Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 19/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. Juli 1999 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. Im übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der von der beklagten Schiedsstelle festgesetzten Vergütungen für ambulante Pflegeleistungen des Beigeladenen zu 1).
Der Beigeladene zu 1), der den zugelassenen Pflegedienst "DRK Sozialstation W" betreibt, forderte Mitte 1998 zu Vergütungsverhandlungen auf. Nachdem eine Vergütungsvereinbarung nicht zustande kam, beantragte der Beigeladene zu 1) mit einem am 18. August 1998 bei der beklagten Schiedsstelle eingegangenen Schreiben die Festsetzung der Pflegevergütung mit sofortiger Wirkung und einer Laufzeit bis zum 31. März 1999. Mit Beschluss vom 28. September 1998 setzte die beklagte Schiedsstelle die Entgelte für ambulante Leistungen gemäß ihrem "Schwaneweder Schiedsspruch" nach Leistungskomplexen für die Zeit vom 18. August 1998 bis zum 31. Dezember 1998 - in hier nicht angefochtener Höhe - fest.
Mit ihrer gegen den Schiedsspruch gerichteten Klage hat sich die Klägerin gegen den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Festsetzung der Pflegevergütung gewandt. Die beklagte Schiedsstelle sei zu Unrecht von ihrer Spruchpraxis abgewichen, wonach der Schiedsspruch erst mit dem Zeitpunkt seines Erlasses wirksam werde. Soweit der hier angegriffene Schiedsspruch den Zeitpunkt seines Inkrafttretens auf den Eingang des Antrags der Beigeladenen zu 1) bei der Schiedsstelle festsetze, verstoße er gegen das Gebot prospektiver Pflegeentgelte, von dem das Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) keine Ausnahmen zulasse.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 27. Juli 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, das SGB XI enthalte nur eine relative Prospektivität. Die von der Klägerin vertretene Auffassung entwerte das Schiedsstellenverfahren als Instrument der Konfliktlösung, weil die Beteiligten den Ablauf des Schiedsstellenverfahrens je nach Interessenlage beeinträchtigen könnten. Das Verbot, Vergütungen rückwirkend zu vereinbaren, beziehe sich deshalb nicht auf die Dauer des Schiedsstellenverfahrens.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 85 Abs 6 Satz 2 SGB XI, der ein rückwirkendes Inkrafttreten von Pflegesätzen ausdrücklich ausschließe. Wegen des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift müsse das Rückwirkungsverbot auch auf die Entscheidungen der Schiedsstelle angewandt werden. Maßgebend könne daher - insoweit abweichend von ihrem bisherigen Vorbringen - erst die Zustellung der Niederschrift über die Verhandlung der Schiedsstelle sein.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. Juli 1999 aufzuheben,
2. den Schiedsspruch der Beklagten vom 2. Oktober 1998 abzuändern, soweit darin Festsetzung für den Zeitraum vor Bekanntgabe der Niederschrift enthalten ist,
3. die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Schiedsstelle sei auch in den Schiedsverfahren nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sowie nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht an einer rückwirkenden Festsetzung ab Antragseingang gehindert. Zudem müsse auch in einem Gerichtsverfahren über einen zurückliegenden Zeitraum entschieden werden. Bei einem Inkrafttreten der Festsetzung ab Datum des Schiedsspruchs habe die Schiedsstelle sonst nur die Möglichkeit, zugunsten des Einrichtungsträgers einen Nachteilsausgleich vorzunehmen. Ein solches Vorgehen verbiete sich jedoch aus verschiedenen Gründen.
Der Beigeladene zu 1) beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil ebenfalls für zutreffend. Sinn und Zweck des Verbotes, Pflegevergütungen rückwirkend festzusetzen, machten deutlich, daß bei Durchführung eines Schiedsverfahrens allein der Zeitraum vor Antragseingang bei der Schiedsstelle gemeint sei. Dies werde auch aus der Regelung in § 93b Abs 2 Satz 2 BSHG deutlich, die das vergleichbare sozialhilferechtliche Schiedsverfahren betreffe.
