L 9 B 40/00 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 514/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 B 40/00 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. Februar 2000 wird zurückgewiesen. Die Antragsteller haben den Antragsgegnern die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Antragsgegner stellten mit Bescheid vom 25. März 1999 mit Wirkung vom 01. Juni 1999 Festbeträge für Hilfsmittel gegen Dekubitus für Berlin fest und veröffentlichten diese im Bundesanzeiger vom 27. Mai 1999. Hiergegen haben die Antragsteller, eine Organisation zur Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen der Berliner Apotheker und ein in Berlin tätiger Apotheker, am 28. Juni 1999 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie die Aufhebung des Bescheides vom 25. März 1999, hilfsweise die Feststellung seiner Nichtigkeit begehren; über diese Klage hat das Sozialgericht noch nicht entschieden.

Ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 17. Februar 2000 abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde der Antragsteller ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 25. März 1999 in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zu Recht abgelehnt. Der Klage gegen die Festbetragsfestsetzung kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO nur dann in Betracht, wenn das Interesse des von einem - kraft Gesetzes oder aufgrund behördlicher Anordnung - sofort vollziehbaren Verwaltungsakts Betroffenen an dem Aufschub der Maßnahme das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich der Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist; denn an der sofortigen Vollziehung rechtswidriger Maßnahmen besteht kein öffentliches Interesse.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss, die sich der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG nach erneuter Sachprüfung zu eigen macht und die der bisherigen Rechtsprechung des Landessozialgerichts Berlin zur Problematik der Festbetragsfestsetzungen entsprechen (vgl. Beschluss vom 07. Dezember 1999 Az.: L 9 B 105/99 KR ER; Beschluss vom 17. Dezember 1999 Az.: L 9 B 127/99 KR ER; Beschluss vom 09. August 2000 Az.: L 15 B 23/00 KR ER, alle betreffend die Festsetzung von Festbeträgen für Inkontinenzhilfen). Das Sozialgericht hat sich mit den von den Antragstellern geltend gemachten rechtlichen Einwendungen gegen die Festbetragsfestsetzungen in der für ein summarisches Verfahren gebotenen Kürze fehlerfrei auseinandergesetzt. Entgegen der Beschwerdebegründung ist auch nicht ersichtlich, dass das Sozialgericht den Großteil der von den Antragstellern erhobenen Einwände mit keiner Silbe gewürdigt und offenkundige Fehler der Festsetzung ignoriert habe. Vielmehr ist der Begründung des Beschlusses zu entnehmen, dass das Sozialgericht sich mit sämtlichen Einwänden gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Festbetragsfestsetzung (vgl. Bl. 5 und 6 des Beschlusses) befasst und diese zurückgewiesen hat. Weiter hat es als ausreichend dokumentiert angesehen, dass die in § 36 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) vorgeschriebene Anhörung der zu beteiligenden Verbände stattgefunden hat, und u.a. daraus unter Auseinandersetzung mit den Argumenten der Antragsteller gefolgert, dass die Festsetzungen bei summarischer Prüfung rechtmäßig seien.

