L 9 B 34/00 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 882/99 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 B 34/00 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2000 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Antragstellerin, eine Betriebskrankenkasse im Lande Berlin, begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegnerin, die im Land Berlin ein Krankenhaus betreibt, untersagt werden soll, den Versicherten der Antragstellerin bei der Aufnahme zur Krankenhausbehandlung ein Schreiben vorzulegen, dessen Inhalt die Antragstellerin für sittenwidrig und strafbar hält.

Seit Sommer 1999 erteilt die Antragstellerin für ihre Versicherten bei Krankenhausbehandlung nur noch befristete Kostenübernahmen. Nach dem Vertrag über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung vom 1. November 1994 (abgeschlossen zwischen der AOK Berlin, dem BKK-Landesverband Ost, dem IKK-Landesverband Brandenburg und Berlin, dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V./dem Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V., der Bundesknappschaft und der Krankenkasse für den Gartenbau einerseits und der Berliner Krankenhausgesellschaft andererseits) werden Kostenübernahmeerklärungen grundsätzlich unbefristet ausgestellt.

Die Antragsgegnerin legt seit Oktober 1999 den Versicherten der Antragstellerin bei Aufnahme in ihr Krankenhaus ein Schreiben - datiert vom 5. Oktober 1999 - mit folgendem Wortlaut vor:

"Information an die Patienten der BKK Berlin

Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient,

Sie haben bei der Aufnahme angegeben, bei der BKK versichert zu sein, aber bei der Aufnahme keine Kostenübernahmeerklärung Ihrer Krankenkasse vorgelegt. Aus aktuellem Anlass dürfen wir Sie darauf hinweisen, daß Sie sich - und in Ihrem Falle handelt es sich hierbei nicht um einen Notfall - bei Beginn der Behandlung gegenüber der KLINIK grundsätzlich durch eine unbefristete Kostenübernahmeerklärung Ihrer Krankenkasse auszuweisen haben.

Wir möchten an dieser Stelle betonen, daß diese Verfahrensweise gängige Praxis in allen Krankenhäusern Berlins ist und dem gültigen Vertrag über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung zwischen der KLINIK und den Krankenkassen entspricht.

Weiterhin informieren wir Sie darüber, daß es derzeit zweifelhaft ist, ob die BKK die Kosten Ihrer stationären Behandlung übernimmt. Sie müssen deshalb damit rechnen, im Weigerungsfalle der BKK wie ein Selbstzahler persönlich wegen der Kosten in Anspruch genommen zu werden.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Krankenhausdirektion

Mit meiner nachstehenden Unterschrift erkläre ich ausdrücklich, über den vorgenannten Sachverhalt aufgeklärt worden zu sein.

...

Datum/Unterschrift Patient/in"

Am 14. Oktober 1999 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt. Sie hat zuletzt beantragt, der Antragsgegnerin bei Meidung eines Zwangsgeldes von 500.000,-- DM zu untersagen, Versicherten der Antragstellerin bei der Aufnahme zur Krankenhausbehandlung das mit "Information an die Patienten der BKK " überschriebene Schreiben ihrer Krankenhausdirektion vom 5. Oktober 1999 vorzulegen.


Sie hat geltend gemacht, die Antragsgegnerin verstoße mit ihrem Vorgehen gegen gel-tendes Recht, da sie zur Krankenhausbehandlung verpflichtet sei und es nicht zulässig sei, die Versicherten in ein privatrechtliches Abrechnungsverhältnis zu zwingen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 31. Januar 2000 dem Antrag stattgegeben. Auf den Beschluss wird Bezug genommen (Blatt 150 - 155 Gerichtsakten).

Hiergegen hat sich die Antragsgegnerin mit der Beschwerde gewandt.

Die Akten des Sozialgerichts haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen. Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er bei der Entscheidung über die Beschwerde seinen Beschluss vom 15. März 2000 in dem Verfahren eines Berliner Krankenhauses gegen die Antragsgegnerin (L 9 B 22/00 KR ER, Blatt 173 - 177 Gerichtsakten), das einen gleichartigen Verfahrensgegenstand hatte, berücksichtigen werde.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem beantragten Inhalt.

