Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 EG 5/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. August 1997 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens, einschließlich derjenigen des Zwischenstreits vor dem Europäischen Gerichtshof, zu erstatten.
Gründe:
I
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld (Erzg) nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für ihre am 9. August 1993 in Deutschland geborene Tochter A. in der Zeit vom 13. Januar 1994 bis zum 8. August 1995.
Die 1966 geborene Klägerin ist verheiratet und hat drei Kinder; A. das jüngste Kind. Die Klägerin ist algerische Staatsangehörige. Ihr 1959 geborener Ehemann und die Kinder besaßen im streitigen Zeitraum die marokkanische Staatsangehörigkeit. Die Eheleute sind im Jahre 1988 aus Algerien bzw Marokko nach Deutschland eingereist und leben seitdem ununterbrochen hier. Beide besaßen zunächst eine aufenthaltsrechtliche Gestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. Im Februar 1994 bekamen sie eine Aufenthaltsbefugnis und im Mai 1996 eine Aufenthaltserlaubnis. Der Ehemann der Klägerin hat zudem seit 1991 eine Arbeitserlaubnis. Den Lebensunterhalt bestreitet die Familie aus dem Arbeitseinkommen des Ehemannes der Klägerin sowie Kindergeld und Wohngeld.
Die von beiden Ehepartnern beantragte Anerkennung als Asylberechtigte wurde bestandskräftig abgelehnt. Jedoch hat das Verwaltungsgericht Köln durch Urteil vom 16. September 1993 festgestellt, dass der Ehemann der Klägerin gemäß § 51 Abs 1 des Ausländergesetzes nicht nach Marokko abgeschoben werden darf. Auf Grund dieser Entscheidung, die seit dem 13. Januar 1994 rechtskräftig ist, galt er als Flüchtling iS des Art 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl II 1953 S 560).
Der Beklagte lehnte den - auf die Zeit ab 13. Januar 1994 beschränkten - Antrag der Klägerin auf Gewährung von Erzg für ihre Tochter A. ab (Bescheid vom 26. Juli 1994, Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 1995), weil die Klägerin nicht die erforderliche Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitze. Das Sozialgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 19. März 1996). Auf die Berufung der Klägerin ist die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und der Klage stattgegeben worden (Urteil vom 22. August 1997). Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt: Nach § 1 Abs 1a BErzGG reiche zwar der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis für die Begründung des Erzg-Anspruchs grundsätzlich nicht aus. Die Klägerin sei aber als Familienangehörige eines anerkannten Flüchtlings nach der Verordnung (EWG) 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbstständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71), den Unionsbürgern, also deutschen Staatsangehörigen und anderen Bürgern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), gleichzustellen.
Der (14.) Senat hat mit Beschluss vom 15. Oktober 1998 (unter dem Az: B 14 EG 7/97 R) das Verfahren ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen. Die vom Bundessozialgericht (BSG) vorgelegte Frage ist durch Urteil vom 11. Oktober 2001 (C-95/99 bis C-98/99 und C-180/99) wie folgt beantwortet worden:
Arbeitnehmer, die als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen, sowie deren Familienangehörige, können die von der Verordnung Nr 1408/71 in ihrer durch die Verordnung Nr 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung gewährten Rechte nicht geltend machen, wenn sie sich in einer Situation befinden, die mit keinem Element über die Grenzen dieses Mitgliedstaates hinausweist.
Der Beklagte macht nunmehr geltend, dass die Klägerin auch nach dem Kooperationsabkommen zwischen der EWG und dem Königreich Marokko (vgl EWGV 2211/78 des Rates vom 26. September 1978, ABl EG, Ausgabe L, 1978, L 264, 1 ff) als Familienangehörige (Ehefrau) eines Arbeitsnehmers marokkanischer Staatsangehörigkeit keinen Anspruch auf ErzG habe. Das Abkommen sei nur auf Personen anwendbar, die als Arbeitnehmer mit Wissen und Wollen der Vertragsstaaten nach Deutschland kämen, nicht auf Flüchtlinge wie die Klägerin.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. August 1997 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19. März 1996 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.
II
Die Revision des beklagten Landes hat keinen Erfolg.