Die Beigeladenen zu 2) und 3) haben keine Anträge gestellt.
II
Die zulässige Sprungrevision der Klägerin ist unbegründet.
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Die Klage ist auch in der im Revisionsverfahren geänderten Form zulässig (§§ 165, 153 Abs 1, 99 Abs 3 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Richtiger Klagegegner ist, wie auch vom SG angenommen, die nicht rechtsfähige, aber in entsprechender Anwendung von § 70 Nr 4 iVm § 51 Abs 2 Satz 1 SGG beteiligtenfähige Schiedsstelle (vgl zum folgenden Urteil des Senats vom 14. Dezember 2000, B 3 P 19/00 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Schiedsstelle nach § 76 SGB XI zählt zwar nicht zu den in § 51 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGG aufgeführten gemeinsamen Gremien von Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern oder anderen Leistungserbringern und Krankenkassen, wohl aber das Schiedsamt nach § 89 SGB V, wie sich auch aus der ausdrücklichen Erwähnung in § 71 Abs 4 SGG schließen läßt. Es besteht kein sachlicher Grund, die Schiedsstelle nach § 76 SGB XI abweichend zu behandeln, und nicht sie, sondern etwa das Land als allein beteiligtenfähig anzusehen, zumal dieses nicht Träger der Schiedsstelle ist, sondern nur die Rechtsaufsicht führt (§ 76 Abs 4 SGB XI). Die Schiedsstelle im Bereich des Pflegeversicherungsrechts gleicht nach ihrer Funktion, ihrer Aufgabe und ihrer Zusammensetzung derjenigen nach § 114 SGB V, die wiederum dem Schiedsamt nach § 89 SGB V nachgebildet worden ist (Hess in KassKomm Bd 1, Stand August 2000, § 114 SGB V, RdNrn 1 und 7; Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, § 76 RdNr 2; Knittel in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, August 2000, § 85 SGB XI RdNr 15; Spellbrink in Hauck/Wilde SGB XI, Stand November 2000, § 76 RdNr 21). Ebenfalls zutreffend gehen die Vorinstanzen ferner gemäß § 70 Nr 2 SGG iVm § 52 SGB XI von der Beteiligtenfähigkeit der zu 2) und 3) beigeladenen Arbeitsgemeinschaften von Pflegekassen aus (hierzu näher Senatsurteil vom 6. August 1998, B 3 P 8/97 R, BSGE 82, 252, 253 f = SozR 3-3300 § 73 Nr 1).
Einer Beiladung der von dem Beigeladenen zu 1) versorgten Pflegebedürftigen bedurfte es trotz der gemäß § 89 Abs 3 Satz 2 iVm § 85 Abs 6 Satz 1 2. Halbsatz SGB XI auch für sie unmittelbar geltenden Wirkung des Schiedsspruchs nicht. Bei einer notwendig einheitlichen Entscheidung schreibt § 75 Abs 2 SGG zwar die Beiladung vor, um die Rechtskraft des Urteils auf alle Beteiligten zu erstrecken. Zur Rechtskrafterstreckung ist eine Beiladung aber dann nicht erforderlich, wenn die Rechte Dritter dadurch gewahrt werden, daß ihre treuhänderische Vertretung im Wege der Prozeßstandschaft erfolgt. Das ist hier der Fall. Die Interessen der Pflegebedürftigen bei der Festlegung der Vergütung für ambulante Pflegeleistungen werden von den Pflegekassen treuhänderisch mit wahrgenommen (vgl Udsching aaO, § 85 RdNr 6; Vogel/Schmähing in Klie/Krahmer SGB XI, 1998, § 84 RdNr 11).
