L 10 AL 10/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 57 AL 3911/97
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AL 10/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Eintritt einer Sperrzeit.

Der am ... geborene Kläger, ein gelernter Gas- und Wasserinstallateur, bezog seit dem 1. Oktober 1996 im Anschluss an Arbeitslosengeld Arbeitslosenhilfe. Vom 21. Oktober 1996 an nahm er unter Förderung durch die Beklagte an einer vom Institut X in Berlin durchgeführten Fortbildungsmaßnahme „Heizungs-, Sanitär- und Installationstechnik“ teil. Die Maßnahme sollte am 12. September 1997 enden.

Am 7. Mai 1997 „kündigte“ das Institut X dem Kläger die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme „fristlos“ - verbunden mit einem Hausverbot - und nannte als Kündigungsgründe: Tätliche Auseinandersetzung „bei Firma Junkers“ mit einem anderen Teilnehmer der Gruppe, Sachbeschädigung, Ausbildungsabbruch und Schädigung des Ansehens des Instituts X in der Öffentlichkeit.

Der Kläger nahm die „Kündigung“ hin und beantragte am 13. Mai 1997 unter Arbeitslosmeldung bei der Beklagten die Wiederbewilligung von Arbeitslosenhilfe. Zugleich äußerte er sich zum „Abbruch“ der Maßnahme dahin, dass ihm auf Grund einer tätlichen Auseinandersetzung am 6. Mai 1997 in den Schulungsräumen der Firma J. gekündigt worden sei. Der Mitschüler B. habe ihn angegriffen und verletzt.

Durch Bescheid vom 9. Juni 1997 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit gemäß §§ 119, 119 a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 8. Mai 1997 bis 30. Juli 1997 (12 Wochen) fest, weshalb der Kläger die beantragte Leistung erst nach Ablauf der Sperrzeit erhalte. Aus den „Darlegungen“ des Maßnahmeträgers gehe hervor, dass der Kläger an der tätlichen Auseinandersetzung maßgebend Schuld getragen habe und durch ihn eine Sachbeschädigung entstanden sei. Er habe somit durch sein maßnahmewidriges Verhalten Anlass für den Ausschluss aus der Maßnahme gegeben. Die Sperrzeit umfasse das gesetzliche Normalmaß von 12 Wochen. Sie bedeute keine besondere Härte, denn persönliche und wirtschaftliche Gründe als Folge der Sperrzeit müssten unberücksichtigt bleiben.

Dementsprechend bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosenhilfe erst wieder vom 31. Juli 1997 an (Bescheid vom 22. August 1997).

Im Widerspruchsverfahren übersandte das Institut X eine gemeinsame schriftliche Erklärung der Mitschüler des Klägers Mü., Mü. und Ru. vom 22. August 1997. Danach sei B. am 6. Mai 1997 gegen Ende des Unterrichts vom Unterrichtsleiter C. gestattet worden, im Nebenraum zu telefonieren. Nach B.’s Rückkehr habe der Unterricht beendet werden sollen. Daraufhin sei der Kläger wortlos aufgestanden und habe sich zu B. in den Nebenraum begeben. Dann habe es eine Auseinandersetzung gegeben, von der sie nicht wüssten, wer sie angefangen habe. Im Schulungsraum seien die Tätlichkeiten dann weitergegangen, hier ausgelöst durch den Kläger, der B. gestoßen habe, da dieser sich nicht gleich gesetzt, sondern bei C. beschwert habe. Dabei seien Geräte zum Messen und Regeln sowie Tafeln vom Tisch gestoßen worden, woraufhin C. die Schulung abgebrochen habe. - Im Begleitschreiben des Institut X vom selben Tage wird zum Gesamtauftreten des Klägers bemerkt, dieser sei u.a. unpünktlich, desinteressiert und überheblich trotz wenigem Wissen und Können. Auch habe er sich - anders als B. - nicht bei C. entschuldigt.

