B 4 RA 103/00 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 103/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Mai 2000 und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17. Dezember 1999 aufgehoben. Die Klagen gegen die Ablehnung einer Beitragserstattung im Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1998 werden abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von nachentrichteten freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er kam 1961 in die Bundesrepublik. Ein mathematisch-naturwissenschaftliches Studium vom 15. Oktober 1961 bis 15. August 1963 und ein wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Studium vom 15. Oktober 1964 bis 15. März 1967 brach er jeweils ohne Abschluß ab. Vom 1. September 1966 bis 31. März 1967 und ab 1. Oktober 1967 war er versicherungspflichtig in der Bundesrepublik beschäftigt.

Am 10. Dezember 1975 beantragte der Kläger die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur Rentenversicherung gemäß Art 2 § 49a Abs 2 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) und konkretisierte den Antrag im Dezember 1980. Im Bescheid vom 21. Januar 1981 stellte die Beklagte fest, daß er entsprechend seinem Antrag berechtigt sei, für das Jahr 1957 einen Monatsbeitrag, für die Jahre 1958 bis 1965 jeweils zwölf Monatsbeiträge, für das Jahr 1966 acht Monatsbeiträge und für das Jahr 1967 sechs Monatsbeiträge nachzuentrichten (insgesamt 111 Monate). Bei einer Zahlung im Jahre 1981 betrage der monatliche Beitrag in der gewählten Beitragsklasse 600 jeweils 111,00 DM. Den Gesamtbetrag von 12.321,00 DM zahlte der Kläger im Dezember 1981 bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 27. August 1997 merkte die Beklagte ua die Zeiten vom 1. Oktober 1961 bis 31. März 1963 (18 Monate) und vom 1. Oktober 1964 bis 31. Juli 1965 (10 Monate) als Tatbestände von Ausbildungs-Anrechungszeiten für eine nicht abgeschlossene Hochschulausbildung vor. Dem Begehren des Klägers, ihm die Beiträge für die Zeiträume zu erstatten, die als Anrechungszeiten berücksichtigt werden könnten, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 22. Dezember 1997, Widerspruchsbescheid vom 7. April 1998).

Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger die nachentrichteten freiwilligen Beiträge für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 31. März 1963 und vom 1. Oktober 1964 bis 31. Juli 1965 zu erstatten (Urteil vom 17. Dezember 1999). Zur Begründung ist ausgeführt worden, daß der Erstattungsanspruch in Form eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches gegeben sei. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Im Urteil vom 10. Mai 2000 hat das LSG ausgeführt, zwar seien die Voraussetzungen für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nicht gegeben; dem Kläger stehe der Erstattungsanspruch jedoch aus § 207 Abs 3 SGB VI zu, der analog anzuwenden sei.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 207 Abs 3 SGB VI. Sie ist der Auffassung, daß eine planwidrige Gesetzeslücke, die eine analoge Anwendung des § 207 Abs 3 SGB VI zulasse, nicht vorliege.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Mai 2000 und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17. Dezember 1999 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden sei.

II

Die zulässige Revision ist begründet.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren der Beklagten, das ihre Berufung zurückweisende Urteil des LSG sowie das Urteil des SG aufzuheben und die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gegen die Ablehnung der begehrten Beitragserstattung im Bescheid vom 22. Dezember 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1998 abzuweisen. In der Sache verletzt das Berufungsurteil Bundesrecht. Das LSG hätte dem Berufungsantrag der Beklagten stattgeben müssen, da das SG die Beklagte zu Unrecht zur Erstattung der nachentrichteten freiwilligen Beiträge für die hier strittigen Zeiträume verurteilt hat. Ein solcher Erstattungsanspruch des Klägers besteht nicht.

1. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 210 Abs 1 SGB VI. Danach werden Beiträge den Versicherten erstattet, die nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben (Nr 1) oder die das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeinen Wartezeiten nicht erfüllt haben (Nr 2); ferner sind bestimmte Hinterbliebene erstattungsberechtigt (Nr 3). Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht gegeben.