Der Klägerin ist auf Grund des - hier noch anwendbaren - Kooperationsabkommens zwischen der EWG und dem Königreich Marokko Erzg für die Zeit vom 13. Januar 1994 bis zum 8. August 1995 zu gewähren. Das spätere Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 26. Februar 1996 zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (BGBl II 1998, S 1811) hat das Kooperationsabkommen erst mit Wirkung vom 1. März 2000 (ABl EG L 70/2000 S 228) abgelöst.
Nach Art 41 Abs 1 dieses Abkommens waren die Arbeitnehmer marokkanischer Staatsangehörigkeit und die mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorbehaltlich seiner nachfolgenden Absätze so zu behandeln, dass keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bewirkt wird. Gemäß Art 41 Abs 3 erhielten diese Arbeitnehmer ferner die Familienzulagen für ihre innerhalb der Gemeinschaft wohnenden Familienangehörigen. Die Gleichstellungsregelungen des Kooperationsabkommens stellten unmittelbar anwendbares Recht dar und es bedurfte insoweit keines weiteren Rechtsaktes, etwa Beschlüssen des Kooperationsrates (Art 42 ff; EuGH-Urteile vom 31. Januar 1991 - C-18/90 - Kziber, Slg 1991, I-199; vom 20. April 1994 - C-58/93 - Yousfi, Slg 1994, I-1353 und vom 3. Oktober 1996 - C-126/95 - Hallouzi-Choho, Slg 1996, I-4807 = SozR 3-6615 Art 41 Nr 1, 2, 3).
Das Erzg nach dem BErzGG ist eine "Familienzulage" iS des Art 41 Abs 3 des Kooperationsabkommens (vgl EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1996 - C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow - Slg 1996, I-4895, 4941 zum Erzg-Anspruch nach Art 73 EWGV 1408/71 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 8). An dieser Auffassung hat der EuGH - trotz der in der Literatur geäußerten Kritik (vgl Eichenhofer, EuZW 1996, 716 f; ders SGb 1997, 449 ff) - festgehalten (vgl Urteil vom 15. März 2001 - C-85/99 Offermanns - Slg 2001, I-2261, RdNr 39). Etwa weiterhin bestehende Zweifel an dieser Einordnung des BErzG ändern nichts an der für alle Mitgliedstaaten der EU und deren Behörden verbindlichen Interpretation des Gemeinschaftsrechts durch die gefestigte Rechtsprechung des EuGH (so bereits BSG SozR 3-7833 § 8 Nr 4), die letztlich auch in der Sache überzeugt (vgl Becker, SGb 1998, 553, 554 f).
Der Ehemann der Klägerin und sie selbst als Familienangehörige werden auch als politische Flüchtlinge vom personellen Anwendungsbereich des Kooperationsabkommens erfasst. Die (vom 14. Senat) im Vorlagebeschluss vom 15. Oktober 1998 (in dieser Sache) vertretene Auffassung, das Abkommen sei nicht auf Flüchtlinge anwendbar, ist vereinzelt geblieben (aA zB Husmann, SGb 1999, 593, 597 und - für das Assoziationsrecht mit der Türkei - VGH Mannheim, Urteile vom 8. Februar 2001 - 1 S 287/00 - InfAuslR 2001, 257, 258 und vom 12. März 2001 - 1 S 1334/00 - bestätigt vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Dezember 2001 - 3 C 25/01 -). Der - nunmehr für Streitfälle aus dem Erziehungsgeldrecht zuständige - erkennende Senat hält an der Rechtsauffassung des 14. Senats nicht fest (vgl dazu bereits das Urteil des 14. Senats vom 12. April 2000, BSGE 86, 115, 117 f = SozR 3-5870 § 1 Nr 18 S 71 f zur Anwendbarkeit des deutsch-jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit auf Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina).
