B 12 KR 26/03 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 26/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 6. November 2002 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Oktober 1999 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1998 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger in seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 4) in der Zeit vom 11. Juli 1997 bis zum 30. September 1997 in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung versicherungsfrei und zur Bundesanstalt für Arbeit beitragsfrei gewesen ist. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger auf Grund des Werkstudentenprivilegs versicherungs- und beitragsfrei gewesen ist.

Der 1972 geborene Kläger studierte seit dem Wintersemester 1992/93 Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Er war von Januar 1995 bis September 1997 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zehn Stunden gegen ein monatliches Entgelt von 803,59 DM bei der Universität als studentische Hilfskraft beschäftigt. Am 10. Juli 1997 bestand er die Erste juristische Staatsprüfung im Freiversuch. Er blieb jedoch weiter immatrikuliert, um an der Wiederholungsprüfung zur Notenverbesserung teilzunehmen. Hierzu meldete er sich fristgerecht am 2. Oktober 1997. Am 13. Oktober 1998 legte er die Wiederholungsprüfung ab.

Mit Bescheid vom 4. Mai 1998 stellte die beklagte Krankenkasse als Einzugsstelle gegenüber der Universität als Arbeitgeberin für die Zeit vom 11. Juli 1997 bis zum 30. September 1997 (Ende der Beschäftigung) die "Versicherungspflicht" des Klägers "zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung" fest. Nach Bestehen der Ersten juristischen Staatsprüfung sei er nicht mehr als ordentlicher Studierender anzusehen und daher nicht mehr versicherungs- und beitragsfrei.

In der daraufhin vom Kläger zum Sozialgericht (SG) erhobenen Klage sah die Beklagte zugleich einen Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 4. Mai 1998 und bestätigte diesen gegenüber dem Kläger mit dem Widerspruchsbescheid vom 15. September 1998. Das SG hat beigeladen: Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Beigeladene zu 1), die Bundesanstalt für Arbeit (Beigeladene zu 2), die Pflegekasse (Beigeladene zu 3) und die Universität als Arbeitgeberin (Beigeladene zu 4). Das SG hat sodann die Klage mit Urteil vom 22. Oktober 1999 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers mit Urteil vom 6. November 2002 zurückgewiesen. Der Kläger sei in der Zeit vom 11. Juli 1997 bis zum 30. September 1997 nicht mehr auf Grund des Werkstudentenprivilegs versicherungs- und beitragsfrei gewesen. Er habe sein Examen am 10. Juli 1997 erfolgreich abgelegt und sei anschließend nicht mehr als ordentlicher Studierender einer Hochschule anzusehen. Der Wille, an einer Wiederholungsprüfung zur Notenverbesserung teilzunehmen, sei erst mit der Meldung zu dieser Prüfung am 2. Oktober 1997 manifestiert worden. In der Zeit vorher habe jeder objektive Hinweis darauf gefehlt, dass er sich auf eine Wiederholungsprüfung vorbereite und an dieser habe teilnehmen wollen. Auch wenn nach den Verfahrensregelungen des Justizprüfungsamtes eine vorherige Meldung nicht bearbeitet worden wäre, sei der Kläger doch faktisch nicht gehindert gewesen, sich bereits vor dem 2. Oktober 1997 zu melden.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 6 Abs 1 Nr 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), des § 5 Abs 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI aF), des § 20 Abs 1 Nr 9 des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) und des § 169b Satz 1 Nr 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Student im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sei auch, wer einen Abschluss erreicht habe, aber noch an einem Verbesserungsversuch teilnehme. Zu Unrecht verlange das LSG eine frühzeitige Meldung zur Wiederholungsprüfung, die nach den Regeln des Justizprüfungsamtes nicht zugelassen sei. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20. August 2002 (AP Nr 8 zu § 611 BGB Werkstudent) sei das Prüfungsverfahren erst beendet, wenn der Kandidat alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe und das endgültige Prüfungsergebnis bekannt gegeben sei. Der erste und zweite Versuch seien insoweit als integrierte Teile eines einheitlichen Prüfungsverfahrens anzusehen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG vom 6. November 2002 und das Urteil des SG vom 22. Oktober 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1998 aufzuheben und festzustellen, dass er in seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 4) in der Zeit vom 11. Juli 1997 bis zum 30. September 1997 in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung versicherungsfrei und zur Bundesanstalt für Arbeit beitragsfrei gewesen ist.

Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1) und 3) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beigeladene zu 1) verweist auf ein Besprechungsergebnis der Spitzenverbände vom 29./30. April 1996. Hiernach sei eine in der Zeit zwischen der Ersten juristischen Staatsprüfung und der Wiederholung zur Notenverbesserung ausgeübte Beschäftigung auch dann nicht wie eine Beschäftigung während der Dauer des Studiums zu behandeln, wenn die Vorbereitungen für die nächste Prüfung vom zeitlichen Umfang her gegenüber der Beschäftigung überwögen. Das Urteil des BAG überzeuge nicht. Zur Vermeidung aufwändiger Einzelfallprüfungen sei das Werkstudentenprivileg eng auszulegen und davon auszugehen, dass die Versicherungsfreiheit mit dem ersten erfolgreichen Abschluss des Staatsexamens ende. Allein dies entspreche auch der sozialversicherungsrechtlich gebotenen vorausschauenden Betrachtungsweise.

Die Beigeladene zu 2) schließt sich ebenfalls dem Berufungsurteil an, stellt jedoch keinen Antrag. Die Beigeladene zu 4) hat sich in der Sache nicht geäußert.

II

Die Revision des Klägers ist begründet. Das LSG hat seine Berufung zu Unrecht zurückgewiesen, das SG seine Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1998 ist rechtswidrig. Der Kläger war während seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 4) auch vom 11. Juli 1997 bis zum 30. September 1997 versicherungsfrei in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie beitragsfrei zur Bundesanstalt für Arbeit.

1. Als entgeltlich Beschäftigter der Universität war der Kläger in dieser Zeit grundsätzlich versicherungspflichtig in der Rentenversicherung (§ 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI), der Krankenversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V) und der sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs 1 Satz 1 SGB XI). Ebenso bestand grundsätzlich Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung (§ 168 Abs 1 Satz 1 AFG). Der Kläger war wegen der Höhe des Entgelts von mehr als 800 DM monatlich nicht wegen Geringfügigkeit der Beschäftigung versicherungs- und beitragsfrei. Er war es in seiner Beschäftigung jedoch ausnahmsweise nach § 230 Abs 4 Satz 1 iVm § 5 Abs 3 SGB VI, § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V, § 20 Abs 1 Satz 1 SGB XI und § 169b Satz 1 Nr 2 AFG, weil er während der Dauer seines Studiums als ordentlicher Studierender einer Hochschule gegen Entgelt beschäftigt war.

2. Personen wie der Kläger, die nach Bestehen der Ersten juristischen Staatsprüfung im Freiversuch eine Wiederholung zur Notenverbesserung betreiben, fallen noch unter das Werkstudentenprivileg, wenn sie "ordentliche Studierende einer Hochschule" iS der genannten Vorschriften sind.

a) Dieses ist zunächst nur, wer an einer Hochschule eingeschrieben (immatrikuliert) ist (zu diesem Erfordernis bei der Krankenversicherung der Studenten BSG SozR 3-2500 § 5 Nr 10 S 36). Für die Anwendung des Werkstudentenprivilegs genügt die Einschreibung allein jedoch nicht. Vielmehr müssen zusätzlich Zeit und Arbeitskraft überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen werden, sodass das Erscheinungsbild eines Studenten besteht (stRspr, vgl BSG SozR 2200 § 172 Nr 19 S 40 und Nr 20 S 44; BSG SozR 3-2500 § 6 Nr 2 S 3 und Nr 16 S 54 mwN). In der Regel kann bei Studenten bis zum Ende eines Erststudiums mit dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss ohne aufwändige Ermittlungen im Einzelfall davon ausgegangen werden, dass sie sich überwiegend dem Studium widmen. Widerlegt wird das allerdings, wenn der Student in größerem Umfang einer Beschäftigung nachgeht und dann das Erscheinungsbild eines Arbeitnehmers bietet. Insofern geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass mit dem Erscheinungsbild eines Studenten in der Regel nur eine Beschäftigung von wöchentlich bis zu höchstens 20 Stunden während des Semesters vereinbar ist und dass diese Grenze nur in den von Studienanforderungen freien Semesterferien überschritten werden darf (zuletzt Urteil vom 11. November 2003 - B 12 KR 24/03 R, zur Veröffentlichung bei SozR 4-2500 § 6 vorgesehen).

