S 7 KR 182/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KR 182/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Kosten für von der Beigeladenen in Anspruch genommene Therapiemaßnahmen.

Die am 00.00.1995 geborene Beigeladene leidet unter Autismus. Hierbei handelt es sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die sich vor dem dritten Lebensjahr manifestiert, und die durch eine gestörte Funktionsfähigkeit in den Bereichen soziale Interaktion und Kommunikation sowie von repetetiven Verhalten gekennzeichnet ist. Bei der Beigeladenen liegt der Akzent auf der Störung der sozialen Interaktion.

Da bereits im Alter von 14 Lebensmonaten eine Entwicklungsverzögerung festgestellt wurde, wurde die Beigeladene schon damals der bei dem Institut für Jugendhilfe der Klägerin beschäftigten Kinderärztin und Psychotherapeutin, Frau Dr. N, vorgestellt. Diese leitete eine Frühfördermaßnahme ein, die dann anschließend bei der Frühförderstelle der Lebenshilfe durchgeführt wurde. 1999 wurde die Klägerin in einer heilpädagogische Kindertagesstätte des Roten Kreuzes aufgenommen. Seit August 2002 besucht sie eine Behindertenschule.

Nach der Aufnahme in die heilpädagogische Kindertagesstätte kam es zu einem von Fr. Dr. N vermittelten Kontakt der Eltern der Klägerin mit dem Autismustherapiezentrum, welches von dem Verein "Hilfe für das autistische Kind e.V." Vereinigung zu Förderung autistischer Menschen, Regionalverband Mülheim an der Ruhr - Duisburg e.V. getragen wird. Das Autismustherapiezentrum beschäftigt im therapeutischen Bereich eine Diplom-Psychologin/Psychotherapeutin, vier Diplom Pädagoginnen, drei Diplom Sozialpädagogen bzw. Sozialpädagoginnen, vier Heilpädagoginnen, eine Motopädin und eine Tanztherapeutin. Die Mitarbeiter besitzen keine Kassenzulassung. Das Zentrum arbeitet nach den Leitlinien des Bundesverbandes des Vereins "Hilfe für das autistische Kind e.V." und folgt dabei einem ganzheitlichen Ansatz der Autismustherapie im Rahmen einer sogenannten multiprofessionellen Komplexleistung. Die konkreten Ziele der Therapie sind abhängig von dem jeweiligen Patienten. Allgemein ist die Therapie jedoch auf folgende Ziele ausgerichtet: Weitgehende Erlangung sozialer Kompetenzen, weitgehende Erlangung kommunikativer Kompetenzen, weitgehende Erlangung von Handlungskompetenzen, weitgehende Erreichung der Verarbeitung und Integration von Wahrnehmung, Erlangung kognitiver Grundfertigkeiten und des Verstehens sozialer Zusammenhänge, welche die Grundlage für vorschulische, schulische und berufliche Maßnahmen bilden, Erreichung der Fähigkeit mit Emotionen angemessen umzugehen, Behebung sekundärer Verhaltensprobleme und die Befähigung zum adäquaten Umgang mit dem Menschen mit Autismus. Nach mehreren Erstkontakten, in denen eine autismusspezifische Anamnese sowie eine diagnostische Abklärung erfolgt, wird ein konkretes Behandlungskonzept für den jeweiligen Patienten erstellt und später durchgeführt. Zu den weiteren Einzelheiten des Therapiekonzepts wird auf Blatt 101 bis 112 der Gerichtsakte bezug genommen.

Nachdem sich auf Grund der Entwicklung der Beigeladenen der Autismusverdacht erhärtet hatte, nahmen ihre Eltern mit dem Autismustherapiezentrum Kontakt auf. Am 08.05.2001 beantragten sie bei der Klägerin die Übernahme der anfallenden Therapiekosten. Diesem Antrag kam die Klägerin mit Bescheid vom 18.06.2001 und später mit Bescheid vom 25.04.2002 nach, worin sie sich bereit erklärte, die Kosten für eine Therapie durch das Therapiezentrum in einem Umfang von wöchentlich zwei bis drei Stunden im Rahmen der Vorschriften über die Eingliederungshilfe nach §§ 39/40 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zu übernehmen. Nach Durchführung der Abklärungsuntersuchungen im September 2001 wurde die konkrete Therapie dann im Oktober 2001 aufgenommen. Die hierfür anfallenden Kosten wurden von der Klägerin bis zur Unterbrechung der Therapie im März 2003 getragen. Die Gesamtkosten für den Zeitraum von September 2001 bis Februar 2003 beliefen sich auf 7.218,48 Euro. Hinsichtlich der konkreten Einzelheiten der Entwicklung bzw. Förderung der Beigeladenen in dem genannten Zeitraum wird auf den von der Zeugin X im Termin zur mündlichen Verhandlung übergebenen psychologischen Untersuchungsbericht vom 19.10.2001, den Förderplan von August 2002 (Bl. 12 - 14 der Gerichtsakte) sowie die Entwicklungsberichte der Zeugin Frau Dr. N zwischen Juli 1999 und März 2002 Bezug genommen.