Das Kooperationsabkommen statuiert den Grundsatz sozialrechtlicher Gleichbehandlung für "Arbeitnehmer marokkanischer Staatsangehörigkeit" (Art 41 Abs 1). Ausnahmebestimmungen für Asylsuchende oder Flüchtlinge kennt es nicht. Es kommt nur darauf an, ob der marokkanische Staatsangehörige "Arbeitnehmer" ist. Selbst wenn Marokko bei Abschluss des Kooperationsabkommens kein Interesse an der sozialrechtlichen Gleichstellung von Personen gehabt haben sollte, die nicht als Wanderarbeitnehmer mit Wissen und Wollen der beteiligten Staaten, sondern als Flüchtlinge oder Asylsuchende Marokko verlassen, um in einem Mitgliedstaat der EG Arbeit zu suchen, ist dies für die Auslegung des Abkommens irrelevant, weil ein solches Desinteresse im Vertragstext keinen Niederschlag gefunden hat. Die weite Formulierung in Art 41 Abs 1 lässt danach nur den Schluss zu: Auch marokkanische Flüchtlinge sind in die soziale Sicherung einbezogen, die das Abkommen den marokkanischen Staatsangehörigen in den EG-Staaten Gewähr leisten sollte. Dass diese Schlussfolgerung zutrifft, macht auch ein Vergleich des Kooperationsabkommens mit dem Europa-Mittelmeer-Abkommen deutlich. Dort ist nicht nur der sachliche Anwendungsbereich durch eine eigenständige Definition des Begriffs "soziale Sicherheit" eingeengt worden (Art 65 Abs 1 Unterabs 1). In Art 66 wird außerdem geregelt, dass die "Bestimmungen über Arbeitskräfte" nicht für Staatsangehörige einer der Vertragsparteien gelten, die illegal im Gebiet des Gastlandes wohnen oder arbeiten. Es hätte nahe gelegen, im Zuge dieser Präzisierung des Anwendungsbereichs auch eine Regelung über Flüchtlinge zu treffen, wenn sie hätten ausgeschlossen werden sollen.
Dem geltend gemachten Anspruch auf ErzG steht schließlich nicht entgegen, dass nicht der Ehemann der Klägerin ihn erhoben hat, sondern seine nicht berufstätige Ehefrau (vgl EuGH vom 10. Oktober 1996 aaO). Denn die Familienangehörigen marokkanischer Arbeitnehmer haben einen eigenen Anspruch auf Gleichstellung, der nicht davon abhängt, dass sie selbst marokkanische Staatsangehörige sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe:
I
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld (Erzg) nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für ihre am 9. August 1993 in Deutschland geborene Tochter A. in der Zeit vom 13. Januar 1994 bis zum 8. August 1995.
Die 1966 geborene Klägerin ist verheiratet und hat drei Kinder; A. das jüngste Kind. Die Klägerin ist algerische Staatsangehörige. Ihr 1959 geborener Ehemann und die Kinder besaßen im streitigen Zeitraum die marokkanische Staatsangehörigkeit. Die Eheleute sind im Jahre 1988 aus Algerien bzw Marokko nach Deutschland eingereist und leben seitdem ununterbrochen hier. Beide besaßen zunächst eine aufenthaltsrechtliche Gestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. Im Februar 1994 bekamen sie eine Aufenthaltsbefugnis und im Mai 1996 eine Aufenthaltserlaubnis. Der Ehemann der Klägerin hat zudem seit 1991 eine Arbeitserlaubnis. Den Lebensunterhalt bestreitet die Familie aus dem Arbeitseinkommen des Ehemannes der Klägerin sowie Kindergeld und Wohngeld.
Die von beiden Ehepartnern beantragte Anerkennung als Asylberechtigte wurde bestandskräftig abgelehnt. Jedoch hat das Verwaltungsgericht Köln durch Urteil vom 16. September 1993 festgestellt, dass der Ehemann der Klägerin gemäß § 51 Abs 1 des Ausländergesetzes nicht nach Marokko abgeschoben werden darf. Auf Grund dieser Entscheidung, die seit dem 13. Januar 1994 rechtskräftig ist, galt er als Flüchtling iS des Art 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl II 1953 S 560).