b) Der hauptsächliche Anwendungsbereich des Werkstudentenprivilegs liegt während des Erststudiums. Es kann jedoch auch noch gelten, wenn das Erststudium bereits abgeschlossen ist und danach ein Zweit- oder Erweiterungsstudium durchgeführt wird (BSGE 71, 144 = SozR 3-2200 § 172 Nr 2). Allerdings ist es dann nach diesem Urteil anders als vor Abschluss des Erststudiums erforderlich festzustellen, ob das Zweit- oder Erweiterungsstudium in einem geregelten Studiengang auf einen weiteren Abschluss gerichtet ist. Solche besonderen Feststellungen sind bei eingeschriebenen Studenten, die nach dem Bestehen der Ersten juristischen Staatsprüfung eine Wiederholung zur Notenverbesserung betreiben, nicht erforderlich. Diese Zeit ist vielmehr noch dem Erststudium zuzurechnen. Das ergibt sich unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Freiversuchs aus seiner rechtlichen Ausgestaltung.

3. Unter dem Freiversuch ist eine innerhalb der Regelstudienzeit abgelegte Abschlussprüfung zu verstehen, die im Fall des Nichtbestehens als nicht unternommen gilt. Wird die Abschlussprüfung im Freiversuch bestanden, so kann sie zur Notenverbesserung einmal wiederholt werden (vgl § 15 Abs 2 Hochschulrahmengesetz (HRG), § 5d Abs 5 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG), § 14 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 der Berliner Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen idF der Bekanntmachung vom 4. November 1993, GVBl S 558 (JAO Berlin 1993) sowie idF der Bekanntmachung vom 5. Oktober 1998, GVBl S 283, ber S 424 (JAO Berlin 1998)).

a) Der Freiversuch wurde erstmals in Bayern durch Verordnung vom 1. Juni 1990 (GVBl S 192) eingeführt. Dem bayerischen Vorbild folgten Rheinland-Pfalz (Gesetz vom 15. März 1991, GVBl S 78), Baden-Württemberg (Verordnung vom 4. Juni 1991, GBl S 305), Sachsen (Verordnung vom 22. August 1991, SächsGVBl S 327), Saarland (Gesetz vom 29. Oktober 1991, ABl S 1262), Berlin (Verordnung vom 3. Dezember 1991, GVBl S 277), Hessen (Gesetz vom 2. April 1992, GVBl I S 118) und Niedersachsen (Verordnung vom 13. April 1992, NdsGVBl S 99). Nachdem der Bund eine Regelung über den Freiversuch in das DRiG aufgenommen hatte (Gesetz vom 20. November 1992, BGBl I S 1926), führten ihn auch die übrigen Bundesländer ein. Seit dem Gesetz zur Reform der Juristenausbildung vom 11. Juli 2002 (BGBl I S 2592) bezieht sich die Freiversuchs-Regelung des § 5d Abs 5 DRiG nur noch auf den staatlichen Prüfungsteil (Pflichtfachprüfung). Ob für den universitären Prüfungsteil (Schwerpunktbereichsprüfung) eine vergleichbare Regelung gelten soll, ist dem Landesrecht überlassen, wobei eine entsprechende Regelung von den Universitäten getroffen werden kann (vgl BT-Drucks 14/7176 S 14). Denn mit Gesetz vom 20. August 1998 (BGBl I S 2190) ist der Freiversuch auch in das Hochschulrahmengesetz (§ 15 Abs 2 HRG) übernommen worden. Die Länder haben in ihren Hochschulgesetzen die Hochschulen zumindest ermächtigt, in ihre Prüfungsordnungen Regelungen über den Freiversuch aufzunehmen (s § 31 Abs 1 Satz 2 des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG); § 51 Abs 2 Satz 2 des Universitätsgesetzes Baden-Württemberg (UG BW); Art 81 Abs 6 des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG); § 13 Abs 3 des Brandenburgischen Hochschulgesetzes (BbgHG); § 63 Abs 2 des Bremischen Hochschulgesetzes (BremHG); § 60 Abs 2 Nr 13 des Hamburgischen Hochschulgesetzes (HmbHG); § 25 Abs 1 Nr 7 des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG); § 15 Abs 4 des Landeshochschulgesetzes Mecklenburg-Vorpommern (LHG MV); § 7 Abs 3 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG); § 93 Abs 1 und 6 des Hochschulgesetzes Nordrhein-Westfalen (HG NW); § 27a Abs 1 und 2 des Universitätsgesetzes Rheinland-Pfalz (UG RP); § 72 des Saarländischen Universitätsgesetzes (UG Saarland); § 24 Abs 5 des Sächsischen Hochschulgesetzes (SächsHG); § 18 Abs 2 des Hochschulgesetzes Sachsen-Anhalt (HSG-LSA); § 86 Abs 8 des Hochschulgesetzes Schleswig-Holstein (HSG SH); § 22 Abs 2 des Thüringer Hochschulgesetzes (ThürHG)).