Am 19.09.2001 machte die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch gem. § 104 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) für die entstandenen bzw. entstehenden Therapiekosten geltend. Dabei vertrat sie die Auffassung, dass nunmehr auf Grund der Änderung des § 27 Abs. 1 Nr. 6 SGB V und der Einführung des § 26 Abs. 3 SGB IX eine Leistungspflicht der Beklagten gegeben sei.

Nachdem die Beklagte im Oktober 2001 mitgeteilt hatte, sie lehne eine Erstattung ab, weil sie nicht zuständig sei, hat die Klägerin am 26.06.2002 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Kostenerstattung weiterverfolgt.

Wie auch in einer Vielzahl anderer gleich gelagerter Fälle, bei denen die Beklagte ihre Zahlungspflicht verneint habe, habe sie als nachrangiger Träger im Rahmen der Eingliederungshilfe eintreten müssen. Die Leistungspflicht der Beklagten ergebe sich nach Einfügung des SGB IX am 01.07.2001 aus dem dortigen § 26. Dort werde nun erstmalig der Begriff der medizinischen Rehabilitation mit Beispielen erläutert. Für diese Maßnahmen sei die Beklagte gem. § 27 Abs. 1 Nr. 6 SGB V zuständig. § 26 SGB IX komme zur Anwendung, weil die Leistung der Eingliederungshilfe erst nach dem 01.07.2001 bewilligt worden sei, und es sich damit also nicht um die Weitergewährung einer bereits bewilligten Therapie handele. Die Vorschrift beschreibe exakt die Leistungen, die die Beigeladene im Rahmen der Hilfen für das autistische Kind bekomme. Die Voraussetzungen lägen vor, weil die Leistungen ambulant durchgeführt würden und erfolgten, um den Autismus zu mindern bzw. eine Verschlechterung zu verhüten. § 26 Abs. 3 SGB IX mache auch psychologische und pädagogische Hilfen zum Bestandteil der Rehabilitation, und zwar nicht nur generell, sondern auch im Hinblick auf die mit der medizinischen Rehabilitation verfolgten Ziele. Die medizinische Rehabilitation gehöre unzweifelhaft zum Leistungsspektrum der Beklagten. Zwar beziehe sich die medizinische Rehabilitation im SGB V nicht primär auf die schulische Integration. Dies bedeute jedoch nicht, dass "automatisch" die Klägerin zuständig sei, wenn nur unter anderem auch die schulische Integration verfolgt werde. Es sei konkret zu prüfen, wegen welcher Ursachen die schulische Integration erschwert würde. Sofern Ursache hiefür letztlich eine Krankheit sei, handele es sich bei der Förderung der Integration um eine medizinische Rehabilitationsleistung. Die Maßnahmen seien aus medizinischer Sicht ohnehin unstreitig notwendig. Eine zwischen den Beteiligten bereits früher ergangene Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 12.03.1992, Az: L 16 KR 130/91) sei hier nicht einschlägig, weil damals die Vorschriften des SGB IX noch nicht gegolten hätten. Die Zuständigkeit der Beklagten sei auch nicht durch § 7 SGB IX ausgeschlossen. Die §§ 40 und 43 SGB V enthielten keine Regelung über Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen. Insofern sei § 26 SGB IX eine Konkretisierung von § 40 SGB V. Auch aus der zum 01.07.2003 wirksam werdenden Frühförderverordnung ergebe sich nichts anderes. Diese erstrecke sich lediglich auf interdisziplinäre Einrichtungen. Eine solche Einrichtung bzw. Frühförderstelle sei das Autismustherapiezentrum jedoch nicht. Auch inhaltlich handele es sich hier nicht um eine Frühförderung im Sinne des § 30 SGB IX.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Betrag in Höhe von 7.218,48 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung trifft sie keine gesetzliche Leistungspflicht für die Erbringung von Leistungen der Autismustherapie, wie sie hier konkret zur Anwendung gekommen sind. Die gesetzliche Krankenversicherung sei zuständig für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen (§ 5 und 6 SGB IX). Ausdrücklich werde in den genannten Vorschriften festgestellt, dass das gegliederte System der Rehabilitation dem Grunde nach beibehalten werden soll. Die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung richte sich somit unter dem Vorbehalt des § 7 SGB IX nach dem für sie geltenden Leistungsgesetz des SGB V. § 7 SGB IX verdeutliche lediglich, dass das SGB IX nur dann unmittelbar anzuwenden sei, soweit in den für die jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen nichts abweichendes geregelt sei. Eine abweichende Regelung ergebe sich aber aus den §§ 40 und 43 SGB V. Dort sei konkret definiert, unter welchen Voraussetzungen Rehabilitationsleistungen durch den Krankenversicherungsträger zu übernehmen seien. Bei der medizinischen Rehabilitation im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung handele es sich um eine Komplexleistung. Die in § 26 Abs. 2 SGB IX einzeln aufgeführten Leistungen seien als Teile dieser Komplexleistung zu verstehen und von den gesetzlichen Krankenkassen als solche zur Verfügung zu stellen. Aus den Leistungsbeschreibungen sowie den Anträgen weiterer Betroffener, bei denen Autismus festgestellt wurde, ergebe sich jedoch, dass der Schwerpunkt der Maßnahmen des Vereins "Hilfe für das autistische Kind e.V." im sozialen Bereich lägen. Medizinische Rehabilitation finde lediglich zu einem geringen Anteil - wenn überhaupt - statt. Im hier streitigen Fall sei, ein Anteil im kurativen bzw. medizinischen Rehabilitationsbereich gar nicht feststellbar. Damit liege der Sachverhalt nicht anders als in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12.03.1993. Auch in einem Beschluss vom 12.02.2003 (Az.: L 5 B 3/03 KR ER) habe das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen die Vorschrift des § 26 SGB IX nicht als eigenständige Anspruchsgrundlage gesehen. Außerdem sei Autismus nicht in erster Linie eine Krankheit, sondern eine Verhaltensstörung, der nur durch soziale Integration/Rehabilitation entgegengewirkt werden könne. Hierfür sei jedoch der Träger der Jugendhilfe nach dem SGB VIII oder der Träger der Sozialhilfe nach dem BSHG zuständig. Erst in zweiter Linie kämen Leistungen nach dem SGB V in Betracht, nämlich dann, wenn durch die Verhaltensstörung Folgeerscheinungen aufträten, die zu behandeln seien. In diesem Zusammenhang kämen psychologische oder pädagogische Hilfen in Frage. Aus den einzelnen aktenkundigen Entwicklungsberichten ergebe sich jedoch bereits, dass es sich hier um eine gezielte sozialpädagogische Behandlung zur Eingliederung in den Kindergarten bzw. zur Vorbereitung auf die Schule handelte. Insoweit sei das Therapiezentrum auch als Frühförderungsstelle im Sinne der insoweit maßgeblichen Verordnung anerkannt. Schließlich käme als Grundlage für den Erstattungsanspruchs ohnehin nicht die von der Klägerin in Bezug genommene Vorschrift des § 104 SGB X sondern lediglich § 102 SGB X in Betracht. Auf Grund dieser Vorschrift sei jedoch der Verwaltungsrechtsweg einzuschlagen.

Eine formale Zuständigkeitsrüge hat die Beklagte diesbezüglich jedoch ausdrücklich nicht erhoben.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes das Therapiekonzept des von dem Verein "Hilfe für das autistische Kind e.V." getragenen Therapiezentrums sowie die Entwicklungsberichte der Frau Dr. N im Zeitraum von Juli 1999 bis März 2002 beigezogen. Ferner hat die Kammer die Geschäftsführerin des Vereins "Hilfe für das autistische Kind e.V.", Frau X, sowie die Ärztin des Instituts für Jugendhilfe der Klägerin, Frau Dr. N, im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15.06.2004 als Zeuginnen vernommen. Hinsichtlich des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlagen 1 und 2 der Sitzungsniederschrift vom 15.06.2004 Bezug genommen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte bzw. den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in der Sache entscheiden, obwohl die Beigeladene im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist. Denn auf die Möglichkeit der Entscheidung ohne Anwesenheit der Beigeladenen wurde in der Ladung ausdrücklich hingewiesen (vgl. § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 110 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)). Es war auch nicht erforderlich, vorab einen eigenständigen Beschluss über die Feststellung der Eröffnung des Rechtsweges zu dem Sozialgericht zu fassen. Denn die Beklagte hat insoweit ausdrücklich auf den Erlass eines solchen Beschlusses bzw. die Stellung eines Verweisungsantrags verzichtet (vgl. Mayer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz 7. Auflage 2002, § 98 Randziffer 4).