Entsprechend § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsver-hältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei sind Anordnungsanspruch und An-ordnungsgrund glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt allein die Verletzung einer Nebenpflicht aus dem zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin bestehenden Rechtsverhältnis in Betracht (vgl. § 69 Satz 2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch -SGB V-). In dem voraufgegangenen Verfahren zwischen der Antragstellerin und einem anderen Berliner Krankenhaus hat der Senat in dem Beschluss vom 15. März 2000 ausgeführt, dass das Informationsschreiben des Krankenhauses keinen rechtswidrigen Inhalt hatte. Das trifft auch für das von der Antragsgegnerin in diesem Verfahren verwendete Informationsschreiben zu. In die rechtlich geschützte Sphäre der Antragstellerin wird nicht eingegriffen; vielmehr stellt das Verhalten der Antragsgegnerin eine sachgerechte Reaktion auf eine vertragswidrige und damit rechtswidrige Verwaltungspraxis der Antragstellerin dar. Die Antragsgegnerin hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie die stationäre Aufnahme und Behandlung der Patienten nicht davon abhängig macht, dass eine unbefristete Kostenübernahmeerklärung vorliegt.

Die Hinweise der Antragstellerin auf §§ 2, 39 SGB V treffen den Kern der hier anstehenden Problematik nicht. Die Antragstellerin verkennt den Unterschied zwischen dem Leistungsrecht der Gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch. Das sogenannte Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V gilt zwar für das gesamte Krankenversicherungsrecht, ist aber im Leistungsrecht einerseits und im Leistungserbringungsrecht unterschiedlich ausgestaltet. Nach § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichen, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Während im Leistungsrecht (Drittes Kapitel des SGB V) die Krankenkassen verpflichtet sind, die Wirtschaftlichkeit ohne Bindung an besondere Formalien zu prüfen, sind sie im Leistungserbringungsrecht an die Vorgaben des Vierten Kapitels des SGB V gebunden. In diesem Rechtsbereich ist die Krankenkasse - letzten Endes im Interesse der Versicherten - grundsätzlich an Regelungen gebunden, die entweder von Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung getroffen worden sind oder die von Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung angewendet werden. So ist im Vertragsarztrecht Wirtschaftlichkeit nach § 106 SGB V von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam zu überwachen. Im Krankenhausrecht ist diese Aufgabe in den Verträgen nach § 112 Abs. 2 SGB V geregelt. Genauso wenig wie eine Kassenärztliche Vereinigung berechtigt wäre, wegen - sogar begründeter - Zweifel an der wirtschaftlichen Behandlungsweise, die Vergütungen der Vertragsärzte pauschal zu kürzen, ist es der Krankenkasse untersagt, sich über die vertraglich vereinbarten Modalitäten der Wirtschaftlichkeitsprüfung hinwegzusetzen. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass die von der Antragsgegnerin und dem Senat in seinem Beschluss vom 15. März 2000 genannten gerichtlichen Entscheidung im Kern die hier in Rede stehende Problematik nicht erfassen, trifft das zu; das ist jedoch darauf zurückzuführen, dass sich die Verwaltungspraxis der Antragstellerin als erstmaliger Vorgang darstellt. Dass sich eine Behörde einseitig an geltendes Vertragsrecht nicht mehr gebunden fühlt, ist ungewöhnlich und muss zwangsläufig zu atypischen Reaktionen derjenigen führen, die sich zu Recht an das Vertragsrecht nach § 112 Abs. 2 Satz 2 SGB V halten. Weder die Sozialgerichte noch die Zivilgerichte hatten sich bisher mit gleichartigen Vorfällen zu befassen. Die Rechtsprechung des Senats statuiert nicht - wie die Antragstellerin meint - "contra legem" einen Vertrag zu Lasten Dritter; vielmehr ist die Begründung von Pflichten der einzelnen Krankenkassen im Gesetz selbst angelegt, wie sich aus der zuvor genannten Vorschrift ergibt, wonach die Verträge für die Krankenkassen und die zugelassenen Krankenhäuser im Land unmittelbar verbindlich sind. Da die Antragstellerin bewusst das Verfahren der Prüfung der Wirtschaftlichkeit nicht beachtet, kommt es auf mögliche weitere Darlegungen zur Verweildauer in Berliner Krankenhäusern, insbesondere im Krankenhaus der Antragsgegnerin, nicht an.

Im Übrigen verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 15. März 2000.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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