b) Für die Zeit, um die es hier beim Kläger geht (11. Juli bis 30. September 1997), bestimmte § 14 Abs 1 Satz 1 JAO Berlin 1993, dass eine nicht bestandene Prüfung als nicht unternommen gilt, wenn die Zulassung zur Prüfung innerhalb von vier Jahren nach Aufnahme des Studiums der Rechtswissenschaft beantragt wird und alle Prüfungsleistungen in der auf die Meldung folgenden nächsten Prüfungskampagne erbracht werden. Ferner konnten nach § 14 Abs 2 Satz 1 JAO Berlin 1993 Kandidaten, die die Prüfung vor dem Justizprüfungsamt Berlin im Rahmen des Freiversuchs bestanden haben, diese zur Notenverbesserung spätestens in der übernächsten Prüfungskampagne einmal wiederholen. Als Verzicht auf die Wiederholungsprüfung galt es nach § 14 Abs 2 Satz 2 JAO Berlin 1993, wenn der Kandidat ohne genügende Entschuldigung eine schriftliche Prüfungsleistung nicht oder nicht rechtzeitig erbrachte oder an der mündlichen Prüfung nicht teilnahm. Dies wurde mit Verordnung vom 3. September 1998 (GVBl S 245) dahingehend geändert, dass es als Verzicht auf die Wiederholungsprüfung gilt, wenn der Kandidat in den juristischen Vorbereitungsdienst eintritt, bevor er alle schriftlichen Aufsichtsarbeiten angefertigt hat oder nach Erhalt der Mitteilung über die Bewertung aller Aufsichtsarbeiten nicht unverzüglich die Ladung zur mündlichen Prüfung beantragt, falls der Punktdurchschnitt aller Aufsichtsarbeiten niedriger ist als das Gesamtergebnis im Freiversuch (§ 14 Abs 2 Satz 3 Buchst a und d JAO Berlin 1998). Eine derartige Verzichtsfiktion enthält die JAO Berlin idF vom 4. August 2003 (GVBl S 298) nicht mehr: Nach § 14 Abs 2 Satz 1 JAO Berlin 2003 kann, wer zur Notenverbesserung zugelassen ist, bis zum Beginn der mündlichen Prüfung durch schriftliche Erklärung auf die Fortsetzung des Prüfungsverfahrens verzichten.