Die Beklagte ist nicht nur beteiligtenfähig, sondern auch passiv legitimiert. Wenn das Sozialhilferecht neuerdings (§ 93b Abs 1 Satz 4 BSHG, eingefügt durch Gesetz vom 23. Juli 1996 - BGBl I 1088 -), eine abweichende Regelung vorsieht, indem dort die Klage gegen eine der Vertragsparteien zu richten ist, nicht aber gegen die Schiedsstelle, kommt eine analoge Übertragung auf das Pflegeversicherungsrecht nicht in Betracht. Zwingende sachliche Gründe dafür, von einer Verfahrensregelung abzusehen, die sich bislang im Kassenarzt- und Krankenversicherungsrecht bewährt hat, sind nicht erkennbar. In der jetzigen sozialhilferechtlichen Konzeption bleibt die prozessuale Rolle der Schiedsstelle unklar. Auch die Rechtsnatur des Schiedsspruches als Verwaltungsakt wird dadurch in Frage gestellt. Der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) (vgl BVerwGE 108, 47) dürfte nach der Gesetzesänderung die Grundlage entzogen sein.
2. Die Klage ist aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung. Der Schiedsspruch der Beklagten vom 2. Oktober 1998 verstößt hinsichtlich seines in ihm festgesetzten Geltungsbeginns - 18. August 1998 - nicht gegen Gesetzesrecht (vgl zum folgenden Urteil des Senats vom 14. Dezember 2000, B 3 P 19/00 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Zu Recht sind das SG und die Beklagte davon ausgegangen, daß ein Schiedsspruch seinen Geltungsbeginn auch rückwirkend festsetzen kann, soweit der Geltungsbeginn nicht noch vor den Eingang des Antrags bei der Schiedsstelle, sondern frühestens auf dieses Datum verlegt wird. Da der Antrag hier am 18. August 1998 bei der Schiedsstelle einging, bestehen gegen die Festsetzung des Geltungsbeginns auf diesen Tag keine Bedenken.
Aus dem Verbot einer rückwirkenden Vereinbarung der Pflegesätze durch die Parteien (§ 85 Abs 3 Satz 1 SGB XI) folgt nicht zwingend, daß dies auch für den Schiedsspruch gilt. Allerdings erklärt § 85 Abs 6 Satz 2 SGB XI ein rückwirkendes Inkrafttreten von Pflegesätzen ohne Einschränkung für unzulässig, kann nach dem Wortlaut also auch auf Schiedsstellenentscheidungen bezogen werden, die in dem voranstehenden Satz 1 gleichrangig neben den Pflegesatzvereinbarungen aufgeführt werden. Das Rückwirkungsverbot will aber nur verhindern, daß - wie nach dem früheren Recht - die Pflegesätze bzw die Vergütungen für ambulante Pflegeleistungen nach den entstandenen Kosten errechnet werden; statt dessen sollen die Pflegesätze prospektiv ermittelt werden. Daraus folgt nicht, daß im Streitfall die Schiedsstelle gehindert wäre, als Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Schiedsspruches den Antragseingang festzusetzen. Nur wenn diese Möglichkeit besteht, kann auch hinreichender Rechtsschutz für den Fall gewährt werden, daß eine Partei den Erlaß eines Schiedsspruches hinauszögert, um die Fortgeltung der laufenden Verträge bis dahin auszunutzen. Daß eine solche einschränkende Auslegung des Gesetzes nach Sinn und Zweck, insbesondere zur Stärkung des Schiedsstellenverfahrens als wirksamen Konfliktlösungsmechanismus geboten ist, wird darüber hinaus auch durch die in diesem Fall entsprechend heranzuziehenden Regelungen in § 93b Abs 2 Satz 2 und 3 BSHG sowie § 78g Abs 3 Satz 2 und 3 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) unterstrichen. Die hiergegen in der Literatur geäußerten Bedenken hinsichtlich der Durchführbarkeit einer Rückabwicklung (Schmitz NZS 2000, S 539 f) gehen im Hinblick auf die Möglichkeiten einer elektronischen Abrechnung fehl, zumal es sich wegen des Unverzüglichkeitsgebots des § 85 Abs 5 Satz 1 SGB XI zwischen Antragstellung und Schiedsstellenentscheidung regelmäßig um Zeiträume von nur wenigen Wochen handeln dürfte.
