplantation in dem oben genannten Verfahren ausgesetzt (vgl. S 27 KR 26/02, Sozialgericht Duisburg).

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 03.01.2002, der hier streitgegenständlich ist, legte die Klägerin am 08.01.2002 Widerspruch ein. Sie legte ein Attest des behandelnden Dermatologen Dr. G bei, der bescheinigte, dass sich die Klägerin aufgrund eines starken Kopfekzems und verstärkten Haarausfalls in seiner Behandlung befinde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte im wesentlichen aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Perücke. In dem Verfahren S 9 KR 239/99 habe die Kammervorsitzende aufgrund einer Augenscheinnahme festgestellt, dass weder eine Haarimplantation noch eine Perückenversorgung erforderlich sei.

Am 16.12.2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung ihrer Klage trägt sie im wesentlichen vor, dass sich ihr Haarausfall seit November 2001 aufgrund einer Operation verschlechtert habe. Zudem legt sie das Gutachten des Prof. H vom 23.01.2001 vom Universitätsklinikum F vor, welches bezüglich der Notwendigkeit der Haartransplantation erstellt wurde. Aus diesem Gutachten geht hervor, dass bei der Klägerin eine androgenetische Alopezie I. und II. Grades seit 1997 vorliegt. Herr Prof. H kommt zudem zu dem Ergebnis, dass aufgrund bestehender Allergien auch die Versorgung mit einer Echthaarperücke nicht ausreichend sei. Er führt des weiteren aus, dass durch das zunehmende Längenwachstum eine gute Haargestaltung möglich sei, die dem weiblichen Erscheinungsbild relativ gut nachkomme. Im Ergebnis sei eine Haartransplantation nicht notwendig und erfolgversprechend.

Die Klägerin legt zur Begründung ihrer Klage weiterhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 09.05.2001 vor, das nach Aktenlage erstellt worden ist. Nach dem Ergebnis dieses Gutachtens ist eine Perückenversorgung medizinisch indiziert. Der MDK kommt zudem zum Ergebnis, dass eine Perücke aus Naturmaterialien erforderlich sei.

Am 19.02.2002 hat sich die Klägerin eine Echthaarperücke auf eigene Rechnung selbst beschafft. Ausweislich der Rechnung belaufen sich die Kosten für die Echthaarperücke auf 1.075 EUR.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2002 zu verurteilen, ihr die Kosten für die Echthaarperücke in Höhe von 1.075 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung im wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat den Sachverhalt weiter aufgeklärt durch Einholung von Befundberichten bei der Ärztin für Hautkrankheiten V aus L2, dem Hausarzt Dr. I aus V2 und dem Dermatologen Dr. G aus L.

Bezüglich des Inhalts der Befundberichte wird auf Bl. 71, 73, 74 und 76 der Prozessakte verwiesen.

Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin vom 28.11.2003 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dazu im Erörterungstermin vom 28.11.2003 ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die selbstbeschaffte Echthaarperücke in Höhe von 1.075 EUR. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) liegen vor. Die Beklagte hat zu Unrecht die von der Klägerin beantragte Leistung der Echthaarperücke abgelehnt und der Klägerin sind dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden.

Gemäß §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 33, Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Zu den durch § 33 Abs. 1 SGB V gesetzlich definierten Hilfsmitteln gehören alle sächlichen Mittel, die geeignet und notwendig sind, die bei der Klägerin ausgefallene Funktion des Haupthaares (insbesondere Wärme- und Lichtschutz der Kopfhaut) zu ermöglichen, zu ersetzen, zu erleichtern oder zu ergänzen, sofern sie den Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezwecken - also unmittelbar gegen die Behinderung gerichtet sind (vgl. BSG SozR 3-2500, § 33 SGB V Nr. 1 und Nr. 15). Zum Ausgleich der Behinderung der Klägerin gehören nicht nur die Mittel, die diese ausgefallene natürliche Funktion ersetzen, sondern auch solche, die für die Klägerin erforderlich sind, ihre allgemeinen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Zu den Grundbedürfnissen eines Behinderten gehört die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (vgl. BSG SozR 3-2500, § 33 SGB V Nr. 1).

Zur Überzeugung der Kammer steht aufgrund der eingeholten Befundberichte fest, dass die Klägerin hier eine Perücke benötigte. Frau V, Ärztin für Hautkrankheiten, kommt in ihrem Befundbericht, der am 07.04.2003 bei Gericht einging, zu dem Ergebnis, dass der Haarbesatz insgesamt so geringgradig ausgeprägt sei, dass die Kopfhaut zu sehen sei, wenn die Perücke abgenommen werde. Ein weibliches Aussehen könne mit dem eigenen Haupthaar - auch wenn das Haar nicht mehr abgeschnitten werde - leider nicht erreicht werden. Die Haare ständen nicht dicht genug und könnten auch nicht so lang wachsen, dass ein volles Haarbild entstehe. In der festgestellten Kopfbehaarung sei keine Normvariante zu sehen, sondern der aktuelle Status der Kopfbehaarung sei als entstellend zu bezeichnen. Im täglichen Leben sei die Versorgung mit einer Perücke unbedingt erforderlich.

Herr Dr. I kommt in seinem Befundbericht vom 02.04.2003 zu dem Ergebnis, dass die Gestaltung eines weiblichen Aussehens mit der vorhandenen Kopfbehaarung auch bei vermehrtem Längenwachstum mit Wahrscheinlichkeit nicht möglich sei. Die festgestellte Kopfbehaarung könne nicht mehr als Normvariante eines weiblichen Haarkleides eingestuft werden. Es müsse vielmehr von einer psychischen Beeinträchtigung der Klägerin durch die Alopezie ausgegangen werden. Die Versorgung mit einer Perücke sei notwendig.

Auch Herr Dr. G kommt in seinem Befundbericht zu dem Ergebnis, dass die Versorgung mit einer Perücke notwendig ist, um den Verrichtungen des täglichen Lebens nachkommen zu können.

Aufgrund der insofern übereinstimmenden Befundberichte ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Versorgung der Klägerin mit einer Perücke hier erforderlich ist. Dies hat zudem auch der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in seinem Gutachten vom 09.05.2001, welches die Klägerin zur Begründung ihrer Klage eingereicht hat, so bestätigt.

Die Klägerin hat auch Anspruch auf Versorgung mit einer medizinischen Echthaarperücke. Aufgrund des von der Klägerin zu den Akten gereichten Gutachtens von Herrn Prof. H vom Universitätsklinikum F vom 23.01.2001 steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin aufgrund vielfacher Allergien mit einer handelsüblichen Kunsthaarperücke nicht ausreichend versorgt ist. Da die Beklagte somit den Antrag der Klägerin auf Versorgung mit einer medizinischen Echthaarperücke zu Unrecht abgelehnt hat, und sich die Klägerin daraufhin die Perücke selbst beschafft hat, liegen die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V hier vor und die Beklagte ist zur Erstattung der Kosten verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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