c) Zweck der Freiversuchsregelung war die Verkürzung des juristischen Studiums. Dies kam in § 3 des Berliner Gesetzes über die juristische Ausbildung (JAG Berlin) idF der Bekanntmachung vom 4. November 1993 (GVBl S 554) zum Ausdruck. Dort wurde bestimmt, dass, um einen frühzeitigen Studienabschluss zu fördern, ein Freiversuch vorgesehen werden kann. Auf Bundesebene wurde der Freiversuch bezeichnenderweise durch das Gesetz zur Verkürzung der Juristenausbildung vom 20. November 1992 (BGBl I S 1926) eingeführt. In den Gesetzesmaterialien heißt es dazu, die - sachgerechte - Beschränkung auf eine Wiederholungsmöglichkeit führe bei vielen Examenskandidaten zu einer Verstärkung der Prüfungsangst mit der Folge, dass die Meldung zum ersten Prüfungsversuch immer weiter hinausgezögert werde; dem solle dadurch begegnet werden, dass eine zusätzliche Prüfungsmöglichkeit eingeführt werde, die im Versagensfalle folgenlos sei (BT-Drucks 12/2280 S 5 und 7). Die Verkürzung der Studienzeit sollte nicht durch Sanktionen, sondern durch Ermutigung zur Prüfungsteilnahme erreicht werden (vgl Eggensperger, VBlBW 1991, 314; Kauffmann, BayVBl 1990, 748). Da den Studierenden nicht nur die Angst vor dem Versagen in der Prüfung, sondern auch die vor dem schlechten Abschneiden genommen werden sollte (vgl Eggensperger, JuS 1993, 87, 88), wurde mit der Einführung des Freiversuchs auch die Möglichkeit eröffnet, die Prüfung zur Notenverbesserung zu wiederholen. In der Praxis hat sich der Freiversuch bewährt, obwohl er nicht unumstritten war (s Schöbel, BayVBl 1996, 257 mwN). Die durchschnittliche Studienzeit hat sich deutlich verkürzt. Dabei waren die Teilnehmer am Freiversuch sogar überdurchschnittlich erfolgreich (Schöbel, BayVBl 2001, 161, 162 f).

d) Die Wiederholung der Ersten juristischen Staatsprüfung zur Notenverbesserung ist Teil eines Gesamtprüfungsverfahrens. Sie dient der Verbesserung des bereits erlangten Abschlusses und damit der späteren Berufschancen, ohne den Erwerb zusätzlicher Kenntnisse als Voraussetzung zu fordern oder eine weitere formale Qualifikation zu vermitteln. Kann in der Wiederholungsprüfung eine Notenverbesserung erzielt werden, ist erst hiermit der endgültige Abschluss erworben. Andernfalls steht frühestens mit dem Ergebnis der Wiederholungsprüfung oder demjenigen früheren Zeitpunkt, zu dem die Wiederholung zur Notenverbesserung ausgeschlossen ist oder abgebrochen wird, fest, dass es bei dem im Freiversuch erzielten Ergebnis bleibt (s § 14 Abs 2 Satz 3 und 4 JAO Berlin 1993 bzw § 14 Abs 2 Satz 4 und 5 JAO Berlin 1998). Folglich ist der bereits erworbene Abschluss nur schwebend wirksam, das Studium mit ihm noch nicht beendet und gilt stets nur ein einziges Ergebnis, das im Rahmen eines die einzelnen Prüfungsverfahren umfassenden mehrteiligen Gesamtprüfungsverfahrens ermittelt wird (in diesem Sinne schon das BAG im Urteil vom 20. August 2002 in AP Nr 8 zu § 611 BGB Werkstudent). Mag sich dies auch nicht unmittelbar aus § 14 Abs 2 JAO Berlin 1993 ergeben, so folgt doch ein Konzept des Gesamtprüfungsverfahrens daraus, dass keine Gefahr des nachträglichen Verlusts der bereits erzielten Qualifikation besteht und erst mit dem Abschluss des Wiederholungsverfahrens endgültig feststeht, welches von mehreren Ergebnissen Bestand hat.

