L 10 AL 47/00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 62 AL 1072/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AL 47/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Dezember 1999 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides.

Die 1969 geborene Klägerin war bis zum 30. März 1992 als Chemielaborantin beschäftigt. Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld (Alg) nahm sie vom 01. März 1993 bis zum 04. März 1994 an einer Anpassungsfortbildung im Bereich Mess- und Analysetechnik teil. Hierfür gewährte ihr die Beklagte Unterhaltsgeld und Lehrgangskosten. Anschließend bezog sie - unterbrochen durch eine ABM-Tätigkeit als Datenerheberin in einem Umfang von 32 Wochenstunden vom 18. Juli 1994 bis zum 17. Juli 1995 - erneut Alg. Vom 14. August 1995 bis zum 19. Juni 1996 besuchte sie eine Fachoberschule und erhielt Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Vom 20. Juni 1996 an bezog sie erneut Alg. Wegen der Erschöpfung des Anspruchs auf Alg am 15. März 1997 beantragte sie am 24. Februar 1997 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Dabei gab sie an, das Merkblatt für Arbeitslose „Ihre Rechte - Ihre Pflichten“ erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Mit Bescheid vom 27. Februar 1997 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 17. März 1997 Alhi i.H.v. 228,60 DM wöchentlich. Zum 06. Oktober 1997 teilte die Klägerin der Beklagten die Aufnahme eines Studiums mit. Aufgrund einer Überschneidungsmitteilung wurde der Beklagten eine Tätigkeit der Klägerin vom 01. April 1997 bis zum 31. August 1997 bei der L G (GmbH) bekannt. Die GmbH teilte mit, die Klägerin sei in diesem Zeitraum als Praktikantin unentgeltlich beschäftigt gewesen. Das versicherungspflichtige Entgelt sei fiktiv zur Berechnung der Beiträge zur Krankenversicherung und Rentenversicherung festgestellt worden. Die Tätigkeit sei von Montag bis Freitag 40 Stunden in der Woche ausgeübt worden und von vornherein bis zum „Herbst 1997“ wegen des Beginns des Studiums befristet gewesen. Die Klägerin habe das Vorpraktikum zum Studium an einer Fachhochschule benötigt. Im Rahmen der Anhörung teilte die Klägerin mit, da sie von der GmbH keine Vergütung erhalten habe, sei sie sich keiner Verletzung der Anzeigepflicht bewusst gewesen.

Durch Bescheid vom 29. September 1998 hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 01. April bis 31. August 1997 ganz auf, weil die Voraussetzungen für die Leistung weggefallen seien. Während der Durchführung des Praktikums habe die Klägerin der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden und keinen Leistungsanspruch gehabt. Die Aufhebung des Bescheides mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse beruhe auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) und § 251 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), weil die Klägerin habe erkennen können, dass ihr die Leistung nicht mehr zugestanden habe. Sie habe diese deshalb i.H.v. 4.991,10 DM gemäß § 50 SGB X zu erstatten.

Mit dem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin geltend, objektive Verfügbarkeit werde durch Tätigkeiten im kulturellen, künstlerischen, sportlichen oder gesellschaftlichen Bereich nicht ausgeschlossen. Auch während der Praktikumszeit sei ihre objektive Verfügbarkeit nicht entfallen. Sie habe die Tätigkeit jederzeit ohne größere Nachteile beenden können.

Durch Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei weder arbeitslos gewesen, noch habe sie der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Ein Arbeitnehmer sei nicht arbeitslos, wenn er eine Tätigkeit ausübe, die die Grenze von weniger als 18 Stunden wöchentlich überschreite. Dies sei bei der Tätigkeit als Praktikantin der Fall gewesen. Die Klägerin habe der Arbeitsvermittlung auch nicht zur Verfügung gestanden. Objektive Verfügbarkeit bedeute, dass der Arbeitslose durch nichts gehindert sein dürfe, ohne Verzug eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Nicht ausreichend sei eine Lage, die gegenwärtig berufliches Tätigsein ausschließe und auf die Herbeiführung der fehlenden objektiven Vermittelbarkeit erst zu dem Zeitpunkt abstelle, an dem dem Arbeitslosen ein Arbeitsangebot unterbreitet werde. Durch das Vollzeitpraktikum sei die Klägerin nicht mehr in der Lage gewesen, eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung auszuführen. Die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt, weil sie die Aufnahme des Praktikums nicht gemeldet habe.