Die Klage ist zulässig. Es steht der sachlichen Zuständigkeit des erkennenden Sozialgerichts nicht entgegen, dass der Anspruch der Klägerin statt aus § 104 SGB X möglicherweise aus § 102 SGB X herzuleiten wäre. Denn das Gericht ist sowohl für die Entscheidung über den einen, als auch für die Entscheidung für den anderen Anspruch zuständig. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Anspruch aus § 104 SGB X, auf den sich die Klägerin vorrangig stützt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Sie ergibt sich daraus, dass der der Erstattungsforderung möglicherweise zu Grunde liegende Anspruch Beigeladenen gegenüber der Beklagten gem. § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG der Entscheidung der Sozialgerichtsbarkeit unterworfen ist. Gem. § 17 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetztes (GVG), entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Vor diesem Hintergrund ist die Kammer entgegen der Auffassung der Beklagten auch zur Entscheidung über einen etwaigen Anspruch aus § 102 SGB X zuständig. Der selbe rechtliche Gesichtspunkt im Sinne von § 17 Abs. 2 GVG liegt jedenfalls dann vor, wenn es sich um den selben prozessualen Anspruch handelt und die Verfolgung des Anspruchs auf Grund der weiteren in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage nicht offensichtlich aussichtslos ist (vgl. Mayer-Ladewig a.a.O. § 51 Randziff. 76/77 und Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, 62. Auflage 2004, § 17 GVG Randziff. 5/6). Da der Anspruch aus § 102 SGB X auf denselben tatsächlichen Lebenssachverhalt bei gleichbleibendem Leistungsantrag gestützt wird wie der Anspruch nach § 104 SGB X, handelt es sich um den selben prozessualen Anspruch. Die Verfolgung des Zahlungsanspruches aus § 102 SGB X ist auch nicht offensichtlich ausgeschlossen.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Erstattung eines Betrages in Höhe von 7.218,48 Euro nach einer der Vorschriften der §§ 102-105 SGB X. Sie ist daher nicht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten verletzt. Dafür muss die Kammer nicht entscheiden, welche der vorgenannten Anspruchsgrundlagen konkret in Betracht zu ziehen wäre, denn alle denkbaren Anspruchsgrundlagen setzen voraus, dass die Beklagte gegenüber der Beigeladenen nach den Vorschriften des SGB V verpflichtet wäre, die Autismustherapie bei dem Autismustherapiezentrum zur Verfügung zu stellen bzw. die Kosten hierfür zu erstatten (für einen vergleichbaren Fall, bei dem die konkrete Anspruchsgrundlage im Rahmen eines Erstattungsstreites offengelassen wurde vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 31.03.1998, Az: B 1 KR 12/96 R).

Die Untersuchungs- bzw. Therapiemaßnahmen, die die Beigeladene zwischen September 2001 und Februar 2003 durch das Autismustherapiezentrum erhalten hat, waren ihr nicht auf Grundlage des § 27 Abs. 1 SGB V als Krankenbehandlung von der Beklagten geschuldet. Zwar handelt es sich bei der autistischen Entwicklungsstörung um einen regelwidrigen behandlungsbedürftigen geistigen Zustand und damit eindeutig um eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung.

Vom allgemeinen Therapiekonzept her und unter Berücksichtigung der konkret durchgeführten Therapiemaßnahmen waren die erbrachten Leistungen jedoch (zumindest überwiegend) keine Maßnahmen der Krankenbehandlung im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V sondern sogenannte "nichtmedizinische Behandlungen", für die die Beklagte gegenüber der Beigeladenen nicht einzustehen hat.

Nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (vgl. zuletzt Urteil vom 03.09.2003, Az: B 1 KR 34/01 R) kommt es für die Abgrenzung zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Maßnahmen und damit für die Zuständigkeit der Krankenversicherung in erster Linie auf die Zielsetzung der Maßnahme an. Falls eine einzelne oder ein Bündel von Maßnahmen eines der in § 27 Abs. 1 SGB V oder § 11 Abs. 2 SGB V genannten Ziele (erkennen oder heilen einer Krankheit, Verhütung der Krankheitsverschlimmerung, Linderung von Krankheitsbeschwerden, Vermeidung, Beseitigung oder Besserung einer Behinderung) verfolgt, und dabei an der Krankheit selbst bzw. an ihren Ursachen ansetzt, kann der Umstand an Bedeutung verlieren, dass vorwiegend pädagogische Mittel eingesetzt werden. Allerdings werden im Rahmen der Krankenbehandlung ausschließlich Maßnahmen geschuldet, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen. Die Krankenkassen haben nicht die Aufgabe, sonstige wegen einer Krankheit notwendig werdende Hilfen im Bereich der allgemeinen Lebensführung zu bieten (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 31.03.1998, Az: B 1 KR 12/96 R). Schon vor diesem Hintergrund hat die Kammer Bedenken, die hier vorgenommenen Therapiemaßnahmen als medizinische (Kranken)-Behandlung im Sinne des SGB V einzustufen. Denn nach dem oben bereits zitierten Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.09.2003 ist in diesem Zusammenhang wesentlich darauf abzustellen, welche Erwartungen der Leistungserbringer selbst mit seinem Vorgehen verbindet. Unter Zugrundelegung der Therapiekonzeption und der Aussagen der Zeugin X im Termin zur mündlichen Verhandlung geht die Kammer davon aus, dass hier nicht der Autismus als solches, sondern seine Auswirkungen auf das Leben bzw. die Eingliederung der Beigeladenen in die Gesellschaft beeinflusst werden soll. Hierauf deuten zunächst die in dem Therapiekonzept unter Ziffer 5.2 genannten allgemein formulierten Ziele hin, die lediglich auf eine Beeinflussung der Folgen der Erkrankung, und nicht auf eine Beeinflussung der Krankheit selbst abstellen. Zudem hat die Zeugin X im Termin zur mündlichen Verhandlung bekundet, dass es nicht Ziel der Therapie sein könne, die Erkrankung zu heilen bzw. den Zustand als solchen zu verbessern sondern nur die negativen Auswirkungen hinsichtlich sozialer und kommunikativer Kompetenzen zu mildern. Hinzu kommt, dass es sich nach den vorliegenden Informationen nicht um ein in sich geschlossenes Wirkkonzept, sondern um eine multiprofessionelle Komplexleistung handelt, die jeweils auf den konkreten Einzelfall zugeschnitten wird.

Selbst wenn man auf Grund der fließenden Grenzen zwischen Krankenbehandlung und sozialer Eingliederung, insbesondere im Bereich des Autismus davon ausgehen würde, dass sich gewisse Anteile einer Krankenbehandlung im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V auch bei der konkreten Therapie der Beigeladenen finden lassen, führt dies zu keiner anderen Beurteilung des Falles. Denn in solchen Fällen können nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in dem ebenfalls bereits zitierten Urteil vom 31.03.1998 (dort Randziff. 16) medizinische und nichtmedizinische Leistungen nur auf Grund einer Gesamtwürdigung der Bedürfnisse und Heilungschancen des einzelnen Behandlungsfalles von einander abgegrenzt werden. Dabei spielen die Art der Erkrankung und ihr Bezug zu den eingesetzten Mitteln sowie den damit verfolgten Nah- und Fernzielen eine Rolle. Nur wenn dabei die Krankheitsbekämpfung im Vordergrund steht, ist die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt. Dies gilt für die notwendige Abgrenzung zwischen Maßnahmen der Krankbehandlung und solchen der sozialen Eingliederung in besonderem Maße. Da die Auswirkungen einer Krankheit auf das Gesamtbefinden stark individuell geprägt sind, entzieht sich die Abwägung, ob die Maßnahme mehr der Krankheitsbekämpfung oder der mehr der Überwindung von sozialen Folgen dient, jeglicher allgemeinen Festlegung. Vor allem bei behinderten Kindern können soziale und medizinische Befunde in sehr unterschiedlicher Weise miteinander verknüpft sein, so dass es unmöglich ist, die einzelnen Schritte, der Betreuung unabhängig von der konkreten Situation des Betreuten der Krankenbehandlung oder der Eingliederungshilfe rechtlich zuzuordnen (vgl. BSG a.a.O. Randziff. 17).

Unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Entwicklungsberichte sowie des Förderplans aus dem Monat August 2002 vertritt die Kammer die Auffassung, dass die Krankheitsbekämpfung als solche hier eindeutig im Hintergrund stand. Im Einklang mit den Ausführungen der Frau Dr. N im Termin zur mündlichen Verhandlung, wonach die Problematik bei der Beigeladenen vorwiegend im Bereich der sozialen Interaktion liegt, wurden als Ziele im August 2002 vor allem definiert, eine vertrauensvolle, tragfähige Beziehung der Beigeladenen zu den Therapeutinnen zu entwickeln, das eigenständige Auswählen von Spielmaterial und den Umgang mit altersadäquaten neuen Materialien zu fördern, die allgemeine und verbale Kommunikationsfähigkeit zu fördern, das Interesse an der Interaktion zu steigern sowie im sozialen Umfeld die Eltern und die Mitarbeiter der Tagesstätte im Hinblick auf das Krankheitsbild zu beraten. Diese konkreten Therapieziele stehen sämtlich im Zusammenhang mit der sozialen insbesondere schulischen Integration der Beigeladenen.

Auch nach den Darstellungen der Ärztin der Klägerin, Frau Dr. N, hat die Kammer den Eindruck gewonnen, dass die konkreten Maßnahmen des Therapiezentrums, die soziale Eingliederung in die heilpädagogische Kindertagesstätte fördern und intensivieren, sowie die bevorstehende Einschulung, die dann im August 2002 auch durchgeführt wurde, vorbereiten sollten. Diese Zielrichtung ergibt sich insbesondere auch aus dem Entwicklungsbericht vom 27.03.2002.

Selbst wenn man der vorstehend dargelegten Auffassung der Kammer nicht folgen sollte, stehen einem vollen Erfolg der Klage noch weitere Bedenken entgegen. Die Auffassung der Beklagten, dass durch die Einführung des SGB IX keine neuen über das jeweilige Leistungsrecht hinausgehenden Anspruchsgrundlagen geschaffen wurden, trifft zu. Dies ergibt sich insbesondere aus § 7 SGB IX (vgl. Hauck/Haines-Götze, § 7 SGB IX Rz. 1,4 m.w.N.). Insoweit müssten für eine Leistungspflicht der Beklagten die besonderen Voraussetzungen der §§ 23 bzw. 40 ff. SGB V vorliegen. Dies ist hier aber wohl nicht der Fall. Um eine ergänzende Leistung zur Rehabilitation im Sinne von § 43 SGB V handelt es sich jedenfalls nicht, weil in dieser Vorschrift § 26 SGB IX nicht in Bezug genommen wird.

Auch dem Grunde nach dürfte eine Anwendung der Vorschriften des SGB IX, jedenfalls für den Zeitraum bis zum 26.04.2002 im Hinblick auf die Übergangsvorschrift des Art. 67 Abs. 1 SGB IX, ausscheiden. Denn sowohl der Antrag als auch die erste Entscheidung über die Gewährung der Leistung erfolgte vor dem 01.07.2001.

Gleiches gilt für eine Kostenübernahme im Rahmen der Frühförderung bzw. der in diesem Zusammenhang ergangenen Richtlinien (vgl. §§ 30, 32 SGB IX). Diesbezüglich ist darüber hinaus noch fraglich, worauf sich eine Vergütung überhaupt stützen soll, weil die Verhandlungen über die konkreten Vergütungsbeträge bzw. die Beteiligung der Krankenversicherung an den entstehenden Kosten noch in der Schwebe sind. Nach der Einschulung der Beigeladenen im August 2002, kommt eine Kostenbeteiligung der Beklagten unter dem Aspekt der Frühförderung ohnehin nicht mehr in Betracht, weil die Leistungen nach dem Willen des Gesetzgebers bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt sein sollen (vgl. Bundestagsdrucksache 14/5074 Seite 107, Hauck/Haines-Brodkorb § 30 SGB IX Randziff. 19).

Schließlich stellt sich im Hinblick auf die Inanspruchnahme der Leistung zu Lasten der Beklagten noch das Problem, dass die Leistung hier durch einen nicht zugelassenen Leistungserbringer erbracht wurde. Dies könnte unter dem Gesichtspunkt des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V allenfalls dann unbeachtlich sein, wenn sich die Beigeladene zuvor mit ihrem Leistungsbegehren auch unmittelbar an die Beklagte gewandt hätte und von dieser eine ablehnende Entscheidung gegenüber der Beigeladenen getroffen worden wäre. Dies ist trotz der gegenteiligen Angaben der Zeugin X im Termin zur mündlichen Verhandlung, von den Beteiligten aber nicht bestätigt bzw. vorgetragen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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