e) Sozialversicherungsrechtlich ist das Wiederholungsverfahren zur Notenverbesserung im Rahmen eines Gesamtprüfungsverfahrens nach den Regeln für das Erststudium zu behandeln. Damit hat grundsätzlich auch der Gesamtzeitraum bis zum Abschluss der Wiederholungsprüfung noch Anteil an der berufsqualifizierenden Zielrichtung des Erststudiums, ohne dass diese - anders als etwa bei einem Zweit- oder Erweiterungsstudium - der weiteren Bestätigung im Einzelfall bedürfte. Ebenso bietet, wer noch die Möglichkeit zur Wiederholungsprüfung hat, vorbehaltlich tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse für das Studium im Einzelfall noch die Gewähr, dass es sich bei ihm seinem Gesamtbild nach um einen Studenten handelt. Bei ihm ist nämlich bereits auf Grund der Immatrikulation von dem erklärten Willen auszugehen, das Studium betreiben zu wollen, was zu den mit der Einschreibung übernommenen allgemeinen Studentenpflichten gehört. Der mit der Immatrikulation bekundete Wille umfasst nach dem erfolgreichen Freiversuch (Bestehen der Prüfung) unter den folgenden Einschränkungen regelmäßig auch die Bekundung, von der Möglichkeit zur Wiederholungsprüfung Gebrauch machen zu wollen. Da § 1 JAG Berlin weder idF des Gesetzes vom 4. November 1993 (GVBl S 554) noch idF des Gesetzes vom 14. Juni 1995 (GVBl S 356) besondere Zulassungsvoraussetzungen für Teilnehmer an der Notenverbesserungsprüfung vorsah, genügt insofern, dass die Erwartung nicht widerlegt wird, die Zeit bis zur Wiederholungsprüfung werde auch ohne den Besuch von Vorlesungen für den Erwerb weiterer Kenntnisse genutzt werden, um so eine Ergebnisverbesserung zu erreichen.

f) Für den Fortbestand der Studenteneigenschaft und des entsprechenden Erscheinungsbildes iS des Werkstudentenprivilegs bei denjenigen, die in der Juristenausbildung einen erfolgreichen Freiversuch zur Notenverbesserung wiederholen, gelten allerdings folgende, diesen Verhältnissen angepasste Anforderungen und Einschränkungen: Unerlässlich ist die fortbestehende Einschreibung. Der Nachweis eines Besuches von Lehrveranstaltungen der Universität ist nicht erforderlich, soweit er - wie üblich - für die Wiederholungsprüfung nicht verlangt wird. Er kann jedoch, wenn er vorgelegt wird, den Wiederholungswillen bestätigen. Ferner dürfen dem Werkstudentenprivileg nicht Hindernisse entgegenstehen, die seine Anwendung schon während eines sonstigen Erststudiums ausschließen. Dazu gehört vor allem eine überwiegende Beschäftigung als Arbeitnehmer. Das Werkstudentenprivileg scheidet ferner aus, wenn der Betreffende den erreichten Abschluss des ersten juristischen Staatsexamens benutzt, um eine entsprechend höher qualifizierte Beschäftigung aufzunehmen, insbesondere in den Vorbereitungsdienst einzutreten. Schließlich kann der Wiederholer zur Notenverbesserung nur so lange als Werkstudent betrachtet werden, wie er die für das Wiederholungsverfahren zur Notenverbesserung geltenden Verfahrensvorschriften einhält. Dazu gehört die rechtzeitige Meldung zur Wiederholungsprüfung, die Einhaltung etwaiger weiterer Verfahrensvorschriften und die Teilnahme an der Wiederholungsprüfung selbst. Wenn das Wiederholungsverfahren ausbildungsrechtlich abgebrochen wird, als abgebrochen gilt oder beendet ist, scheidet sozialversicherungsrechtlich die Anwendung des Werkstudentenprivilegs ab diesem Zeitpunkt aus.