Durch Widerspruchsbescheid vom 26. September 1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Im Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin (SG) äußerte sich das erneut befragte Institut X durch den verantwortlichen Leiter seines Schulungszentrums am 23. März 1998 ergänzend dahin, dass die Firma J. alle aufgetretenen Schäden (Tafeln, Ständer u.a.) in Kulanz selbständig behoben habe. Dem Kläger sei es trotz vielfacher Hinweise und Aussprachen nicht gelungen, sich in die Gruppe einzufügen bzw. von ihr angenommen zu werden. Das habe u.a. daraus resultiert, dass er generell zu spät gekommen sei und den Unterricht nach eigenem Gutdünken verlassen habe, „was durch u.U. vorhandene ‘Fachkompetenz’ (habe) gerechtfertigt werden (können)“.

Der Kläger schilderte den Tathergang vom 6. Mai 1997 wie folgt: B. habe vor Unterrichtsschluss gebeten, telefonieren zu dürfen. Da noch eine Auswertung habe stattfinden sollen - und zwar unter Teilnahme von B. - sei eine gewisse „Auszeit“ gegeben worden. Nach ein paar Minuten sei er (der Kläger) unaufgefordert in den Nebenraum zu B. gegangen, wo dieser von einem Bürotelefon aus mit einem ihm (dem Kläger) unbekannten Gesprächspartner telefoniert habe. Nachdem B. trotz mehrerer Bitten nicht aufgehört habe zu telefonieren, habe er (der Kläger) das Telefonat selber beendet. Daraufhin sei er von B. so geschlagen worden, dass er sowohl eine Körperverletzung als auch einen Schaden an seiner Kleidung (zerrissenes Shirt und Unterhemd) davongetragen habe. Nachdem B. von ihm abgelassen habe, seien sie in den Seminarraum zurückgegangen. Er habe B. gesagt, dass die Sache noch ein Nachspiel habe. B. habe ganz nahe bei ihm gestanden und etwa gefragt, ob er noch nicht genug habe. Daraufhin habe er B. weggeschupst, woraufhin dieser angefangen habe, ihn nochmals zu schlagen. Während er (der Kläger) vorher in defensiver Haltung gewesen sei, habe er jetzt zurückgeschlagen. B. sei nicht sehr beliebt gewesen, weil er den Unterricht durch seine Verhaltensweise häufig verzögert habe.

Die als Zeugen vernommenen Mitschüler des Klägers Mü., Mü. und Ru. bestätigten ihre schriftliche Erklärung vom 22. August 1997. Sie konnten sich jetzt allerdings nicht mehr daran erinnern, dass die erneute tätliche Auseinandersetzung im Seminarraum durch den Kläger ausgelöst worden sei. Der Zeuge Ru. wusste auch nicht, ob bei der Schlägerei im Seminarraum etwas „kaputt“ gegangen sei, während der Zeuge Mü. die Beschädigung von „Sachen und Gegenständen der Ausbildungsfirma“ bekundete; insbesondere hätten Messgeräte Schaden genommen. Der Zeuge Mü. erinnerte sich, dass der Kläger in den Schrank „reingefallen“ sei und B. „den Tisch abgeräumt“ habe. Die Zeugen Mü. und Ma. sagten ferner aus, wegen des Abbruchs des Lehrgangs aufgrund der Schlägerei sei die Erteilung des Lehrgangsnachweises zunächst gefährdet gewesen. Diese beiden Zeugen bekundeten schließlich, dass der Kläger und auch B. wegen Unpünktlichkeit (Verspätungen und Fehlzeiten) bereits abgemahnt worden seien, der Kläger - so der Zeuge Ma. - auch wegen vorzeitigen Gehens.