Die Schiedsstelle nach § 85 Abs 5 SGB XI ist allerdings nicht gezwungen, auf den Antragseingang oder einen anderen vor der Entscheidung liegenden Zeitpunkt zurückzugehen. Sie hat vielmehr - ebenso wie die Schiedsstelle nach dem BSHG oder dem SGB VIII - insoweit einen Ermessensspielraum, den sie nach den jeweiligen Umständen - insbesondere nach den vorgelegten Unterlagen und deren Bezugsdatum - pflichtgemäß auszufüllen hat, solange sie nicht noch hinter das Datum des Antragseingangs zurückgeht. Denn der Antragsteller hat es in der Hand, die Vertragsverhandlungen so rechtzeitig einzuleiten, daß er bei deren Scheitern nach 6 Wochen die Schiedsstelle noch vor Beginn des neuen Abrechnungszeitraumes anrufen kann. Gelingt ihm dies nicht, hat er in Kauf zu nehmen, daß er eine Rückwirkung auf den Beginn des Abrechnungszeitraums nicht mehr erreichen kann. Insoweit kommt das Rückwirkungsverbot zum Tragen, das sich an die Vertragsparteien richtet, denen aufgegeben ist, Pflegesatzverhandlungen rechtzeitig und zukunftsgerichtet zu führen.
Die Beklagte hat mit der Feststellung der Wirksamkeit des Schiedsspruchs mit dem Tag des Antragseingangs bei der Schiedsstelle das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Sie war sich ihres Ermessensspielraums bewußt und hat sich innerhalb des gesetzlichen Rahmens gehalten. Daß das Schiedsverfahren von den anderen Beteiligten nicht mutwillig verzögert worden ist, steht dem nicht entgegen. Es wäre nur ein besonders einleuchtender Grund, gleichsam als Sanktion die Rückwirkung des Schiedsspruchs anzuordnen; es ist aber nicht der einzig mögliche sachliche Grund für einen Rückwirkungsausspruch.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der von der beklagten Schiedsstelle festgesetzten Vergütungen für ambulante Pflegeleistungen des Beigeladenen zu 1).
Der Beigeladene zu 1), der den zugelassenen Pflegedienst "DRK Sozialstation W" betreibt, forderte Mitte 1998 zu Vergütungsverhandlungen auf. Nachdem eine Vergütungsvereinbarung nicht zustande kam, beantragte der Beigeladene zu 1) mit einem am 18. August 1998 bei der beklagten Schiedsstelle eingegangenen Schreiben die Festsetzung der Pflegevergütung mit sofortiger Wirkung und einer Laufzeit bis zum 31. März 1999. Mit Beschluss vom 28. September 1998 setzte die beklagte Schiedsstelle die Entgelte für ambulante Leistungen gemäß ihrem "Schwaneweder Schiedsspruch" nach Leistungskomplexen für die Zeit vom 18. August 1998 bis zum 31. Dezember 1998 - in hier nicht angefochtener Höhe - fest.