Der Beklagte lehnte den - auf die Zeit ab 13. Januar 1994 beschränkten - Antrag der Klägerin auf Gewährung von Erzg für ihre Tochter A. ab (Bescheid vom 26. Juli 1994, Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 1995), weil die Klägerin nicht die erforderliche Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitze. Das Sozialgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 19. März 1996). Auf die Berufung der Klägerin ist die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und der Klage stattgegeben worden (Urteil vom 22. August 1997). Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt: Nach § 1 Abs 1a BErzGG reiche zwar der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis für die Begründung des Erzg-Anspruchs grundsätzlich nicht aus. Die Klägerin sei aber als Familienangehörige eines anerkannten Flüchtlings nach der Verordnung (EWG) 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbstständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71), den Unionsbürgern, also deutschen Staatsangehörigen und anderen Bürgern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), gleichzustellen.
Der (14.) Senat hat mit Beschluss vom 15. Oktober 1998 (unter dem Az: B 14 EG 7/97 R) das Verfahren ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen. Die vom Bundessozialgericht (BSG) vorgelegte Frage ist durch Urteil vom 11. Oktober 2001 (C-95/99 bis C-98/99 und C-180/99) wie folgt beantwortet worden:
Arbeitnehmer, die als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen, sowie deren Familienangehörige, können die von der Verordnung Nr 1408/71 in ihrer durch die Verordnung Nr 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung gewährten Rechte nicht geltend machen, wenn sie sich in einer Situation befinden, die mit keinem Element über die Grenzen dieses Mitgliedstaates hinausweist.
Der Beklagte macht nunmehr geltend, dass die Klägerin auch nach dem Kooperationsabkommen zwischen der EWG und dem Königreich Marokko (vgl EWGV 2211/78 des Rates vom 26. September 1978, ABl EG, Ausgabe L, 1978, L 264, 1 ff) als Familienangehörige (Ehefrau) eines Arbeitsnehmers marokkanischer Staatsangehörigkeit keinen Anspruch auf ErzG habe. Das Abkommen sei nur auf Personen anwendbar, die als Arbeitnehmer mit Wissen und Wollen der Vertragsstaaten nach Deutschland kämen, nicht auf Flüchtlinge wie die Klägerin.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. August 1997 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19. März 1996 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.
II
Die Revision des beklagten Landes hat keinen Erfolg.
Der Klägerin ist auf Grund des - hier noch anwendbaren - Kooperationsabkommens zwischen der EWG und dem Königreich Marokko Erzg für die Zeit vom 13. Januar 1994 bis zum 8. August 1995 zu gewähren. Das spätere Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 26. Februar 1996 zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (BGBl II 1998, S 1811) hat das Kooperationsabkommen erst mit Wirkung vom 1. März 2000 (ABl EG L 70/2000 S 228) abgelöst.
Nach Art 41 Abs 1 dieses Abkommens waren die Arbeitnehmer marokkanischer Staatsangehörigkeit und die mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorbehaltlich seiner nachfolgenden Absätze so zu behandeln, dass keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bewirkt wird. Gemäß Art 41 Abs 3 erhielten diese Arbeitnehmer ferner die Familienzulagen für ihre innerhalb der Gemeinschaft wohnenden Familienangehörigen. Die Gleichstellungsregelungen des Kooperationsabkommens stellten unmittelbar anwendbares Recht dar und es bedurfte insoweit keines weiteren Rechtsaktes, etwa Beschlüssen des Kooperationsrates (Art 42 ff; EuGH-Urteile vom 31. Januar 1991 - C-18/90 - Kziber, Slg 1991, I-199; vom 20. April 1994 - C-58/93 - Yousfi, Slg 1994, I-1353 und vom 3. Oktober 1996 - C-126/95 - Hallouzi-Choho, Slg 1996, I-4807 = SozR 3-6615 Art 41 Nr 1, 2, 3).
Das Erzg nach dem BErzGG ist eine "Familienzulage" iS des Art 41 Abs 3 des Kooperationsabkommens (vgl EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1996 - C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow - Slg 1996, I-4895, 4941 zum Erzg-Anspruch nach Art 73 EWGV 1408/71 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 8). An dieser Auffassung hat der EuGH - trotz der in der Literatur geäußerten Kritik (vgl Eichenhofer, EuZW 1996, 716 f; ders SGb 1997, 449 ff) - festgehalten (vgl Urteil vom 15. März 2001 - C-85/99 Offermanns - Slg 2001, I-2261, RdNr 39). Etwa weiterhin bestehende Zweifel an dieser Einordnung des BErzG ändern nichts an der für alle Mitgliedstaaten der EU und deren Behörden verbindlichen Interpretation des Gemeinschaftsrechts durch die gefestigte Rechtsprechung des EuGH (so bereits BSG SozR 3-7833 § 8 Nr 4), die letztlich auch in der Sache überzeugt (vgl Becker, SGb 1998, 553, 554 f).