g) Unter diesen Voraussetzungen und Einschränkungen vermag der Senat dem Vorbringen der Revision und der Ansicht der Spitzenverbände nicht zu folgen, dass die Anwendung des Werkstudentenprivilegs in jedem Fall mit dem erfolgreichen Freiversuch ende. Eine solche Ansicht unterläuft die ausbildungsrechtliche Tendenz der Freiversuchsregelung, das Erste juristische Staatsexamen ohne Nachteile zum Zwecke der Notenverbesserung wiederholen zu können (oben c). Den berechtigten Befürchtungen der Versicherungsträger, das Werkstudentenprivileg werde unter dem Vorwand eines Wiederholungsvorhabens missbraucht, um Beschäftigungsverhältnisse für lange Zeit versicherungs- und beitragsfrei zu stellen, wird durch die genannten Voraussetzungen und Einschränkungen beim Werkstudentenprivileg Rechnung getragen, die auch eine vorausschauende Betrachtungsweise ermöglichen. Bei der hier zu beurteilenden Wiederholung des Ersten juristischen Staatsexamens wird einer ausufernden Anwendung des Werkstudentenprivilegs vor allem durch Regelungen des Ausbildungsrechts vorgebeugt, nach denen die Wiederholungsprüfung zur Notenverbesserung spätestens ein Jahr nach Bekanntgabe des Ergebnisses der erstmalig bestandenen Prüfung begonnen werden muss (vgl § 14 Abs 2 Satz 1 JAO Berlin 1993/1998; § 22 Abs 1 Satz 1 der Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung Baden-Württemberg; § 30 Abs 1 Satz 2 der Bayerischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen; § 36 Abs 1 Satz 2 der Brandenburgischen Juristenausbildungsordnung; § 25 Abs 2 Satz 3 des Bremischen Juristenausbildungs- und Prüfungsgesetzes; § 24a Abs 2 Satz 2 der Hamburgischen Juristenausbildungsordnung; § 21a Abs 5 des Hessischen Juristenausbildungsgesetzes; § 22 Abs 3 Satz 2 der Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung Mecklenburg-Vorpommern; § 19 Satz 2 des Niedersächsischen Juristenausbildungsgesetzes; § 18b Abs 1 Satz 2 des Juristenausbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen; § 3 Abs 7 Satz 3 des Juristenausbildungsgesetzes Rheinland-Pfalz; § 20 Abs 4 Satz 2 des Saarländischen Juristenausbildungsgesetzes; § 36 Abs 1 Satz 2 der Sächsischen Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung; § 27 Abs 1 der Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung Sachsen-Anhalt; § 28 Abs 1 Satz 1 Nr 2 der Juristenausbildungsverordnung Schleswig-Holstein; § 31 Abs 3 Satz 1 der Thüringer Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung). Auf Zweifel daran, ob das Werkstudentenprivileg überhaupt noch zeitgemäß ist, hat der Senat an anderer Stelle hingewiesen (Urteil vom 11. November 2003 - B 12 KR 24/03 R, zur Veröffentlichung bei SozR 4-2500 § 6 vorgesehen).

4. Hiernach war der Kläger des vorliegenden Verfahrens auch in der Zeit vom 11. Juli bis 30. September 1997 in seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 4) versicherungs- und beitragsfrei. Er war, wie das LSG festgestellt hat, als Student eingeschrieben. Der Nachweis des Besuchs von Lehrveranstaltungen der Universität war nicht erforderlich, zumal in der genannten Zeit ohnehin Semesterferien waren. Die Wochenarbeitszeit betrug beim Kläger nur zehn Stunden und beeinträchtigte das Erscheinungsbild eines Studenten nicht. Der Kläger hat sich auch fristgerecht zur Wiederholungsprüfung gemeldet. Einer darüber hinausgehenden besonderen Pflicht zur vorzeitigen Meldung, um die Geltung des Werkstudentenprivilegs zu erhalten, bedurfte es entgegen der Ansicht des LSG nicht. Das vom Kläger geltend gemachte, von vornherein bestehende Wiederholungsvorhaben zur Notenverbesserung wird bei ihm im Übrigen dadurch bestätigt, dass er die Wiederholungsprüfung tatsächlich abgelegt hat. Auf deren Erfolg kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an.

5. Hiernach waren die Urteile der Vorinstanzen und die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben sowie die Versicherungs- und Beitragsfreiheit des Klägers in der Beschäftigung für die genannte Zeit festzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Rechtskraft
Aus
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