Mit ihrer gegen den Schiedsspruch gerichteten Klage hat sich die Klägerin gegen den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Festsetzung der Pflegevergütung gewandt. Die beklagte Schiedsstelle sei zu Unrecht von ihrer Spruchpraxis abgewichen, wonach der Schiedsspruch erst mit dem Zeitpunkt seines Erlasses wirksam werde. Soweit der hier angegriffene Schiedsspruch den Zeitpunkt seines Inkrafttretens auf den Eingang des Antrags der Beigeladenen zu 1) bei der Schiedsstelle festsetze, verstoße er gegen das Gebot prospektiver Pflegeentgelte, von dem das Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) keine Ausnahmen zulasse.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 27. Juli 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, das SGB XI enthalte nur eine relative Prospektivität. Die von der Klägerin vertretene Auffassung entwerte das Schiedsstellenverfahren als Instrument der Konfliktlösung, weil die Beteiligten den Ablauf des Schiedsstellenverfahrens je nach Interessenlage beeinträchtigen könnten. Das Verbot, Vergütungen rückwirkend zu vereinbaren, beziehe sich deshalb nicht auf die Dauer des Schiedsstellenverfahrens.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 85 Abs 6 Satz 2 SGB XI, der ein rückwirkendes Inkrafttreten von Pflegesätzen ausdrücklich ausschließe. Wegen des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift müsse das Rückwirkungsverbot auch auf die Entscheidungen der Schiedsstelle angewandt werden. Maßgebend könne daher - insoweit abweichend von ihrem bisherigen Vorbringen - erst die Zustellung der Niederschrift über die Verhandlung der Schiedsstelle sein.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. Juli 1999 aufzuheben,
2. den Schiedsspruch der Beklagten vom 2. Oktober 1998 abzuändern, soweit darin Festsetzung für den Zeitraum vor Bekanntgabe der Niederschrift enthalten ist,
3. die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Schiedsstelle sei auch in den Schiedsverfahren nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sowie nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht an einer rückwirkenden Festsetzung ab Antragseingang gehindert. Zudem müsse auch in einem Gerichtsverfahren über einen zurückliegenden Zeitraum entschieden werden. Bei einem Inkrafttreten der Festsetzung ab Datum des Schiedsspruchs habe die Schiedsstelle sonst nur die Möglichkeit, zugunsten des Einrichtungsträgers einen Nachteilsausgleich vorzunehmen. Ein solches Vorgehen verbiete sich jedoch aus verschiedenen Gründen.
Der Beigeladene zu 1) beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil ebenfalls für zutreffend. Sinn und Zweck des Verbotes, Pflegevergütungen rückwirkend festzusetzen, machten deutlich, daß bei Durchführung eines Schiedsverfahrens allein der Zeitraum vor Antragseingang bei der Schiedsstelle gemeint sei. Dies werde auch aus der Regelung in § 93b Abs 2 Satz 2 BSHG deutlich, die das vergleichbare sozialhilferechtliche Schiedsverfahren betreffe.
Die Beigeladenen zu 2) und 3) haben keine Anträge gestellt.
II
Die zulässige Sprungrevision der Klägerin ist unbegründet.
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Die Klage ist auch in der im Revisionsverfahren geänderten Form zulässig (§§ 165, 153 Abs 1, 99 Abs 3 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Richtiger Klagegegner ist, wie auch vom SG angenommen, die nicht rechtsfähige, aber in entsprechender Anwendung von § 70 Nr 4 iVm § 51 Abs 2 Satz 1 SGG beteiligtenfähige Schiedsstelle (vgl zum folgenden Urteil des Senats vom 14. Dezember 2000, B 3 P 19/00 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Schiedsstelle nach § 76 SGB XI zählt zwar nicht zu den in § 51 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGG aufgeführten gemeinsamen Gremien von Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern oder anderen Leistungserbringern und Krankenkassen, wohl aber das Schiedsamt nach § 89 SGB V, wie sich auch aus der ausdrücklichen Erwähnung in § 71 Abs 4 SGG schließen läßt. Es besteht kein sachlicher Grund, die Schiedsstelle nach § 76 SGB XI abweichend zu behandeln, und nicht sie, sondern etwa das Land als allein beteiligtenfähig anzusehen, zumal dieses nicht Träger der Schiedsstelle ist, sondern nur die Rechtsaufsicht führt (§ 76 Abs 4 SGB XI). Die Schiedsstelle im Bereich des Pflegeversicherungsrechts gleicht nach ihrer Funktion, ihrer Aufgabe und ihrer Zusammensetzung derjenigen nach § 114 SGB V, die wiederum dem Schiedsamt nach § 89 SGB V nachgebildet worden ist (Hess in KassKomm Bd 1, Stand August 2000, § 114 SGB V, RdNrn 1 und 7; Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, § 76 RdNr 2; Knittel in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, August 2000, § 85 SGB XI RdNr 15; Spellbrink in Hauck/Wilde SGB XI, Stand November 2000, § 76 RdNr 21). Ebenfalls zutreffend gehen die Vorinstanzen ferner gemäß § 70 Nr 2 SGG iVm § 52 SGB XI von der Beteiligtenfähigkeit der zu 2) und 3) beigeladenen Arbeitsgemeinschaften von Pflegekassen aus (hierzu näher Senatsurteil vom 6. August 1998, B 3 P 8/97 R, BSGE 82, 252, 253 f = SozR 3-3300 § 73 Nr 1).