2. Auch die Voraussetzungen des besonderen (speziellen) Erstattungsanspruchs des § 207 Abs 3 SGB VI sind nicht erfüllt. Der Gesetzestext lautet: "Sind die Zeiten einer schulischen Ausbildung, für die Beiträge nachgezahlt worden sind, doch als Anrechungszeiten zu berücksichtigen, sind diese Beiträge zu erstatten." Der Bedeutungsinhalt dieser Regelung wird vor folgendem Hintergrund verständlich:

Mit Inkrafttreten des SGB VI zum 1. Januar 1992 ist ua die Möglichkeit, Ausbildungszeiten als Anrechnungszeiten (früher Ausfallzeiten) anzurechnen, in ihrem zeitlichen Umfang eingeschränkt worden, und zwar zunächst auf insgesamt sieben Jahre (§ 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI) gegenüber früher insgesamt möglichen dreizehn Jahren (Übergangsregelungen in § 252 SGB VI). Zum 1. Januar 1997 erfolgte eine weitere zeitliche Reduzierung der Anrechenbarkeit auf drei Jahre durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl I S 1461). Jedoch wurde für die Erfüllung des Tatbestandes einer Ausbildungs- und Anrechnungszeit wegen (Fach-)Hochschulausbildung nicht mehr vorausgesetzt, das Studium müsse "abgeschlossen" sein. Dadurch wurden für den Kläger seine Studienzeiten vor 1967 erstmals zu anrechenbaren Anrechnungszeiten wegen "schulischer" Ausbildung.

Durch die Reduzierung der Anrechenbarkeit von Ausbildungszeittatbeständen konnten jedoch für Versicherte mit bislang anrechenbaren Ausbildungszeiten jetzt Versicherungslücken auftreten. Um diese schließen zu können, wurde den Betroffenen mit Wirkung zum 1. Januar 1992 durch § 207 Abs 1 SGB VI ein Nachentrichtungsrecht gewährt. An dieses neu geschaffene Recht knüpft nunmehr der zeitgleich in Kraft getretene spezielle Erstattungsanspruch des § 207 Abs 3 SGB VI an. Danach sind die - ab 1992 - nachgezahlten Beiträge den Versicherten zu erstatten, die ihr Nachzahlungsrecht ausgeübt haben; Voraussetzung ist, daß sich bei einer Rentenwertfeststellung nach Entstehung des Vollrechts auf Rente mit Eintritt des Versicherungsfalles herausstellt, daß in den durch die Nachzahlung erlangten Beitragszeiten - entgegen der Prognose bei Ausübung des Nachzahlungsrechts - doch Anrechnungszeiten für Ausbildung mit einem höheren Rangstellenwert anzurechnen sind (vgl hierzu BT-Drucks 11/4124, S 192 (Begründung zu § 202 des Gesetzentwurfs)).

Erstattungsberechtigt nach § 207 Abs 3 SGB VI sind somit ausschließlich die Versicherten, die von der Kürzung der Anrechenbarkeit von Ausbildungszeiten betroffen sind und die von dem ab 1. Januar 1992 nach § 207 Abs 1 und 2 SGB VI (neu) eröffneten Nachentrichtungsrecht Gebrauch gemacht haben. Zu diesem Personenkreis zählt der Kläger offenkundig nicht, da er die freiwilligen Beiträge im Dezember 1981 aufgrund eines andersartigen Nachentrichtungsrechts gezahlt hatte.

3. Dies verkennt auch das LSG nicht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 207 Abs 3 SGB VI nicht gegeben.

Eine - hier - Gesetzesanalogie ist nur zulässig, wenn ua eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Dies beurteilt sich nach dem Regelungskonzept des Gesetzes. Eine solche Gesetzeslücke ist von einer - angeblich - "fehlerhaften" gesetzlichen Regelung im Sinne der Rechtspolitik zu unterscheiden. Eine solche kann anzunehmen sein, wenn das Gesetz zwar nach seinem Konzept rechtlich nicht unvollständig ist, aber aufgrund einer von außen an das Gesetz herangetragenen, rechtspolitisch begründeten Kritik als fehlerhaft erscheint.