Durch Urteil vom 19. November 1998 wies das SG die auf Aufhebung des Sperrzeitbescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides und Gewährung von Arbeitslosenhilfe vom 13. Mai 1997 an gerichtete Klage ab. Auf Grund der Schilderung des Klägers und der Zeugen sowie der Stellungnahmen des Maßnahmeträgers (X) ergebe sich, dass das Verhalten des Klägers die Fortsetzung der Maßnahme sowohl für X als auch für die anderen Teilnehmer unzumutbar gemacht habe und deshalb als maßnahmewidrig zu qualifizieren sei. Das folge maßgeblich daraus, dass der Kläger die Auseinandersetzung am 6. Mai 1997 provoziert habe. Durch die Unterbrechung des Telefongesprächs des Mitschülers B. habe sich der Kläger ohne nachvollziehbaren Anlass anmaßend verhalten - keiner sonst habe sich an der Erlaubnis und der Dauer des Telefonats gestört - und so eine harte Reaktion herausgefordert. Auch auf Grund des Vorfalls im Seminarraum sei die weitere Teilnahme des Klägers an der Maßnahme nicht mehr zumutbar. Es sei nicht verständlich, weshalb er eine erneute Tätlichkeit provoziert habe. Von einem erwachsenen Menschen sei nach einer vorhergehenden Auseinandersetzung zu erwarten, dass er sich zurückziehe und auch verbal zurückhalte und den Streit möglicherweise über Dritte zu bereinigen suche. Die erneute Auseinandersetzung hätte nicht erfolgen müssen, wenn sich der Kläger vernünftig verhalten hätte. Da der Kläger schon wegen anderweitigen maßnahmewidrigen Verhaltens mindestens einmal abgemahnt worden sei, habe von ihm in besonderem Maße umsichtiges Verhalten erwartet werden dürfen. Letztlich sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Schlägerei für die übrigen Kursteilnehmer wegen des gefährdeten Lehrgangsnachweises gravierende Folgen hätte haben können, weil das Verhalten des Klägers nicht nur zur Behinderung, sondern zum Abbruch des Unterrichts geführt habe. Der Kläger sei zwar vor dem Ausschluss aus der Maßnahme (wegen seines Verhaltens am 6. Mai 1997) nicht abgemahnt worden. Das sei hier aber entbehrlich gewesen. Bei einer Schlägerei - die das Verhältnis zum Teilnehmer grundlegend erschüttere - könne dieser nicht damit rechnen, dass erst eine Wiederholung nach Abmahnung den Ausschluss nach sich ziehe. Ein wichtiger Grund für das Verhalten des Klägers sei nicht ersichtlich. Auch fehle es an einem Anhalt für die Halbierung der Sperrzeit wegen einer besonderen Härte im Sinne des § 119 Abs. 2 AFG. Während der danach zutreffend verhängten Sperrzeit ruhe der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gemäß § 134 Abs. 4 i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 3 AFG.

Mit der Berufung macht der Kläger geltend, eine Sperrzeit sei schon deshalb nicht eingetreten, weil er vorher nicht abgemahnt worden sei. Es treffe nicht zu, dass sein Verhalten so gravierend gewesen sei, dass es einer Abmahnung nicht bedurft habe. Grundsätzlich bedürfe es einer gravierenden Störung, um überhaupt einen Ausschluss aus der Maßnahme auszusprechen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass vom 20. Mai bis zum 5. September 1997 - also bis kurz vor Abschluss der Maßnahme - ein Praktikum habe stattfinden sollen. Da dieses in einem Betrieb habe durchgeführt werden sollen, seien weitere Provokationen nicht zu befürchten gewesen. Schließlich müsse in die Beurteilung einfließen, dass er durch das Verhalten von B. provoziert worden sei, erhebliche Verletzungen erlitten und gegen B. eine Anzeige erstattet habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 1998 sowie den Bescheid vom 9. Juni 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 13. Mai 1997 an Arbeitslosenhilfe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ein Ausschluss aus einer beruflichen Bildungsmaßnahme sei - in analoger Anwendung der Grundsätze des Arbeitsrechts zur Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung - in gravierenden Fällen auch ohne vorherige Abmahnung bzw. Anhörung zulässig. Diese Voraussetzungen hätten beim Kläger vorgelegen. Im Übrigen sei dieser zuvor bereits wegen anderweitigen maßnahmewidrigen Verhaltens abgemahnt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG - S 57 AL 3911/97 -) und der Leistungsakten der Beklagten (Bd. II, zur Stammnummer 283349) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Sperrzeitbescheid rechtmäßig ist. Gemäß §§ 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Satz 2, 119 a Nr. 1 AFG in Verbindung mit § 134 Abs. 4 Satz 1 AFG ist - wie die Beklagte richtig festgestellt hat - vom 8. Mai 1997 bis 30. Juli 1997 eine 12-wöchige Sperrzeit eingetreten, weil der Kläger durch maßnahmewidriges Verhalten Anlass für den Ausschluss aus der von der Beklagten geförderten Fortbildungsmaßnahme gegeben hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, und weil eine Sperrzeit von 12 Wochen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen auch keine besondere Härte bedeutet (§ 119 Abs. 2 Satz 1 AFG).