Auch die übrigen mit der Beschwerdeschrift vom 26. Juli 2000 vorgetragenen Einwände können der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Ob die Landesverbände der Krankenkassen bei der Festbetragsfestsetzung die von den Antragstellern für erforderlich gehaltene Markterkundung und Einschätzung der Produktqualität der Hilfsmittel gegen Dekubitus vornehmen mussten, ist im Hauptsacheverfahren zu klären. Jedenfalls führt ein Unterlassen dieser gesetzlich nicht vorgeschriebenen Ermittlungen bei summarischer Prüfung nicht zur Rechtswidrigkeit der hier zu überprüfenden Festbetragsfestsetzung, da dem Verwaltungsvorgang, der den Antragstellern bekannt ist (vgl. Bl. 5 des Schriftsatzes vom 18. Januar 2000), zu entnehmen ist, dass eine Vielzahl von Verbänden die Möglichkeit zur Stellungnahme im Rahmen des Anhörungsverfahrens hatte und zumindest drei Stellungnahmen der Landesinnung für Orthopädietechnik Berlin-Brandenburg vom 30. Juni 1998, des Berliner Apotheker-Vereins vom 19. Juni 1998 und des Bundesfachverbandes Medizinproduktindustrie e.V. vom 05. Juni 1998 abgegeben wurden. Von einer offensichtlich rechtswidrigen Festbetragsfestsetzung kann daher entgegen der Auffassung der Antragsteller keine Rede sein. Allerdings ist einzuräumen, dass sich dem Verwaltungsvorgang nicht ohne weiteres entnehmen lässt, warum gerade der im Beschluss vom 25. März 1999 ausgewiesene Betrag für die jeweiligen Hilfsmittel festgesetzt wurde.

Dieses allein lässt den Bescheid vom 25. März 1999 aber auch bei summarischer Prüfung noch nicht als rechtswidrig erscheinen; daraus kann nur gefolgert werden, dass der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache noch als offen angesehen werden muss.

Auch aus dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Regelungen über die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung können die Antragsteller nichts für sie Günstiges herleiten. Selbst wenn der Gesetzgeber in der Zukunft zu dem Entschluss kommen sollte, von Festbetragsfestsetzungen abzusehen, ist dies für den vorliegenden Rechtsstreit offensichtlich ohne Bedeutung.

Die Antragsgegner sind weder befugt, die nach wie vor gültige Norm des § 36 SGB V nicht zu beachten, noch kommt ihnen im Rahmen der geltenden Fassung der Vorschrift ein Entschießungsermessen zu.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage kann auch nicht allein deshalb erfolgen, weil das Bundessozialgericht die den Spitzenverbänden der Krankenkassen durch die § 35 SGB V eingeräumte Befugnis, Festbeträge festzusetzen, für verfassungswidrig gehalten und diese Frage gemäß Artikel 100 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat. Vielmehr ist in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Prüfung der aufgeworfenen Rechtsfragen außerordentlich kompliziert und ihr Ergebnis und damit der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist, in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Folgenabwägung vorzunehmen, bei der die Erwägung, wie die Entscheidung in der Hauptsache ausfallen wird, regelmäßig außer Betracht zu bleiben hat. Abzuwägen sind stattdessen die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, sich die zugrundeliegenden Normen aber als verfassungswidrig erweisen sollten, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl die Normen verfassungsgemäß wären (vgl. hierzu Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, § 32 Rdnr. 177 mit umfassendem Nachweis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Interessen der Antragsteller, die so gewichtig sind, dass sie das öffentliche Interesse am Vollzug der Festbetragsfestsetzungen überwiegen, sind nicht ersichtlich. Angesichts der vom Bevollmächtigten der Antragsteller mitgeteilten Umsatzanteile ist eine Existenzgefährdung von Mitgliedsapotheken des Antragstellers zu 1) oder des Antragstellers zu 2) nicht ersichtlich. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegner in jedem Fall Rückforderungen bei den Leistungserbringern durchsetzen könnten, wenn sie wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage trotz sich später erweisender Rechtmäßigkeit der angefochtenen Festsetzung zunächst höhere Beträge für die Hilfsmittel auszahlen müssten, da immerhin die Möglichkeit besteht, dass die Leistungserbringer zum Zeitpunkt einer Rückforderung z. B. wegen einer Betriebsaufgabe, nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Vor diesem Hintergrund überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Festbetragsfestsetzungen das private Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Die von den Antragstellern aufgezeigten praktischen Schwierigkeiten im Falle einer erforderlich werdenden Nachzahlung der Antragsgegner können an diesem Ergebnis nichts ändern, da ähnliche Schwierigkeiten für die Leistungserbringer auch bei einer Rückforderung durch die Antragsgegner entstünden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 Satz 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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