Mit der dagegen zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie trotz Vollzeitpraktikum arbeitslos gewesen sei, weil die Teilnahme an einem studienvorbereitenden Praktikum keine Beschäftigung i.S.d. § 101 AFG darstelle. Jedenfalls habe sie davon ausgehen dürfen, dass die Teilnahme an einem nur wenige Monate dauernden Praktikum keinen Einfluss auf ihren Alhi-Anspruch habe. Die GmbH bestätigte unter dem 17. Februar 1999, das die Klägerin die Tätigkeit zu jeder Zeit hätte beenden können, um dem Arbeitsamt zur Verfügung zu stehen.

Durch Urteil vom 08. Dezember 1999 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Es könne dahingestellt bleiben, ob durch die Aufnahme des Praktikums die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi weggefallen seien, weil der Klägerin nicht vorgeworfen werden könne, dass sie die vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt habe. Anhand des Merkblattes habe sie nicht erkennen können, dass die Aufnahme des Praktikums meldepflichtig gewesen sei. Es handele sich dabei weder um eine Nebenbeschäftigung noch um den Besuch einer Schule oder Hochschule. Nur für diese Fälle enthalte das Merkblatt Hinweise. Die Klägerin habe auch nicht grob fahrlässig verkannt, dass der Anspruch auf Alhi durch die Aufnahme des Praktikums weggefallen sei. Grobe Fahrlässigkeit könne nur dann angenommen werden, wenn das Merkblatt für Arbeitslose einen entsprechenden Hinweis enthalten oder die Klägerin ein Arbeitsentgelt erhalten hätte.

Mit der Berufung vom 28. Februar 2000 gegen das am 09. Februar 2000 zugestellte Urteil macht die Beklagte geltend, auch wenn die Aufnahme eines Praktikums nicht ausdrücklich im Merkblatt genannt werde, habe die Klägerin nicht davon ausgehen dürfen, dass das Praktikum keine Auswirkungen auf den Leistungsanspruch habe. Im Merkblatt werde ausgeführt, dass sowohl die Aufnahme einer Arbeit (selbst Probearbeitsverhältnisse), die Ausübung einer Nebenbeschäftigung, selbst wenn diese nicht steuer- oder sozialversicherungspflichtig sei, als auch der Besuch einer Ausbildungsstätte als Schüler oder Student mitzuteilen seien. Dass die Aufnahme eines unentgeltlichen Praktikums der Übernahme einer Arbeit, zumindest jedoch der Ausübung einer nicht steuer- oder sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gleichzusetzen und damit anzeigepflichtig sei, habe auch für die Klägerin mehr als nahegelegen. Mit der Aufnahme des Praktikums sei die Verfügbarkeit gemäß § 103 AFG weggefallen. Im Übrigen bestünden Zweifel, ob die Klägerin tatsächlich auch bereit gewesen sei, ihr Praktikum zur Aufnahme einer beitragspflichtigen Beschäftigung abzubrechen. Angesichts des beruflichen Werdeganges sei vielmehr davon auszugehen, dass sie von Anfang an auf die Aufnahme des Studiums hingearbeitet und demzufolge nicht die Absicht gehabt habe, das Praktikum, das nach ihrem Vortrag notwendige Voraussetzung für die anschließende Aufnahme des Studiums gewesen sei, tatsächlich für eine Arbeitsaufnahme zu beenden. Außerdem sei die Klägerin für das Arbeitsamt nicht erreichbar gewesen. Im Jahre 1997 hätten noch die Regelungen des AFG gegolten. Daher sei es erforderlich gewesen, dass die Klägerin sich zum Zeitpunkt des regelmäßigen Posteinganges zwischen 12.00 und 14.00 Uhr in ihrer Wohnung aufgehalten habe. Dies sei aber nicht der Fall gewesen, da sie selbst vortrage, die Wohnung morgens bzw. vormittags zur Ausübung des Praktikums verlassen zu haben und erst nachmittags bzw. abends zurückgekehrt zu sein. Die Anwesenheit ihres Freundes zum Zeitpunkt des Posteingangs sei unerheblich, selbst wenn dieser bereit gewesen sei, die Klägerin sofort von einem Arbeitsangebot zu unterrichten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Dezember 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend macht sie geltend, dass es sich bei dem Studium der Wirtschaftskommunikation um einen Studiengang mit numerus clausus handele, so dass keinesfalls sicher gewesen sei, dass sie einen Studienplatz erhalte. Sie habe nicht grob fahrlässig die Aufnahme des Praktikums nicht mitgeteilt. Für die Annahme grob fahrlässigen Verhaltens sei es nicht ausreichend, dass ein Praktikum den im Merkblatt für Arbeitslose ausdrücklich mitgeteilten anzeigepflichtigen Tätigkeiten „gleichzusetzen“ sei. Zum Nachweis des Umstandes, dass sie tatsächlich bereit gewesen sei, das Praktikum abzubrechen und eine andere Tätigkeit aufzunehmen, hat sie eine Reihe von Bewerbungsschreiben vorgelegt. Außerdem sei sie bereit gewesen, eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechtsausführungen und der Sachdarstellung wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten (Stamm-Nr.: ) Bezug genommen. Diese haben im Termin vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht entschieden, der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 29. September 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 1999 sei rechtswidrig, weil der Klägerin kein grob fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen sei.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III (In Kraft getreten zum 01. Januar 1998 gemäß Artikel 83 des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I Seite 594). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Vorliegend ist insofern eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei Bewilligung der Alhi mit Bescheid vom 27. Februar 1997 vorgelegen haben, eingetreten, als die Klägerin während der Zeit des Praktikums vom 01. April bis 31. August 1997 der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden hat. Objektive Verfügbarkeit i.S.d. § 103 AFG, der noch bis zum 31. Dezember 1997 anzuwenden war, bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. SozR 4100 § 103 Nr. 46 m.w.N.), der der erkennende Senat sich anschließt, dass der Arbeitslose durch nichts gehindert sein darf, ohne Verzug eine gemäß § 103 AFG zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Er muss sich der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes aktuell zur Verfügung halten. Beschrieben wird damit folglich ein Zustand der Verhältnisse des Arbeitslosen, wie er von vornherein täglich vorhanden sein muss. Nicht ausreichend ist deshalb eine Lage, die gegenwärtig berufliches Tätigsein ausschließt und auf die Herbeiführung der bislang fehlenden objektiven Vermittelbarkeit erst zu dem Zeitpunkt abstellt, an dem dem Arbeitslosen ein Arbeitsangebot unterbreitet wird. Vielmehr müssen alle Anspruchsvoraussetzungen an jedem Tag, für den Alg bzw. Alhi erbracht werden soll, in vollem Umfang vorliegen.