Einer Beiladung der von dem Beigeladenen zu 1) versorgten Pflegebedürftigen bedurfte es trotz der gemäß § 89 Abs 3 Satz 2 iVm § 85 Abs 6 Satz 1 2. Halbsatz SGB XI auch für sie unmittelbar geltenden Wirkung des Schiedsspruchs nicht. Bei einer notwendig einheitlichen Entscheidung schreibt § 75 Abs 2 SGG zwar die Beiladung vor, um die Rechtskraft des Urteils auf alle Beteiligten zu erstrecken. Zur Rechtskrafterstreckung ist eine Beiladung aber dann nicht erforderlich, wenn die Rechte Dritter dadurch gewahrt werden, daß ihre treuhänderische Vertretung im Wege der Prozeßstandschaft erfolgt. Das ist hier der Fall. Die Interessen der Pflegebedürftigen bei der Festlegung der Vergütung für ambulante Pflegeleistungen werden von den Pflegekassen treuhänderisch mit wahrgenommen (vgl Udsching aaO, § 85 RdNr 6; Vogel/Schmähing in Klie/Krahmer SGB XI, 1998, § 84 RdNr 11).
Die Beklagte ist nicht nur beteiligtenfähig, sondern auch passiv legitimiert. Wenn das Sozialhilferecht neuerdings (§ 93b Abs 1 Satz 4 BSHG, eingefügt durch Gesetz vom 23. Juli 1996 - BGBl I 1088 -), eine abweichende Regelung vorsieht, indem dort die Klage gegen eine der Vertragsparteien zu richten ist, nicht aber gegen die Schiedsstelle, kommt eine analoge Übertragung auf das Pflegeversicherungsrecht nicht in Betracht. Zwingende sachliche Gründe dafür, von einer Verfahrensregelung abzusehen, die sich bislang im Kassenarzt- und Krankenversicherungsrecht bewährt hat, sind nicht erkennbar. In der jetzigen sozialhilferechtlichen Konzeption bleibt die prozessuale Rolle der Schiedsstelle unklar. Auch die Rechtsnatur des Schiedsspruches als Verwaltungsakt wird dadurch in Frage gestellt. Der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) (vgl BVerwGE 108, 47) dürfte nach der Gesetzesänderung die Grundlage entzogen sein.
2. Die Klage ist aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung. Der Schiedsspruch der Beklagten vom 2. Oktober 1998 verstößt hinsichtlich seines in ihm festgesetzten Geltungsbeginns - 18. August 1998 - nicht gegen Gesetzesrecht (vgl zum folgenden Urteil des Senats vom 14. Dezember 2000, B 3 P 19/00 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Zu Recht sind das SG und die Beklagte davon ausgegangen, daß ein Schiedsspruch seinen Geltungsbeginn auch rückwirkend festsetzen kann, soweit der Geltungsbeginn nicht noch vor den Eingang des Antrags bei der Schiedsstelle, sondern frühestens auf dieses Datum verlegt wird. Da der Antrag hier am 18. August 1998 bei der Schiedsstelle einging, bestehen gegen die Festsetzung des Geltungsbeginns auf diesen Tag keine Bedenken.