Das SG hat dies im angefochtenen Urteil überzeugend ausgeführt. Der Senat verweist darauf und sieht insoweit gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Was das Berufungsvorbringen betrifft, so liegt beim Kläger - was dieser verkennt - ein so schwerwiegender Fall maßnahmewidrigen Verhaltens im Sinne einer schuldhaften wesentlichen Störung des Unterrichts und groben Missachtung der Unterrichtsordnung vor, dass sein sofortiger Ausschluss aus der Maßnahme geboten war. Das stand der Natur der Sache nach sowohl einer vorherigen Abmahnung als auch einer vorherigen Anhörung entgegen. Es trifft objektiv nicht zu, dass das Verhalten des B. - nämlich während des Unterrichts zu telefonieren - provozierenden Charakter hatte. Dieses Telefonat war vom Unterrichtsleiter zugelassen worden. Es mochte sich um ein dringendes, unaufschiebbares Gespräch gehandelt haben. Auch dauerte es nicht ungebührlich lange. Keiner der anderen Kursteilnehmer störte sich daran, so dass es ohne Bedeutung ist, ob B. bei seinen Mitschülern im Übrigen - wie der Kläger meint - nicht sehr beliebt war.

Mit der Unterbrechung des Telefongesprächs des B. durch Drücken der Beendigungsvorrichtung des Telefonapparates griff der Kläger - ohne dazu in irgendeiner Weise ermächtigt gewesen zu sein - in sich selbst ermächtigender und gewaltsamer Weise in die Entscheidungsfreiheit des B., das Gespräch fortzusetzen, ein. Der Gewalt des B. ging also die Gewalt des Klägers voraus. Dessen gewaltsamer Eingriff provozierte die Gegengewalt des B. im Sinne eines körperlichen Angriffs, der - nach der Erfahrungstatsache, dass Gewalt Gegengewalt auslöst - nicht außerhalb dessen lag, womit der Kläger als Reaktion rechnen musste. Der gewaltsame Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des B. stellte zugleich einen - grob missachtenden - Angriff auf die Leitungsgewalt des Unterrichtsleiters als Hüters der Unterrichtsordnung dar, dem allein Verfügungsmacht über diese Ordnung zustand und der auf Grund dieser Verfügungsmacht das Telefonat vor Unterrichtsende zugelassen hatte.

Da dieses jedenfalls in Verbindung mit dem sich anschließenden - vom SG zutreffend gewürdigten - Verhalten des Klägers dessen sofortigen Ausschluss aus der Maßnahme erforderte, ist es ohne Belang, dass die Maßnahme danach nur noch (aber immerhin noch) wenige Unterrichtswochen und im Übrigen ein betriebliches Praktikum zum Gegenstand hatte, welches tätliche Auseinandersetzungen zwischen Kursteilnehmern nicht mehr befürchten ließ.

Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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