Danach unterliegt es keinem Zweifel, dass die Klägerin während des Praktikums nicht in diesem Sinne verfügbar war. Ihre objektive Verfügbarkeit hätte nämlich erst ab dem Zeitpunkt bestanden, zu dem sie das Praktikum abgebrochen hätte. Eine solche Lage ist aber im Sinne der zitierten Rechtsprechung gerade nicht ausreichend, um die objektive Verfügbarkeit bejahen zu können. Nicht entscheidungserheblich ist daher, ob die Klägerin das Praktikum jederzeit hätte abbrechen können. Auch auf einen entsprechenden Willen kommt es nicht an. Ebensowenig kann die Klägerin sich mit Erfolg auf die von ihr zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (SozR 4100 § 103 Nr. 42) berufen. Denn in dieser Entscheidung hat es lediglich Bedenken angemeldet, ob eine nur wenige Monate dauernde planvolle Tätigkeit, insbesondere bei Langzeitarbeitslosen, der objektiven Verfügbarkeit entgegensteht. Es brauchte über diese Frage aber nicht zu entscheiden, da beim Kläger des dortigen Verfahrens die objektive Verfügbarkeit aus anderen Gründen bejaht wurde.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, neben der Ausübung des Praktikums für eine Teilzeitbeschäftigung verfügbar gewesen zu sein. Zwar hat das Bundessozialgericht (SozR 4100 § 103 Nr. 46) dies grundsätzlich für möglich gehalten. Zum 01. April 1997 ist aber mit § 103 Abs. 6 AFG eine Regelung in Kraft getreten, die dies für den vorliegenden Fall ausschließt. Nach der genannten Vorschrift steht ein Arbeitsloser, der nur bereit ist, Teilzeitbeschäftigungen auszuüben, nur dann noch der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wenn er u.a. für eine Arbeitszeit zur Verfügung steht, deren Dauer der durchschnittlichen Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigungen in den letzten 12 Monaten vor Eintritt der Arbeitslosigkeit entspricht. Danach müsste die Klägerin bereit gewesen sein, neben dem Vollzeitpraktikum von 40 Stunden noch 32 Stunden zu arbeiten. Denn ihre letzte Beschäftigung vor der Arbeitslosigkeit war auf 32 Stunden befristet. Es liegt auf der Hand, dass eine Teilzeitbeschäftigung in diesem Umfang - zuzüglich der Wegezeiten - neben dem Praktikum von 40 Stunden wöchentlich nicht zu leisten war. Außerdem war die zuletzt bezogene Leistung nicht nach einer Teilzeitbeschäftigung bemessen worden (§ 103 Abs. 6 Nr. 2 SGB III).