Aus dem Verbot einer rückwirkenden Vereinbarung der Pflegesätze durch die Parteien (§ 85 Abs 3 Satz 1 SGB XI) folgt nicht zwingend, daß dies auch für den Schiedsspruch gilt. Allerdings erklärt § 85 Abs 6 Satz 2 SGB XI ein rückwirkendes Inkrafttreten von Pflegesätzen ohne Einschränkung für unzulässig, kann nach dem Wortlaut also auch auf Schiedsstellenentscheidungen bezogen werden, die in dem voranstehenden Satz 1 gleichrangig neben den Pflegesatzvereinbarungen aufgeführt werden. Das Rückwirkungsverbot will aber nur verhindern, daß - wie nach dem früheren Recht - die Pflegesätze bzw die Vergütungen für ambulante Pflegeleistungen nach den entstandenen Kosten errechnet werden; statt dessen sollen die Pflegesätze prospektiv ermittelt werden. Daraus folgt nicht, daß im Streitfall die Schiedsstelle gehindert wäre, als Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Schiedsspruches den Antragseingang festzusetzen. Nur wenn diese Möglichkeit besteht, kann auch hinreichender Rechtsschutz für den Fall gewährt werden, daß eine Partei den Erlaß eines Schiedsspruches hinauszögert, um die Fortgeltung der laufenden Verträge bis dahin auszunutzen. Daß eine solche einschränkende Auslegung des Gesetzes nach Sinn und Zweck, insbesondere zur Stärkung des Schiedsstellenverfahrens als wirksamen Konfliktlösungsmechanismus geboten ist, wird darüber hinaus auch durch die in diesem Fall entsprechend heranzuziehenden Regelungen in § 93b Abs 2 Satz 2 und 3 BSHG sowie § 78g Abs 3 Satz 2 und 3 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) unterstrichen. Die hiergegen in der Literatur geäußerten Bedenken hinsichtlich der Durchführbarkeit einer Rückabwicklung (Schmitz NZS 2000, S 539 f) gehen im Hinblick auf die Möglichkeiten einer elektronischen Abrechnung fehl, zumal es sich wegen des Unverzüglichkeitsgebots des § 85 Abs 5 Satz 1 SGB XI zwischen Antragstellung und Schiedsstellenentscheidung regelmäßig um Zeiträume von nur wenigen Wochen handeln dürfte.
Die Schiedsstelle nach § 85 Abs 5 SGB XI ist allerdings nicht gezwungen, auf den Antragseingang oder einen anderen vor der Entscheidung liegenden Zeitpunkt zurückzugehen. Sie hat vielmehr - ebenso wie die Schiedsstelle nach dem BSHG oder dem SGB VIII - insoweit einen Ermessensspielraum, den sie nach den jeweiligen Umständen - insbesondere nach den vorgelegten Unterlagen und deren Bezugsdatum - pflichtgemäß auszufüllen hat, solange sie nicht noch hinter das Datum des Antragseingangs zurückgeht. Denn der Antragsteller hat es in der Hand, die Vertragsverhandlungen so rechtzeitig einzuleiten, daß er bei deren Scheitern nach 6 Wochen die Schiedsstelle noch vor Beginn des neuen Abrechnungszeitraumes anrufen kann. Gelingt ihm dies nicht, hat er in Kauf zu nehmen, daß er eine Rückwirkung auf den Beginn des Abrechnungszeitraums nicht mehr erreichen kann. Insoweit kommt das Rückwirkungsverbot zum Tragen, das sich an die Vertragsparteien richtet, denen aufgegeben ist, Pflegesatzverhandlungen rechtzeitig und zukunftsgerichtet zu führen.
Die Beklagte hat mit der Feststellung der Wirksamkeit des Schiedsspruchs mit dem Tag des Antragseingangs bei der Schiedsstelle das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Sie war sich ihres Ermessensspielraums bewußt und hat sich innerhalb des gesetzlichen Rahmens gehalten. Daß das Schiedsverfahren von den anderen Beteiligten nicht mutwillig verzögert worden ist, steht dem nicht entgegen. Es wäre nur ein besonders einleuchtender Grund, gleichsam als Sanktion die Rückwirkung des Schiedsspruchs anzuordnen; es ist aber nicht der einzig mögliche sachliche Grund für einen Rückwirkungsausspruch.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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