Demnach liegt die vom LSG angenommene Gesetzeslücke nicht vor. § 207 Abs 3 SGB VI begünstigt nur einen bestimmten Personenkreis. Für diesen wird ein Nachentrichtungsrecht ab 1. Januar 1992 eröffnet, weil durch die Neugestaltung der Zuordnung von Rangstellenwerten für Ausbildungs-Anrechnungszeiten in § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI Versicherungslücken auftreten konnten. Nur dieser Personenkreis soll demzufolge auch nach § 207 Abs 3 SGB VI erstattungsberechtigt sein, wenn die nach dem 1. Januar 1992 entrichteten Beiträge ihren wirtschaftlichen Zweck rentenrechtlich nicht erfüllen können, weil nämlich für den nachentrichteten Zeitraum nunmehr doch Ausbildungs-Anrechnungszeiten berücksichtigt werden können. Das Gesetz beschränkt somit das Recht zur Nachentrichtung und einen eventuellen späteren Erstattungsanspruch ausdrücklich auf einen speziellen Personenkreis. Im übrigen verbleibt es bei der allgemeinen Erstattungsregelung des § 210 Abs 1 SGB VI. Inwieweit diese Erstattungsvorschriften eine Gesetzeslücke enthalten können, ist nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung des LSG kann nach dem skizzierten Regelungskonzept auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Personengruppe, zu der auch der Kläger zu rechnen ist, in den Kreis der Erstattungsberechtigten einbezogen werden müßte. Eine Übertragung der Erstattungsberechtigung aus § 207 Abs 3 SGB VI auf den Personenkreis des Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG, der früher aufgrund einer völlig anderen Rechts- und Sachlage Beiträge nachentrichtet hatte, wäre freie Rechtssetzung. Nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG, der am 19. Oktober 1972 in Kraft trat, hatten Personen, die - wie damals der Kläger - nach § 10 AnVNG zur freiwilligen Versicherung berechtigt waren, das - speziell eingeräumte - Recht, freiwillige Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1973 nachzuentrichten, soweit noch keine Beitragszeiten vorlagen. Es ging also um ein Recht auf rückschauende Schließung bereits eingetretener Beitragslücken.

4. Eine Gleichstellung des Personenkreises des Klägers mit demjenigen, der durch § 207 SGB VI begünstigt wird, ist nach Art 3 Abs 1 GG nicht geboten; die Nichteinbeziehung des vom Kläger repräsentierten Personenkreises in den Kreis der Erstattungsberechtigten nach § 207 Abs 3 SGB VI ist nicht verfassungswidrig.

Es handelt sich nicht um vergleichbare Personengruppen. Ferner hat die vom Kläger im Jahre 1981 vorgenommene Nachentrichtung von Beiträgen zu einer fortdauernden Erhöhung seines Rangstellenwertes geführt. Lediglich der künftige wirtschaftliche Nutzen hieraus hat sich zukunftsgerichtet in einer hypothetischen Vergleichsberechnung verringert. Denn seit 1992 hat er auch wegen seiner Studienzeiten Rangstellenwerte erlangt, wenn auch unterhalb der Werte seiner durch Nachentrichtung erworbenen Beitragszeitwerte. Außerdem hat der Kläger bis 1992, also in der Zeit, in der seine Studienzeiten noch nicht anrechenbar waren, den Versicherungsschutz in Höhe des Rangstellenwertes genossen, den er durch seine nachentrichteten freiwilligen Beiträge erlangt hatte.

5. Soweit das SG im erstinstanzlichen Urteil einen Erstattungsanspruch des Klägers auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützt hat, entbehren dessen Erwägungen einer Rechtsgrundlage. Insoweit ist auf die Ausführungen des LSG zu verweisen.

6. Nach alldem ist die Revision der Beklagten begründet, so daß ihr Revisionsantrag Erfolg haben mußte (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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