Fehlt es daher aus den dargelegten Gründen vom 01. April bis 31. August 1997 an der objektiven Verfügbarkeit, ist eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 27. April 1997 vorgelegen haben.

Der Senat kann daher auch offenlassen, ob die Klägerin während der Zeit des Praktikums für das Arbeitsamt erreichbar war, obwohl nicht sie, sondern ihr Freund während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost in ihrer Wohnung anwesend war.

Die Beklagte hat die Bewilligung von Alhi zu Recht auch mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben, da die Klägerin grob fahrlässig ihrer durch Rechtsvorschrift - § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Erstes Buch (SGB I) - vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse nicht nachgekommen ist. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Dabei ist ein subjektiver Verschuldensmaßstab zugrunde zu legen (BSG SozR 3-4100 § 105 Nr. 3 Seite 18).

Vorliegend war die Klägerin verpflichtet, das bei der Antragstellung überlassene Merkblatt zur Kenntnis zu nehmen und ihr Verhalten entsprechend den erhaltenen Belehrungen einzurichten. Auf Seite 49 ff. des Merkblattes wurde sie unter der Überschrift „Mitwirkungspflichten“ u.a. darauf hingewiesen, dass sie das Arbeitsamt auch in „Zweifelsfällen“ und „insbesondere in den nachstehend aufgeführten Fällen“ zu benachrichtigen habe. Als die Mitteilungspflicht auslösender Tatbestand wird sodann die Übernahme einer Arbeit - auch als Selbständiger oder mithelfender Familienangehöriger -, das Probearbeitsverhältnis und die Nebenbeschäftigung, auch wenn diese nicht steuer- oder sozialversicherungspflichtig ist, genannt. Nach diesen Hinweisen hätte es sich der Klägerin, die in der Lage ist, auch schwierigere Texte nach dem Sinngehalt und nicht nur nach ihrem Wortlaut zu verstehen, weil sie das Fachabitur bereits besaß und ein Studium aufnehmen wollte, als naheliegendste Möglichkeit geradezu aufdrängen müssen, dass auch die Aufnahme eines Praktikums, für das nach Angabe der GmbH sogar Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden, zu melden war. Bei ihrem Bildungsstand muss es als grob fahrlässig, weil die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzend, bezeichnet werden, wenn sie die Vergleichbarkeit des Praktikums mit den ausdrücklich genannten Tatbeständen verkannt hat. Dies gilt auch deshalb, weil die Beklagte im Merkblatt in zweifelsfreier Weise deutlich gemacht hat, dass die Aufzählung nicht abschließend gemeint war. Dies belegt das fettgedruckte Wort insbesondere. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie gemeint habe, das Praktikum sei nicht meldepflichtig, weil sie kein Entgelt erhalten habe. Denn dem Merkblatt war zu entnehmen, dass jede Arbeit zu melden war, z. B. auch die als mithelfender Familienangehöriger, für die des öfteren auch gar kein Entgelt gewährt wird. Dem Merkblatt ist an keiner Stelle eine - eventuell missverständliche - Passage zu entnehmen, die es nahelegen könnte, unentgeltliche Tätigkeiten nicht melden zu müssen. Vor diesem Hintergrund entfällt der Vorwurf grob fahrlässig gehandelt zu haben nicht schon deshalb, weil das Praktikum nicht ausdrücklich im Merkblatt genannt ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin entfällt ein Vorwurf im Hinblick auf grobe Fahrlässigkeit nicht bereits dann, wenn im Merkblatt der entsprechende Lebenssachverhalt nicht genau erfasst ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Arbeitslose nach ihrem Bildungsstand und ihren subjektiven Möglichkeiten den Sinngehalt der Belehrungen treffend erfassen konnte. Danach durfte für die Klägerin kein Zweifel bestehen, dass das Praktikum als für die Bewilligung von Leistungen wesentlicher Umstand zu melden war.

Der Berufung der Beklagten war daher stattzugeben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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