Der Ehemann der Klägerin und sie selbst als Familienangehörige werden auch als politische Flüchtlinge vom personellen Anwendungsbereich des Kooperationsabkommens erfasst. Die (vom 14. Senat) im Vorlagebeschluss vom 15. Oktober 1998 (in dieser Sache) vertretene Auffassung, das Abkommen sei nicht auf Flüchtlinge anwendbar, ist vereinzelt geblieben (aA zB Husmann, SGb 1999, 593, 597 und - für das Assoziationsrecht mit der Türkei - VGH Mannheim, Urteile vom 8. Februar 2001 - 1 S 287/00 - InfAuslR 2001, 257, 258 und vom 12. März 2001 - 1 S 1334/00 - bestätigt vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Dezember 2001 - 3 C 25/01 -). Der - nunmehr für Streitfälle aus dem Erziehungsgeldrecht zuständige - erkennende Senat hält an der Rechtsauffassung des 14. Senats nicht fest (vgl dazu bereits das Urteil des 14. Senats vom 12. April 2000, BSGE 86, 115, 117 f = SozR 3-5870 § 1 Nr 18 S 71 f zur Anwendbarkeit des deutsch-jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit auf Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina).
Das Kooperationsabkommen statuiert den Grundsatz sozialrechtlicher Gleichbehandlung für "Arbeitnehmer marokkanischer Staatsangehörigkeit" (Art 41 Abs 1). Ausnahmebestimmungen für Asylsuchende oder Flüchtlinge kennt es nicht. Es kommt nur darauf an, ob der marokkanische Staatsangehörige "Arbeitnehmer" ist. Selbst wenn Marokko bei Abschluss des Kooperationsabkommens kein Interesse an der sozialrechtlichen Gleichstellung von Personen gehabt haben sollte, die nicht als Wanderarbeitnehmer mit Wissen und Wollen der beteiligten Staaten, sondern als Flüchtlinge oder Asylsuchende Marokko verlassen, um in einem Mitgliedstaat der EG Arbeit zu suchen, ist dies für die Auslegung des Abkommens irrelevant, weil ein solches Desinteresse im Vertragstext keinen Niederschlag gefunden hat. Die weite Formulierung in Art 41 Abs 1 lässt danach nur den Schluss zu: Auch marokkanische Flüchtlinge sind in die soziale Sicherung einbezogen, die das Abkommen den marokkanischen Staatsangehörigen in den EG-Staaten Gewähr leisten sollte. Dass diese Schlussfolgerung zutrifft, macht auch ein Vergleich des Kooperationsabkommens mit dem Europa-Mittelmeer-Abkommen deutlich. Dort ist nicht nur der sachliche Anwendungsbereich durch eine eigenständige Definition des Begriffs "soziale Sicherheit" eingeengt worden (Art 65 Abs 1 Unterabs 1). In Art 66 wird außerdem geregelt, dass die "Bestimmungen über Arbeitskräfte" nicht für Staatsangehörige einer der Vertragsparteien gelten, die illegal im Gebiet des Gastlandes wohnen oder arbeiten. Es hätte nahe gelegen, im Zuge dieser Präzisierung des Anwendungsbereichs auch eine Regelung über Flüchtlinge zu treffen, wenn sie hätten ausgeschlossen werden sollen.
Dem geltend gemachten Anspruch auf ErzG steht schließlich nicht entgegen, dass nicht der Ehemann der Klägerin ihn erhoben hat, sondern seine nicht berufstätige Ehefrau (vgl EuGH vom 10. Oktober 1996 aaO). Denn die Familienangehörigen marokkanischer Arbeitnehmer haben einen eigenen Anspruch auf Gleichstellung, der nicht davon abhängt, dass sie selbst marokkanische Staatsangehörige sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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